Zur Befindlichkeit der Beschäftigten im CARE – Bereich: Entfremdung greift um sich

Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat schon längst den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten.

Die Beschäftigten mussten und müssen ungeheuerliche Änderungen über sich ergehen lassen, die nicht nur Auswirkungen auf die tagtägliche Arbeit haben, sondern ihre gesamte Lebenssituation beeinflussen.

Es geht hierbei nicht nur um ein Unbehagen, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, als Verkäufer sozialer Produkte auftreten zu müssen, bei denen das eigentlich Menschliche zu einem Wettbewerbsfaktor der Markt- und Konkurrenzwirtschaft wird. In dieser sind Zuneigung, Aufmerksamkeit, Hilfe, Sicherheit, Ehrlichkeit und Authentizität zu verkaufen bzw. zu erwerben. Es hat sich ein Geld-Hilfe-Geld-Verhältnis entwickelt, bei dem sich alle Beteiligten dem Diktat der betriebswirtschaftlichen Kenn- und Schlagzahlen unterwerfen und vor allem geht es um Entfremdungsprozesse, die die Beschäftigten völlig zerstören können.

Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Care-Arbeit zu werfen.

Mit dem „Care“-Begriff werden die Arbeitsinhalte und die Beziehungsaspekte von Sorgearbeit beschrieben. Die Care-Arbeit umfasst bezahlte und unbezahlte Arbeit und sollte sich an den Bedürfnissen anderer Personen orientieren.

Obwohl Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend durch Care-Arbeit geprägt werden, stand diese bislang eher am Rand der Arbeitspolitik.

Care-Arbeit zielt auf Lebensqualität, auf die soziale, gesundheitliche und pflegerische Versorgung von und durch Menschen. Sie ist eingebettet in die Organisationsform sozialer Dienste in der Sozialwirtschaft. Immer mehr Teilbereiche des Care wurden in den vergangenen Jahrzehnten in die Verwertungslogik des Kapitals einbezogen und zum Gegenstand von Profiterzeugung gemacht. Der Unterschied zu anderen Beschäftigungssektoren besteht darin, dass die Care-Arbeit wichtig für die Wirtschaft insgesamt ist, da sie erst die Erwerbstätigkeit vieler Menschen ermöglicht und so die Voraussetzungen für die Produktion überhaupt schafft. Der Staat hat die Investition in die Voraussetzungen übernommen, die aus den Steuern und Abgaben generiert werden. Die Unternehmen halten sich dabei vornehm zurück, weil solche Ausgaben den Profit verringern und Investitionen in den Care-Bereich sich erst in vielen Jahren rentieren.

Die Tätigkeitsweisen von sachbezogener Produktionsarbeit und interpersonaler Reproduktionsarbeit sind jedoch völlig unterschiedlich. So unterliegt die auf der Schaffung von Waren gerichtete Lohnarbeit einer Zeitsparlogik, nach der in immer kürzerer Zeit immer mehr aus der Arbeitskraft herausholt wird, während die auf Personen gerichteten Care-Tätigkeiten sich mehr auf eine Zeitverausgabungslogik ausrichten, also sich Zeit nehmen für den Aufbau und die Pflege interpersonaler Beziehungen.

Mehr und mehr wird Care auch als Lohnarbeit verausgabt werden, wodurch diese jedoch entgegen ihrer bedürfnisorientierten Beziehungsweise einem Zeitsparregime wie Fallpauschalen oder Zeitbudgets unterworfen wird, was sie sukzessiv dehumanisiert.

Weiter unterscheidet die Care-Arbeit sich von den meisten Bereichen der Industrie, in denen starke Gewerkschaften großen, einheitlich agierenden Unternehmerverbänden gegenüberstehen und Tarifverträge für ganze Branchen aushandeln. Dagegen ist in der Care-Arbeit die Landschaft der Arbeitsbeziehungen institutionell und regional zersplittert. Dies führt zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in diesem Sektor.

