Völlerei statt Diät: Die stattlichen Gehälter deutscher Politiker

Von Arno Kohl

Steigende Diäten, hohe Nebeneinkünfte, großzügige Pensionen – kein Wunder, dass viele Deutsche ihre Abgeordneten für eine abgehobene Elite halten.

In den letzten Jahren ist Unzufriedenheit vieler Menschen mit politischen Entwicklungen in Deutschland immer deutlicher spürbar geworden. Politikverdrossenheit, das Gefühl der Entfremdung und zunehmende Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen sind vermehrt anzutreffen. Viele glauben, dass die politische Elite von den Problemen der Menschen weit entfernt ist – sei es durch großzügige Gehälter, Pensionsansprüche oder andere materielle Privilegien, die sie genießen.

Seit Juli 2024 erhält jeder Abgeordnete eine monatliche Diät in Höhe von 11.227 Euro, eine Steigerung von über 635 Euro seit Jahresbeginn. Davon wird ein Teil neben dem Mitgliedsbeitrag als Mandatsabgabe an die zugehörige Partei abgeführt, faktisch eine erhebliche zusätzliche Parteienfinanzierung. Die vergangenen Jahrzehnte sind reich an Beispielen teils massiver Diätenerhöhungen bis hin zu besonderer Dreistigkeit, wie sie beispielsweise vor einigen Jahren das Berliner Landesparlament demonstrierte, das seine Diäten um 60 Prozent anhob, mit der Begründung, die Sitzungszeiten des Parlaments würden sich aufgrund der Arbeitsmenge zukünftig um zwei Stunden verlängern. Seltsamerweise galt die Erhöhung auch rückwirkend, inklusive der daraus resultierenden Altersversorgung. Demgegenüber liegt das Durchschnittseinkommen der Bürger brutto bei unter 3700 Euro (Median) pro Monat. Hinzu kommt eine monatliche Aufwandspauschale von 5051 Euro ohne Nachweis der tatsächlichen Ausgaben.

Ein beträchtlicher Teil davon fließt in lokale Parteiarbeit wie etwa die Wahlbüros der betreffenden Abgeordneten, was prinzipiell dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller politischen Parteien und der parteipolitischen Neutralität des Staates widerspricht. Einem Durchschnittsarbeitnehmer stehen dagegen 102,50 Euro pro Monat beziehungsweise 1230 Euro pro Jahr als Werbungspauschale zur Verfügung. Diese wird aber nicht ausbezahlt, sondern kann lediglich auf das zu versteuernde Einkommen angerechnet werden.

Monatlich kann der Abgeordnete auf fast 26.000 Euro für die Beschäftigung von Mitarbeitern zugreifen, die auch für Wahlkreisarbeit eingesetzt werden. Sieben bis acht Mitarbeiter pro Abgeordnete sind keine Seltenheit. Wichtig dabei ist das Verbot, nahe Verwandte einzustellen, denn nicht jedem Abgeordneten war in der Vergangenheit klar, dass eine derartige Praxis anrüchig sein könnte. Als besonders familienfreundlich erwiesen sich einst die Bayerischen Landtagsabgeordneten bis in die Landesregierung hinein, von denen mehrere Dutzend lange Zeit nahe Familienangehörige beschäftigten.

Fast die Hälfte der Abgeordneten geht Nebentätigkeiten nach

Ein Abgeordneter darf Nebentätigkeiten jeglicher Art nachgehen ohne Anrechnung auf die Diät. Einzige Bedingung ist, dass sein Mandat im Mittelpunkt der Arbeit steht. Rechnerisch ergibt sich daraus, dass 51 Prozent der Arbeitszeit der Mandatstätigkeit entsprechen muss, während die übrigen 49 Prozent zur freien Verfügung stehen, die aber gleichwohl über eine Diät vergütet werden. Da erscheint es merkwürdig, dass man viele Mitarbeiter benötigt, gleichzeitig aber reicht die Zeit vollkommen aus für umfangreiche Nebentätigkeiten. Im Bundestag der 20. Legislaturperiode gehen annähernd die Hälfte aller Mandatsträger Nebentätigkeiten nach.

