Der deutsch-sowjetische Krieg (Teil I + II)

Von Eric Angerer

Teil I

Der Überfall der Nazis auf die Sowjetunion führte zum bisher verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte — das Wissen über seine verschiedenen Aspekte hat gerade heute eine immens politische Bedeutung.

Vor 82 Jahren begann der deutsch-sowjetische Krieg. Er dauerte fast vier Jahre und kostete etwa 26 Millionen Sowjetbürger das Leben. Neben militärischen Aspekten spielten in diesem unfassbar erbarmungslos und erbittert geführten Krieg auch Kolonialismus, Geopolitik und der Rassenwahn der Nazis wesentliche Rollen. Das Bewusstsein über diesen Krieg hat in Russland heute große Bedeutung für die kollektive Identität des Landes. Im Westen hingegen wurden bereits seit Beginn des Kalten Kriegs Realitäten verzerrt, zuletzt die alten antirussischen Stimmungen verstärkt. Ukrainische und baltische Nationalisten werden erneut für westliche Interessen instrumentalisiert, die angelsächsischen Mächte sind erneut Profiteure. Kenntnis über den schrecklichsten Krieg der Geschichte kann helfen, aktuelle kriegstreiberische Narrative zu untergraben.

Die geopolitische Lage Deutschlands war von jeher schwierig. Im Zentrum Europas gelegen wurde das Land stets in sämtliche Konflikte hineingezogen, konnte eine Nationalstaatsbildung erst spät stattfinden. Um in der Konkurrenz mit den dominanten „Seemächten“ Großbritannien und später den USA, die die Weltmeere kontrollieren, bestehen zu können, war eine Ausrichtung auf die eurasische Landmasse immer logisch.

Diese Ausrichtung konnte entweder die Form einer Kooperation oder Konfrontation mit Russland annehmen.

Kanzler Otto von Bismarck verstand die schwierige geopolitische Lage Deutschlands sehr gut. Er förderte deshalb gute Beziehungen zu Russland und schloss mit Russland 1887 den „Rückversicherungsvertrag“ ab. Seine Nachfolger waren weniger weitsichtig und führten Deutschland in den Zweifrontenkrieg des Ersten Weltkrieges, wobei die Staats- und Militärführung auf eine Kolonisierung Osteuropas setzten.

Von der Kooperation zur Konfrontation

Nach der Kriegsniederlage und dem vernichtenden Vertrag von Versailles versuchte Deutschland 1922 eine Neuorientierung. Unter Außenminister Walter Rathenau wurde in Rapallo ein Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet. Damit wollten zwei geächtete Länder aus der Isolation ausbrechen, Deutschland seine Verhandlungsposition gegenüber den Westmächten stärken. Beide Staaten verzichteten auf gegenseitige Reparationsforderungen. Außerdem wurde die Lieferung von deutschen Industrieanlagen an Sowjetrussland vereinbart und umgekehrt die von russischem Öl und von Ölprodukten an Deutschland, das dadurch die Abhängigkeit von britischen und US-Ölkartellen mindern wollte. Darüber hinaus wurde eine militärische Kooperation vertraglich fixiert (1).

Teile der bürgerlichen Kräfte in Deutschland unterstützten den Vertrag, mehr oder weniger taten das auch die KPD sowie nationalbolschewistische Strömungen, die für eine Kooperation mit Sowjetrussland warben. Eine Gegnerin des Vertrages von Rapallo war die Sozialdemokratie — aus einer antisowjetischen Haltung heraus, die mit einer Unterwürfigkeit gegenüber Versailles einherging. Ebenfalls ablehnend reagierten Teile der extremen Rechten — aufgrund ihre antislawischen und antisemitischen Frontstellung gegen Russland und die Bolschewiki. Besonders scharf wandte sich Adolf Hitler, der Vorsitzende der 1920 gegründeten Kleinpartei NSDAP, gegen den Vertrag von Rapallo.

Alarmiert war aber auch die französische herrschende Klasse, die fürchtete, den Zugriff auf das besiegte Land zumindest partiell zu verlieren. Wichtige Teile der britischen Eliten, etwa im Königshaus, sahen ohnehin die Sowjetunion als Hauptfeind an, fürchteten eine deutsch-russische Verständigung und hegten gewisse Sympathien für die Nazis, weil diese die kommunistische Bewegung in Deutschland zuerst rabiat bekämpft und später zerschlagen hatten und weil die Hitleristen die Garanten für den deutsch-russischen Konflikt waren. Dass einige westliche Großindustrielle — etwa die Eigentümer von Ford, Shell und IBM — sowie US-Banken bei der Finanzierung der NSDAP halfen, könnte durchaus auch mit solchen geopolitischen Motiven verbunden gewesen sein (2).

In Deutschland gewannen dann jedenfalls die Kräfte an Boden, die nicht auf Kooperation mit der Sowjetunion setzten, sondern auf ihre Zerschlagung und auf die Eroberung von Einflussgebieten. Der Geografieprofessor Karl Haushofer, der in Japan gelebt und sich besonders mit dem pazifischen Raum und mit Geopolitik beschäftigte und ab 1924 die „Zeitschrift für Geopolitik“ mit herausgab, sprach vom „Lebensraum im Osten“ und trat dabei für Zukunftsoptionen eines Bündnisses zwischen Berlin, Moskau und Tokio ein. Über Rudolf Heß, der zeitweilig als Haushofers Assistent tätig war, lernte der Professor auch Hitler kennen. Auch wenn Haushofers Verhältnis zu den Nazis ambivalent war (3), waren seine Ansätze Impulse für Hitlers geopolitische Überlegungen.

Kolonialisierungspläne

Die Perspektive vom „Lebensraum im Osten“ wurde jedenfalls von Hitler geteilt. Im zweiten Band von „Mein Kampf“, erschienen 1927, sah Hitler die oberste Devise darin, „dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden dieser Erde zu sichern“. Das Verhältnis zu Russland werde dabei der „Prüfstein“ für Deutschland sein (4). 1941 stellte Hitler folgenden Vergleich an: „Was für England Indien war, wird für uns der Ostraum sein“ (5).

