Kanzlerkandidat mit Lobbykontakten

Von Christina Deckwirth

Mit Friedrich Merz drängt ein Politiker in das Kanzleramt, der jahrelang als Lobbyist tätig war und bis heute mächtigen Wirtschaftsinteressen zu nahe steht.

Bereits im September wurde CDU-Chef Friedrich Merz als Kanzlerkandidat seiner Partei nominiert. Doch wer ist der Mann, der aktuell die größten Chancen hat, nächster deutscher Bundeskanzler zu werden? In der Vergangenheit ist Merz immer wieder unangemessen mit Interessenkonflikten und Lobbytätigkeiten umgegangen. Während seiner ersten Jahre als Bundestagsabgeordneter verdiente er nebenher kräftig in der Wirtschaft hinzu. Im Jahr 2006 beliefen sich seine Nebenverdienste laut Schätzungen des Manager Magazins auf rund eine Viertelmillion Euro. Kanzlerkandidat mit Lobbykontakten weiterlesen

Alles andere als sozial: So ungerecht ist die Vermögensverteilung in Deutschland

Von Dagmar Marianne Zeiß

Der Bund entlastet vor allem Besserverdienende und Beamte. Das gefährdet den sozialen Frieden.

Die Ampel ist geplatzt und an gegenseitigen Beschuldigungen fehlt es nicht. Wohl aber nach wie vor an jedweder Selbstkritik. Denn keine politische Notlage kann erklären, wieso es die Bundesregierung in den vergangenen Jahren nicht im Ansatz geschafft hat, die Lebensqualität der eigenen Bevölkerung unter dem Stichwort „Verteilungsgerechtigkeit“ mit in den Blick zu nehmen.

Stattdessen haben wir künftig alle 15 Euro im Monat mehr. Steuerfreiheit, jedoch nur.

Der Grundfreibetrag steigt um 180 Euro jährlich auf 11.784 Euro. Wenn Sie 1715 Euro brutto verdienen, erlässt Ihnen der Staat künftig 2,43 Euro an Einkommensteuer. Sollten Sie allerdings 11.227 Euro verdienen, wie die Abgeordneten des Bundestages seit Juli 2024, steigt Ihre Entlastung auch. Um 6,60 Euro im Monat.

Damit folgt das Gießkannenprinzip aller Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte konsequent der Linie, dass Besserverdienende durch Beschlüsse des Parlaments ausnahmslos stärker entlastet werden als Geringverdienende. Alles andere als sozial: So ungerecht ist die Vermögensverteilung in Deutschland weiterlesen

Deutsche Gewerkschaften – und das Nein zum Marsch in die Kriegstüchtigkeit

Von Johannes Schillo

Anfang November 2024 fand in Mainz die dritte Konferenz der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) statt, an der vor allem Verdi- und IG Metall-Mitglieder teilnahmen – und ihren Protest gegen den offiziellen Kurs der DGB-Gewerkschaften sowie der deutschen Regierung zum Ausdruck brachten. Antikriegsprotest sei das Gebot der Stunde. Denn, so heißt es in dem VKG-Positionspapier Gewerkschaft und SPD auf den Spuren von 1914“: „Die BRD ist als Teil des weltweit aggressivsten Militärbündnisses – der NATO – in der Ukraine faktisch bereits Kriegspartei.“

Im November meldete sich auch die oppositionelle Verdi-Initiative „Sagt nein!“ mit einer Stellungnahme zu Wort, die sich gegen die Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland wendet. Die Initiative, die für ihren Einspruch gegen die offizielle Gewerkschaftslinie bislang 21.000 Unterschriften in Gewerkschaftskreisen gesammelt hat, unterstützt den Aufruf „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!“. Der versucht an eine gewerkschaftliche Tradition anzuknüpfen, die allerdings – siehe oben – seit 1914 eher auf das Gegenteil hinausläuft, nämlich darauf, mit der nationalen Kriegsbereitschaft Frieden zu schließen. In der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gab und gibt es übrigens verschiedene Anläufe, sich oppositionell zu Wort zu melden, was im Gewerkschaftsforum schon verschiedentlich Thema war. Siehe dazu zuletzt die offenen Briefe von Ulrich Heyden, die jetzt auch von der Website IVA aufgegriffen wurden.