Im Durchschnitt der letzten Jahre entfielen in Deutschland 64 Prozent aller Arbeitsstunden auf Care-Tätigkeiten, davon 56 Prozent unentlohnt und rund 8 Prozent entlohnt. Mit 44 Prozent ist der Bereich der Lohnarbeit, einschließlich entlohnter Care-Arbeit, deutlich kleiner als der Bereich des unbezahlten Care. Beides zusammen, die Abspaltung von der Wertproduktion und die partielle Unterwerfung von Care unter die Verwertungslogik hat zu einer Krise der Reproduktion geführt.

Der Care-Bereich wird sich zukünftig weiter vergrößern und entsprechend wird der Bedarf an qualifizierten Beschäftigten ansteigen. Es zeigt sich schon seit einiger Zeit, dass bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen in diesem Bereich nicht genügend Menschen für diese gesellschaftlich so wichtige Arbeit gewonnen werden können.

Wirtschaftliches Ressourcedenken und das Geld-Hilfe-Geld-Verhältnis als neue Formen von Entfremdung und Verdinglichung

Die Beschäftigten im Care-Bereich als sozialtätige Subjekte erleben die neuen gesetzlichen Auflagen der Bürokratie, das wirtschaftliche Resourcedenken in den Unternehmen und das Geld-Hilfe-Geld-Verhältnis zwischen ihnen und ihren Klienten als neue Formen von Entfremdung und Verdinglichung.

Die vier Entfremdungsebenen nach Marx, die Entfremdung vom Arbeitsprozess, Entfremdung vom eigenen Produkt, Selbstentfremdung und Entfremdung von der Gattung, die erlebt werden, können in relativ kurzer Zeit die Beschäftigten physisch und psychisch zerstören.

Die Beschäftigten sind einem System ausgesetzt, in dem z.B.

  • die „Produktion von sozialen Dienstleistungsangeboten“ auf der Versachlichung des Dialogischen zwischen ihnen und dem Klient/Patient beschränkt und in eine klar definierte und zeitliche vorgegebene Ergebnisrealisierung erwartet wird.
  • der Face-to-Face Bezug als Prozess der pädagogischen, sozialen und pflegerischen Arbeit zum marktkonformen Standard und der Andere zum bloßen Gegenstand wird.
  • die Kosten-Nutzen-Analyse und der Wirtschaftsplan den persönlichen und sozialen Sinn der Realisierung des Arbeitsprozesses dominieren.
  • der Hilfeakt bzw. der pädagogische Dienst zum Geschäft-Vertrag-Standard wird und den Dialog bewusst verhindert. Psychotechnische Verfahren im Alltag von pädagogischen bzw. sozialen Einrichtungen, wie BSC, EFQM, DIN-En-Iso, wurden als aktualisierte Methoden aus dem Fordismus entwickelt und geben Arbeitsablauf und Arbeitstakt vor.
  • die Flexibilität als positives Markenzeichen gilt, jedoch die Forderung bzw. Bereitschaft sich (selbst) zu instrumentalisieren meint.
  • pathogene Selbstbilder wie Körperimago/Magersucht/Burnout eine hoch zweckmäßige Kompensation wie auch Deprivation bewirken.
  • das Auf- und Absteigen innerhalb der gesellschaftlichen Klassen als normaler Vorgang bewertet und dem individuellen Fleiß oder der Risikobereitschaft zugeordnet wird.
  • das Privatkapital auf den Sozialmarkt drängt, der staatlich alimentiert und in Zeiten der Krise sichere Anlagemöglichkeiten verspricht.
  • die Gentrifizierung städtischen Wohnraums immer mehr Gewalt gegen Senioren, Behinderte und „Normalverdiener“ ausübt, in dem Ghettoisierung der Lebensverhältnisse und Unbezahlbarkeit von Gesundheit, Bildung, Teilhabe und Sicherheit für die Mehrheit der Bürger vorherrscht

und in dem die Sozialraum-Philosophie da endet, wo schlicht die Lebenskosten für die Menschen die Ausgrenzung bedingen und sie in die Klassenschranken verweist.

Für den Einzelnen sind diese Prozesse schwer zu erkennen, da sie sich schleichend entwickeln, gepaart mit einer Salamitaktik seitens der Anstellungsträger bzw. Unternehmen.

Ein recht geschlossenes System also.

