Dortmunder Gewerkschaftsgeschichte: vor 35 Jahren – „Die Brillenschlangen“ oder Frauen-Kulturarbeit in der IG-Metall

Anlässlich der Vorbereitungen zum 8. März 1984 gründet sich innerhalb des Frauenausschusses der IG Metall in Dortmund ein Arbeitskreis, der bei der öffentlichen Frauenveranstaltung des DGB einige Lieder und Texte vortragen will.

Es finden sich ca. 10 Frauen spontan zusammen, die dieses Spektakel gestalten wollen. Ein ‚harter Kern‘ von Frauen bleibt auch darüber hinaus beisammen, und so existiert bis heute (1989, A.d.Hrsg.) die Songgruppe der IGM-Frauen.

Was diese Gruppe an dieser Stelle so interessant macht, sind weniger Texte und Musik, sondern die Tatsache der mangelnden Unterstützung der Gruppe durch den Rest der IGM und ihre eigene Reaktion darauf.

Gern präsentiert man sich in der Öffentlichkeit mit einer ‚eigenen‘ — noch dazu Frauen-Songgruppe. Finanzielle Unterstützung jedoch erfahren die Frauen nicht einmal durch – sonst für fest installierten Arbeitskreise- übliches Tagegeld, mit dem sie gern ihre Kinderbetreuerin bezahlen würde.

Die Gruppe — es sind jetzt sechs Frauen mit insgesamt drei Kindern — trifft sich einmal in der Woche zu Proben und zahlt bisher eine eigens für dieses Treffen engagierte Kinderfrau aus eigener Tasche.

Eine Anfrage bei der Geschäftsführung der Verwaltungsstelle wurde abschlägig beschieden mit dem Hinweis, die Überlegungen gingen insgesamt dahin, eine Subventionierung aller Arbeitskreise grundsätzlich abzuschaffen, was bis zum jetzigen Zeitpunkte jedoch nicht geschehen ist.

Im Antrag 751 der Verwaltungsstelle Bochum an den Gewerkschaftstag heißt es zur Kulturarbeit: „In den Verwaltungsstellen sind Kultur- und Arbeitskreise der Fachrichtungen Gestaltung, Musik, Gesang, Kabarett usw. nach Möglichkeit einzurichten … Diese Arbeitskreise sind ideell wie finanziell zu unterstützen.“

Die Beratung hierüber hat noch nicht stattgefunden …

Die Frauen der „Brillenschlangen“ entscheiden sich daher nunmehr autonom, d.h. losgelöst von der IGM zu agieren. Ob die Rest-Metall unter diesem Prestigeverlust sehr zu leiden haben wird, bleibt dahingestellt. „Mit unseren Texten trafen wir ohnehin nicht immer den Geschmack so mancher männlichen Kollegen. Die stehen mehr auf traditionelle Arbeiterlieder— Marke ‚Wann wir schreiten Seit an Seit‘ …“ (Frau H.) Ist dies ein Zeichen kultureller Unbedarftheit oder kalkuliertes politisches Kalkül, was die Geschäftsleitung zu ihrem Verhalten treibt?Frau H. nennt Verwaltungsstellen, die äußerst großzügig ähnliche Kulturgruppen subventionieren: „Die ‚Fettnäpfchen ‚ aus Gelsenkirchen kriegen sogar eine Chorleiterin bezahlt, die alle 14 Tage extra aus Köln angereist kommt. Klar kriegt die neben ihrer Stundenpauschale noch Fahrgeld. Und zweimal im Jahr gehen die in Klausur für eine Woche. Und alles wird von der Verwaltungsstelle getragen.“ (Frau H.)

Die Handhabung gewerkschaftlicher Kulturarbeit ist Ermessenssache der einzelnen Verwaltungsstellen. Je nach Geschmack der Geschäftsführung wird diese mehr oder weniger subventioniert. Gern schmückt man sich mit der einen oder anderen Gruppe. So auch mit den ‚Brillenschlangen‘ zum Internationalen Frauentag . „In gewerkschaftlichen Kreisen war und ist die Neigung groß, wie auch immer geartete kulturelle Aktivitäten für tarif- oder gesellschaftspolitische Ziele zu funktionalisieren. Kunst und Kultur werden eingesetzt als ‚Waffe im Kampf“ gegen etwas. Diese Praxis nutzt weder den Gewerkschaften noch den Künstlern oder der Kunst. Sie trägt vielmehr— bei allem Respekt vor den Aktivitäten vor Ort — zur relativen Bedeutungslosigkeit gewerkschaftlich kultureller Anstrengungen bei.“ (Krings/Auch 1987)

Die ‚Brillenschlangen‘ verstehen ihr gewerkschafts-politisches Engagement derart, daß sie nachdenkenswerte Inhalte über ihre Texte transportieren — und damit beim Publikum ansehnliche Erfolge haben. Die Texte sind befaßt sowohl mit gewerkschaftlichen Themen (‚Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da ‚ als Beitrag zur Diskussion über die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen bei VDO Dortmund) sondern vor allem mit dem Reproduktionsbereich — und hier insbesondere mit dem Anteil, der die Frauen vorrangig betrifft.

