Gegen den atemberaubenden Aufrüstungskurs formiert sich Protest in deutschen Gewerkschaften. Die Initiative IVA hat den Aufruf „Den Wahnsinn stoppen!“ unterstützt, gleichzeitig aber Kritik an einzelnen Aussagen und Forderungen angemeldet. Das hat zu einer Korrespondenz unter Kriegsgegnern geführt.
Kritische Gewerkschaftsinitiativen wie „Sagt nein!“ aus Verdi haben jüngst gemeinsam mit anderen oppositionellen Stimmen, vorwiegend aus dem antikapitalistischen Lager, den Aufruf „Gegen Krieg, Hochrüstung und Kriegswirtschaft!“ veröffentlicht. IVA hat diesen Aufruf unterstützt, aber auch Kritik angemeldet und diese im März unter „Den Wahnsinn stoppen!“ veröffentlicht. (Dort findet sich außerdem der eigene Aufruf von IVA „Gegen Kriegstüchtigkeit“, der Medien- und Kulturschaffende, Lehrkräfte, Seelsorger und sonstige Volkserzieher bzw. -betreuer dazu aufruft, dem neuen Leitbild der Kriegstüchtigkeit eine Absage zu erteilen.) Daraufhin gab es Einwände, die wir hier zusammen mit einer Stellungnahme von IVA veröffentlichen.
Post von F.H.
Liebe Genossinnen und Genossen, als einer der Initiatoren des Aufrufs „Den Wahnsinn stoppen!“ möchte ich auf eure kritischen Anmerkungen antworten. Der Aufruf versteht sich ausdrücklich als ein Beitrag, um Gräben zu überwinden. Und es ist genau so, wie ihr schreibt, dass ein solcher Aufruf notwendiger Weise ein Kompromiss ist und zugleich das Angebot beinhaltet, die weiter bestehenden Kontroversen auszutragen.
Ist das Kapital nicht an Krieg interessiert?
Ihr seht hier – pointiert ausgedrückt – einen Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten. Wenn die Kapitalisten die herrschende Klasse sind und sich heute den Staat nicht nur untergeordnet haben, sondern auch mit ihm verschmolzen sind, dann gibt es einen solchen grundlegenden Unterschied nicht. Wenn der Blackrock-Manager Friedrich Merz Bundeskanzler wird, dann streift er seine Mission als Vertreter des Finanzkapitals nicht ab, sondern vertritt sie in einer neuen Rolle weiter. Dem liegt die Gesetzmäßigkeit des Imperialismus zu Grunde, dass Kapital expandieren muss und dass die Welt unter den Monopolen und Staaten bereits aufgeteilt ist. Wenn sich die Stärke der verschieden imperialistischen Gruppen verändert, dann wird die Aufteilung der Welt notwendigerweise in Frage gestellt. Heute ist es so, dass Maximalprofit nur mit einer weltmarktbeherrschenden Position erzielt werden kann. Die Neuaufteilung wird verfolgt mit wirtschaftlichen, diplomatischen und schließlich unweigerlich mit militärischen Mitteln. Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wenn also das Kapital als herrschende Klasse die Politik dirigiert, dann gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Profitinteressen und Krieg. Das war zur Zeit Heartfields bereits richtig – die führenden Monopole wollten den Krieg gegen die Sowjetunion – und ist es heute noch mehr.
Faschisten verbieten?
Ich stimme eurer Ausgangsthese vollkommen zu, dass bürgerliche Demokratie und Faschismus zwei Formen bürgerlicher Herrschaft sind. Es entspricht dieser Tatsache, dass heute auch bürgerliche Demokraten mehr und mehr faschistoide und faschistische Elemente in ihrer Politik verfolgen. Man kann das Rechtswende nennen oder auch Faschisierung des Staatsapparats. Ihr fragt nun, an wen sich die Forderung des Verbots faschistischer Parteien richtet. An den Staat natürlich, konkret an die Regierung. An wen soll sich eine politische Forderung sonst richten? Wenn man es ablehnt, vom Staat demokratische Rechte und Freiheiten zu fordern, dann begeht man genau den Fehler, den Lenin so vehement kritisiert: Man verzichtet darauf, um die Möglichkeit offener politischer Betätigung der Arbeiterklasse zu kämpfen. Es ist eben für die Arbeiterklasse nicht egal, ob bürgerliche Demokratie oder Faschismus herrscht, ob man sich legal versammeln und organisieren kann, denn ein solcher politischer Reformkampf ist eine Schule des gesellschaftsverändernden Kampfes und zielt auf Bedingungen für diese Schule ab.
