Die Bombardierung von Krankenhäusern ist in den Nachrichten der deutschen Leitmedien mal Kriegsverbrechen, mal unvermeidlicher Kollateralschaden und mal legitimes Kriegsmittel. Es gibt »brutale völkerrechtswidrige Angriffskriege«, über die intensiv und mit medialer Empörung berichtet wird; es gibt aber auch mit Beifall begleitete »Missionen«, »Einsätze« und »humanitäre Interventionen«. Und es gibt »vergessene Kriege«. Manchmal geht »Staatswohl vor Aufklärung«. Tote sind nicht gleich Tote und Flüchtende nicht gleich Flüchtende – es kommt darauf an, wer wo stirbt und wer woher flüchtet. In einem Fall ist von Evakuierung die Rede, in einem anderen von Entführungen. Ein Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung kann auf Verständnis in der Presse stoßen, aber auch eine abzulehnende Gewalttat oder ein terroristischer Akt sein. Undsoweiterundsofort.
I.
Wer unvoreingenommene Informationen wünscht, um sich auf der Basis von Fakten ein Urteil bilden zu können, für den sind die deutschen Leitmedien und ihre Leistungen – das obige Sammelsurium soll an einige von ihnen erinnern – oft wenig hilfreich. Aber soll und kann man deshalb auf Nachrichten verzichten, die Medien boykottieren oder gleich ganz aufhören, sich über den Gang der Welt, die Wirtschaft, die Politik und die Kultur zu informieren? Natürlich braucht man die politische Berichterstattung, um überhaupt einigermaßen zu erfahren, was im eigenen Land und weltweit vor sich geht. Was beinhalten die neuesten sozial- oder klimapolitischen Beschlüsse der Regierung? Wer demonstriert wogegen? Wo finden Kriege statt und um welcher Ziele willen werde sie geführt? Wie sieht die ökonomische und politische Lage in den Ländern des globalen Südens aus? Wen sanktioniert die deutsche Außenpolitik? Wohin liefert die Rüstungsindustrie Waffen, wohin schickt die Regierung Soldaten? Auch wenn man allein mit »den Fakten« noch nicht wirklich begriffen hat, was geschieht – dazu gehört einiges an Erklärung der Wirtschaft, der Staaten, ihrer Zwecksetzungen und ihrer Konkurrenz –, sind halbwegs verlässliche Informationen zumindest die Voraussetzung dafür, die Welt, in der wir leben, verstehen zu können.
Wie wenig den Leitmedien, auf die Informationswillige angewiesen sind, in diesem Punkt vertraut werden kann, will der erste Teil des Buchs zeigen. Das sollen einige Lektionen in »Medienkompetenz« leisten (um ein Modewort aus der »Mediengesellschaft« aufzugreifen). Klar ist, dass der Medienkonsument den Nachrichten um so hilfloser gegenübersteht, je weniger er selbst bereits weiß – über die einschlägigen Streit- und Sachfragen, die oben benannt wurden. Trotz dieses misslichen Ausgangspunktes gibt es Möglichkeiten, den täglichen Nachrichtenkonsum aufmerksamer und hellhöriger zu gestalten und sich selbst klarzumachen, wo die Berichterstattung, vorsichtig gesagt, unbefriedigend bleibt. Es ist allerdings oft an einem selbst, selbstständig weiter zu recherchieren, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Anhand von Beispielen wird gezeigt, wie neuralgische Punkte in der Berichterstattung der politischen Medien erkennbar werden.
II.
