Neuer Wirecard-Skandal auf dem Wohnungsmarkt? Erste Anzeichen einer platzenden Finanzblase bei der Adler-Group

Angesichts niedriger Erträge für Staatsanleihen leiten die institutionellen Investoren auf der Suche nach lukrativen Anlagen immer mehr Kapital von den Finanzmärkten weg, hin zu den Wohnungs- und Immobilienmärkten. Sie treiben die Miet- und Hauspreise weiter in die Höhe und füttern einen riesigen finanzialisierten Wohnungsmarkt an.

Die verdeckten Insidergeschäfte der kriselnden Adler-Group haben aktuell dazu geführt, dass Immobilien in ihrer Bilanz überbewertet wurden. Fachleute sehen darin erste Anzeichen einer platzenden Finanzblase auf dem Wohnungsmarkt.

Vorgeworfen wird dem Unternehmen unter anderem, die Wohnungen in den Bilanzen zu hoch bewertet zu haben. Während die Adler-Group versucht, über Wohnungsverkäufe in  großem Maßstab einen „Neustart“ hin zu bekommen, spüren vor allem die Mieter die Auswirkungen der Krise im Wohnungskonzern und müssen befürchten, dass ihm z.B. das Geld für Reparaturen und Instandhaltungen ausgeht.

Betongold

Als nach dem Jahrhundertwechsel immer mehr Wohnungen zur Beute wurden, ging es noch um die gängige, aber problematische Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das Geschäftsmodell war durch- und überschaubar, aber umso qualvoller für die Mieter. Sogenannte Immobilienkaufleute bzw. Makler kauften oder ersteigerten ganze Wohnhäuser in den „Problemstadtteilen“, wandelten diese in Eigentumswohnungen um und boten sie Privatpersonen zum Kauf an.

Die Städte erteilten die „Umwandlungserlaubnis/Abgeschlossenheitsbescheinigung“ in der Regel problemlos. Als Steuersparkonzept deklariert, ließen die Käufer nicht lange auf sich warten. Sie meinten, ihr erspartes Geld müsse „für sie arbeiten“ und fielen auf die eigentlich verbotenen Kopplungsgeschäfte zwischen den neuen Hauseigentümern und Banken herein. Mit dem Erwerb einer Wohnung wurde gleichzeitig auch ein Kredit der beteiligten Bank gewährt, beide Verträge wurden gleichzeitig von dem neuen Wohnungseigentümer, oft sogar beim Käufer Zuhause, im Beisein von Makler und Bankvertreter, unterschrieben. Vielfach hatten sich die neuen Wohnungseigentümer die „Objekte“ gar nicht angeschaut, auch weil die Wohnungen bundesweit verkauft wurden, sie nicht anreisen wollten und sich damit begnügten, dass ihnen die Wohnung per Video und Fotos vorgeführt wurde. Vielfach entsprachen die Wohnungen nicht dem Bildmaterial und waren auch oft nicht vermietet, sodass keine Mieteinnahmen erfolgten. So wurden viele Käufer zahlungsunfähig, der Kredit der Bank wurde fällig gestellt und die Wohnungseigentümer meldeten Insolvenz an. Mit dem „faulen Kredit“ zockte die Bank auf dem Finanzmarkt, d.h. sie wurden an sogenannte „Geierfonds“ wie Cerberus und Blackstone verscherbelt.

Heute sieht das Geschäftsmodell der Zockerei mit Immobilien zwar ähnlich, aber von den Dimensionen her schon ganz anders aus.

Finanzialisierte Wohnungswirtschaft

Im großen Immobiliengeschäft sind derzeit vor allem zwei Akteure tätig, Unternehmen die als Vermieter auftreten und Investoren, die das Kapital einbringen.

Zu den institutionellen Vermietungsgesellschaften gehören börsennotierte Immobilienaktiengesellschaften, Private-Equity-Unternehmen und Real Estate Investment Trusts. Hierzu gehört auch der weltweit größte Finanzinvestor, der Private-Equity-Fonds Blackstone. Blackstone hat von den Anlegern rund 730 Milliarden US-Dollar eingesammelt, von denen rund 230 Milliarden Dollar in Immobilien angelegt sind.

Zu den Investoren, die das Kapital geben, gehören private Rentenfonds, Stiftungen, Family Offices, Banken, öffentliche Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften.

Die im undurchsichtigen Netz der finanzialisierten Wohnungswirtschaft tätigen Akteure kaufen die Anleihepakete und Aktien von den institutionellen Vermietern. Als Investition in die Zukunft winken hohe Dividenden und ZinsenDarüber hinaus halten viele institutionelle Akteure große Pakete an „faulen“ Hypothekendarlehen, die sie in den Jahren nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von den Banken der privaten Eigentümer bzw. Schuldner erwarben (siehe oben).

