PRO ASYL: Bahnbrechendes Urteil aus Griechenland – Ende des EU-Türkei-Deals?

Der Oberste Gerichtshof Griechenlands hat in einem wegweisenden Urteil verkündet: Die Türkei ist kein “sicherer Drittstaat” für Flüchtlinge.

Das hat Signalwirkung für ganz Europa, bedeutet vermutlich gar das Ende des EU-Türkei-Deals. Auch bei den deutschen Koalitionsverhandlungen sollte das Urteil beachtet werden. 

Griechenlands oberstes Verwaltungsgericht hat am 21. März 2025 die Einstufung der Türkei als “sicheren Drittstaat” gekippt. Das Gericht stellte klar: Griechenland darf Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Somalia und Bangladesch nicht wie bislang üblich ohne Prüfung ihrer individuellen Asylgründe im Asylverfahren ablehnen, weil die Türkei für sie angeblich sicher sei.

„Das ist ein fulminanter Erfolg für die Menschenrechte und wird sich positiv auf die Zukunft vieler schutzsuchender Menschen auswirken, die nicht länger im Ungewissen ausharren müssen. Das Urteil ist ein klares Signal an die Politik, dass sie nicht nach Belieben Drittstaaten als ‚sicher‘ deklarieren darf“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Geklagt gegen den griechischen Ministerialerlass, über den das Gericht nun entschied, haben Refugee Support Aegean (RSA), die Schwesterorganisation von PRO ASYL, und der griechische Flüchtlingsrat. Für sie bedeutet das Urteil einen Erfolg auf ganzer Linie.

Ein Urteil mit Signalwirkung für ganz Europa

„Die entscheidende Botschaft lautet: Gerechtigkeit hat das letzte Wort. Auch die Politik und Politiker*innen müssen das geltende Recht respektieren und können nicht einfach Gesetze außerhalb des rechtlichen Rahmens verabschieden und umsetzen. Das gilt für Griechenland ebenso wie für die gesamte EU“, sagt Eleni Spathana, Anwältin von RSA.

Mit dem Urteil dürfte eine Neuauflage des EU-Türkei-Deals, wie sie jüngst wieder im Gespräch war, in weite Ferne rücken. Das Urteil zeigt einmal mehr: Deals mit Drittstaaten, um Flüchtlinge loszuwerden, funktionieren nicht. Trotzdem hat eine solche Politik gravierende Konsequenzen: In Griechenland wurde über Zehntausend geflüchteten Menschen rechtswidrig Schutz verweigert. Viele sind nach Auskunft von RSA auf der Straße oder in Abschiebungshaft gelandet, sie harren in einem Zustand qualvoller Perspektivlosigkeit unter unmenschlichsten Bedingungen auf griechischen Inseln oder auf dem Festland aus. Damit muss jetzt Schluss sein.

Das Urteil aus Athen muss auch bei den Koalitionsverhandlungen gehört werden. „Das Urteil macht deutlich: Verantwortung für Geflüchtete lässt sich nicht abschieben“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. „Wir erwarten, dass das bei den Koalitionsverhandlungen berücksichtigt wird. Die Auslagerung von Asylverfahren, die die Union in den Koalitionsvertrag schreiben will, muss mit dem Urteil aus Griechenland ein für alle Mal vom Tisch sein.“

Hintergrund

Die Umsetzung des EU-Türkei-Deals startete im März 2016 auf den griechischen Inseln. Kernelement des Deals war: In Griechenland werden syrische Flüchtlinge im Asylverfahren abgelehnt, weil die Türkei für sie “sicher” sei und sie sollen in die Türkei abgeschoben werden. Die Abschiebungen wurden nie effektiv umgesetzt, denn seit März 2020 weigert die Türkei sich grundsätzlich, Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Trotzdem weitete Griechenland die Praxis des EU-Türkei-Deals mit einem neuen Ministerialerlass in 2021 auf Asylsuchende aus Afghanistan, Pakistan, Somalia und Bangladesch aus. Darf in der Europäischen Union ein Nicht-EU-Land als „sicherer Drittstaat“ bezeichnet werden, auch wenn dieses die Rücknahme von Asylsuchenden systematisch verweigert? Diese Frage hatte der oberste griechische Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt. Der EuGH entschied dies am 4. Oktober 2024.

PRO ASYL berichtete regelmäßig über den Vorgang und die praktischen Folgen des EU-Türkei-Deals und dem entsprechenden griechischen Ministerialerlasses für Geflüchtete, etwa in einem Interview mit der Anwältin Yiota Massouridou. PRO ASYL und RSA haben zudem ein Gutachten (in englischer Sprache) zum Konzept der „sicheren Drittstaaten“ und seiner Anwendung im griechischen Rechtssystem vorgelegt.

Hier finden Sie in den nächsten Tagen ein Interview mit Eleni Spathana von RSA zum aktuellen Fall.

 

 

 

 

 

Quelle und weitere Infos: https://www.proasyl.de/

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