Schließlich griff die GEW Bayern im November das Thema Bundeswehr in Schulen auf. Sie will gegen die „drohende Militarisierung des Bildungsbereichs“ vorgehen und strengt dafür eine „Popularklage“ beim Bayerischen Verfassungsgericht gegen das Bundeswehrgesetz des Freistaates an, das Schulen und Hochschulen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verpflichtet. Die Bildungsgewerkschaft kritisiert, dass Lehrern der Entscheidungsspielraum darüber, ob die Bundeswehr an den Schulen Zugang und Werbemöglichkeiten erhält, genommen wird. Durch die gleichzeitig mit dem neuen Bundeswehrgesetz in Kraft getretenen Änderungen im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) würde zudem die Teilnahme an schulischen Veranstaltungen, in denen ein Bundeswehr-Offizier die Rolle des wertevermittelnden Lehrenden ausübt, für Schüler zur Pflicht. Deutsche Gewerkschaften – und das Nein zum Marsch in die Kriegstüchtigkeit weiterlesen

Gegen Militarisierung und Kriegstüchtigkeit – Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland

Erster dezentraler Aktionstag 7. Dezember 2024

Nach der großen Demonstration am 3. Oktober in Berlin für Frieden und gegen weitere Aufrüstung haben wir uns am Sonntag, 24. November 2024 bei der Aktionsberatung mit über 230 Teilnehmer:innen darüber verständigt, die zentralen friedenspolitischen Herausforderungen anzugehen:

  • Die Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland zu verhindern. Diese Erstschlagwaffen, die allein in Deutschland stationiert werden sollen, sind eine große Gefahr für den Frieden in Europa. Die Raketen, konventionell oder atomar bestückt, sind zudem Magneten für einen Präventivangriff auf Deutschland und zerstören das, was zu verteidigen sie vorgeben.
  • Nein zu allen Kriegen. Deshalb sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine und in Gaza / Libanon. Wir fordern eigenständige Initiativen der Bundesregierung für einen Friedensprozess in der Ukraine und einen Stopp der Waffenlieferungen.
  • Abrüstung statt Hochrüstung. Mit den freiwerdenden finanziellen Ressourcen müssen die sozialen, ökologischen und globalen Herausforderungen gemeistert werden.

Dies werden auch die Themen sein, mit der die Friedensbewegung in den nun beginnenden Wahlen zum Bundestag eingreifen wird. Gegen Militarisierung und Kriegstüchtigkeit – Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland weiterlesen

Thyssenkrupp Steel im Chaos – Es ist an der Zeit, über eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse nachzudenken

Eigentlich sollte es der Große Wurf werden. Der Bund und das Land NRW unterstützen den Bau einer perspektivisch wasserstoffgeführten „Direktreduktionsanlage“ bei Thyssenkrupp, die jährlich 2,3 Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren soll, mit insgesamt zwei Milliarden Euro an Subventionen.

Das Land NRW gibt davon dem kriselnden Stahlkonzern die größte Einzelsubvention der Landesgeschichte in Höhe von 700 Millionen Euro, ohne dass mit der Vergabe der öffentlichen Mittel dem Unternehmen irgendwelche Bedingungen gestellt werden.

Noch nicht einmal werden Beschäftigungs- und Standortgarantien oder ausreichende Sicherheiten für Beschäftigte und Steuerzahler verlangt.

Dies rächt sich nun.

Am 25. November 2024 ließ der Vorstand Thyssenkrupp verlauten, dass rund 11.000 Stahlarbeitsplätze vernichtet und die eigenen Produktionskapazitäten von derzeit 11,5 auf ein Niveau von 8,7 bis 9 Millionen Tonnen gesenkt werden sollen.

Da ist es an der Zeit, dass über andere Konzepte, auch über eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse, nachgedacht wird. Thyssenkrupp Steel im Chaos – Es ist an der Zeit, über eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse nachzudenken weiterlesen

Zur Befindlichkeit der Beschäftigten im CARE – Bereich: Entfremdung greift um sich

Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat schon längst den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten.

