Unabhängige Patientenberatung – die neoliberale Dauerbaustelle

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung war unter der Überschrift „Rechte von Patientinnen und Patienten“ zu lesen, dass die Unabhängige  Patientenberatung (UPD) in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen überführt werden soll. Viele Menschen haben beim Lesen des Vertrages zwischen den Regierungsparteien erstmals von der UPD etwas gehört, anderen war nicht mehr bewusst, dass dies einmal eine gemeinnützige Einrichtung der Zivilgesellschaft war, mit der Aufgabe, die gesundheitliche Information, Beratung und Aufklärung von Verbrauchern und Patienten in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen anzubieten. Ein Beratungs- und Informationsangebot, unabhängig von den Krankenkassen und Leistungserbringern. Denn die meisten Patienten haben den Irrsinn der Umwandlung der guten Idee der unabhängigen Beratung von Patienten in eine Einrichtung der Pharmaindustrie gar nicht mehr im Gedächtnis, mehr noch, dass daraus einmal ein Investitionsfonds würde, konnte sich niemand vorstellen.

Hier noch einmal die Erzählung von dem Untergang eines erfolgreichen Informations- und Beratungsangebotes im Gesundheitsbereich.

Wer in den vergangenen Jahren krank wurde und das Gesundheitssystem am eigenen Leib erleben musste, war schockiert darüber, was sich in diesem Bereich unseres Sozialstaats getan hat. Von dem umworbenen und fürsorglich betreuten Kassenmitglied ist nur noch der reine Kostenfaktor und Kostenverursacher übriggeblieben.

Als genesener Mensch ist er froh, wenn er aus dem Krankenhaus lebendig herausgekommen ist, weil er hautnah erleben musste, was Einsparungen, Konkurrenzdruck und Arbeitsverdichtung so alles anrichten können. Als langjähriges Krankenkassenmitglied und Beitragszahler kann es ihm dann passieren, dass Zahlungen eingestellt oder Therapien gestrichen, unnötige Untersuchungen privat entgolten werden müssen und seine Arztrechnungen falsch sind.

Will er das neue Gesundheitssystem verstehen, muss er immer daran denken, dass es dabei um sehr viel Geld geht. Mehr als  248,9 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr ausgegeben, weitere 24 Milliarden Euro zahlten die privaten Versicherungen. Alle beteiligten Akteure im System haben nur das eine Ziel, einen möglichst großen Anteil von den Beitragsgeldern der Versicherten zu bekommen.

Unabhängige Patientenberatung (UPD)

Aufgabe der UPD war ursprünglich die Information, Beratung und Aufklärung von Verbrauchern und Patienten in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen, ein von den  Krankenkassen und Leistungserbringern unabhängiges Beratungs- und Informationsangebot.

Die Beratungsleistungen waren für Ratsuchende kostenfrei. Dabei wurde nicht unterschieden, ob sie gesetzlich, privat oder gar nicht krankenversichert waren. Wer von seiner Kasse zum Beispiel kein Krankengeld mehr erhielt, die Rechnung des Zahnarztes überzogen hoch fand oder ob die vom Arzt angebotene Untersuchung wirklich so wichtig war, dass man sie aus eigener Tasche bezahlen sollte, war bei der UPD an der richtigen Stelle.

Finanziert wurde die UPD gemäß § 65b Sozialgesetzbuch-V (SGB V) von dem Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)-Spitzenverband über eine Umlage der Beiträge der Kassenmitglieder. Damals trugen die UPD drei Gesellschafter: der Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbund unabhängige Patientenberatung. Jährlich wurden von der UPD etwa 80.000 Anfragen beantwortet, telefonisch und persönlich. 78 Beschäftigte arbeiteten in den 21 regionalen Beratungsstellen und dem Bundesbüro.