Aushalten

In dieser konkreten Lebens- und Arbeitssituation müssen die Beschäftigten z. B. aushalten, dass

  • trotz eklatanter Unterbesetzung, die Stellenpläne nicht eingehalten werden müssen.
  • durch den Personalmangel die Klienten und Patienten schlecht oder gar nicht versorgt werden können.
  • das Geld, das der Kostenträger für Personal bereitstellt, beim Anstellungsträger auf die hohe Kante oder in die „Rückstellung“ gelegt wird

und der Kostenträger augenzwinkernd öffentlich kundtut, dass der Anstellungsträger auch einen finanziellen Anreiz für die Durchführung der Aufgabe benötigt und nicht abspringt bzw. das System von Geben und Nehmen verlässt.

Kommunikationssystem kommt ins Wanken

Die Ideologie der Privatisierung der Gesundheits-, Bildungs- und Sozialeinrichtungen hat mittlerweile einige unumkehrbare sozialpolitische Fakten geschaffen, wie:

  • Die Sozialstandards sind auf ein tiefes Niveau abgesenkt.
  • Die Sozialbürokratie hat vornehmlich Aufgaben des Socialcontrolling mit den Instrumenten Aktivierung und Sanktionierung übernommen.
  • Ganz im Sinne der betriebswirtschaftlichen Gewinn- und Verlustrechnung steht die Vermarktung des Einzelfalls am Anfang jeder Maßnahmenkette und begleitet sämtliche weitere Maßnahmen als Wirkungs- und Erfolgsbilanzierung.
  • Das „Salesmanagement“ durchdringt Leitungsgremien und Mitarbeiterteams, eingebettet in einer Neuorganisation des Gesamtbetriebes, die die Marktfähigkeit und den Verkauf des Sozialprodukts im Konkurrenz- und Preiskampf behaupten soll.
  • Innerhalb des Dienstleistungsprozesses im Bereich Gesundheit, Bildung und Soziales entstehen neue, leistungs- und ergebnisorientierte Strukturen, wobei die sozialkulturellen Beziehungen zwischen den Akteuren entfremdet werden, weil sie monetarisiert wurden.
  • Der Staat und die Sozialbürokratie organisieren die Marktgesellschaft als Gesamtheit und garantieren eine zielführende Funktionalität seiner Bürger.
  • Die Messbarkeit und damit auch die Kontrolle und Steuerungsmöglichkeit der gesamtgesellschaftlichen Arbeit findet letztendlich sowohl im Produktions- als auch im Dienstleistungssektor statt, wobei dieser Dienstleistungssektor noch immense Einsparungsmöglichkeiten, vorrangig bei den gesellschaftlichen Bildungs-, Gesundheits- und Sozialleistungen bietet.

Die erlebte Entmündigung führt in der Berufspraxis dann häufig zu spontanen und situativ ausgerichteten Widerständen, die schnell regelmäßig in nicht steuerbare Konfliktsituationen münden.

Da der Konkurrenzkampf auch unter den Beschäftigten herrscht, wird der Konflikt von allen Beteiligten schnell individualisiert, denn dort, wo der Markt herrscht, herrscht auch die Vorteilsnahme auf Kosten anderer Menschen. Es gilt der Wettbewerb, die Konkurrenz und brutale Durchsetzung von Eigeninteressen, als Voraussetzung für persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg. Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit gewinnen die Oberhand. Mitgefühl, Empathie, Kooperation und Solidarität sind fehl am Platz. Das gesamte Kommunikationssystem im Arbeitsprozess kommt ins Wanken.

Alles was den Beschäftigten früher als Kleinkinder von der Familie oder in den pädagogischen Einrichtungen und auch in ihrer Fachausbildung als Norm vermittelt wurde, steht nun den tatsächlichen Rahmenbedingungen, Normen und Werten und sogar Gesetzen entgegen.

Sie empören und schämen sich, wenn berechtigte Interessen oder Ziele der ihnen anvertrauten Menschen nicht berücksichtigt werden, deren Gefühle verletzt und ihnen in der Not Hilfen verweigert werden.