Die Beschäftigten mussten und müssen ungeheuerliche Änderungen über sich ergehen lassen, die nicht nur Auswirkungen auf die tagtägliche Arbeit haben, sondern ihre gesamte Lebenssituation beeinflussen.

Es geht hierbei nicht nur um ein Unbehagen, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, als Verkäufer sozialer Produkte auftreten zu müssen, bei denen das eigentlich Menschliche zu einem Wettbewerbsfaktor der Markt- und Konkurrenzwirtschaft wird. In dieser sind Zuneigung, Aufmerksamkeit, Hilfe, Sicherheit, Ehrlichkeit und Authentizität zu verkaufen bzw. zu erwerben. Es hat sich ein Geld-Hilfe-Geld-Verhältnis entwickelt, bei dem sich alle Beteiligten dem Diktat der betriebswirtschaftlichen Kenn- und Schlagzahlen unterwerfen und vor allem geht es um Entfremdungsprozesse, die die Beschäftigten völlig zerstören können.

Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Care-Arbeit zu werfen. Zur Befindlichkeit der Beschäftigten im CARE – Bereich: Entfremdung greift um sich weiterlesen

Verdi und der Ukraine-Krieg (2. Offener Brief)

Von Ulrich Heyden

An die

ver.di Bundesverwaltung, Ressort 1

10179 Berlin

z.Hd. Daniela Kornek

Betr.: Verdi und die Ukraine 2

Sehr geehrte Kollegin Kornek,

ich hatte am 14. November einen Brief an die Verdi-Bezirksleitung Hamburg mit Fragen Verdi und der Ukraine-Krieg | Overton Magazin zum Thema „Verdi und der Ukraine-Krieg“ geschickt. Sie haben mir am 19. November im Auftrag des Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke geantwortet.

Leider sind Sie in Ihrer Antwort nicht inhaltlich auf meine Fragen zur Ukraine-Berichterstattung in der Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ eingegangen. Stattdessen verweisen sie auf den friedenspolitischen Leitantrag des ver.di-Bundeskongresses vom September 2023.

In diesem Leitantrag stehen gute Sachen, wie etwa die Aussage, dass „der öffentliche Diskurs zum weiteren Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine (…) übermäßig fixiert (ist) auf Waffenlieferungen und militärische Lösungen in Kategorien wie ´Sieg´ oder ´Niederlage´.“

Doch sie, Frau Kornek, heben in Ihrer Antwort an mich eine Stelle im Leitantrag des Bundeskongresses hervor, die meiner Meinung nach nicht zum Frieden führt. Sie schreiben, der Leitantrag stelle fest, „dass eine Unterstützung der angegriffenen Ukraine mit militärischem Material völkerrechtlich zulässig ist und eine Unterstützung der Angegriffenen darstellt, um sich weiter zu verteidigen.“ Verdi und der Ukraine-Krieg (2. Offener Brief) weiterlesen

Lunapark 21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie: Es ist noch nicht vorbei. Heft 63 jetzt

Am Tag nach den US-Präsidentschaftswahlen ist unklar, wie es politisch in dem noch immer mächtigsten Land der Erde weitergehen wird. Sicher ist, Donald Trumps steht vor einer zweiten Amtszeit. In einem Beitrag im neuen Heft 63 von Lunapark21 erörtert Harold James, Wirtschaftshistoriker in Princeton, Möglichkeiten und Grenzen eines „Faschismus in unserer Zeit“. Im Märchen heißt es, wer mit dem Teufel speisen will, sollte einen langen Löffel haben. Aber so lange Löffel, dass sich mit ihnen gefahrlos am Tische des Kapitals speisen ließe, haben die Reformer aller Länder noch nicht erfunden. In den letzten 20 Jahren ging es bei Reformen in den Metropolen des Weltmarktes regelmäßig um die Entfesselung, und nicht um eine Bändigung des Kapitals. Selbst die Klimakatastrophe soll mit den Mitteln des Marktes bekämpft werden. Was tun? Mit guten Absichten ist der Weg zur Hölle gepflastert.