Im bisher unveröffentlichten Jahresbericht 2015 der UPD wurde deutlich, wo der Schuh der Patienten drückt: Rund 29 Prozent der Patienten erbaten Klarheit darüber, ob die Krankenversicherung ihnen Ansprüche wie Rehabilitationen, Hilfsmittel oder das Krankengeld zu Recht verwehrte. In 1.071 Fällen stellten die Berater fest, dass Leistungen „unberechtigt verweigert“ wurden und ein Anspruch bestand. Als ein weiteres Problem nannte die UPD den Umgang mit den Langzeitpatienten. Viele Bezieher von Krankengeld fühlten sich von den „Fallmanagern der Krankenkassen unter Druck gesetzt”. Hier kam es bei den Patienten zu „zahlreichen Unsicherheiten und Ängsten”

Bei den Beratungsanliegen der Patienten ging es also vorrangig darum, dass sie Opfer von Sparmaßnahmen und Kostensenkungen geworden sind, denen der garantierte Anspruch aus ihren Beiträgen zunehmend verweigert wurde.

Solche kritischen Berichte der UPD haben vielen Kassenmanagern missfallen und nur vordergründig ging es um die angeblich zu hohen Kosten, die bei etwa 80 Euro pro Beratung liegen sollten.

Der Bericht wurde am 1. Juli 2015 offiziell an die Bundesregierung übergeben, doch diese hat auf die Veröffentlichung des Berichts, angeblich wegen des Streits um die Zukunft der UPD, verzichtet.

Unternehmen Sanvartis

Um die Kosten ging es auch bei der neuen Ausschreibung der Beauftragung für die Unabhängige Patientenberatung (UPD) im Jahr 2015. Hinter den Kulissen war ein harter Kampf ausgebrochen. Den Zuschlag für den künftigen Betrieb hat dann doch eine private Firma erhalten, ein Callcenter eines Privatunternehmens hatte die Patientenberatung übernommen.

Konkret hieß das, die unabhängige Patientenberatung wurde an die Sanvartis GmbH vergeben, die dann die UPD organisierte. Dafür erhielt das Unternehmen in den nächsten sieben Jahren 62 Millionen Euro von den Krankenkassen, hinzukamen 4,4 Millionen Euro von der privaten Krankenversicherung. Es war ein lukrativer Auftrag mit insgesamt 66,4 Millionen Euro.

Die Sanvartis wurde 1999 unter dem Namen GesundheitScout24 als Teil der Scout24-Gruppe in Köln gegründet. Ein Jahr später legte die Eröffnung des größten medizinischen Call-Centers Deutschlands in Duisburg den Grundstein für das umfassende Angebot an Kommunikations-Dienstleistungen im Gesundheitsbereich.

2004 entstand aus dem GesundheitScout24 die Sanvartis GmbH. Seit November 2005 ist Sanvartis Teil der Vendus Sales and Communication Group, einer Unternehmensgruppe, die zu den führenden Anbietern von Kommunikations- und Vertriebsdienstleistungen auf dem Gesundheitsmarkt zählt. Sanvartis hält eine Minderheitsbeteiligung am Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH (ZTG), bei dem das Bundesland Nordrhein-Westfalen Hauptgesellschafter ist.

Bei dem Duisburger Unternehmen Sanvartis handelt es sich eigentlich um ein auf medizinisches Fachwissen spezialisiertes Callcenter, das aber auch Beratungsfunktionen übernimmt. 220 Beschäftigte hatte das Unternehmen damals, darunter auch Ärzte, Apotheker und Pfleger.

Gesundheitsexperten fürchteten um die Unabhängigkeit der UPD und sahen einen großen Interessenskonflikt. Sanvartis als Dienstleister für Krankenkassen und Leistungserbringer warb damit, dass jede dritte Person, die bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse anrief, bei einem Mitarbeiter von Sanvartis landete. So konnte ein Patient durchaus im gleichen Callcenter landen, das ihn in Konflikten mit Krankenkassen unterstützen sollte.

Eine Patientenberatung, die von einem Callcenter betrieben wird, das für die Krankenkassen tätig war, kann unmöglich die Anliegen von Patienten und Versicherten – insbesondere auch gegenüber den Kostenträgern – glaubwürdig und umfassend vertreten.

Sanvartis nahm dann also Beschwerden an seiner eigenen Arbeit für die Krankenkassen entgegen. So wurde der Bock zum Gärtner gemacht.

Das Ganze war eine geniale Idee und ein zukunftsweisendes Geschäftsmodell, bei dem Leistungen noch besser zurückgehalten und Ansprüche der Patienten wegmoderiert werden konnten.