Und ebenfalls während des Krieges äußerte „der Führer“ sein geopolitisches Verständnis: „Der Kampf um die Weltherrschaft wird für Europa durch den Besitz des russischen Gebietes entschieden werden. Jegliche Vorstellung von Weltpolitik ist (für Deutschland) lächerlich, solange es nicht den Kontinent beherrscht. (…) Wenn wir die Herren Europas sind, werden wir die dominante Stellung in der Welt haben. Wenn das (britische) Imperium heute durch unsere Waffen zusammenbrechen würde, wären nicht wir seine Erben, weil Russland Indien, Japan Ostasien und Amerika Kanada nehmen würde“ (6).

Obwohl sich Nazi-Deutschland seit September 1939 durch den Hitler-Stalin-Pakt in einer Art Bündnis mit der Sowjetunion befand und Polen untereinander aufgeteilt hatte, hat die NS-Führung ihre aggressive Ostexpansion nie aufgegeben. Seit Sommer 1940 wurde nicht nur der Angriff auf die Sowjetunion, sondern von deutschen Generälen, Beamten und Großkonzernen auch eine wirtschaftliche Neuordnung vorbereitet, nämlich eine autarke Großraumwirtschaft unter deutscher Führung, die ganz Europa bis zum Ural umfassen sollte. Dafür wurde bis Juni 1941 ein Netzwerk von Organisationen mit 20.000 Experten geschaffen, um Russland im Sinne dieses Konzeptes umzukrempeln und auszubeuten.

Die Grundüberlegung dabei war eine Arbeitsteilung zwischen Industrie in Deutschland und Rohstoffen und Lebensmitteln aus Russland, also eine Entindustrialisierung Osteuropas. In zwei zentralen Dokumenten – „Wirtschaftspolitische Richtlinien für Wirtschaftsorganisation Ost“ und „Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neu besetzten Ostgebieten“ – wird ein detailliertes Programm zur Kolonisierung der Sowjetunion formuliert, das zum Ziel hatte, den europäischen Teil der Sowjetunion in eine Agrarkolonie zu verwandeln, und ausdrücklich die Vernichtung ganzer Völkerschaften einschloss.

Die landwirtschaftlichen Zuschussgebiete im Norden sollten hermetisch von den Überschussgebieten im Süden abgeriegelt werden: „Daraus folgt zwangsläufig ein Absterben sowohl der Industrie wie eines großen Teils der Menschen in den bisherigen Zuschussgebieten.“ In einer Aktennotiz vom 2. Mai 1941 heißt es offenherzig:

  1. „Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Russland ernährt wird.
  2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird.
  3. Am wichtigsten ist die Bergung und Abtransport von Ölsaaten, Ölkuchen, dann erst Getreide. Das vorhandene Fett und Fleisch wird voraussichtlich die Truppe verbrauchen.
  4. Die Beschäftigung der Industrie darf nur auf Mangelgebieten wieder aufgenommen werden“ (7).

 

Millionen Russen sollten so auch zur Abwanderung nach Sibirien gebracht werden, um Platz für „germanische Wehrbauern“ zu schaffen. Mit dem „Generalplan Ost“ wurde ab 1940 auch eine Zivilverwaltung der eroberten Gebiete vorbereitet und Ansiedlung von Deutschen vorbereitet, im Ingermanland südlich von Leningrad oder im sogenannten Gotengau, der das Gebiet um Cherson und die Krim umfassen sollte. In diesen Planungen spielten vor allem SS-Chef Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg, ein Deutsch-Balte und NS-Ideologe, wichtige Rollen. Zwischen fünf und zwölf Millionen deutsche Siedler waren dafür angedacht.

Im Umgang mit den Völkern in den besetzten Gebieten gab es durchaus auch Differenzen in der NS-Führung. Himmler betonte bereits im Mai 1941, „dass wir nicht nur das größte Interesse daran haben, die Bevölkerungen des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Splitter zu zergliedern“ und deshalb möglichst viele Völkerschaften anzuerkennen (8).

Die Kolonialisierungspläne gegenüber Osteuropa waren letztlich Ausdruck des Interesses des zu spät gekommenen und mit Versailles angeschlagenen deutschen Imperialismus, sich durch die Ausplünderung Osteuropas wieder zu stärken. Dabei ging die Nazi-Führung davon aus, dass die Sowjetunion ein instabiles Land wäre, das ein einziger kräftiger Schlag zum Zusammenbruch bringen würde. Und die anfängliche Entwicklung des sogenannten Unternehmen Barbarossa schien Hitler & Co. recht zu geben. Der deutsche Überfall traf die Sowjetunion ziemlich unvorbereitet. Die sowjetische Führung um Josef Stalin klammerte sich an den Hitler-Stalin-Pakt und weigerte sich, den zahlreichen Informationen über einen bevorstehenden Angriff ernsthaft Beachtung zu schenken.

Politisch unvorbereitet

Die sowjetischen Truppen befanden sich also nicht in Kampfbereitschaft. Selbst elementare Abwehrmaßnahmen wurden versäumt. Die Truppen wurden weiterhin wie im Frieden ausgebildet. Große Teile der Einheiten befanden sich auseinandergerissen in verschiedenen Ausbildungslagern – die Fliegerabwehr beispielsweise nicht bei den Flughäfen. Zu allem Überfluss hatte man eine weitere Reorganisation der Streitkräfte eingeleitet, sodass fast die gesamten Panzertruppen einsatzunfähig waren. So war es den deutschen Bombern möglich, große Mengen Kriegsgerät auf unverteidigten Stützpunkten zu zerstören.

Die Masse der sowjetischen Truppen befand sich in Lagern und Kasernen im Landesinneren. Im 4.500 Kilometer langen und 400 Kilometer tiefen Grenzgebiet waren nur etwa 100.000 Soldaten stationiert, die beim Angriff den konzentrierten deutschen Stoßtruppen gegenüberstanden. Und selbst diese Grenztruppen waren auf den Angriff nicht vorbereitet und kämpften zunächst ohne Schießbefehl und unter widersprüchlichen Anweisungen von oben.

Seit dem Hitler-Stalin-Pakt (9) im Spätsommer 1939 unterstellte die sowjetische Führung ein friedliebendes Deutschland. Der Volkskommissar des Äußeren V. M. Molotow erklärte im Oktober 1939 vor dem Obersten Sowjet: „Wenn wir heute von den bedeutendsten europäischen Mächten sprechen, befindet sich Deutschland in der Lage eines Staates, der möglichst bald ein Ende der Feindseligkeiten und den Frieden sucht, während England und Frankreich – die gestern noch gegen die Aggression gesprochen haben – heute für eine Fortsetzung des Krieges und gegen einen Friedensschluss auftreten. (…)Die englische Regierung hat erklärt, ihr Kriegsziel sei nicht mehr oder weniger als die Vernichtung des Hitlerismus.

