Nicht nur festangestellten Arbeitnehmern, auch Soloselbstständigen wolle man in der Pandemie großzügig helfen, versprachen Bund und Länder. Doch jetzt verlangen die Behörden die Corona-Soforthilfe zurück – mit verheerenden sozialen Folgen.
In Nordrhein-Westfalen schlägt in diesem Herbst die Stunde der Wahrheit. Bis zum 31. Oktober müssen rund 400.000 Empfänger der „NRW-Soforthilfe” penibel belegen, ob ihre „Fixkosten” während des ersten Lockdowns die Umsätze überschritten haben. Falls sich nach Prüfung der ausschließlich digital möglichen Abrechnung ergibt, dass die freiberuflich Tätigen keinen „Liquiditätsengpass“ nachweisen können, erhalten sie einen Zahlungsbescheid: Sie werden aufgefordert, die in 2020 gewährten Hilfsgelder spätestens im kommenden Jahr zurück zu erstatten.
Corona Soforthilfe: Hilfe, die vielen gar nicht hilft
Kleinstbetriebe und erst recht die „Ich-AGs“ werde man schnell und „unbürokratisch“ unterstützen, verkündeten Bundes- und Landesregierungen vor eineinhalb Jahren. Eine „Bazooka“ kündigte der damalige SPD-Finanzminister Olaf Scholz martialisch zu Beginn der Pandemie an. Niemand müsse in Insolvenz gehen, assistierte sein damaliger CDU-Kabinettskollege Peter Altmaier. Doch nur bei der Rettung von großen Konzernen funktionierten die Abwehrwaffen, um im Militärjargon der Politik zu bleiben: Die Lufthansa erhielt 5,8 Milliarden, der Reisekonzern TUI 1,2 Milliarden Euro. Daimler-Benz schüttete mitten in der Krise 1,4 Milliarden Euro Dividende an Aktionäre aus, gleichzeitig sparte der Autobauer 700 Millionen durch Kurzarbeitergeld. Im Vergleich dazu sind die Hilfen für kleine Selbstständige ein Rohrkrepierer – und „unbürokratisch“ bearbeitet werden sie schon gar nicht.
Das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium schrieb im Sommer 2021 an die Betroffenen. Der Zeitpunkt war günstig, die Inzidenz auf einem Tiefpunkt angelangt. Doch hinter der bürokratisch formulierten E-Mail verbarg sich sozialer Sprengstoff. Weil vor allem die von zu Hause aus arbeitenden Selbstständigen kaum betriebliche Ausgaben geltend machen können, müssen sie die im letzten Jahr gewährten Hilfen von maximal 9000 Euro weitgehend zurückzahlen, trotz deutlich gesunkener oder ganz fehlender Einnahmen. Nur wer vor schon vor April 2020 einen Förderantrag gestellt hat, darf 2000 Euro für den eigenen Lebensunterhalt behalten. Ein schwacher Trost nach anderthalb Jahren Pandemie mit faktischem Berufsverbot für Musikerinnen oder Messebauer: Entgegen offizieller Verlautbarungen handelt es sich um eine Hilfe, die vielen gar nicht hilft.
Aufbauschen krimineller Machenschaften
Vollmundige Ankündigungen aus der Politik begleiteten das Auf und Ab von Lockdowns und Lockerungen. Doch nur ein gutes Drittel der im laufenden Bundeshaushalt eingeplanten Gelder kam tatsächlich an: Für die „Neustarthilfe“ 2021 waren zunächst 39,5 Milliarden Euro vorgesehen, Ende März genehmigte das Kabinett weitere 25,5 Milliarden. Von insgesamt 65 Milliarden Euro wurden in der ersten Jahreshälfte nur 23 Milliarden an die Länder transferiert oder direkt an die Antragsteller ausgezahlt. Beim Vorgängerprogramm „Überbrückungshilfe“ fällt die Bilanz noch peinlicher aus. Im Etat 2020 waren knapp 25 Milliarden veranschlagt, ausgezahlt wurden lediglich 3,7 Milliarden Euro. Die gravierende Differenz liegt teils darin begründet, dass sich die Programmierung der Antragssoftware verzögerte und das Geld erst im Folgejahr überwiesen wurde. Wirkung zeigten aber auch die schlechten Erfahrungen der Betroffenen mit der „Soforthilfe“: Die Behörden drohten damit, man werde die Angaben genau prüfen, um möglichem Subventionsbetrug auf die Schliche zu kommen. „Schwarze Schafe“ gab es in Einzelfällen, sie fielen aber quantitativ kaum ins Gewicht. Das Aufbauschen krimineller Machenschaften schreckte vor allem tatsächlich Bedürftige ab. Als Folge der Einschüchterung verzichteten viele der bundesweit rund 2,2 Millionen Soloselbständigen von vornherein auf weitere Anträge.