Der Einwand, viele seien darauf angewiesen, ihren Beruf weiter zu pflegen, geht aus mehreren Gründen fehl. Zum einen gilt der Bundestag als Vollzeitparlament und ist von vorneherein auf ein substanzielles Arbeitspensum ausgerichtet. Wer auf die Ausübung seines Berufes nicht verzichten mag, sollte kein Abgeordneter werden. Zum anderen erhalten Abgeordnete zum Ausgleich dafür, dass sie den ursprünglichen Beruf ruhen lassen müssen, eine hohe Diät und weitere Vergünstigungen. Nicht selten stehen Nebenjobs zudem in keinem direkten Zusammenhang mit der vorherigen beruflichen Tätigkeit.

Zu beachten ist auch, dass Nebentätigkeit ein Einfallstor für Korruption darstellen kann. Denn wer mag schon im Einzelnen beurteilen, ob eine erbrachte Leistung nicht in irgendeinem (in-)direkten Zusammenhang mit dem Mandat steht?

Jeder Abgeordnete erhält ein ausgestattetes Büro von 54 Quadratmetern sowie 12.000 Euro für Sachmittel. Desgleichen darf jeder Abgeordnete die Bahn benutzen, auch privat. Zusätzlich stehen ein Fahrdienst und ein Flugdienst zur Verfügung.

Pro Jahr erwirbt ein Abgeordneter einen Pensionsanspruch von 2,5 Prozent seiner Diät, was etwa 280 Euro entspricht. Nach weniger als 6 Jahren wird eine monatliche Pension von über 1500 Euro erreicht. Im Schnitt bleiben Abgeordnete zwei bis drei Legislaturperioden im Parlament, was 2280 bis 3360 Euro Pension ergibt. Otto Normalverbraucher dagegen muss für eine Rentenhöhe von 1550 Euro rund 45 Jahre in die Rentenkasse zahlen, wobei viele Arbeitnehmer gar nicht auf so viele Beitragsjahre kommen. Circa 20 Prozent derjenigen, die so lange einzahlen, erzielen dennoch nur eine Rente von unter 1200 Euro.

Gibt ein Abgeordneter sein Mandat auf, hat er Anspruch auf ein üppiges monatliches Übergangsgeld in Höhe seiner Diät pro Jahr Mitgliedschaft im Bundestag. Der Bezug ist auf 18 Monate begrenzt. Das Geld, das eigentlich für eine berufliche Wiedereingliederung gedacht ist, wird auch weiterbezahlt, wenn der Abgeordnete beruflich Tritt gefasst hat, lediglich gemindert um die aktuellen Einnahmen.

Für Minister gibt es Sonderregeln

Minister beziehen, falls sie Abgeordnete sind, zum Entgelt von circa 21.400 Euro noch eine halbe Abgeordnetendiät von 5600 Euro sowie eine um 25 Prozent gekürzte Aufwandspauschale, was zusammen mit weiteren Zulagen insgesamt knapp 32.200 Euro pro Monat ergibt. Offensichtlich haben Minister wenig zu tun, sodass sie die Hälfte einer Abgeordnetendiät erhalten, für die eigentlich entsprechende Abgeordnetenarbeit zu leisten wäre.

Faktisch findet eine Aufhebung der grundgesetzlich vorgeschriebenen Trennung von Exekutive und Legislative statt, denn der Minister darf zugleich als Abgeordneter unter anderem über die eigenen Gesetzesvorlagen mit abstimmen. Nach einem Tag als Minister hat er drei Monate lang Anspruch auf volle Amtsbezüge. Nach vier Jahren Amtstätigkeit wird im Pensionsfall bereits eine monatliche Summe von rund 5000 Euro fällig, die abhängig von der Regierungszugehörigkeit auf bis zu knapp 13.000 Euro steigen kann.

 

Aus der Regierungsfraktion werden Parlamentarische Staatssekretäre rekrutiert, deren Vergütung bei etwa 24.000 Euro liegt. Natürlich bezieht man eine halbe Abgeordnetendiät und zusätzlich 25 Prozent von dessen Aufwandsentschädigung. Würde die Trennung von Exekutive und Legislative so funktionieren wie vorgesehen, dann könnte sich aus 37 Staatssekretären zuzüglich neun bis elf Ministern und einem Bundeskanzler im Fall einer geringen Mehrheit einer Regierungskoalition von nur wenigen Dutzend Stimmen eine interessante Arithmetik ergeben.