Daraus folgt (…), dass in England die Kriegskrämer so etwas wie einen ideologischen Krieg gegen Deutschland erklärt haben, der an die alten Religionskriege erinnert. (…) Solche Kriege können nur zum wirtschaftlichen Niedergang und kulturellen Ruin der Völker, die sie zu erdulden haben, führen – doch sie gehen auf das Mittelalter zurück. (…) Ein solcher Krieg kann in keinster Weise gerechtfertigt werden. Die Ideologie des Hitlerismus kann wie jedes andere ideologische System angenommen oder abgelehnt werden – das ist eine Frage der politischen Meinung. Doch jedermann versteht, dass man eine Ideologie nicht mit Gewalt ausrotten kann. (…) Es ist daher sinnlos, ja kriminell, einen solchen Krieg zur ‚Vernichtung des Hitlerismus‘ zu führen“ (10).

Und Stalin fügte Ende November 1939 hinzu: „Nicht Deutschland hat Frankreich und England angegriffen, sondern Frankreich und England haben Deutschland angegriffen und damit die Verantwortung für den jetzigen Krieg auf sich genommen“ (11).

Die sowjetische Bevölkerung war also politisch nicht auf den Krieg vorbereitet.

Und bis kurz vor dem Überfall hielt die Sowjetunion sämtliche Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Paktes strikt ein und kam auch ihren wirtschaftlichen Lieferverpflichtungen gegenüber dem kriegführenden Deutschland vertragsgetreu nach, obwohl letzteres seine immer mehr vernachlässigte. Noch unmittelbar vor dem Angriff rollten die Züge mit sowjetischem Erdöl, Kupfer, Kautschuk, Getreide und anderen Rohstoffen über die Grenze.

Militärisch unvorbereitet

Die territoriale Expansion der Sowjetunion in Osteuropa infolge des Paktes war zur Abwehr des Überfalls wertlos, weil keine neue strategische Verteidigungslinie errichtet wurde. Gleichzeitig wurde aber der alte Verteidigungsgürtel, den man in den vorangegangenen Jahren unter großen Anstrengungen erbaut hatte, zweckentfremdet oder zerstört, sodass sich die militärstrategische Ausgangsposition zu Kriegsbeginn sogar noch verschlechterte. Demgegenüber hatte Deutschland systematisch seine Truppen an der sowjetisch-polnischen Grenze und in Rumänien und Bulgarien zusammengezogen.

Die Sowjetunion hatte zwar Ende der 1930er Jahre die Anstrengungen in der Rüstung verstärkt und die Mannschaftsstärke der Truppen erhöht, aber sowohl der quantitative als auch der qualitative Ausrüstungsstand der Roten Armee war relativ niedrig. Die Industrie hatte noch nicht mit der Massenproduktion moderner Waffen begonnen. Die sowjetischen Streitkräfte waren daher bei Beginn des deutschen Angriffs überwiegend mit veraltetem Gerät ausgestattet. Die Rote Armee war außerdem Mitte der 1930er Jahre grundlegend reorganisiert und vollständig nach dem Kaderprinzip strukturiert worden. Alle Truppenteile, die nach dem territorialen Milizprinzip organisiert waren, wurden aufgelöst, was die Verbindung mit der Bevölkerung und eine flexiblere Verteidigung massiv schwächte.

Vor allem litten die sowjetischen Truppen jedoch unter den Auswirkungen der stalinistischen Repressalien. Durch politisch motivierte Verhaftungen, Entlassungen und Degradierungen hatten die Streitkräfte Zehntausende ihrer fähigsten Kommandeure verloren und den größten Teil der Führungsschicht eingebüßt. Dabei trafen die Repressionen insbesondere die erfahrenen Kräfte, diejenigen, die eine politische und personelle Kontinuität zur revolutionären Vergangenheit der Roten Armee, zur Zeit vor der stalinistischen Bürokratisierung, verkörperten. Als Armeeführer wurde der fähige und erfahrene Offizier Michail Tuchatschewski, ein Mitstreiter Leo Trotzkis in der Roten Armee zur Zeit des Bürgerkrieges, durch den unbegabten treuen Stalinisten Klimet Woroschilow ersetzt.

Der Historiker Richard Lorenz fasst diese Entwicklung mit der Bemerkung zusammen, dass kein Land jemals in einem Krieg derartige Verluste an hohen und höchsten Offizieren hinnehmen musste wie die sowjetischen Truppen in den 1930er Jahren im Frieden.

Die Rote Armee stand unter der Führung von jungen und vergleichsweise unerfahrenen Offizieren, die mangelhaft ausgebildet und mit moderner Kriegsführung kaum vertraut waren. Im Sommer 1940 wurde festgestellt, dass von den 225 neuen Regimentskommandanten kein einziger ein volles Studium an einer Militärakademie absolviert hatte, nur 25 hatten eine Militärschule abgeschlossen und der Rest, 200, hatte gerade einen Unterleutnantskurs hinter sich. Um das schlimmste Chaos zu überwinden, wurden schließlich 4.000 Offiziere der Roten Armee aus den Arbeitslagern der Arktis zurückgeholt (12).

NS-Offensive und Besatzung

Die organisierte Passivität, die der Roten Armee von der stalinistischen Führung auferlegt worden war, machte zu Beginn Niederlagen unvermeidlich. Der faschistische Angriff, der sich auf eine hochgerüstete, vollständig mobilisierte und zu großen Teilen bereits kampferfahrene Armee und auf eine seit Langem vorbereitete Kriegswirtschaft und die Ressourcen der besetzten europäischen Länder stützte, brachte die Sowjetunion an den Rand des militärischen Zusammenbruches.

Die Luftabwehr und die Transportverbindungen wurden bis weit ins Landesinnere vernichtet. Die sowjetischen Truppen im Grenzgebiet wurden zerschlagen und mussten enorme Verluste an Menschen und Material hinnehmen. 150 von 200 Divisionen wurden aufgerieben. Der deutsche Vormarsch in den drei Hauptstoßrichtungen Leningrad, Moskau und Kiew war zunächst unaufhaltsam.

