Kriegskonforme Tarifpolitik: Die IG BCE baut eine Brücke über das aufgewühlte Wasser, bestehend aus Militarismus, Aufrüstung und Krieg

Als Anfang des Jahres 2022 die Preise durch die Decke gingen und für jeden sichtbar war, dass die Tarifabschlüsse in den beiden Coronajahren miserabel waren und die langen Laufzeiten der Verträge keine kurzfristige Korrektur ermöglichten, markierte Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), den großen Macher. Er erklärte, es dürfe für die mehr als 580.000 Beschäftigten der Branche keine dauerhaften Verluste beim Reallohn, also beim Lohn abzüglich Preissteigerungen, geben und klassische Lohnforderungen müssten Priorität genießen.

Der „Teiltarifabschluss“ von Anfang April sagt aber etwas ganz anderes. Die Tarifgespräche wurden „wegen des Ukraine-Krieges und der stark gestiegenen Energiepreise“ ausgesetzt. Es gibt zunächst nur einen Teilabschluss, in dem Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter eine „Brückenlösung“ sehen und entsprechend sich auf eine „Brückenzahlung“ von einmalig 1.400 Euro einigten. Im Oktober soll dann weiterverhandelt werden.

Michael Vassiliadis, ganz im Kriegsmodus kommentiert: „In dieser Zeit großer Unsicherheit für Beschäftigte wie Unternehmen mussten wir eine Lösung finden, die Inflationslinderung mit Beschäftigungssicherung verbindet. Diese Zwischenlösung ist alles andere als unsere Wunschvorstellung. Aber sie gibt uns die nötige Atempause, um die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der kommenden Monate abzuwarten“.

Der Forderungskatalog, den die Bundestarifkommission der IG BCE im Januar 2022 vorlegte, hörte sich noch so an: Mehr Kaufkraft, mehr Wertschätzung, mehr Sicherheit. Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft, Ralf Sikorski, sagte damals: „Die Branche ist bestens ausgelastet und verdient glänzend“, aber nicht nur das: Steigende Preise würden von den Unternehmen problemlos an die Kunden weitergereicht. Nur, Beschäftigte hätten diese Option nicht, „sie sind der Teuerungswelle ungeschützt ausgeliefert“. Die IG BCE wolle für ihre Mitglieder „ein Bollwerk gegen die Inflation errichten“. Am Ende der Tarifrunde müsse beim Entgelt ein Plus oberhalb der Teuerungsrate stehen.

Neue Töne beim „Teilabschluss“

Schon drei Monate später werden andere Töne angestimmt.

Angesichts der explodierenden Energiekosten, den hohen Teuerungsraten und der weiteren Verschärfung der Situation durch die Ukraine-Krise, hätte man nahezu stündlich prüfen müssen, „ob sich an den Bedingungen etwas geändert habe“, sagte nun IG BCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis. Das Zwischenergebnis beweise allerdings, dass die IG BCE nicht nur in der Lage sei, die Realität anzuerkennen, sondern sie auch zu verarbeiten.

Der „Teilabschluss“ beinhaltet in den Hauptpunkten:

  • Die Beschäftigten erhalten spätestens im Mai eine Brückenzahlung von einmalig 1.400 Euro. In wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben kann die Brückenzahlung auf 1.000 Euro reduziert werden.
  • Auszubildende erhalten 500 Euro pro Kopf.
  • Die Zwischenlösung überbrückt den Zeitraum von sieben Monaten bis Oktober 2022  – dann sollen die Tarifverhandlungen fortgesetzt werden, um zu klären, inwieweit die kurzfristig gegen die ausufernde Inflation wirkende Entlastung in eine nachhaltige, tabellenwirksame Entgelterhöhung überführt werden kann

und bis Oktober sollen die Entgelttabellen unverändert weiter gelten.

Zeitenwende, neuer Burgfrieden und kriegskonforme Tarifpolitik

Als Bundeskanzler Scholz am Sonntag, dem 27.02 2022 im Bundestag eine Zeitenwende verkündete und damit meinte, nun Waffen in die Ukraine zu liefern, harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen, vor allem aber ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung zu bilden, das im Grundgesetz verankert werden soll und dauerhafte Rüstungsausgaben von über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr bereitstellen, bekam er parteiübergreifend Standing Ovations. Das war ein Signal, das in das Land ausgesandt wurde.

Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass

  • eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang heben will. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
  • alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart

und

es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren geht und die Bevölkerung, coronagestählt, möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmacht und immer bereit ist „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.

Da können die Gewerkschaftsspitzen nicht in ihren Sesseln sitzen bleiben und ihr Tagesgeschäft weiterführen, sondern möchten mit der Sozialpartnerschaft ihren Beitrag zur Zeitenwende leisten. So wie die IG BCE, die eine „flexible Brücke in den Herbst“ bauen möchte, eine Brücke über das aufgewühlte Wasser, bestehend aus Militarismus, Aufrüstung und Krieg.

Es ist daher kein Wunder, dass sich der DGB und die Einzelgewerkschaften einer offensiven Lohnpolitik gegen die inflationären Tendenzen verweigern. Gleichzeitig wächst der Druck von unten, dort reichen die Löhne nicht mehr aus und Millionen Menschen werden in die Armut getrieben.

Wie schon 1914 unterstützt die Gewerkschaftselite mit ihren unklaren Stellungnahmen die Aggression der deutschen Weltmachtfantasien. Ohne große Not stellt sie sich hinter den Wirtschaftskrieg gegen Russland und schwört die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte und Menschen in prekären und verarmten Verhältnissen auf Verzicht ein. Auch seitens der Politik wird Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, ihre bisherigen Positionen aufzugeben und hat damit bereits Erfolg. So sprechen die Dienstleistungsgewerkschaft und auch der DGB bereits von der Neubewertung der Situation und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen.

Anstelle die Kontakte und Zusammenarbeit der Beschäftigten in den östlichen Ländern zu fördern, internationale Solidarität zu praktizieren und Demonstrationen gegen Weltkriegsgefahr und Verarmung zu organisieren, unterstützt eine Mehrheit in den Führungsgremien der Gewerkschaften nationalistische Demonstrationen.

Nur leise und vereinzelt melden sich Einzelne in den DGB-Gewerkschaften zu Wort und warnen vor einer langen Rezession und dem ökonomischen Zusammenbruch Deutschlands, wenn die Regierung ein Energieembargo beschließt. Diese wenigen Personen scheinen zu ahnen, dass ein eskalierender Wirtschaftskrieg auch das Ende der DGB-Gewerkschaften besiegeln würde und sie sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen.

 

 

 

 

 

 

Quellen: junge welt.de, scharf links, IG BCE

Bild: wiki commons cco