Dortmunder Polizei macht Vorschläge zum Ausbau der Videoüberwachung – die Versendung von jährlich über 100.000 stillen SMS reicht ihr nicht

10.04.2016 KameraüberwachDie Silvesternacht von Köln lässt grüßen. Das Innenministerium NRW will mit der Ausweitung der Videoüberwachung beginnen. Der Dortmunder Polizeipräsident hat dazu Vorschläge eingereicht, die bisher aber nicht öffentlich gemacht wurden. Aber die Notwendigkeit wird schon einmal aufgezeigt: Angesichts vieler attraktiver Veranstaltung sei die Stadt gefordert, den zahlreichen Besuchern Sicherheit zu vermittelt. Vielleicht würden die zahlreichen Besucher sich sicherer fühlen, wenn sie wüssten, dass im Zeitraum von Januar 2014 bis Mai 2015 die Dortmunder Polizei 107.669 stille SMS zur Ortung von Verdächtigen verschickt hat.

Obwohl die SMS etwas aus der Mode gekommen sind, werden sie bei der Kreispolizeibehörde Dortmund aber immer beliebter: Genau 107.669 „stille SMS“ verschickte die Dortmunder Polizei im Zeitraum von Januar 2014 bis Mai 2015. Damit hat sich die Anzahl von stillen SMS in Dortmund verdreifacht. Wie viele Rufnummern so kontaktiert worden sind, will die Polizei jedoch nicht sagen.

Mit den stillen SMS kann das Polizeipräsidium Dortmund den Standort von Verdächtigen aufspüren. Dazu ist grundsätzlich ein richterlicher Beschluss nötig und die stille SMS darf nur bei schweren Straftaten eingesetzt werden oder wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert bzw. aussichtslos wäre. Genaueres regelt das der Paragraf 100 der Strafprozessordnung. Da heißt es: „Auch ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet hat, die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre“.

Für die Polizei ist die stille SMS eine besonders praktische Erfindung. Sie erlaubt es, eine verdächtige Person zu verfolgen, ohne dass ihr tatsächlich jemand hinterher fahren muss. Die SMS, die die Polizei auf das Handy des Verdächtigen schickt, taucht nicht auf dem Telefondisplay auf. Bei seinem Mobilfunkanbieter laufen aber trotzdem Verbindungsdaten ein, die anschließend ausgewertet werden können. Bei den Daten ist auch eine genaue Angabe darüber, wo sich der Nutzer des Telefons zum Zeitpunkt des SMS-Versands aufhält. Mit wenig Aufwand lässt sich so der Standort feststellen.

Um eine stille SMS zu erhalten, braucht man nicht einmal selber ins Visier der Fahnder geraten sein. Es reicht schon, wenn die Ermittler wissen, dass ein Verdächtiger seine SIM-Karte in einem bestimmten Geschäft gekauft hat, sie aber noch nicht wissen welche SIM-Karte er erworben hat. Dann können alle Kunden des Geschäfts in ihre Fahndung einbezogen und per stiller SMS geortet werden, damit man so dem Verdächtigen auf die Spur zu kommen.

Der Besitzer eines Handys erfährt in der Regel nicht, ob das eigene Handy schon einmal geortet wurde. Obwohl Paragraf 17 des Polizeigesetzes eindeutig regelt, dass „über die Datenerhebung die betroffene Person zu unterrichten ist, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme erfolgen kann“. Doch gilt das nur im Falle der Gefahrenabwehr, wenn also z.B. eine verwirrte Person geortet werden soll, etwa um sie in Sicherheit zu bringen. Dann müssen Unbeteiligte im Nachhinein über die Ortung informiert werden. Die Unterrichtung der betroffenen Person ist mehr eine theoretische Angelegenheit. Bei den vielen Abfragen im Bereich der Strafverfolgung wird im Paragraf 100i der Strafprozessordnung nur geregelt, dass die Daten Dritter „nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen“ sind. Eine Informationspflicht für den Bürger durch die Behörden gibt es praktisch also nicht.

In der Vergangenheit wurde in Dortmund immer wieder die praxisbezogene Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes von den Strafverfolgern gern in Anspruch genommen. Denn dieses Instrumentarium bietet eine Vielzahl von erlaubten und nicht erlaubten Mitteln und wird von der „besorgten Öffentlichkeit“ auch weitgehend akzeptiert.

Die Strafverfolger nutzen dann z.B. die Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr.

Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertigt für sie all das, was sie machen und wie sie es machen.
Der geplante Ausbau der Videoüberwachung wird in Dortmund den Sicherheitswahn als Standortfaktor weiter beflügeln. Durch die Instrumentalisierung der Silvesternacht in Köln kann weiter aufgerüstet werden. Es soll wohl das subjektive Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung, aufgeputscht durch viele Medienberichte, die aktuelle Sicherheitspolitik legitimieren und umgekehrt, soll sich das rechtspolitische Handeln verstärkt am Sicherheitsgefühl der Bürger orientieren. Mit der Folge, dass dann, wie im Stadtteil Nord ganz oft passiert, sich das Handeln bezüglich der objektiven Bedrohungslage völlig unangemessen entwickelt und zu Übergriffe der staatlichen Stellen führt

 

 

Quelle: WAZ, Piraten

Bild: Ingrid Rigot