Die sowjetischen Truppen zogen sich unter großen Verlusten immer weiter zurück und mussten dabei riesige Territorien preisgeben, insgesamt ein Gebiet, in dem fast die Hälfte der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion des Landes erzeugt worden war und auf dem 88 Millionen Menschen gelebt hatten.

Aufgrund der faschistischen Vertreibungs-, Ausbeutungs-, Vernichtungs- und Ausrottungspolitik waren die Opfer unter der Zivilbevölkerung ungeheuer. Von den gigantischen 60 bis 70 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges (13) hatte die sowjetische und dabei besonders die russische Bevölkerung etwa 35 bis 40 Prozent zu beklagen, etwa 26 Millionen, davon zu großen Teilen Zivilisten – im Vergleich mit 460.000 in Großbritannien und 420.000 in den USA, jeweils fast ausschließlich Soldaten.

Niemals zuvor war ein Land von einem derartigen Ausmaß an Zerstörung, Verwüstung und Entvölkerung betroffen gewesen wie die Sowjetunion. (14) Im September 1941 standen die deutschen Verbände vor der sowjetischen Hauptstadt. Die NS-Führung glaubte, dass der Krieg gegen die Sowjetunion bereits gewonnen sei. Sie sollte eine bittere Überraschung erleben.

Vorerst aber entwickelte sich über zwei bis drei Jahre eine Besatzungspolitik der Nazis, die vor allem Kolonialisierung und Ausbeutung im Blick hatte. Rosenberg sprach sich für eine „schonende Behandlung“ von Balten und Ukrainern aus, um diese „rassisch wertvolleren“ Völker zur Zusammenarbeit gegen die Russen zu gewinnen, was durchaus Erfolg zeitigte:

84.000 Westukrainer meldeten sich für den Dienst in der SS, bis zu 200.000 weitere mordeten in den Kollaborationsverbänden der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) von Stepan Bandera, der von der aktuellen Regierung in Kiew als Nationalheiliger verehrt wird. Diese waren auch und insbesondere an Massakern an Juden, Russen und Polen beteiligt.

Und zusätzlich kämpften 110.000 Letten und 70.000 Esten in verschiedenen NS-Verbänden gegen die Rote Armee (15).

Nazi-Ideologen sahen in den Ukrainern die Nachfahren von Goten oder Wikingern. Von deutschen Militärs kam auch der Vorschlag, nach dem Vorbild des Ustascha-Regimes in Kroatien einen eigenen ukrainischen Staat zu schaffen, um die ukrainische Kollaboration zu systematisieren und die Wehrmacht zu entlasten. Das stand aber im Widerspruch zum Generalplan Ost und scheiterte am Einspruch Hitlers. Jedenfalls sollten sämtliche Juden und viele Russen aus dem neuen germanischen „Lebensraum“ verschwinden.

Über den Umgang mit den verbleibenden Russen machte sich der SS-Sturmbannführer und Ökonom Giselher Wirsing 1942 folgende Gedanken: Der deutsche und der russische Wirtschaftsraum würden sich gut ergänzen, weshalb die Voraussetzungen gegeben seien, „dass uns der Russe auf die Dauer nicht als Träger einer drückenden Fremdherrschaft empfindet, sondern dass er bereit ist, für sich selbst in dem von uns gezogenen Rahmen zu arbeiten und zu produzieren“. Die Kolonialzeit im britischen Stil gehe zu Ende, man solle deshalb in Russland eher behutsam vorgehen, um „ein Höchstmaß an produktiver Leistung erzielen zu können“ und aus den Russen ein „europäischen Werten aufgeschlossenes Volk zu formen“ (16).

Das Eintreten für diffuse „europäische Werte“ gegenüber den Russen klingt angesichts des aktuellen westlichen Narrativs geradezu modern.

Tatsächliche Versuche zu einem produktiven Wiederaufbau der besetzten Gebiete blieben allerdings im Ansatz stecken. Partisanenkampf und zunehmende Erfolge der sowjetischen Truppen machten all den NS-Kolonialisierungsplänen ein Ende. Eine Politik der verbrannten Erde verwüstete das Land immer mehr. Und der Vernichtungskrieg der Besatzer führte schlussendlich zu etwa 26 Millionen toten Sowjetbürgern, darunter fünf Millionen sowjetische Soldaten, die in deutscher Gefangenschaft verhungerten, erfroren oder ermordet wurden.

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.manova.news/artikel/streifzug-durch-die-geopolitik
(2) Siehe dazu: Antony Sutton: Wall Street und der Aufstieg Hitlers, Basel 2018
(3) Haushofers Frau Martha war „Halbjüdin“, sie und die beiden Söhne aber mit einem „Schutzbrief“ ausgestattet. Spätestens seit 1939 stand Haushofer dem Regime kritisch gegenüber. Sein Sohn Albrecht war dann 1944 am „Stauffenberg-Attentat“ beteiligt und wurde von der SS ermordet, Haushofer selbst im KZ Dachau interniert.
(4) Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 2, Seite 739
(5) Gerhard Ritter (Hg.): Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942, Bonn 1951, Seite 42
(6) Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944, Seite 110.
(7) Rolf-Dieter Müller: Raub, Vernichtung, Kolonialisierung: Die deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941-1944, in: Hans Schafranek/Robert Streibel: 22. Juni 1941 — Der Überfall auf die Sowjetunion, Wien 1991, Seite 99 bis 103 sowie Richard Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion 1917-1945, Frankfurt/Main 1976
(8) Zitiert nach: Hannes Hofbauer: Feindbild Russland, Wien 2016, Seite 55.
(9) siehe zum Beispiel: Gerhard Bisovsky/Hans Schafranek/Robert Streibel, Der Hitler-Stalin-Pakt, Wien 1990
(10) V. M. Molotow, Rec po radio Predsedatelja Soveta Narodnych Komissarov SSSR, 17. sentjabrja 1939
(11) Josef Stalin, Prawda vom 30. November 1939, zitiert nach: Richard Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion 1917-1945, Frankfurt/Main 1976
(12) Lorenz, a.a.O.
(13) 60 oder 70 Millionen je nachdem, ob man auch die indirekten Opfer des Krieges, beispielsweise durch Hungersnöte, die durch den Krieg verursacht wurden, miteinbezieht.
(14) Ernst Klee/Willi Dreßen, „Gott mit uns“, Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, Frankfurt/Main, 1989
(15) https://www.manova.news/artikel/die-tradition-der-russenfeindlichkeit
(16) Giselher Wirsing: Die Zukunft der deutschen Herrschaft in Russland, zitiert nach: Hannes Hofbauer: Feindbild Russland, Wien 2016, Seiten 56 folgende und Seite 60

