Deutsche Gewerkschaften – und das Nein zum Marsch in die Kriegstüchtigkeit

Von Johannes Schillo

Anfang November 2024 fand in Mainz die dritte Konferenz der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) statt, an der vor allem Verdi- und IG Metall-Mitglieder teilnahmen – und ihren Protest gegen den offiziellen Kurs der DGB-Gewerkschaften sowie der deutschen Regierung zum Ausdruck brachten. Antikriegsprotest sei das Gebot der Stunde. Denn, so heißt es in dem VKG-Positionspapier Gewerkschaft und SPD auf den Spuren von 1914“: „Die BRD ist als Teil des weltweit aggressivsten Militärbündnisses – der NATO – in der Ukraine faktisch bereits Kriegspartei.“

Im November meldete sich auch die oppositionelle Verdi-Initiative „Sagt nein!“ mit einer Stellungnahme zu Wort, die sich gegen die Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland wendet. Die Initiative, die für ihren Einspruch gegen die offizielle Gewerkschaftslinie bislang 21.000 Unterschriften in Gewerkschaftskreisen gesammelt hat, unterstützt den Aufruf „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!“. Der versucht an eine gewerkschaftliche Tradition anzuknüpfen, die allerdings – siehe oben – seit 1914 eher auf das Gegenteil hinausläuft, nämlich darauf, mit der nationalen Kriegsbereitschaft Frieden zu schließen. In der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gab und gibt es übrigens verschiedene Anläufe, sich oppositionell zu Wort zu melden, was im Gewerkschaftsforum schon verschiedentlich Thema war. Siehe dazu zuletzt die offenen Briefe von Ulrich Heyden, die jetzt auch von der Website IVA aufgegriffen wurden.

Schließlich griff die GEW Bayern im November das Thema Bundeswehr in Schulen auf. Sie will gegen die „drohende Militarisierung des Bildungsbereichs“ vorgehen und strengt dafür eine „Popularklage“ beim Bayerischen Verfassungsgericht gegen das Bundeswehrgesetz des Freistaates an, das Schulen und Hochschulen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verpflichtet. Die Bildungsgewerkschaft kritisiert, dass Lehrern der Entscheidungsspielraum darüber, ob die Bundeswehr an den Schulen Zugang und Werbemöglichkeiten erhält, genommen wird. Durch die gleichzeitig mit dem neuen Bundeswehrgesetz in Kraft getretenen Änderungen im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) würde zudem die Teilnahme an schulischen Veranstaltungen, in denen ein Bundeswehr-Offizier die Rolle des wertevermittelnden Lehrenden ausübt, für Schüler zur Pflicht.

Der Weg in die Kriegstüchtigkeit programmiert?

In dem Bayerischen Gesetz heißt es u.a: „Die Hochschulen sollen mit Einrichtungen der Bundeswehr zusammenarbeiten… Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden. Eine Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel) ist unzulässig… Die Schulen arbeiten mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung zusammen. Die Karriereberater der Bundeswehr und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben dürfen im Rahmen schulischer Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten in ihrem Bereich informieren.“

Das Gesetz gilt seit dem August 2024. Mit ihm wird, wie die Bildungsgewerkschaft festhält, massiv in Universitäten und Schulen eingegriffen und ihnen militärische Kooperation vorgeschrieben. Eine rein zivile Orientierung, die früher als vertretbare Wahlmöglichkeit galt, wird untersagt. Ähnliche Überlegungen gibt es auch in anderen Bundesländern – und sie werden von zahlreichen weiteren Maßnahmen zur geistigen Aufrüstung in Deutschland flankiert. Den pädagogischen Bereich hat der Erziehungswissenschaftler Freerk Huisken zuletzt in einem Videopodcast unter die Lupe genommen, der bei 99zu1 gesendet wurde. Huisken thematisiert dort, dass und wie derzeit eine Militarisierung im Klassenzimmer stattfindet und wie die bisherigen Prinzipien politischer Bildung schöpferisch weiterentwickelt werden.