Empathie als verinnerlichter Wert und Norm nicht gefragt

Der überwiegende Teil der heute im Care-Bereich beschäftigten Menschen hat ihre frühe Sozialisation in den 1950er bis 1970er Jahren in der Regel noch so durchlaufen:

Jedes Kind wird als soziales Wesen geboren, das von Anfang an nicht nur Gegenstände und Geräusche wahrnimmt, sondern auch Gefühle und Befindlichkeiten. Es reagiert auf die Mimik, Gestik, Tonfall und Blicke. Schon nach einigen Monaten kann ein Kind erkennen, ob seine Bezugspersonen traurig oder fröhlich sind. Ist das Kind 15 Monate alt, hat es schon ein Gerechtigkeitsgefühl entwickelt, mit 18 Monaten ist es in Lage, andere Kinder zu trösten.

Das Kind, soweit es nicht vernachlässigt oder misshandelt wird, entwickelt früh Empathie, also sich in andere Menschen hineinzuversetzen und in sie hineinfühlen zu können.

Ältere Kinder und Jugendliche empören und schämen sich, wenn berechtigte Interessen oder Ziele eines anderen Menschen nicht berücksichtigt werden, seine Gefühle verletzt und ihm in der Not Hilfe verweigert wird.

Was ist aber, wenn solche Empfindungen und Charaktere bei uns gar nicht mehr nachgefragt werden, wenn sie den vorherrschenden Normen und Werten widersprechen. Dort, wo der Markt herrscht, gilt der Wettbewerb, Konkurrenz und die brutale Durchsetzung von Eigeninteressen, als Voraussetzung für persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg. Gleichgültigkeit und Rücksichtlosigkeit gewinnen die Oberhand.

Trotzdem ist das emphatische Empfinden die Grundlage für all das, was die Menschen verbindet, Mitgefühl, Rücksichtnahme, Kooperation und Solidarität. Es hat sich in der Evolution sogar als ein Mechanismus entwickelt, der für das Überleben notwendig ist.

Auch deshalb bedarf es ganz großer Energie, den jungen Menschen Anteilnahme und Mitfühlen abzugewöhnen.

Wie aus einem liebevollen und mitleidenden Kind eine machtbesessene und rücksichtslose Karrierepersönlichkeit wird

In der Bildung und Erziehung werden ganz bestimmte Persönlichkeitsmerkmale belohnt. Die Kinder werden schon so früh wie eben möglich dem Wettbewerb ausgesetzt. Das Bildungsziel lautet Selbstmanagement, gearbeitet werden muss andauernd an der Steigerung des eigenen Marktwertes und die Kinder mit der höchsten Produktivität werden aus- und erwählt.

Die Medien spielen auch mit, überall gibt es Rankings, Suche nach dem Super Star und harte Wettbewerbe zu sehen, bei denen die Looser öffentlich scheitern. Parallel dazu werden aufwendige Untersuchungen angestellt, um Kinder als Konsumenten zu gewinnen, die ihre Eltern mit ihren teuren Wünschen nerven. Da findet man heraus, dass Kinder in Alter von 6 Monaten schon innere Bilder von Firmen-Logos und Maskottchen entwickeln oder dass ein Kind im Alter von 2 Jahren Markentreue herausbilden kann. Trendforschung im Kinderzimmer ermöglicht dann Kids-Marketing. Es werden eigene Kindertypologien entwickelt, also welcher Kindertyp empfänglich für welche Produkte ist.

Immer wieder soll der Marktwert der Kinder und Jugendlichen gesteigert werden, durch ganz viel oberflächige Kontakte im Netz, richtiges Styling mit Markenkleidung und körperbetontem Habitus.

Kinder werden so zu reinen Konsumenten gemacht und sind damit verwertbar. Sie sollen nicht nur attraktive Waren kennenlernen, sondern auch die emotionalen Bedürfnisse entwickeln, dass es ungemein wichtig ist, Teil der Konsumwelt zu sein. Sie lernen die Regeln der manipulativen Kommunikation, bei der Waren mit Gefühlen verbunden, sie zum Kauf verführt und dann mit Glückshormonen belohnt werden.

Die Verengung der Sicht auf den Menschen als ökonomisch nützlich oder unnütz geht einher mit der Aussonderung der „Unnützlichen“. Nur bestimmte Kinder werden dem „Humankapital“ zugerechnet. Die als sozial marginalisiert definierten und „als Problem“ konstruierten Gruppen von Kindern, wie beispielsweise in Armut lebende Kinder, Kinder mit Behinderungen, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Kinder mit Migrationshintergrund werden meist nicht dem „Humankapital“ zugeordnet, sondern als marktwirtschaftlich nutzlos definiert. Arme Kinder und Jugendliche sind nur brachliegendes „Humankapital“.