 

In Teil 2 geht es um die Bedeutung des militärischen Fordismus für den weiteren Kriegsverlauf, um die Neuorganisation der Sowjetunion während des Krieges, um die Bewertung der Schlacht um Stalingrad und schließlich um eine Gesamtbilanz des deutsch-sowjetischen Kriegs in Bezug auf den aktuellen historischen Diskurs in Russland und Deutschland.

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Der deutsch-sowjetische Krieg

Teil 2

 

Fließbandkrieg

Die anfänglichen Erfolge des deutschen Imperialismus in den sogenannten Blitzkriegen beruhten — ganz im Unterschied zum Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg — vor allem auf einer Offensivstrategie, dem konzentrierten Einsatz von Panzern und Luftstreitkräften sowie einer modernen „Führung von vorne“. Das NS-Regime konnte bis 1941 die größten Teile Europas — Frankreich, Benelux, Dänemark, Norwegen, Finnland, Baltikum, Ostmitteleuropa, die westliche Sowjetunion, den Balkan, Griechenland — und Teile Nordafrikas unter seine Kontrolle bringen.

Ab 1941/42 sollte sich aber zunehmend der dominierende Charakter des Zweiten Weltkrieges in den Vordergrund schieben. Es war vor allem ein Krieg der in Massenproduktion hergestellten mechanischen Waffen, „ein Fließbandkrieg, der Krieg des militärischen Fordismus“ (1) Dabei waren die USA allen anderen Mächten deutlich überlegen. Am „weltweiten Potential der Rüstungsindustrie“ hatten die USA bereits 1937 einen Anteil von 41,7 Prozent, Deutschland 14,4 Prozent, die UdSSR 14 Prozent, Großbritannien 10,2 Prozent, Frankreich 4,2 Prozent, Japan 3,5 Prozent, Italien 2,5 Prozent (2).

Der Anteil der USA sollte sich in den folgenden Jahren noch erhöhen. Folgende Berechnung der Waffenproduktion in Milliarden US-Dollar, bei dem Kurswert von 1944, dürfte die Überlegenheit der USA sogar noch unterschätzen: Im Jahr 1943 gab Deutschland 13,8 Milliarden aus, Großbritannien 11,1, die Sowjetunion 13,9, Japan 4,5 und die USA 37,5 (3). Die Überlegenheit der USA war also gigantisch.

Deutschland und Japan wurden letztlich von der enormen Vormachtstellung der Industriekapazität der USA überwältigt. Während die Wehrmacht beim Überfall auf die Sowjetunion 3.350 Panzer einsetzte, beschloss die US-Regierung die Produktion von 45.000 Panzern im Jahr 1942 und 75.000 im Jahr 1943. Der Versuch der deutschen und japanischen Führung, diese Überlegenheit durch verzweifelte Anstrengungen, sowohl quantitativen als auch qualitativ, auszugleichen, war zum Scheitern verurteilt.

1942 hatte sich das Gewicht der materiellen Ressourcen bereits eindeutig zuungunsten Japans und Deutschlands verfestigt. Zur US-Überlegenheit kam noch die zunehmende Erschöpfung von Material und Menschen unter dem Zugriff des deutschen und japanischen Imperialismus. Die USA konnten in dem Bewusstsein einen langen Krieg führen, dass die Zeit gegen die anderen Teilnehmer arbeitete — sowohl gegen „Freunde“ als auch gegen Feinde.

Je länger der Krieg dauerte, umso mehr würden sie dadurch ökonomisch und finanziell geschwächt werden. Ein langer Krieg war tatsächlich der kürzeste Weg ins US-amerikanische Jahrhundert. Die US-Strategie bestand, besonders in Europa, simpel in einem langsamen, unverdrossenen, beständigen Vormarsch, der auf einer überwältigenden Luftüberlegenheit und riesigen Truppenverbänden basierte — eine Strategie ohne wirkliche Initiativen.

Sowjetische Neuorganisation

Im Jahr 1942/43 kam es dann auch zu zwei strategischen Siegen, die zur Wende im Krieg führten. In der Schlacht bei den Midway-Inseln errang die US-Navy den entscheidenden Sieg im Pazifik gegen die japanische Flotte, wodurch der US-Imperialismus die Offensive im pazifischen Krieg übernahm. Der japanische Imperialismus geriet in eine Defensivposition, die er bis zu seiner Kapitulation nicht mehr ernsthaft ändern konnte. In Europa markierten die monatelange Schlacht um Stalingrad und der sowjetische Sieg die Wende im Krieg.

1942 standen deutsche Truppen in den Außenbezirken von Leningrad, Moskau und Stalingrad. Doch der Widerstandswille der sowjetischen Bevölkerung war ungebrochen. Auch wenn es anfänglich ein gewisses Potential für eine Kollaboration mit den Invasoren gegeben hatte, wurde dieses bald weitgehend durch die monströsen Verbrechen der Nazi-Besatzung beseitigt. Die systematische Zerstörung der Infrastruktur des zivilen Lebens, die brutale Unterjochung von zig Millionen Menschen, Ausbeutung unter inhumanen Bedingungen. Massenmorde und Folter in einem Ausmaß, das alles, was Stalin und seine Helfer veranlasst hatten, noch überstieg — all das führte den Umschwung herbei.

Die sowjetische Bevölkerung und insbesondere die zu Untermenschen degradierten Russen zeigten entschlossene Bereitschaft zum Widerstand. Die grausame Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener 1941/42 war dabei ein wichtiger Faktor bei der Anstachelung der Kampfmoral der sowjetischen Truppen. Allein zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 1. Februar 1942 starben etwa 2,8 Millionen sowjetische Kriegsgefangene in deutschen Lagern an Hunger, fehlenden Medikamenten und direkter Ermordung.