Nahezu jeder Abgeordnete gehört einer Parteifraktion an, die monatlich pro Mitglied einen Zuschuss von über 10.600 Euro erhält. Hinzu kommt ein monatlicher Sockelbetrag von fast 510.000 Euro. Damit ergibt sich ein Jahresbetrag von etwa 140 Millionen Euro für alle Fraktionen. Zwar geht das Geld direkt an die Fraktion und nicht an Abgeordnete, aber bei personeller Identität von Parteimitglied, Abgeordnetem und Fraktionsmitglied spielt das im Parlamentsalltag kaum eine Rolle. Nirgends wird das deutlicher als bei der Öffentlichkeitsarbeit, die trotz Verbot zwischen 75 bis 100 Prozent Parteiwerbung darstellt, wie der Bundesrechnungshof 2024 deutlich rügt. Die Fraktionen finanzieren unter anderem Arbeitsgruppen sowie Mitarbeiterstellen. Sie verrichten im Wesentlichen dieselbe Arbeit, die ein Parlamentarier auch leisten müsste, wenn es keine Fraktion gäbe, durch die Auslagerung in eine Fraktion aber kann man für die Abgeordnetentätigkeit doppelt kassieren.

 

Die politische Elite spielt nach ihren eigenen Regeln

Über die Jahre hinweg hat sich eine Art Laufbahn etabliert, die Hermann Scheer (SPD) bereits 2001 so beschrieb: „Vom ‚einfachen‘ Abgeordneten dient man sich hoch zum stellvertretenden Sprecher und zum Sprecher einer Arbeitsgruppe, zu Fraktionsvorstandsmitgliedern unterschiedlichen Rangs, zu parlamentarischen Staatssekretären und Ministern – wie vom Inspektor zum Oberinspektor, Referats- und Abteilungsleiter.“ Mit nahezu jedem Aufstieg erhöhen sich auch die Funktionszulagen, ohne dass der Öffentlichkeit gegenüber im Einzelnen über deren Höhe Rechenschaft abgelegt würde.

 

Ein solch bunter Strauß an Vergütungen und Vergünstigungen macht aus der politischen Elite eine überaus privilegierte Gruppe, die zudem über kaum begrenzte Entscheidungsmacht verfügt. Denn die Regeln für die eigene Privilegierung werden praktischerweise von den so Begünstigten selbst definiert. Kritikern wird entgegengehalten, in der freien Wirtschaft würden viel höhere Gehälter gezahlt. Tatsächlich aber darf für ein politisches Engagement eben nicht finanzielle Gier das treibende Motiv sein. Wer in die Politik geht, soll dies aus einem gewissen Idealismus heraus tun. Und ist es nicht gerade die Politik selbst, die so gerne von uns unentgeltlichen Einsatz für die Gesellschaft einfordert?

Dem steht aus Bürgersicht eine ernüchternde Leistungsbilanz gegenüber. Kein Politiker wird für Versagen zur Verantwortung gezogen. Die Mittelschicht ächzt unter einer Steuerlast von im Extremfall 60 bis 70 Prozent (Einkommensteuer, Mehrwertsteuer, kommunale Abgaben). Nach jahrzehntelanger Arbeit erhalten viele eine Rente in der Nähe der Armutsgrenze. Seit Jahren schreitet die soziale Spaltung voran. Mieten in den Großstädten werden für viele unerschwinglich. Die Infrastruktur des Landes befindet sich in einem erbärmlichen Zustand. Bei jedem Großprojekt der letzten 20 Jahre laufen Baukosten und -dauer zuverlässig aus dem Ruder. Jahrzehntelanger Steuerraub in Milliardenhöhe durch Cum-Ex wird so nachlässig „aufgeklärt“, dass die Ex-Staatsanwältin Brorhilker feststellt: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Wen wundert es, wenn Bürger meinen, unsere Politiker an der Spitze seien keine Spitzenpolitiker?

———–

Der Autor:

Arno Kohl promovierte in der Politikwissenschaft. Er ist als Studien- und Ausbildungsleiter in einem internationalen Bildungsunternehmen aus der Medienbranche tätig.

———–

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien in  https://www.berliner-zeitung.de.
Bild: pixabay cco.