Der Wert europäischer Immobilienportfolios im Besitz institutioneller Investoren wird mittlerweile auf gigantische zwei Billionen US-Dollar geschätzt. Dazu gehören neben den Wohnimmobilien auch Gewerbeimmobilien, Industrieanlagen oder Hotels. Der genaue Wert der verwalteten Wohnimmobilien lässt sich deshalb nur schätzen, weil viele Investoren den Wert nicht separat ausweisen. Der aktuell geschätzte Wert der Immobilienportfolios im Besitz institutioneller Investoren liegt in Berlin bei 42 Milliarden Euro, gefolgt von London mit 27,7 Milliarden und Amsterdam mit 24,4 Milliarden Euro.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich die großen Player zu riesigen Wohnungsmonopolen entwickelt. Blackstone besaß Ende 2020 europaweit rund 117.000 Wohneinheiten, davon auch mehr als 3.500 in Berlin. Mit ihren mehr als 500.000 Wohnungen, die die Immobilienaktiengesellschaft Vonovia nach der Fusion mit der Deutsche Wohnen in ihrem Bestand hat, ist sie der größte Wohnungskonzern Europas.

Bei einem solchen Bestand verfügen die institutionellen Akteure bereits über eine starke Marktmacht und können zunehmend auch die politische bzw. gesetzliche Regulierung der Wohnungsmärkte verhindern.

Mit diesen Akteuren muss auch in Zukunft gerechnet werden, weil sie ihre Verwertungskonzepte geändert haben. Unter dem Stichwort „Finanzialisierung 2.0“ wollen sie zukünftig ihre Bestände auf eine längerfristige Bewirtschaftung ausrichten und dabei mehr Wert auf kontinuierliche Mietsteigerung, massenhafte Modernisierung, Neuvermietung zu Höchstpreisen und gezielte Verkäufe legen. Außerdem sollen über Insourcing, d.h. die Wiedereingliederung ehemals ausgegliederter Dienstleistungen wie Hausmeisterdienste oder Reparaturservices, neue Gewinne erschlossen werden.

Zu dem neu ausgerollten Besteck gehören auch die sogenannten Buchwertgewinne, die ein Unternehmen aus einer kontinuierlichen Höherbewertung seines Immobilienbesitzes generiert. Dabei wird wieder einmal auf die Zukunft gewettet und auf der Basis wachsender Gewinnerwartungen, in Form von steigenden Preisen und erhöhten Mieteinnahmen, werden neue Anleihen und Kredite ausgegeben.

Für diese Zockerei, wie sie derzeit abläuft, eignen sich Immobilien besonders gut, weil die den Preis der Immobilien bestimmenden Grundrenten auf ebensolchen Erwartungen von potenziellen Erträgen in der Zukunft beruhen. Bei der „Finanzialisierung 2.0“ wird es eine weitere Konzentration der Wohnungsunternehmen geben. Bei dem gigantischen Wettbewerb um die Anleger werden auch kriminelle Energien zu Betrügerei führen und Spekulationsblasen drohen zu platzen.

Der aktuelle Skandal um die Adler-Group scheint der erste große Blasenplatzer im Immobiliengeschäft zu werden.

Affäre um die Adler-Group

Seit einiger Zeit wird schon darüber spekuliert, in welchem Wohnungsunternehmen auf dem überhitzten deutschen Immobilienmarkt die Stechnadel an die Finanzblase angesetzt wird. Kenner der Branche wetten dabei vor allem auf Immobilienentwickler mit aggressiven Bewertungen, beispielsweise die mit einer sehr hohen Loan-to-Value-Quote (aufgenommene Kredite im Vergleich zum erwarteten Wert der Immobilienprojekte, LTV) und hohen Aufwertungsgewinnen. Hinter vorgehaltener Hand fiel immer mal wieder der Name Adler.

Der Adler-Konzern ist aus dem umstrittenen Zusammenschluss von Ado Properties, Adler Real Estate und dem Berliner Projektentwickler Consus Real Estate entstanden. Ado Properties hatte erst die Adler Real Estate übernommen, dann wurde Consus gekauft.

Das Immobilienunternehmen hat seinen rechtlichen Sitz in Luxemburg, doch die operative Zentrale befindet sich in Berlin.

Der Adler-Konzern ist im deutschen Nebenwerte-Index S-DAX notiert, verwaltet rund 54.000 Mietwohnungen vor allem in Berlin und Düsseldorf und hat 10.000 Einheiten in der Hinterhand für Projektentwicklungen. Das Anlage-Immobilienportfolio beträgt zum sogenannten Zeitwert 12,6 Milliarden Euro.

Im Herbst 2021 hatte das britische Analysehaus Viceroy Research dem Immobilienkonzern Adler in einem Bericht gravierende Manipulationen bei der Bewertung von Projekten vorgeworfen, dabei wurden unter anderem Insidergeschäfte und Bilanzierungstricks unterstellt. Hinter Viceroy steht Fraser Perring, der als sogenannter Leerverkäufer auf stark fallende Aktienkurse wettet. Perring hatte bereits maßgeblich zur Aufdeckung des Bilanzskandals beim deutschen Finanzdienstleister Wirecard beigetragen, der im Sommer 2020 Insolvenz anmelden musste. Zwei Jahre nach dem Fall Wirecard gibt es offenbar einen neuen großen Bilanzskandal in Deutschland.