In der ersten Kriegsphase begann die Sowjetunion unter chaotischen Verhältnissen eine Umstellung von Industrie und Verkehr auf den Kriegsbedarf, die Evakuierung der Produktionsanlagen, den Bau neuer Bergwerke und Betriebe, die territoriale Umverteilung der Arbeitskräfte und Hilfsquellen, die Ausbildung neuer Facharbeiter und die Umstellung der Landwirtschaft auf den Krieg (4). Die Eisenbahn stand nun fast völlig militärischen Aufgaben zur Verfügung: In den Westen wurden permanent Truppen befördert, auf dem Rückweg Industrieanlagen und Arbeitskräfte evakuiert.

Der Schutz der industriellen Produktivkräfte, die ursprünglich im Westen der Sowjetunion konzentriert waren, war auch entscheidend zur Erhaltung der sowjetischen Widerstandskraft. Das Land konnte längerfristig nur verteidigt werden, wenn es gelang, die wichtigsten industriellen Ressourcen dem Zugriff der feindlichen Armeen und Flugzeuge zu entziehen. Dabei handelte es sich um eine Aktion, die in ihrer strategischen Bedeutung mit den wichtigsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges gleichzusetzen ist.

Im zweiten Halbjahr 1941, teilweise noch 1942, wurden die technischen Ausrüstungen von etwa 1.500 Großbetrieben um tausende Kilometer gen Osten verlegt. In mehr oder weniger unbewohnten Gegenden wurden die Maschinen häufig unter freiem Himmel in Betrieb genommen, buchstäblich von den Güterwagons aus.

Die zuerst spontane und dann organisierte Ostwanderung der Zivilbevölkerung — mit der Priorität von Fachkräften — umfasste etwa 25 Millionen Menschen. Entstehende Probleme in der Funktionsfähigkeit der sowjetischen Industrie, die durch die bürokratische Industrialisierungspolitik ohnehin schon bestanden, wurden durch den Mangel an Arbeitskräften verstärkt. In den Betrieben entfiel schließlich jeder Urlaub, Überstunden wurden verpflichtend. In der Landwirtschaft wurde das verbindliche Arbeitsminimum erhöht.

Zudem wurde versucht, möglichst viele Frauen und Jugendliche einzusetzen. Auf diese Weise gelang es Anfang 1942, die industriellen Kapazitäten voll auszulasten und den Rückgang der Produktion aufzuhalten. Zugleich begann in den östlichen Landesteilen in großem Umfang der industrielle Neubau. Seit Mitte 1942 verfügte die Sowjetunion über eine leistungsfähige Kriegsindustrie. Der Ural verwandelte sich in ein Kriegsarsenal, das die Truppen mit Panzern, Flugzeugen, LKWs, Geschützen, Granaten und Maschinengewehren versorgte.

Der beispiellose Einsatz der Arbeiter und Techniker spielte bei der Operation eine entscheidende Rolle. Sie arbeiteten Tag und Nacht, bei Regen, Schnee und Frost, trotz dürftigster Ernährung und dem Fehlen elementarer Wohnmöglichkeiten. Die sowjetischen Massen warfen sich in den Verteidigungskampf gegen die rassistische Vernichtungspolitik der Besatzer. Diese Entschlossenheit insbesondere der russischen Bevölkerung, zu kämpfen und den Krieg zu gewinnen, glich schließlich die Politik der Bürokratie aus, die den Kampf in vielerlei Hinsicht behinderte.

Nicht nur der legendäre russische Winter, der in den 1940er Jahren besonders kalt war, war entscheidend für die Wende im deutsch-sowjetischen Krieg, sondern auch die Kampfbereitschaft der russischen Bevölkerung. Und die Planwirtschaft, selbst in bürokratisierter Form, zeigte in der Kriegswirtschaft ihr Potential. Unter dem Druck des faschistischen Vormarsches wurden die Elemente der bürokratischen Reglementierung zurückgedrängt, wurde der Zugriff des Staatsapparates gelockert und gewann die Kreativität der sowjetischen Arbeiter und Soldaten wieder verstärkt an Bedeutung.

Stalingrad

Darüber hinaus sah sich die sowjetische Führung gezwungen, der neuen Schicht von militärischen Kommandanten, die ihre Erfahrungen aus den aktuellen Schlachten bezogen, einen stärkeren Freiraum für unabhängige strategische Offensiven einzuräumen, und auch die Partisanenbewegung zu unterstützen, die teilweise spontan entstanden war und nicht unter der völligen Kontrolle der Bürokratie stand. Diese Partisanenbewegung kämpfte vor allem hinter den deutschen Linien und war eine unschätzbare Ergänzung für die Offensiven der sowjetischen Armee. Nach Hitlers Worten sorgten die Partisanen für eine unerträgliche Situation, sowohl für die Wehrmacht als auch für deren Kollaborateure.

Die Nazis hatten in ihrem Rassenwahn nicht erwartet, dass eine „minderwertige Rasse“ wie die Russen mit so großem Mut, mit so großer Intelligenz und Energie kämpfen könnte. Die Russen, die vertrieben, ausgerottet oder zur Sklavenarbeit für den Aufbau des Weltreiches der deutschen herrschenden Klasse gezwungen werden sollten, entschieden sich hingegen für hartnäckigen Widerstand. Sie erhoben sich zu Millionen, zwangen dutzende deutsche Divisionen zum Rückzug und wurden durch ihren heroischen Widerstand zu einem ausschlaggebenden Faktor im Kampf gegen die Pläne des deutschen Imperialismus.

Eine herausragende Leistung war dabei die Verteidigung Leningrads, über das die deutschen Truppen im September 1941 eine Blockade verhängt hatten, die erst nach 900 Tagen endgültig gebrochen werden konnte. Der deutsche Imperialismus versuchte, die Bewohner der Stadt auszuhungern und mithilfe von schwerer Artillerie und Luftwaffe zu zerstören. Die Wasserleitungen versiegten, es gab kein Brennmaterial. Die täglich Ration Brot, dem nahezu einzigen Nahrungsmittel, betrug für Arbeiter 250 Gramm, für Familienangehörige 125 Gramm. Nach verschiedenen Angaben starben an den Auswirkungen der Blockade 650.000 bis 1,5 Millionen Menschen. Trotzdem gelang es der städtischen Bevölkerung, die jahrelang fast völlig auf sich allein gestellt waren, sich gegen die feindliche Übermacht zu behaupten.