Coronahilfen: Fragwürdige Rückforderungen
„Die Bedingungen waren unklar und unpräzise, sie wurden uminterpretiert“, kritisiert Christoph Schmitz vom ver.di-Bundesvorstand. Viele Rückforderungen hält er deshalb für „fragwürdig“. Die Dienstleistungsgewerkschaft unterhält ein eigenes Service-Referat für freiberuflich Tätige, in Newslettern wird kompetent und umfangreich über die Coronahilfen informiert. „Es rächt sich, dass in der Vergangenheit versäumt wurde, sozialstaatliche Regeln zu etablieren, die die Lebens- und Erwerbslagen der Soloselbständigen berücksichtigen“, heißt es auf der Webseite. Referatsleiterin Veronika Mirschel verweist auf den jedem Mitglied zustehendem Rechtsschutz. Allerdings könne man erst nach Erhalt eines Rückzahlungsbescheids gegen diesen juristisch vorgehen. Mittlerweile haben erste Betroffene mit Unterstützung von Gewerkschaftsanwälten Klage eingereicht. Verweisen wird darin zum Beispiel auf Erläuterungen, die später von der Webseite des NRW-Ministeriums gelöscht wurden. Danach diene die Soforthilfe auch dazu, „das eigene Gehalt und damit den Lebensunterhalt zu finanzieren“.
Die Coronaprogramme sind ein föderaler Flickenteppich aus Bundesmitteln und Regionalprogrammen. In der Krise wurde drastisch klar: Von den Bedingungen, unter denen die einst massiv beworbenen „Ich-AGs“ ihre Existenz bestreiten, haben die gut abgesicherten Beamtinnen und Beamten in den zuständigen Verwaltungen meist keine Ahnung. Auch Hamburg, Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz leiteten Prüfungen ein und fordern nun Geld zurück. Der in Nordrhein-Westfalen zuständige Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart lobt wie seine FDP-Parteifreunde gerne das freie Unternehmertum. Seine Pressestelle bejubelt das „größte Hilfsprogramm in der Geschichte des Landes“, faktisch ruiniert die Behörde mit ihren Rückzahlungsbescheiden gerade zahlreiche Existenzen. Nicht einmal eine gemeinsame Veranlagung der Geschäftsjahre 2020 und 2021 bei den Finanzämtern ist möglich, ergab eine Nachfrage im Ministerium: Wer 2020 „Soforthilfe“ erhalten hat, muss also für dieses Jahr Steuern auf Gelder zahlen, die ihm der Staat danach wieder wegnimmt.
„Ich-AG“, ein Auslaufmodell
Kein Wunder, dass die Motivation zur „Ich-AG“ rapide schwindet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnt in einer Studie, die Pandemiebekämpfung zwinge immer mehr Soloselbstständige zur Aufgabe. Ein Viertel der freiberuflich Tätigen sei bereits ausgestiegen, 11 Prozent suchten eine feste Stelle, 15 Prozent seien „inaktiv“, darunter vor allem Frauen. Mindestens 130.000 Betroffene haben sich bei den Jobcentern gemeldet, beziehen also Hartz IV. Die Kreditauskunft Schufa gibt an, dass 70 Prozent der Selbstständigen Einkommensverluste erlitten haben, im Durchschnitt aller Erwerbspersonen sind es 38 Prozent.
Der Vertrauensverlust ist enorm, der Umgang mit den Kleinstunternehmen in der Coronakrise dokumentiert ein politisches Versagen. Arbeitsminister Hubertus Heil ist zu Recht stolz auf die Aufstockung und Verlängerung des Kurzarbeitergelds, sogar die Sozialabgaben der Unterstützten übernimmt der Staat. Festangestellte werden relativ gut versorgt, freiberuflich Tätige aber mit Brosamen abgespeist. Wirklich geholfen haben die Rettungsprogramme nur jenen Mini-Betrieben, die hohe Mieten für Läden und Büros schultern mussten oder teure Leasingverträge abgeschlossen hatten. Im Gegensatz zu Künstlern und anderen Heimarbeiterinnen konnten sie ihre Ausgaben geltend machen und sich trotz Schließungen über Wasser halten. Gewerbliche Vermieter und kreditgebende Banken erhielten so zuverlässig ihr Geld.
Gigantische Subvention für Immobilienfirmen, institutionelle Geldanleger und Versicherungskonzerne
Hinter dem Gerede von der großzügigen Unterstützung von Kleinstbetrieben entpuppt sich die Hilfe als gigantische Subvention ganz anderer Art: Vorrangige Nutznießer sind große Immobilienfirmen, institutionelle Geldanleger und Versicherungskonzerne, denen die teuren Objekte in den Innenstädten gehören. Deren Profite wurden gesichert, die Freiberufler wegen zu geringer „Fixkosten“ im Regen stehen gelassen. Und die Aussichten bleiben düster: In der Veranstaltungswirtschaft zum Beispiel ist jenseits der Fußball-Bundesliga weitgehend unklar, was künftig stattfinden darf und was nicht. „In den nächsten Monaten nur digital“ bekommen Künstlerinnen und andere Freiberufler bei Verhandlungen derzeit zu hören. Großereignisse wie Musikfestivals haben lange Planungshorizonte, kommende Termine stehen nach wie vor unter Corona-Vorbehalt. Frühestens 2023 könnte in der Branche analoge „Normalität“ einkehren, doch dann könnte es für viele prekär arbeitende Soloselbstständige zu spät sein.
Quelle: https://gegenblende.dgb.de/ Bild: Soforthilfen-Bundesregierung