Qualität der Beratung bei Sanvartis ist mangelhaft und Kosten steigen

Schon im Jahr 2017, 2 Jahre nach der Übernahme der Patientenberatung durch die Sanvartis wurde deutlich, dass die Beratung schlecht und die Kosten hoch waren. Der wissenschaftliche Beirat mahnte, dass „die Mängel so gravierend sind, dass umgehend gehandelt werden sollte“.  Weiter seien „Pauschalaussagen im Internet gemacht worden, die Patienten in die Irre führen“ würden und „die Qualität der Informationen mangelhaft sei“.

Von den über neun Millionen Euro pro Jahr, bezahlt von den Krankenkassen, von Beiträgen der Versicherten, floss ein viel zu großer Teil davon an das Privatunternehmen. Die Verwendung der Fördermittel wurde vom Beirat als undurchsichtig bezeichnet und kritisiert, dass seit der Neuvergabe die finanziellen Mittel zwar deutlich aufgestockt wurden, die Qualität aber abgenommen habe.

Aktuell ist die Sanvartis und mit ihr die UPD im Zuge eines undurchsichtigen Verkaufsprozesses in die Careforce-Regie überführt worden. Vermutlich sollte durch das Verwirrspiel um den Verkauf verhindert werden, dass eine öffentliche Diskussion um diesen Skandal auflebt.

Patientenberatung beim Careforceunternehmen gelandet – unter dem Dach eines Investors

Der neueste Verkauf hat es in sich: Der neue Träger der Patientenberatung Careforce arbeitet den Arzneimittelherstellern als Personal- und Vertriebsdienstleister zu, damit die ihre Produkte besser vermarktet können. Aktuell arbeiten mehr als 500 Menschen im Außendienst für Careforce.

Hinter dem Unternehmen Careforce steht der Private-Equity-Fonds Findos Investor, der mit dem Geld mittelständischer Unternehmen auf Renditejagd geht und wie andere Investoren auch, zunehmend in den Gesundheitsmarkt investiert.

Der Findos Investor hat vorrangig deutsche Familienunternehmen bzw. Unternehmerfamilien als Investoren im Auge. Rund 20 Firmen gehören derzeit dazu, neben Careforce von A wie Angelina Yachtcharter und Bootsvermietung bis Z wie Zizzi, eine Modemarke. Findos erwirtschaftete zuletzt einen Jahresumsatz von mehr als 50 Milliarden Euro, mit durchschnittlich 35.000 Beschäftigten.

Ausschreibung der Patientenberatung im kommenden Jahr

Die hohen Kosten und die weitere Privatisierung der Patientenberatung riefen nun auch den Bundesrechnungshof auf den Plan. Nach dessen Schelte schaltete sich die Politik ein, auch weil im kommenden Jahr der Betrieb der Patientenberatung turnusmäßig per Ausschreibung wieder vergeben werden muss.

Wie es konkret weitergehen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Von den einzelnen Parteien werden verschiedene Modelle, von der kompletten Neuausrichtung, über die Angliederung an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bis hin zu Stiftungsmodellen ins Spiel gebracht. Einigkeit herrscht vorgeblich darüber, dass kommerzielle, gewinnorientierte oder nicht gemeinnützige Anbieter von der Ausschreibung ausgeschlossen werden sollen.

Vielleicht bringt der Koalitionsvertrag mehr Klarheit in das geplante Vorhaben. Dort heißt es unter Rechte von Patientinnen und Patienten: „Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen. Mit einer Reform des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen – Anm.  L.N) beschleunigen wir die Entscheidungen der Selbstverwaltung, stärken die Patientenvertretung und räumen der Pflege und anderen Gesundheitsberufen weitere Mitsprachemöglichkeiten ein, sobald sie betroffen sind. Der Innovationsfonds wird verstetigt. Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können. Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt“.

Fest steht heute aber schon, dass es wohl kaum wieder eine Unabhängige Patientenberatung geben wird, die die Patienten neutral und kompetent berät, wenn sie Differenzen mit ihrem Arzt oder der Krankenkasse haben – das war einmal.

 

 

 

 

 

Quellen: Monitor, Plusminus, Süddeutsche Zeitung, WAZ, Ralf  Wurzbacher, WAZ, Bundesrechnungshof

Bild: UPD