Wissen ist noch nicht Macht. Aber Unwissen ist Ohnmacht. Material für eine Zeitschrift „zur Kritik der globalen Ökonomie“ liegt reichlich herum. Es zu verarbeiten ist genau das: Arbeit. Dafür haben sich Menschen aus der letzten und vorletzten Generation der Lunapark21-Redaktion Ende letzten Jahres zusammengetan. Um weiter Einsichten, Fragen und Vorschläge veröffentlichen zu können war es nötig, einiges zu ändern. Im September hat Sebastian Gerhardt die Herausgeberschaft der Zeitschrift übernommen. „Lunapark21“ wird auch künftig wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich erklären und unterschiedliche Positionen abbilden, die in ihrer Grundhaltung kapitalismuskritisch, humanistisch, anti-autoritär und demokratisch sind. Lunapark 21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie: Es ist noch nicht vorbei. Heft 63 jetzt weiterlesen

Verdi und der Ukraine-Krieg (1. Offener Brief)

Von Ulrich Heyden

An den Verdi-Landesbezirksvorstand Hamburg (Annelies Krohn) und die Verdi-Landesbezirksleitung Hamburg (Sandra Golschmidt, Ole Borgard)

Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen,

ich bin seit 1974 Gewerkschaftsmitglied und überlege aus der Gewerkschaft Verdi auszutreten. Vielleicht könnt Ihr mich überzeugen, dass das ein falscher Schritt ist. Bitte lest mein Schreiben.

50 Jahre bin ich Gewerkschaftsmitglied, erst in der IG Metall, dann bei Verdi. Ich war Jugendvertreter bei MBB und gewerkschaftlicher Vertrauensmann bei Siemens. Im Frühjahr bekam ich eine goldene Verdi-Nadel an meine Moskauer Adresse geschickt. In dem Begleitschreiben stand etwas von den “wertvollen Erfahrungen” von uns Alt-Mitgliedern. Aber ich vermisse Verdi und die anderen Einzelgewerkschaften des DGB auf der Seite derjenigen, die gegen die “Kriegsertüchtigung” in Deutschland laut und deutlich die Stimme erheben. Wenn die IG Metall 1974 mehr oder weniger offen einen Krieg unterstützt hätte, wäre ich wohl nie in diese Gewerkschaft eingetreten. Verdi und der Ukraine-Krieg (1. Offener Brief) weiterlesen

Wer die Arbeit gibt, wird zum Arbeitnehmer degradiert – wer sie nimmt, wird zum Arbeitgeber erhoben

„Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das ,Kapital’ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäftigung“ gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail nennen wollte.“

Die Sätze schrieb Friedrich Engels im Vorwort zur dritten Auflage des Kapitals von Karl Marx. Seit 170 Jahren ist das Kauderwelsch vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Welt und hält sich hartnäckig. Auch für Karl Marx war Arbeitskraft ganz nüchtern eine Ware, die von dem einen verkauft und von dem anderen gekauft wird. Die Ware Arbeitskraft befindet sich jedoch überhaupt nur auf dem Markt, weil der Anbieter keine anderen Waren verkaufen kann und so gezwungen ist, seine Arbeitskraft gegen Geld zu tauschen. Die Menschen, die „Arbeit nehmen“, haben gar keine andere Wahl, als tag täglich dem Verkauf ihrer Kraft zuzustimmen und haben nur einen ganz geringen Einfluss darauf, wie hoch der Preis dafür ist.

Über Generationen hinweg haben es deutsche Unternehmen, Arbeitsrechtler, Medien und Politiker geschafft, dieses Verhältnis sprachlich umzudrehen und die Gehirne der Menschen damit zu füttern, dass ein Arbeitgeber der Menschheit einen Gefallen tut, ihrer überschüssigen Arbeitskraft großzügig die Möglichkeit gibt, sich an Arbeitsplätzen abzuarbeiten. Folgerichtig wird der, der sich dort abarbeiten darf, dann auch Arbeitnehmer genannt. Wer die Arbeit gibt, wird zum Arbeitnehmer degradiert – wer sie nimmt, wird zum Arbeitgeber erhoben weiterlesen

Polizeiprozess in Dortmund: Neue Idee zu Tod von Dramé – Staatsanwältin spricht von Fahrlässigkeit statt Vorsatz

Von Matthias Monroy 

Im Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé hat die Staatsanwaltschaft beim 27. Prozesstermin am Montag vor dem Dortmunder Landgericht eine überraschende Neubewertung des Falls vorgenommen.