Durch die Unmöglichkeit, Leningrad einzunehmen, und das Zurückschlagen des deutschen Generalangriffs auf Moskau durch einige gut ausgerüstete Armeen aus Sibirien und Mittelasien wurde dem Nazismus die erste große Niederlage beigebracht. Die Blitzkriegsstrategie war nun endgültig gescheitert. Nach dem Zusammenbruch einer sowjetischen Großoffensive auf Charkow im Frühjahr 1942, die Stalin — berauscht durch den Sieg bei Moskau — gegen den Willen der sowjetischen Militärs angeordnet hatte, die große Opfer kostete und den deutschen Truppen den Vorstoß Richtung Kaukasus, also Richtung Öl und Getreide, erleichterte, begann im Juni 1942 schließlich die große Schlacht um Stalingrad, die Anfang Februar 1943 mit der Vernichtung der gesamten deutschen 6. Armee endete.

Im Gegensatz zu einer ursprünglich von deutschen Generälen und seitdem von unzähligen Historikern verbreiteten Legende betonte der sowjetische Marschall Wassili Tschuikow wohl zurecht, dass Hitlers Entscheidung, um jeden Preis an Stalingrad festzuhalten, nicht so irrational war, wie es schien. 350.000 sowjetische Soldaten wurden durch den anhaltenden Widerstand der 6. Armee um Stalingrad gebunden und konnten nicht eingesetzt werden, um — wie geplant — die gesamte Heeresgruppe A im Kaukasus bei der Mündung des Don bei Rostow abzuschneiden. Hitler opferte eine viertel Million deutsche Soldaten plus verbündete Italiener, Rumänen et cetera, um 1,5 Millionen deutsche und verbündete Soldaten vor der Vernichtung zu retten (5).

Die völlige Einkesselung und Zerschlagung einer so großen Armee, das heißt von 330.000 Mann, hatte in der bisherigen Kriegsgeschichte kein Beispiel und bedeutete die Wende im europäischen Krieg. Es folgten die Siege bei Kursk — eine Schlacht, an der insgesamt vier Millionen Soldaten teilnahmen und die die Entwicklung des Krieges in Osteuropa endgültig unumkehrbar machte —, Minsk, am Pruth und der Weichsel, die der Armee des deutschen Imperialismus und ihren Kollaborateuren das Rückgrat brachen. Im September 1944 wies selbst der rabiate Antikommunist Winston Churchill darauf hin, dass es die „russische Armee ist, die die Kraft der deutschen Kriegsmaschine gebrochen hat“ (6).

Bilanz

Das Ziel der angelsächsischen Mächte war es, die Sowjetunion am Krieg beteiligt zu halten. Die Verzögerung der Eröffnung einer zweiten Front in Europa war von dem langfristigen Ziel motiviert, dass sich Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig erschöpften. Zu Beginn des Krieges formulierte der spätere Präsident Harry Truman die US-Strategie mit aller Deutlichkeit:

„Sehen wir, dass Deutschland dabei ist, den Krieg zu gewinnen, dann sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diese Weise so viel Menschen wie möglich töten“ (7).

Die westlichen Alliierten konnten sich aussuchen, wann und wo sie Deutschland angreifen wollten, und ihre Überlegungen waren vor allem politisch bestimmt. Wiederholt verschoben die Alliierten die versprochene Intervention in Westeuropa und beschränkten sich auf großflächige Bombardements deutscher Städte, in deren Häusern dann vor allem Kinder und Frauen verbrannten, erstickten oder zerquetscht wurden. Die meiste Zeit musste es die Sowjetunion weitgehend allein mit der Wehrmacht aufnehmen.

Die USA und Großbritannien engagierten sich währenddessen auf Kriegsschauplätzen, die durch ihre imperialen Interessen bestimmt waren. Während sich der Krieg in Osteuropa hinzog und die Nazi-KZs auf Hochbetrieb arbeiteten, wurden britische Truppen nach Libyen, Ägypten, Indien und Griechenland geschickt, um das Empire zu erhalten. Churchill konnte sich 1943 damit brüsten, dass die britische Armee mit sechs Divisionen der Wehrmacht spiele, während es die Russen mit 185 aufnehmen müssten. Für die noble Zurückhaltung der Alliierten bezahlte das sowjetische und vor allem russische Volk mit seinem Blut.

Tatsächlich hatten die Russen während des gesamten Krieges die Hauptlast der militärischen Auseinandersetzungen zu tragen, die auf ihrem Territorium — entsprechend der faschistischen Vernichtungsstrategie — besonders barbarische Formen annahm.

Der größte Teil der deutschen Armee kämpfte sowohl vor als auch nach der Landung der Westalliierten im Osten. Neben dem Tod von etwa 26 Millionen Menschen, der Entvölkerung und Verwüstung ganzer Gebiete, der Zerstörung tausender Städte und Orte, erreichte der materielle Schaden durch Vernichtung und Plünderung fast ein Drittel des gesamten vor dem Krieg bestehenden Nationalreichtums. Kein anderes Land hat jemals in einem Krieg derartige Zerstörungen hinnehmen müssen.

Das historische Bewusstsein über diesen Krieg ist in Russland sehr stark. Fast jede Familie hatte Opfer zu beklagen, fast jeder erwachsene Russe und jedes Kind weiß, wo sein Großvater oder Urgroßvater damals gekämpft hat oder wo er für die Heimat gefallen ist. Jeder weiß, was die Nazis damals angerichtet — und welche Rolle dabei Kollaborateure wie die Bandera-Anhänger gespielt haben.

Und während es in der Schlussphase des Krieges seitens der sowjetischen Truppen in den ostdeutschen Gebieten Übergriffe auf die Zivilbevölkerung gab, die nicht nach politischer Haltung unterschieden und von denen nach der rechtzeitigen Flucht von Oberschicht und NS-Bonzen vor allem Frauen und Kinder aus den ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen waren, vermied die sowjetische Politik sehr bald jede Gleichsetzung des deutschen Volkes mit den Nazis. Diese explizite Differenzierung hat auch Wladimir Putin übernommen, der immer wieder sagt, dass die deutsche Geschichte nicht nur aus der NS-Ära besteht, dass er großen Respekt für die deutsche Kultur habe und dass es zwischen Russen und Deutschen immer wieder auch sehr gute Beziehungen gegeben hatte.