In der Hinsicht, hieß es in einem Kommentar bei IVA, könnte man übrigens mit vollem Recht einmal den ideologisch belasteten Terminus der „Nachrüstung“ verwenden. Was mit den Schülern und Schülerinnen angestellt wird, wenn sie mental und emotional an die Kriegsträchtigkeit des Schutzes „unserer“ Sicherheit herangeführt werden, fußt nämlich gerade auf dem sicheren Fundament einer vorausgegangenen Nationalerziehung. Das Kontroversitätsgebot, das im Blick auf die grundsätzliche Frage von Krieg und Frieden heute außer Kraft gesetzt ist, war ja schon immer darauf beschränkt, nur das (partei-)politisch Kontroverse als pädagogischen Streitpunkt zuzulassen; wo politisch Einmütigkeit herrscht, sollte auch die Bildungsarbeit kein eigenes Recht mehr zum Streit haben. So gesehen findet hier also kein fundamentaler Kulturwandel statt, den andere Kritiker der geistig-moralischen Aufrüstung am Werk sehen, sondern eine konsequente Fortsetzung dessen, was die Schule an erster Stelle leistet, noch bevor sie ans Selektieren, Ideologisieren und Qualifizieren geht: die Bildung eines Volkskörpers mit dazugehörigem Geist und Gemüt. Da muss bei Gelegenheit dann eben moralisch nachgerüstet werden.

Die geballte Medienmacht lässt keine Dissidenz zu

Dass man es hier aber mit dem Mainstream der heutigen Bewusstseinsbildung zu tun hat und nicht nur mit einzelnen Bereichen, die unter staatlicher Kontrolle stehen, wird jetzt in der medienkritischen Veröffentlichung „Medien. Macht. Meinung – Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit“ detailliert dargelegt. Die im November 2024 erschienene Streitschrift wurde von Renate Dillmann verfasst, die Mitglied von Verdi ist und die bereits mit einer viel beachteten Videoreihe zur Medienkritik hervorgetreten war. Diese Reihe stand unter dem Motto: „Die Presse kann mehr als lügen“. Die Printveröffentlichung erweitert nun den bei 99:1 gesendeten „Crashkurs Medienkompetenz“ um einen theoretischen Teil, der sich der immer wieder als zentrale Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft herausgestellten Pressefreiheit widmet. Und drei Fallstudien erläutern das noch einmal in einem dritten Teil am Ukraine- und Gazakrieg sowie an der (kriegsträchtigen) Einstimmung der Bevölkerung auf das Feindbild China.

Im aktuellen FriedensForum, der Zeitschrift der Friedensbewegung (Nr. 6/24), wurde dazu eine ausführliche Rezension veröffentlicht. Sie greift den Sachverhalt auf, der in Dillmanns Analyse eine große Rolle spielt: dass einem quasi amtlich beglaubigten Mainstream die Restgröße einer Gegenöffentlichkeit gegenübersteht, die – noch – von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, die sich aber mit ihrer Bedeutungslosigkeit abzufinden hat, will sie nicht ins Visier behördlicher Aktivitäten geraten. Dies sei keine ganz neue Situation in der BRD, so Dillmann. Doch habe sich mittlerweile, mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem NATO-Sponsoring eines Stellvertreterkriegs, in der hiesigen „liberalen Demokratie“ das eingestellt, was früher als Merkmal des totalitären Ostens galt, nämlich eine Kluft zwischen dem Kombinat staatstragender Leit- und Massenmedien auf der einen Seite und einem dissidenten Samisdat auf der andern. Dort verschafft eine – größtenteils online betriebene – Alternativöffentlichkeit interessierten Menschen Zugang zu unterdrückten Nachrichten, sofern sie nicht gleich den Feindsender abhören.

Auf eine solche Lage, in der oppositionelle Stimmen gerade noch als Meinung zugelassen werden, trifft man im Grunde auch im Bereich der Gewerkschaften. Antikriegsprotest wird an den Rand gedrängt – höchstens die Kosten der Aufrüstung werden bei Gelegenheit als unverhältnismäßig kritisiert, wenn sie überhaupt zur Sprache kommen. Verdi-Chef Werneke bringt es z.B. in einem (noch vor dem Ende der Ampel-Koalition geführten) Interview fertig, lang und breit über das staatliche „Kaputtsparen“ zu klagen, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass in puncto Aufrüstung das Gegenteil stattfindet (Verdi-Publik, Nr. 7/2024). Nur die Bemerkung am Rande, man dürfte ukrainische Geflüchtete nicht aus dem deutschen Arbeitsmarkt „ausgrenzen“, da sie sonst einen weiteren Kostenfaktor darstellten, lässt ahnen, dass Deutschland an der Finanzierung eines Stellvertreterkriegs beteiligt ist.