Die Nachricht vom Manipulationsvorwurf erschütterte die Anleger, der Aktienkurs der Adler-Group halbierte sich auf rund 12 Euro. Im Herbst 2021 engagierte der Konzern schließlich Wirtschaftsprüfer der KPMG Forensic für eine Sonderprüfung. Die Ergebnisse wurden am 22. April 2022 vorgelegt, seitdem fiel der Aktienkurs schnell auf 8 Euro und stürzte ein paar Tage später auf rund 5 Euro ab. Gegenüber dem Sommer 2021 entspricht das einem Verlust von rund 80 Prozent und hat bereits Aktionärsschützer auf den Plan gerufen. Die Wirtschaftsprüfer der KPMG verweigerten der Adler-Group das Testat, sie sahen sich nicht in der Lage, zur Bilanz ein Prüfungsurteil abzugeben und erteilten deshalb für den Konzernabschluss und den Einzelabschluss 2021 einen Versagungsvermerk (Disclaimer of Opinion).

Die Aktionäre sind auch deshalb so nervös, weil nicht nur Aktienabstürze, sondern auch Abschreibungen über Hunderte Millionen Euro drohen, die sich etwa aus Wertberichtigungen für Immobilienprojekte ergeben könnten. So bewertet KPMG offenbar den Marktwert eines Adler-Projektes am Steglitzer Kreisel in Berlin um ein Viertel niedriger, als es in den Büchern steht. Außerdem tauchen immer wieder Berichte auf, dass zahlreiche Bauprojekte des Unternehmens ins Stocken geraten, weil das Geld fehlt.

Im Adler-Skandal taucht immer wieder der Name des Beraters Cevdet Caner auf. Er ist wohl dem Fraser Perring direkt unterstellt und spielt bei Adler und anderen Gesellschaften den großen Strippenzieher im Hintergrund, ohne eine formelle Funktion inne zu haben. Bei Projekten von Adler soll es auch durch sogenannte Family-and-Friends-Strukturen zu überteuerten Verkäufen von Projekten gekommen sein.

Die kriselnde Adler-Group will nun rund 15.000 Wohnungen in Norddeutschland an den Konkurrenten LEG verkaufen. Eine entsprechende Absichtserklärung haben die Unternehmen nun veröffentlicht. Der hochverschuldete Konzern will damit auch beweisen, dass die Häuser in seiner Bilanz nicht überbewertet sind.

Die einstige Landesentwicklungsgesellschaft von Nordrhein-Westfalen, die Düsseldorfer LEG bewertet die Immobilien mit rund 1,5 Milliarden Euro. Die Adler-Group betont, dass dies mehr als der Wert sei, mit dem die Häuser in der Bilanz stehen und versucht so, Fraser Perrings Vorwurf der gravierenden Manipulationen bei der Bewertung von Projekten entgegenzutreten.

Der geplante Kauf wird nicht all zu schnell über die Bühne gehen, weil die LEG den Deal noch einer tieferen Prüfung unterziehen möchte. Klar ist für die LEG aber jetzt schon, dass sie die Immobilien von Adler nicht komplett kaufen wird, denn dann müsste das Unternehmen Dutzende Millionen Euro Grunderwerbsteuer zahlen. Deshalb möchte sich die LEG nur zu knapp 90 Prozent an den einzelnen Gesellschaften beteiligen, denen die Wohnungen gehören. Die restlichen gut zehn Prozent sollen bei Adler bleiben. Trotz scharfer Kritik sind solche sogenannten Share Deals in der Branche gang und gäbe, um die Grunderwerbsteuer zu umgehen.

Der Zukauf von Wohnungen kommt der LEG gerade recht, da sie große Expansionswünsche hat, vor allem die Ausweitung ihres Wohnungsbestandes etwa nach Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz.

Alles bleibt also im üblichen Zocherrahmen.

An dem Beispiel Adler lässt sich Vieles deutlich machen. Vor allem, wie das Geschäft mit dem Wohnen abläuft und wie nach den Wohnungen auch die Wohnungsunternehmen selbst zur Handelsware geworden sind. So können dann die Fusionen immer weiter gehen, nicht nur bei der Adler-Group.

Das Beispiel Adler zeigt auch, dass der Wandel von der reinen Zockerei mit den verbrieften Großkrediten hin zu diversen Anleihen mit unterschiedlichen Laufzeiten zwar das Geschäftsrisiko für die Wohnungskonzerne streut, aber noch lange keine Versicherung gegen den Absturz ist.

Aber je größer ein Wohnungskonzern wird, desto „systemrelevanter“ wird er auch. Beim Absturz zahlt dann der Staat. Versprochen.

 

 

 

 

 

Quellen: IAB, Bundespresseamt, Stat.Bundesamt, Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V., tagesschau.de, süddeutsche.de 
Bild: tagesschau.de