Während vielen Berichten zufolge diese großherzige Grundhaltung auch bei vielen Menschen in Russland vorherrscht, steht das Geschichtsbild im Westen und insbesondere in Deutschland und Österreich auf dem Kopf. Die Verbrechen der Nazis wurden immer mehr auf den Holocaust reduziert, der Vernichtungskrieg im Osten zunehmend unter den Teppich gekehrt — waren doch „die Russen“ im von den USA betriebenen Kalten Krieg der neue Feind.

Trumans Kriegsstrategie war aufgegangen, Russland und Deutschland waren ausgeblutet, die USA waren der strahlende Kriegssieger und die global dominierende Macht. Und während die westlichen Besatzungsmächte zahlreiche NS-Funktionäre für ihr System übernahmen und die CIA sogar SSler für ihre Zwecke außer Landes schleuste, wurde im Zuge der „Re-Education“ der gesamten deutschen Bevölkerung eine Schuld für das Nazi-Regime auferlegt. Die beiden Dinge sind freilich gar nicht so widersprüchlich, denn wenn alle schuldig sind, verschwimmt darin auch die Schuld der wirklichen Täter.

Vor allem aber dient diese Ideologie dazu, Deutschland nicht nur militärisch besetzt und ökonomisch abhängig, sondern auch politisch klein und anspruchslos zu halten. Angesichts der monströsen NS-Verbrechen musste auch über die eigenen 7,7 Millionen deutschen Toten dieses Krieges geschwiegen werden — was eine gesunde Aufarbeitung von so viel Leid bei den überlebenden Familienangehörigen und deren Nachkommen verhinderte. Stattdessen wurden „die Deutschen“ als negativ auserwähltes Volk inszeniert, deren Angehörige trotz noch so intensiver Abbitte niemals von der ewigen Schuld befreit werden können — es sei denn durch die erlösende Auslöschung des deutschen Volkes (8).

Wie oberflächlich und einem religiösen Bekenntnis gleich der „Antifaschismus“ der Grünen und der anderen globalistischen Systemparteien ist, zeigte sich in den letzten Jahren eindrücklich.

Während das „schuldige“ deutsche Volk, von dessen Vorfahren etwa 15 Prozent NS-Mitglieder waren, für jeden Widerspruch zur herrschenden politischen Agenda als nazistisch stigmatisiert wird, legt sich die deutsche Regierung in der Ukraine mit politischen Kräften ins Bett, die landesweit Denkmäler für Sowjetsoldaten abreißen und solche für Stephan Bandera aufstellen lassen, in deren Armee ganz offen Nazi-Symbolik verwendet wird — und diffamiert jeden Russen, der das nicht gut findet.

Wladimir Putins Mutter lag im belagerten Leningrad bereits unterernährt in einem Leichenberg, bevor sie gerettet wurde, sein Bruder verhungerte. Annalena Baerbock erinnert sich positiv an ihren Opa, einen Wehrmachtsoffizier auf dem Rückzug aus der Sowjetunion, und begeistert sich daran, mit den Sanktionen „Russland zu ruinieren“.

Zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz trafen sich Vertreter des Bandera-Regimes in Kiew mit denen ihrer westlichen Sponsoren im ehemaligen Vernichtungslager — und fanden nichts dabei, Russland auszuladen. Angeblich wegen des Krieges. Bereits 2020 schrieb der Spiegel, Auschwitz sei „von der amerikanischen Armee befreit“ worden. Zwar musste er sich dafür entschuldigen, dennoch hatte er nur den Trend übertrieben. Denn Ursula von der Leyen schrieb im selben Jahr: „Vor 75 Jahren haben die Alliierten das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit.“ Also so, als wäre der Westen mit dabei gewesen, kein Wort von den Sowjets.

Diese Verdrehungen zu Auschwitz sowie die verschämte Rehabilitierung ukrainischer und baltischer NS-Kollaborateure durch die westliche Politik und ihre Medien erinnern an das „Wahrheitsministerium“ in George Orwells 1984. Eigene historische Kenntnisse helfen dabei, solchen Manipulationen nicht völlig ausgeliefert zu sein.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Ernest Mandel, Der Zweite Weltkrieg, a.a.O., S.65; in dieser Formulierung liegt eine gewisse Ironie, da Henry Ford selbst ein früher Unterstützer Adolf Hitlers gewesen und persönlich gegen den Kriegseintritt der USA eingestellt war; siehe auch: James und Suzanne Pool, Who Financed Hitler?, New York 1978
(2) H.C. Hillman, Comerative Strength of the Great Powers, in: Toynbee (Hrsg.), World in March 1939, London 1952; zitiert nach: Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte, Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt/Main, 1989
(3) Dieter Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, Wiesbaden, 1977
(4) siehe dazu vor allem Richard Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion 1917-1945, Frankfurt/Main 1976
(5) siehe: Mandel, Der Zweite Weltkrieg, a.a.O.
(6) zitiert nach Richard Lorenz, a.a.O.
(7) zitiert nach Barton J. Bernstein, Confrontation in Eastern Europe, in: Thomas G. Paterson (Hrsg.)
(8) Zu dieser Thematik weit ausführlicher: https://www.manova.news/artikel/gruner-rammbock-des-kapitals und https://www.manova.news/artikel/gruner-rammbock-des-kapitals-2

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Der Autor:

Eric Angerer, Jahrgang 1974, ist studierter Historiker und war als Nachrichtenjournalist tätig. Die letzten Jahre arbeitete der begeisterte Alpinist im Bildungsbereich, unter anderem als Sportlehrer. Er verfasste und redigierte zahlreiche historische Texte und solche der marxistischen Theorie. Sein politisches Engagement bezog sich lange Zeit vor allem auf die Unterstützung betrieblicher Selbstorganisation von Beschäftigten in Industrie und Gesundheitswesen. Aktuell beteiligt er sich an der Initiative „Analyse Widerstand Freiheit“ (AWF) in Österreich.

 

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien auf  Manova Magazin und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors hier gespiegelt.

Bild: Deutsche Panzer beim Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, Juni 1941. (www.bpb.de/© picture-alliance, IBL Schweden)