Für die Kinder entsteht durch diese andauernde Sortierung, ständigem Wettbewerb und Konkurrenzdruck, Eigenvermarktung und Selbstoptimierung die klassische Zwickmühle.

Als soziales Wesen auf die Welt gekommen, Mitgefühl, Rücksichtnahme, Kooperation und Solidarität praktiziert und dann weiß das Kind nicht mehr, welcher Botschaft es glauben soll. Sprachliche und nicht-sprachliche Kommunikation stimmen nicht mehr überein, es muss zwei gegensätzlichen Behauptungen oder Anweisungen gerecht werden. Was sie als Kleinkinder empfunden haben und was von der Familie oder in den pädagogischen Einrichtungen als Norm vermittelt wurde, steht nun den tatsächlichen Rahmenbedingungen, Normen und Werten und sogar Gesetzen völlig entgegen.

Folgen von Wettbewerb und Konkurrenzdruck, Eigenvermarktung und Selbstoptimierung

Werden jungen Menschen einem solchen Kommunikationsmuster mehr und mehr ausgesetzt, erkranken sie, aber dafür gibt es ja auch schon lange eine marktgerechte Lösung, die Mittelchen der Pharmaindustrie.

Sie wissen genau, dass ihre vielen virtuellen Freunde eigentlich mehr ihre Konkurrenten sind und ihr zukünftiges Leben an Reichtum, Konsumieren, Spaß haben, individuelle Stärke und Durchsetzungsvermögen gemessen wird. Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, dass

  • ihre Arbeitskraft im Zuge der dritten, der mikroelektronischen industriellen Revolution überflüssig geworden ist und nicht mehr gebraucht wird.
  • sie anders, als noch ihre arbeitslosen Vorgängergenerationen, nicht zur industriellen Reservearmee gehören, die nach einer Krise wieder eingestellt wird, sondern dass sie überflüssig sind.
  • sich durch die Globalisierung und Rationalisierung die Produktivität immens erhöht hat, aber die Anzahl der Arbeitsplätze nicht. Eher hat sich die weltweite Massenarbeitslosigkeit strukturell verfestigt.
  • sie keine durchgängige Beschäftigungsbiografie haben werden, sie meist „flexible“ Beschäftigungsverhältnisse eingehen müssen, die kaum eine Lebensplanung ermöglichen und sie sich nicht um eine ausreichende Altersvorsorge kümmern können.
  • im Konkurrenzkampf soziales Verhalten als Schwäche ausgelegt wird, Gesundheit- und Fittsein ausgestrahlt werden müssen, sie ständig erreichbar und mobil sein müssen und nirgendwo Wurzeln schlagen können

und

wenn sie eine Arbeit haben, sie ständig einer Überforderung ausgesetzt sein werden, die sie langfristig körperlich und seelische erkranken lässt.

Die neoliberale Gesellschaft produziert Individuen, die auf die Funktion des Konsumenten reduziert sind, als Norm gilt nur die aktuelle Effizienz, das Ziel ist Gewinn und die Tugend Habgier. In ihr gibt es keinen fürsorgenden Staat und kein unabhängiges Individuum mehr. Die Instanzen, die früher helfen sollten, wie Beratungsstellen, Erziehungshilfe und das Gesundheitswesen sind selbst Teil des Wettbewerbs geworden und wollen die Ursachen dieser schrecklichen Entwicklung nicht mehr bekämpfen.

Je mehr die neoliberale Ideologie Einzug in das politische Handeln findet, desto weniger wird es die Verwirklichung sozialer Menschenrechte geben!

Die Gewerkschaften

Die Arbeit in den Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereichen ist, wie die Care-Arbeit insgesamt, eingebettet in ein System korporatistischer Regulierung und marktlich-wettbewerblicher Steuerung, mit vielfältigen horizontalen und vertikalen Arenen der Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen.

