Für die Generation der Digital Natives lohnt sich Arbeit immer weniger. Für die einen nicht, weil sie ohnehin viel erben, für die anderen nicht, weil sie ohnehin nichts erben. Ein langes, hartes Arbeitsleben kann diesen Unterschied immer seltener ausgleichen. Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital wird wieder deutlicher und der technische Fortschritt spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Digitalisierung verändert nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch unsere Arbeit.
Die digitale Überwachung der Arbeit
Arbeit, die Existenzgrundlage der allermeisten Menschen, soll digital kontrolliert und neu vermessen werden. Pioniere und Giganten der Digitalisierung wie Amazon haben über Methoden der Preiskontrolle gelernt, betriebliche Herrschaft durchzusetzen. Nach diesem Vorbild wollen sie nun auch die Arbeitskraft verstärkt überwachen und so ihre Macht über die Beschäftigten ausbauen:
- ein Arbeitshandschuh, der unsere Handbewegungen aufzeichnet und vibriert, wenn wir vom vorgegebenen Muster abweichen,
- ein Handscanner, der uns zum nächsten Paket lotst und aufzeichnet, ob wir uns zeitgleich unterhalten oder gar eine Pause machen,
- eine Callcenter-Software, die uns zuhört und bewertet, ob wir emotional werden,
- eine Software, die unsere Produktivität im (Home-)Office in eine Kennzahl packt.
Das alles verfolgt das Ziel, Daten zu erfassen, um eine algorithmische Steuerung von Arbeitsabläufen zu erlauben. Die digitale Aufsicht erhält laufend Informationen. In einer ununterbrochenen Feedbackschleife lernt sie diese zu verarbeiten. So kann sie immer genauere Vorgaben machen, immer enger takten.
Damit soll erreicht werden, dass hochqualifizierte Fachkräfte durch ungelernte und billigere Beschäftigte ersetzt werden können. Diese erhalten detaillierte Anweisungen von ihrer digitalen Aufsicht. Dabei ist die Abwertung von Arbeit erklärte Managementstrategie. So erschaffen die Digitalkonzerne eine neue, digitale Dienerschaft.
Wie die digitale Dienerschaft entsteht
Zwei Gruppen von Arbeitnehmer:innen entstehen: Die einen arbeiten bis zur Erschöpfung, unter anderem an der Entwicklung und Implementierung digitaler Systeme, bis für Haushalt und Sorgearbeit keine Kraft mehr bleibt. Die anderen, die digitale Dienerschaft, übernehmen für sie das Erziehen, Putzen, Kochen und Liefern. Sie bekommen diese Jobs algorithmisch vermittelt und nur Hungerlöhne bezahlt.
Algorithmisch vermittelte Arbeit kann den Vorteil eines vereinfachten Einstiegs in den Arbeitsmarkt bieten. Sprachkenntnisse und persönliche Netzwerke spielen kaum eine Rolle. Dies begünstigt zusätzlich, dass die Sorgearbeit der Mittelschicht von der neuen migrantischen Unterschicht verrichtet wird.
Unterbezahlte Berufsgruppen waren schon vor der COVID-Pandemie systemrelevante und vielfach verkannte Leistungsträger:innen. Trotz hoher Relevanz für die Gesellschaft und das kapitalistische Wirtschaftssystem wurde ihre Arbeit nie ausreichend anerkannt.
Wie kann die digitale Dienerschaft die gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung erreichen, die ihr zusteht? Der Kampf führt – wie jener für menschzentrierte Technologien auch – über eine politische Auseinandersetzung und letztlich auch über Widerstand. Faire Bezahlung und eine gerechte digitale Arbeitswelt wird es ohne Aufbegehren und Protest nicht geben.
Alter und neuer Arbeitskampf
Die digitale Dienerschaft arbeitet in der Regel vereinzelt. Doch alleine kann man keinen Arbeitskampf erfolgreich führen. Das geht nur gemeinsam – und Begegnung findet im 21. Jahrhundert sowohl virtuell als auch physisch statt. Neben virtuellem Widerstand bedarf es, gerade in den Berufsgruppen der digitalen Dienerschaft, klassischer Organisationsarbeit.
Der steigende Druck durch immer mehr Überwachung und Kontrolle greift von Kassier:innen, Berufsfahrer:innen oder Botendienstleister:innen zunehmend auch auf sogenannte Wissensarbeiter:innen über. Ausweichmanöver und Sabotage, wie beispielsweise Patient:innenbesuche durch den Arzt, während die Patient:innen schlafen, sind eine mögliche Gegenstrategie, um die unmöglichen Vorgaben doch noch zu erfüllen.