Das Ideal der Friedensfähigkeit

An der Stelle reden natürlich die oppositionellen Gewerkschaftsaufrufe Klartext, siehe den genannten Appell, den die „Sagt Nein“-Initiative und auch gewerkschaftliche Gremien von der GEW Hamburg und Berlin bis zu diversen Verdi- oder IG Metall-Untergliederungen unterstützen. Da heißt es: „Gigantische Finanzmittel und Ressourcen werden für Krieg und Militär verpulvert. Statt damit die großen Probleme von Armut und Unterentwicklung, maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege, Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.“ Gleichzeitig wird aber versucht, sich in den gewerkschaftlichen Mainstream einzuklinken. Die deutschen Gewerkschaften müssten sich, so bemerkt der Appell, unüberhörbar für Friedensfähigkeit einsetzen. Denn: „Das ergibt sich aus ihrer Tradition und ihren Beschlüssen“.

Was dann aber an Beschlüssen aus dem Jahr 2023 zitiert wird, ist eine Beschönigung des wirklichen DGB-Kurses. Es stimmt natürlich, der Verdi-Bundeskongress hat die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine abgelehnt. Aber damit hat er sich nur der – bislang – gültigen Linie der SPD angeschlossen und gleichzeitig die oppositionellen Anträge, wie sie von „Sagt nein“ kamen, abgelehnt. Und es stimmt auch, der DGB hat zum Antikriegstag 2023 erklärt: „Jeder Krieg ist ein Angriff auf die Menschheit und die Menschlichkeit. Das ist die zentrale Lehre, die der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften aus der Geschichte gezogen haben. Das ist der Grund, weshalb wir uns mit all unserer gewerkschaftlichen Kraft für Frieden, Rüstungskontrolle und Abrüstung, für die Achtung der Menschenrechte und für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen.“

Gleichzeitig hat der DGB aber – was der oppositionelle Appell verschweigt – in seinem Aufruf betont: „Das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung steht für uns außer Frage.“ Der Krieg der Ukraine (der seinen Vorlauf ja schon in einem achtjährigen Bürgerkrieg des Kiewer Regimes gegen die unbotmäßigen Ostprovinzen hatte) ist also kein „Angriff auf die Menschheit und die Menschlichkeit“, sondern geht voll in Ordnung und verdient unsere unbedingte Unterstützung. Natürlich alles im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und im Dienst an einer westlichen Friedensfähigkeit, die Russland in seine Schranken verweisen will.

So billig geht es zu, wenn der Kurs der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, den die BRD ohne Widerstand der Arbeitervertretungen fährt, mit einem Friedensideal versehen werden soll. Das ähnelt dem Kampf des BSW um die Einfügung einer „Friedensformel“ in ihr Regierungsbündnis mit CDU und SPD in Thüringen. Dort heißt es jetzt: Viele Menschen würden die Stationierung von Mittelstreckenraketen als eine „fundamentale Veränderung der strategischen und militärischen Lage in Europa und auch in Deutschland begreifen“. Und dann folgt der entscheidende Satz, der die Friedensfähigkeit in den Koalitionsvertrag einbringt: „Eine Stationierung und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch.“ (FAZ, 23.11.24)

Deutsche Mitsprache – das ist der Weisheit letzter Schluss, der einer national verantwortlich denkenden Opposition gegen den Marsch in die Kriegstüchtigkeit einfällt oder mit dem sie sich im realpolitischen Schacher zufrieden gibt! Wenn die bekannte Friedensmacht BRD (unterstützt von ihren schwarzrotgoldenen Gewerkschaften) das Recht auf Mitsprache hat, ist Friedensfähigkeit garantiert?

 

 

 

 

Bildbearbeitung: L.N.