Doch diese Kombination findet keine große Lobby innerhalb der IGM Dortmund. Kulturarbeit wird nicht gesehen als eigenständige politische Notwendigkeit, als Lebensäußerung arbeitender Menschen, sondern vorrangig als Vehikel zum Transport gewerkschaftlicher Ideen.

Doch auch die ‚Brillenschlangen‘ müssen sich fragen lassen, ob sie alles Notwendige unternommen haben, sich und ihr Anliegen — nämlich die finanzielle Unterstützung der Geschäftsführung zu bekommen — entsprechend zu vertreten.

Die enttäuschende Haltung der Geschäftsführung provoziert bei den Frauen eine Verweigerungshaltung: sie planen, fortan gewerkschaftsunabhängig zu agieren, sich zwar als Gewerkschaftsmitglieder zu fühlen, jedoch nicht mehr im Namen der IGM aufzutreten.

Mag sein, daß der Antrag der Bochumer Verwaltungsstelle die Ortsverwaltung Dortmund in Zugzwang bringt und daß sie sich auf die Existenz der Frauenkulturgruppe besinnt — besinnt auf eine kulturpädagogische Praxis …, die die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen ernst nimmt, in seiner Gesamtheit einbezieht und eine künstlerische Freiheit bietet, die auch Widersprüchliches und Umbequemes zuläßt. Die kulturelle Praxis müßte ansetzen an den persönlichen Erlebnissen des einzelnen und ihm gestatten, eigene Erfahrungen zu machen. “ (Krings/ Auch 1987)

Tatsache bleibt zum einen, daß die IGM in Dortmund kein großes Interesse an d i e s e r Art von Kultur hat. Tatsache bleibt aber auch, daß die ‚Brillenschlangen‘ wenig offensiv für ihre Bedürfnisse — nämlich eine finanzielle Unterstützung zu bekommen — eingetreten sind, sondern sich stattdessen zurückziehen wollen, quasi als ‚Strafsanktion‘. Typisch weiblich? Oder eher Erfahrung aus langen Jahren der Gewerkschaftsarbeit? Vielleicht beides.

Die Erfahrung zu machen, wegen ‚ein paar Mark‘ in einen längeren Disput mit der Verwaltung treten zu sollen, ist nicht gerade verlockend. Zugleich jedoch ist es ein Politikum: eine Verwaltungsstelle, die z.B. einen anderen Chor finanziell unterstützt, jedem Teilnehmer eines Arbeitskreises DM 6.- Tagegeld plus Fahrgeld zukommen läßt, Seminare in teuren Hotels abhält, vermag es sich nicht zu leisten, einer Kulturgruppe eine Unterstützung von DM 20.- wöchentlich zuzugestehen. Dies grenzt doch sehr an eine Geringschätzung der von Frauen geleisteten Kulturarbeit.

Jutta Steinke:

„Ein Raunen geht durch Werkstatt und Fabriken wer ist denn da so aufgebracht? Man sieht Betriebsrat und den Chef mit irritierten Blicken selten sah man diese Eintracht.

Sie sitzen am Schreibtisch und fletschen die Zähne die Bedrohung — sie kam über Nacht.

Nie gehört das Wort

„Frauenförderpläne“!

Wer hat sich das denn wieder ausgedacht?

Sie wollen die Hälfte der Macht …“    (Die Brillenschlangen, 1987)

 

Anmerkung:

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Diplomarbeit der Autorin „Die Frauenarbeit der IG-Metall in Dortmund“, Universität Duisburg 1989. Jutta Steinke war selbst Mitglied der „Brillenschlangen“. In ihrer Diplomarbeit analysiert sie die Frauenarbeit der IG-Metall in Dortmund von der Nachkriegszeit bis 1988. Mit Interview-Auszügen ist diese Arbeit eine Fundgrube für alle, die sich mit dieser Thematik beschäftigen wollen. Leider liegt keine Kurzfassung der Arbeit vor, sie hätte sonst in einem Kapitel, Frauenbewegung und Gewerkschaften“ Eingang in dieses Buch gefunden. (die Herausgeberin).

 

 

Quelle:  Rückblick nach vorn - Geschichtswerkstatt Dortmund

Bild: dgb