Bei dem tödlichen Polizeieinsatz vom 8. August 2022 in Dortmund könnte demnach – statt wie bisher vorsätzliches Handeln der angeklagten Polizisten anzunehmen – für die Vorwürfe Totschlag und Körperverletzung auch Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werden. Dies hätte ein deutlich geringeres Strafmaß zur Folge.

Die Staatsanwältin Gülkiz Yazir gründet diese Neubewertung auf die Annahme eines sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums. Dies würde bedeuten, dass die Polizist*innen möglicherweise fälschlicherweise von einer Notwehrsituation ausgingen und entsprechend handelten. Yazir regte vor dem Dortmunder Schwurgericht an, den Angeklagten diesbezügliche rechtliche Hinweise zu erteilen. Polizeiprozess in Dortmund: Neue Idee zu Tod von Dramé – Staatsanwältin spricht von Fahrlässigkeit statt Vorsatz weiterlesen

Analyse: Der tiefe Fall von VW

Von Frédéric Fréry

VW steckt in der Krise. Drei deutsche Werke stehen vor dem Aus, der Nettogewinn brach um 64 Prozent ein. Wie konnte Europas Autoriese so tief fallen?

Ende Oktober gab der Betriebsrat von Volkswagen bekannt, dass die Konzernleitung die Schließung von drei Werken in Deutschland erwäge, was den Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen und eine allgemeine Lohnkürzung zur Folge hätte. Am 30. Oktober gab der Konzern einen Rückgang des Nettogewinns im dritten Quartal um 63,7 Prozent bekannt.

Mit mehr als 200 Milliarden Euro Schulden ist Volkswagen das am höchsten verschuldete börsennotierte Unternehmen der Welt. Der Absatz ist gesunken, während die Kosten (vor allem für Energie, Personal, Forschung und Entwicklung) stark gestiegen sind.

Wie konnte es dazu kommen, dass Europas führender Automobilhersteller, Deutschlands größter industrieller Arbeitgeber und Symbol für seinen Kapitalismusstil der Mitbestimmung zwischen Aktionären und Gewerkschaften so weit gekommen ist? Es ist das Ergebnis einer Reihe strategischer Fehler, einer barocken Unternehmensführung und toxischer Managementpraktiken. Analyse: Der tiefe Fall von VW weiterlesen

EU: Ausweg aus dem gefährlichen Vasallen-Status

Von Werner Rügemer

Im Zangengriff des kapitalistisch-militärisch-medialen US-Imperiums wird die EU volkswirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell verarmt, degradiert, mit Kriegshaushalten überzogen und als Stellvertreter in die tödliche US-Geopolitik einbezogen, auch in einen möglichen 3. Weltkrieg. Das hat eine Vor-Geschichte. Und der Ausweg?

Das erste Muster: Marshall-Plan mit NATO Mit dem Marshall-Plan förderten die USA nach 1945 die Re-Industrialisierung in Westeuropa, aber auch neue Industrialisierung durch US-Konzerne. Die Gelder gab es nur, wenn antifaschistische, linke, kommunistische Parteien und nationalbewußte Politiker wie Charles de Gaulle aus den Regierungen vertrieben oder korrumpiert waren. In Griechenland flossen die Gelder erst, als US-Militär die antifaschistische Befreiungsbewegung niedergebombt und die Monarchie wieder eingesetzt hatte. Der Marshall-Plan förderte den Absatz von USProdukten, die Anbindung der Währungen an den Dollar. Hinzu kam Hollywood-Kultur und neue kapitalfinanzierte Wissenschaft, zu der z.B. die „Kritische Theorie“ gehörte.

