Arbeiterbewegung und Umweltbewegung

Von Johannes Schillo

Wenn heutzutage Protestbewegungen in Sachen Umwelt oder Frieden antreten, wird gelegentlich der Blick zurück gerichtet auf die alte Arbeiterbewegung, die einst den destruktiven Errungenschaften des kapitalistischen Fortschritts mit einer Systemalternative begegnen wollte. Die Fundamentalopposition von Gewerkschaftsbewegung und (sozialistischen) Arbeiterparteien ist zwar Historie, doch vielleicht ist es nicht ganz müßig, einmal den zielstrebig organisierten Niedergang dieses einst machtvollen Einspruchs gegen die Eroberung der Welt durchs Kapital zu rekapitulieren.

Ein Blick zurück

Was die Frage von Krieg und Frieden betrifft, hatte das Gewerkschaftsforum (https://gewerkschaftsforum.de/dem-karl-liebknecht-haben-wirs-geschworen-am-2-dezember-1914-stimmte-der-spd-abgeordnete-karl-liebknechtka-gegen-die-kriegskredite/) jüngst angemerkt, dass hier „ein Blick in die Parteigeschichte angebracht“ wäre. Es ging um die Rolle Karl Liebknechts bei Beginn des Ersten Weltkriegs – bei der Einschwörung der Arbeiterbewegung auf Burgfriedenspolitik und Kriegsbereitschaft. Der „patriotische Taumel“, der 1914 begann, markiert ja die entscheidende Zäsur in der Geschichte dieser Bewegung. Hier kamen ihr, wie von marxistischer Seite detailliert analysiert wurde (vgl. Decker/Hecker 2002, Dillmann/Schiffer-Nasseri 2018), definitiv ihr Internationalismus und Antikapitalismus abhanden, so dass die Arbeiterklasse zur nationalen Ressource der imperialistischen Staatenwelt avancierte.

Das fand in Deutschland dann seine Fortsetzung beim nächsten großen imperialistischen Kräftemessen, als die Gewerkschaftsbewegung in den neuen nationalsozialistischen Staat integriert wurde und sich auch – entgegen der späteren Legendenbildung vom durchgängigen Widerstand – integrieren ließ, nämlich in das faschistische Modell von Sozialpartnerschaft namens „Deutsche Arbeitsfront“. Auch daran hat das Gewerkschaftsforum (https://gewerkschaftsforum.de/ich-bin-ein-deutscher-arbeiter-eine-persoenliche-reminiszenz/) jüngst erinnert.

Das wird übrigens von Gewerkschaftsseite mittlerweile offener angesprochen, so z. B. in der Bildungsarbeit von Verdi, wo es 2013 zum 80. Jahrestag der „Machtergreifung“ von 1933 hieß: „Hatte sich die Gewerkschaftsbewegung noch 1920 mit einem Generalstreik vehement und erfolgreich gegen den Kapp-Putsch gewehrt, fehlte ihr 1933 die Macht und der Mut zu einem solchen Schritt.“ Machtvoll war die Bewegung damals aber durchaus. Was ihr fehlte, war eine eindeutige antifaschistische Kampfbereitschaft, denn die Perspektive eines nationalen Aufbruchs im Interesse des „deutschen Arbeiters“ hatte vielen in der Bewegung eingeleuchtet.

Zum 90. Jahrestag hat im vergangenen Jahr der DGB Baden-Württemberg seine Broschüre über die „Zerschlagung der Gewerkschaften“ (https://stuttgart.dgb.de/++co++5b4dc002-e5d3-11ed-8b9e-001a4a160123) unter der bezeichnenden Überschrift „Umarmung und Gewalt“ neu vorgelegt. Darin heißt es zu der Frage „Wo blieb der Widerstand?“: „Noch zu Beginn des Jahres 1933 war die Arbeiterbewegung im Deutschen Reich die wesentliche Basis der Gesellschaft. Oft wird deshalb gefragt, wieso die Nationalsozialisten so leichtes Spiel bei der Zerschlagung der mächtigen Organisationen hatten. Wir haben diese Broschüre Umarmung und Gewalt genannt, um genau diese Frage damit zu beantworten.“

Und Frank Deppe erläutert das im Folgenden so: „Führende Gewerkschafter hofften, die Organisationen durch eine ‚Einheitsgewerkschaft‘ mit den christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften zu retten, die sich der neuen ‚nationalen Regierung‘ andient. Und schließlich rief der ADGB seine Mitglieder dazu auf, an den Maikundgebungen des Regimes teilzunehmen. Der Aufruf des ADGB bediente sich dabei der Ideologie und Sprache des Faschismus…“ Die Einheitsgewerkschaft kam ja dann unter Adenauer zustande und setze die nationale Karriere des Vereins – bis auf den heutigen Tag – fort.

Arbeiterbewegung und Ökologie

Auf einen anderen Zusammenhang, der in der Geschichte der Arbeiterbewegung bisher weniger thematisiert wurde, hat jetzt der Naturwissenschaftler Rudolf Netzsch aufmerksam gemacht. Er veröffentlichte Ende 2023 das Buch „Nicht nur das Klima spielt verrückt“, das sich mit der fehlenden bzw. mangelhaften Systemkritik der gegenwärtigen Umweltbewegung auseinandersetzt, die auf ihre Weise ja gerade – etwa mit der Parole „system change not climate change“ – den Bruch mit dem herrschenden industriekapitalistischen Systems ins Auge fasst.