Der zweite Teil widmet sich der Erklärung des festgestellten betrüblichen Zustands. Hiesige Journalisten legen in ihrer Selbstdarstellung wert auf die Trennung von Information und Meinung und stellen sich selbst demonstrativ in Gegensatz zu den verachteten »Staatsmedien« autoritärer Staaten. Sie betonen, das Publikum mit sachlicher Aufklärung versorgen zu wollen und ihm getrennt davon in ihren Kommentaren Gesichtspunkte einer Beurteilung anzubieten – alles im Rahmen des zulässigen Pluralismus, versteht sich. In der Realität folgen die Medien allerdings ganz offensichtlich nicht einfach dem Ziel einer möglichst sachlichen, umfassenden, wahrheitsgetreuen Darstellung. Aber welchem Ziel folgen sie dann? Ihren Redaktionen unterlaufen ja nicht nur individuell und zufällig Fehler, wenn sie ganz selbstbewusst mit Wording, Framing und Narrativen umgehen. Sind die Medien also doch von der Politik gelenkt?
Schon seit etlichen Jahren mehren sich kritische Stimmen gegenüber der Berichterstattung in »den Medien«. Befragungen haben ergeben, dass inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung den Nachrichten der hiesigen Presse vertraut; der Vorwurf »Lügenpresse« bzw. »Regierungspropaganda« ist populär geworden und hat sich vor dem Hintergrund von Corona verstärkt. Im informellen Sektor des Internets haben sich auf dieser Basis zahlreiche »Alternativmedien« entwickelt, die zeitweise und teilweise durchaus erheblichen Zulauf haben. Steckt in den Vorwürfen von »Lügenpresse« und »Regierungspropaganda« ein wahrer Kern? Wie erklärt sich die zunehmende Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung? An welchem Maßstab messen die Unzufriedenen politischen Journalismus?
Zur Beantwortung dieser Fragen analysiert und systematisiert Teil II des Buches das nicht immer konfliktfreie Zusammenspiel von Politik, Presse und Publikum. Dabei wird erörtert, warum Meinungs- und Pressefreiheit konstitutiv zu einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft gehören und zugleich ständig eingeschränkt werden. Die Gründe für die »Fehlleistungen« der nationalen Leitmedien werden bestimmt. Und schließlich wird der Frage nachgegangen, mit welchen Erwartungen das Publikum die politische Berichterstattung zur Kenntnis nimmt und beurteilt.
III.
Verteidigungsminister Boris Pistorius verlangt unverblümt, dass die Bevölkerung des Landes in wenigen Jahren »kriegstüchtig« sein müsse. Der Spiegel-Chefredaktion zufolge steht die »gesamte Gesellschaft« angesichts dessen vor der Aufgabe, aus ihrem »pazifistischen Wolkenkuckucksheim« herauszukommen (»Briefing aus der Spiegel-Chefredaktion«, 21.4.2024). Im letzten Teil dieses Buches werden drei Beispiele der aktuell bereits laufenden geistigen Kriegsertüchtigung untersucht. Die Berichterstattung über den »Befreiungskampf« in der Ukraine, Israels »Krieg gegen den Terror« in Gaza sowie das Feindbild China, das die Auseinandersetzung des Westens mit dem Konkurrenten in Asien bereits eine Weile begleitet und stetig verschärft wird, stellen nämlich Fälle dar, in denen das deutsche Publikum auf künftige Anforderungen eingestimmt wird. Dass hierbei einseitig, moralisierend und unduldsam gegenüber Kritik agiert wird, kann nach dem oben Ausgeführten nicht wundern. Welche geistigen Zumutungen darin stecken, ist in den Fallbeispielen von Teil III zu erfahren.
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Renate Dillmann, Dr. rer. pol., *1954. Studierte Politikwissenschaft/Geschichte/Soziologie in Mainz, Promotion in Hagen. Freie Journalistin und Lehrbeauftragte an der Evangelischen Hochschule Bochum. Bespielt das Podcast-Format ›Der Real Existierende Wahnsinn‹ bei 99 ZU EINS.
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Renate Dillmann
Medien. Macht. Meinung.
Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit
Neue Kleine Bibliothek 342 , 239 Seiten
Erscheinungstermin: 11. November 2024
ISBN 978-3-89438-834-8
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