Unternehmen und Banken, die NS-Komplizen und Kriegsgewinnler waren, in Deutschland, aber auch im NSbesetzten West-, Nord- und Südeuropa – und auch in den USA selbst – , wurden weder bestraft noch entflochten noch enteignet. Diese Politik war abgesichert durch hard power: Das von den USA geführte Militärbündnis NATO, verstärkt durch US-Militärstützpunkte in den NATO-Mitgliedsstaaten.1

In Westeuropa, insbesondere im „westlichen Schaufenster“, dem provisorischen Separatstaat Bundesrepublik Deutschland, blühte deshalb nicht nur der alte Reichtum der NS-Kollaborateure. Auch für große Teile der abhängig Beschäftigten entstand ein steigender Wohlstand: Er war aber nur ein Zugeständnis auf Zeit. EU: Ausweg aus dem gefährlichen Vasallen-Status weiterlesen

20. November: Internationaler Tag der Kinderrechte – Kein Wahlkampfthema: Kinderrechte weder im Grundgesetz noch im Alltag verwirklicht

Von Wilhelm Neurohr

„Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte,
solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
(Albert Einstein)

Am heutigen 20. November wird zum Internationalen Tag der Kinderrechte daran erinnert, dass jedem Kind elementare Rechte zustehen: auf Gesundheit und Bildung, auf Schutz vor seelischer und körperlicher Gewalt. Zu den Kinderrechten zählen laut Kinderhilfswerk beispielsweise ein Dach über dem Kopf und eine gewaltfreie Erziehung sowie bestmögliche Gesundheitsversorgung. Darauf haben laut Kinderrechtskonvention von 1989 alle Kinder einen Rechtsanspruch. Bei der Verwirklichung dieser Rechte bestehen jedoch nach wie vor erhebliche Defizite. Insbesondere in Deutschland, wo jedes fünfte Kind in Armut lebt, haben Kinder keine Lobby und kommen auch bei den Wahlkampfthemen so gut wie gar nicht vor, erst recht nicht nach gescheiterter Kindergrundsicherung.

Obwohl 82% der deutschen Bevölkerung laut aktueller Umfrage der Kindernothilfe für eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz plädieren, fand sich dafür im Bundestag bisher keine Mehrheit. Der politische Vorstoß in 2021, nach dem 2002 aufgenommenen Tierschutz auch das Kindeswohl und die Kinderrechte als substanzielle Ergänzung des Artikel 6(2) ins Grundgesetz aufzunehmen, scheiterte an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag. Stattdessen erhitzt vorrangig die umstrittene Schuldenbremse im Grundgesetz die politischen Gemüter im beginnenden Wahlkampf, in dem Kinderrechte nicht vorkommen. 20. November: Internationaler Tag der Kinderrechte – Kein Wahlkampfthema: Kinderrechte weder im Grundgesetz noch im Alltag verwirklicht weiterlesen

Neue Kampagne für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen: „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“

Bündnis-Pressemitteilung vom 18. November 2024

Anfang November haben 36 Friedensorganisationen eine Kampagne gegen die Stationierung landgestützter US-Mittelstreckensysteme in Deutschland gestartet. „Die Entscheidung zur Stationierung der Mittelstreckenwaffen in Deutschland ist eine Bedrohung für den Frieden in Europa“, warnen die beteiligten Organisationen, darunter die IPPNW Deutschland.

Bundesregierung und US-Regierung haben angekündigt, ab 2026 landgestützte Marschflugkörper, Hyperschallwaffen und Raketen der Vereinigten Staaten in Deutschland zu stationieren. Diese Waffensysteme können mit einer stark verkürzten Vorwarnzeit strategische Ziele, etwa Atomwaffenstandorte, in Russland treffen, was zu einer erhöhten Alarmbereitschaft in Russland führen kann und das Risiko von Fehlentscheidungen verschärft. Die Stationierung bedeutet somit einen neuen, gefährlichen Schritt im Wettrüsten und eine weitere Eskalationsgefahr. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, dass die Entscheidung ohne eine gesellschaftliche Debatte getroffen wurde, nicht einmal der Bundestag wurde im Vorfeld informiert.

In der nun gestarteten Kampagne unter dem Titel »Friedensfähig statt erstschlagfähig – für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!« wollen die beteiligten Organisationen über die Risiken aufklären und so die bislang ausbleibende, aber dringend nötige Debatte lostreten. Zudem soll politischer Druck für die Rücknahme der Stationierungsentscheidung aufgebaut bauen. Neue Kampagne für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen: „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“ weiterlesen