Die isolierten Arbeitsrechtssysteme, Akteursstrukturen, Verhandlungsszenarien und Handlungsroutinen haben nicht nur eine aufgesplitterte Landschaft tariflicher Abschlüsse und Vereinbarungen hervorgebracht, sondern dieses verbändegeprägte Institutionensystem trägt dazu bei, dass die Verhandlung und Durchsetzung arbeitspolitischer Interessen in der Care-Arbeit gegenüber der Politik, aber auch gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen, zurzeit erheblich erschwert ist. Das System der Arbeitsbeziehungen ist historisch gewachsen und letztlich das Ergebnis einer zwischen Staat, Wohlfahrtsverbänden und Wirtschaft verhandelten Ordnung.

Die Gewerkschaften haben tatenlos zugeschaut als das Kapital antrat, sich in die Care-Wirtschaft einzukaufen und sie durch betriebswirtschaftliches Management, Budgetierung, Pflegesatzverhandlungen und Fallpauschalen aufzuwerten, zu dem Preis der Abwärtsspirale bei Löhnen und Arbeitsbedingungen. Die Ökonomisierung von Care-Arbeit ist aber nicht allein das Ergebnis der Einführung marktlich-wettbewerblicher Mechanismen in den Sozialsektor, sondern die Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen wurde auch durch das Zusammenwirken von branchenspezifischer Regulierung und Steuerung möglich, sie war immer schon eingebettet in einen fragmentierten und desorganisierten institutionellen Rahmen zur Aushandlung von Arbeitsbedingungen.

Das wichtigste Anliegen der Gewerkschaften ist es und war es immer schon, den Faktor Arbeit zu kartellieren und Vollbeschäftigung zu erreichen und dabei sollte es um jede Stelle gehen, die, wenn möglich, mit einem Mitglied besetzt ist. Für den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich bzw. dem gesamten Care-Bereich scheint das nicht mehr zu gelten. Obwohl die zuständigen Gewerkschaften die Ausbeutung und Überlastung der Beschäftigten anprangern, lassen sie es zu, dass Betrügereien mittlerweile systematisch ablaufen können. Ihnen ist bekannt, dass in den einzelnen Einrichtungen Stellen nicht besetzt sind und die meist öffentliche Finanzierung dafür weiterläuft, mit Wissen und Duldung der Beteiligten.

Die Gewerkschaften scheuen sich, dieses kriminelle Vorgehen der Unternehmer zu skandalisieren und die Aufsichtsgremien und -behörden zu informieren. Sie haben Angst, dass die Betriebe, die zu Unrecht kassierten öffentlichen Personalkosten zurückzahlen müssen und die Einrichtung in die Insolvenz geht, mit dem größeren Verlust von Arbeitsplätzen als bei der Nichtbesetzung. Sie haben seit vielen Jahren dabei nur zugeschaut, wenn der Anstellungsträger schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte über eigene Sozialdienstleistungsgesellschaften eingesetzt und den Konflikt dahin ausrichten, darüber mit anderen Gewerkschaften intern zu streiten, ob die outgesourcten Beschäftigten zu ihrer oder einer anderen Gewerkschaft gehören.

Die Situation der Beschäftigten selbst, scheint ihnen egal zu sein. Sie lassen ihre Mitglieder im Regen stehen, die immer wieder mit Kündigung, Geschäftsgeheimnisverrat und Schadensersatzleistungen von den Unternehmen bedroht werden, wenn sie als Whistleblower die zuständigen Stellen informieren oder an die Öffentlichkeit gehen.

Umso mehr sind die gewerkschaftliche Selbstorganisation und die Bereitschaft zum Arbeitskampf für die Beschäftigten vonnöten, auch deshalb, um nicht an der Lohnarbeit mit ihrer Entfremdung zu zerbrechen.

 

 

 

 

 

Quellen: Report Mainz, Monitor, RN, K.P. Schwarz: Die Vermarktwirtschaftlichung sozialer Hilfebedarfe, WAZ, Michaela Evans/Institut Arbeit und Technik (IAT), Butterwegge, Heitmeyer, Ossietzky, Arbeitsbeziehung der Care-Arbeit im Wandel: /library.fes.de/pdf-files/wiso/12940.pdf, Frigga Haug, Gabriele Winker

Bildbearbeitung: L.N.