Netzsch vertritt die These, die sich auch in anderen neueren Veröffentlichungen findet (vgl. Saito 2016), dass man Marx durchaus als ökologischen Kritiker des Kapitalismus einordnen kann, ja dass in der Arbeiterbewegung, deren Aufstieg Marx und Engels anleiteten, der Protest gegen die Umweltzerstörung selbstverständlich inbegriffen war. Netzsch geht dazu auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zurück, denn diese hat ja zum ersten Mal in stringenter Form die Wachstumsnotwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise erklärt und dabei gleich in umfassender Weise kritisiert. Der Wachstumszwang folgt, wie Marx im „Kapital“ dargelegt hat, aus dem speziellen Zweck, der in der marktwirtschaftlichen Praxis waltet: Abstrakter Reichtum ist das Ziel, die Produktion ist Verwertung eines eingesetzten Werts und das gelungene, aber in der Konkurrenz immer wieder durchzusetzende Resultat ist das Einstreichen eines vermehrten Geldbetrags.

Und addiert als gesamtwirtschaftliche Leistung gibt dann eine einzige Zahl, die prozentuale Angabe, ob und wie sehr die Vorjahressumme gesteigert werden konnte, Auskunft darüber, ob das Wirtschaftsleben „gesund“ ist oder zu kränkeln anfängt. Nicht die Deckung des Bedarfs nach Lebensmitteln, eine naturverträgliche Produktion und ein bequemes Arbeitsleben geben hier also das Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg ab, sondern die ständige, exponentielle Steigerung des Outputs, gemessen in einer Geldsumme. Netzsch zitiert dazu natürlich das berühmte Fazit von Marx im ersten Band des „Kapital“, das die Konsequenzen einer solchen Produktionslogik benennt: „Die kapitalistische Produktion entwickelt nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW, Bd. 23, S. 530)

Marx stellte auch selber schon ökologische Studien an, etwa zur Agrarwissenschaft, die zu seiner Zeit entstand und die sich mit Möglichkeiten der chemischen Bodenbearbeitung befasste. Das heißt, er widmete sich einem Thema, das dann 100 Jahre später (natürlich unter den fortgeschrittenen naturwissenschaftlichen und technologischen Bedingungen) von der Biologin Rachel Carson aufgegriffen wurde. Carson kritisierte die gefährlichen Folgen der modernen landwirtschaftlichen Bodennutzung und die Auswirkungen einer rigorosen Unkrautvernichtung auf Ökosysteme, wobei ihr „Hauptwerk ‚Silent Spring‘ (dt. Titel: ‚Der stumme Frühling‘) aus dem Jahr 1962 häufig als Ausgangspunkt der US-amerikanischen Umweltbewegung bezeichnet wird“ (Wikipedia).

Friedrich Engels hatte sich schon in seinen frühen Schriften zu Umweltproblemen geäußert, so zur Verpestung der Luft und zur Verschmutzung von Gewässern in seinem Bericht über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845, MEW, Bd. 2, S. 225ff). Seine „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ von 1844 (MEW, Bd. 1, S. 505), die die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie entscheidend beeinflussten, sprachen dann hoffnungsvoll vom „großen Umschwung, dem das [19.] Jahrhundert entgegengeht, der Versöhnung der Menschen mit der Natur und mit sich selbst.

Eine eigenständige Umweltbewegung oder ökologische Programmatik gab es damals natürlich nicht. Den großen Umschwung sahen Marx und Engels mit der Entstehung der Arbeiterbewegung kommen. Durch diese sollten die Klassenherrschaft und damit auch die Gründe der Natur­zerstörung beseitigt werden; das hieß für die politische Arbeit, sich auf die Förde­rung dieser internationalen Bewegung zu konzentrieren. „Entsprechend standen auch in der theoretischen Arbeit die dafür unmittelbar relevanten Themen im Vordergrund“, hält Netzsch fest. Das war keine Ignoranz gegenüber der ökologischen Frage. Man setzte eben auf den – scheinbar – nahe liegenden Erfolg der antikapitalistischen Bewegung.

Und dass der Kapitalismus sein destruktives Potenzial noch bis ins übernächste Jahrhundert entfalten würde, und zwar mit tatkräftiger Indienstnahme des Proletariats und seiner Organisationen – das wäre Marx und Engels in ihren schlimmsten Alpträumen nicht eingefallen!

 

Nachweise:

Peter Decker/Konrad Hecker, Das Proletariat – Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. München (Gegenstandpunkt) 2002.

Renate Dillmann/Arian Schiffer-Nasseri, Der soziale Staat – Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Hamburg (VSA) 2018.

MEW – Marx-Engels-Werke. Berlin (Dietz) 1965ff.

Rudolf Netzsch, Nicht nur das Klima spielt verrückt – Über das geistige Klima in der heutigen Gesellschaft und die fatalen Folgen für das wirkliche Klima der Welt. München (Literareon/Utzverlag) 2023. Eine Rezension ist im Untergrund-Blättle (https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/buchrezensionen/sachliteratur/rudolf-netzsch-nicht-nur-das-klima-spielt-verrueckt-008166.html) erschienen.

Kohei Saito, Natur gegen Kapital – Marx‘ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus. Frankfurt/Main (Campus) 2016.

 

 

 

 

 

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