Gewerkschaft ist notwendig
Doch letztlich führt an gewerkschaftlicher Organisation kein Weg vorbei. Auch historisch betrachtet gelang die (gewerkschaftliche) Organisation der Massen in Wellen. Möglich, dass wir heute vor einer nächsten Welle stehen.
In den USA lässt sich beobachten, dass diese Welle auch von gut gebildeten Arbeiter:innen unterstützt wird, die sich den Organisationsbewegungen anschließen. Akademisch Ausgebildete heuern als Lagerarbeiter:innen an, mit dem Ziel, gemeinsam mit ihren Kolleg:innen den Betrieb zu organisieren („salting“). Ein erster Erfolg dieser Bewegung ist die Gründung eines Betriebsrats für das Amazon-Logistikzentrum auf Staten Island in New York. Hinter der Wahl von Chris Smalls zum Betriebsratsvorsitzenden stehen unter anderem Brima Sylla, ein sprachgewandter Immigrant aus Liberia mit einem PhD, und Pasquali Cioffi, ein Hafenarbeiter. Gemeinsam gelang es ihnen, Hunderte Unterstützungserklärungen zusammenzutragen, trotz einer 4 Mio. Euro schweren Gegenkampagne des Amazon-Konzerns. Ihr Erfolgsrezept war es, monatelang an der Bushaltestelle des Logistikzentrums zu grillen sowie Essen und Trinken zu verteilen.
Arbeiterkammer hilft der digitalen Dienerschaft
Auch im Zeitalter digitaler Aufsicht und algorithmisch vermittelter Arbeit ist das Rezept „Arbeiter:innen organisieren Arbeiter:innen“ unschlagbar. Aus diesem Grund müssen sich die bestehenden Institutionen der Arbeiter:innenbewegung für die Zusammenarbeit mit Basisbewegungen öffnen. Das gilt insbesondere auch in Zusammenhang mit Digitalisierung. Schließlich sind es nicht selten technische Schnittstellen, mit denen Unternehmen versuchen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse neu durchzusetzen, den Klassenkampf neu auszufechten und bestehende Schutzbestimmungen neu zu unterlaufen.
Einen Beitrag dazu leistet der Digifonds Arbeit 4.0 der AK Wien. Dieser fördert Projekte, in denen Arbeiter:innen aus der digitalen Dienerschaft sich für ihre Interessen organisieren (siehe Beispiele unten). Dabei zeigt sich: Die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit kann auch von den Arbeiter:innen mittels digitaler Technik geführt und gestaltet werden.
Die multiplen Krisen der Gegenwart erhöhen die Brisanz der Verteilungskonflikte. Eine Antwort darauf muss aus dem Zusammenspiel der Kräfte und über gegenseitige Befähigung zum Widerstand entstehen, um der Kontrolle und Übermacht durch digitale Konzerne und Technologien (z. B. zur Überwachung) begegnen zu können.
Beispiele aus dem Digifonds Arbeit 4.0 der AK Wien:
- Auch in Österreich sind Betriebsratsgründungen bei Unternehmen gelungen, die zur digitalen Dienerschaft gezählt werden können: konkret bei den Fahradbot:innen von Lieferando und Mjam. Unterstützt durch den Digifonds der AK Wien bietet das Riders Collective in den Stadtbahnbögen des Wiener Gürtels praktische Unterstützung für Fahrer:innen. Sie finden dort etwa Reparaturwerkzeug für ihre Räder und einen „Pausenraum“ mit Erfrischungen. Auch Betriebsrat und Gewerkschaft sind dort anzutreffen.
- 24-Stunden-Betreuer:innen setzen sich für mehr Information, Beratung, Schutz und bessere Arbeitsbedingungen in der 24-Stunden-Betreuung und Pflegearbeit ein.
- Die Gewerkschaft vida organisiert eine digitale Community der Berufsfahrer:innen. So können die vereinzelt arbeitenden, schwierig zu erreichenden Beschäftigten erreicht und organisiert werden.
- Die Caritas entwickelt gemeinsam mit ihrer Betriebsrätin Lösungen für mehr Mitsprache, Arbeitsautonomie und Kollaboration unter ihren mobilen Pflegeteams.
- Beschäftigtengenossenschaften: Sie können ein Modell für vormals (neue) Selbstständige der IT- und Kreativbranche sein, um die soziale Sicherheit zu verbessern.
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Der Autor:
Fridolin Herkommer ist Leiter des Programms Arbeit im Digitalen Wandel der Arbeiterkammer Wien; Arbeitsschwerpunkte Industrie 4.0, neue Arbeitsformen und Mitbestimmung. Referent der Bereichsleitung Wirtschaft.
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