Ich bin für das Verbot faschistischer Parteien auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens, welches die NSDAP und alle Nachfolgeorganisationen verbietet. Diese Bestimmungen sind Bestandteil des Grundgesetzes geworden und können von der Regierung ohne ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht umgesetzt werden.
Eure Begrifflichkeiten zur AfD als „rechtspopulistische Querschläger“, „Störenfriede“ oder „Vertreter eines dissidenten Standpunkts“ finde ich irritierend, weil genau so eine verharmlosende Begrifflichkeit heute von der verharmlosenden bürgerlichen Propaganda geprägt werden. Wenn ihr der Ansicht seid, dass die AfD keine faschistische, sondern eine „rechtspopulistische“ Partei sei, dann würde sich die Forderung nach einem Verbot erübrigen. Dem ist aber nicht so.
Eine Antwort von IVA
Hallo F.H., danke für Deine Anmerkungen zu unserer Kritik am Flugblatt „Den Wahnsinn stoppen“. Du gehst auf zwei Aspekte ein, die Dir bei den Ausführungen nicht einleuchten. Dazu einige Überlegungen.
Zum ersten Punkt: „Ist das Kapital nicht an Krieg interessiert?“
Der Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten ergibt sich aus den jeweils unterschiedlichen Zwecken, die sie verfolgen. Jeder Kapitalist strebt nach größtmöglichem Profit – gegen seine Konkurrenten im In- und Ausland. Entsprechend haben Unternehmen nur ihre Bilanzen im Blick und sind daran interessiert, dass ihnen dafür die besten Bedingungen geschaffen werden. Und zwar im Inland vom Staat mit dem Schutz des Eigentums, der Scheidung von Besitzern von Produktionsmitteln und Besitzlosen, die nur ihre Arbeitskraft haben und mit der Herstellung materieller Bedingungen (siehe weiter unten). Gegenüber dem Ausland soll der Staat beste Bedingungen für Im- und Export herstellen, für die Nutzung von Arbeitskräften im Ausland, für Investitionen, für den Abtransport von benötigten Rohstoffen usw. Dabei stößt jeder Staat natürlich auf das ähnlich gelagerte Interesse der restlichen Staatenwelt, wo es immer darum geht, dass das eigene Kapital sich möglichst viele Vorteile aus den auswärtigen Geschäftsbeziehungen verschafft. Am Ende entscheiden die ökonomische und die sie flankierende militärische Gewalt, wer den Kürzeren zieht. Deutschland z.B. ist nicht „Exportweltmeister“ geworden, weil hierzulande so nette, disziplinierte und schlaue Menschen leben… Aber wem sagen wir das.
Soweit das grundsätzliche Interesse des Kapitals. Die Geschäfte sollen laufen, Störungen jeglicher Art sind nicht erwünscht. So sieht das auch der jeweilige Staat, der seine Kapitalisten tatkräftig dabei unterstützt. Damit erschöpft sich aber der Job der herrschenden Politik nicht. Diese will und muss die Bedingungen dafür schaffen, dass die gesamte Akkumulation funktioniert, die Wirtschaft kontinuierlich wächst. Um elementare Dinge wie Gesundheitsversorgung, Infrastruktur (der gegenwärtige Schlager neben Rüstung), Energie, Bildung und Forschung, die dafür notwendig sind, kümmert sich der einzelne Kapitalist nicht. Und auf so Sachen wie Arbeits- oder Umweltschutz und vor allem Sozialleistungen kommt ein Unternehmer ohne Druck der Politik schon mal gar nicht. Der Staat handelt hier im Sinne des Kapitals im Allgemeinen, denn er erhält damit den Unternehmen die Masse an Arbeitskräften, die sie für eine dauerhaft erfolgreiche Ausbeutung brauchen. Allerdings muss er eben dafür diesen Unternehmen Auflagen erteilen, damit sie dem Folge leisten. Weil sie aus ihrem Geschäftsinteresse heraus die damit verbundenen Kosten freiwillig nie aufbringen würden.
Der Staat zwingt also mit Gesetzen und Verordnungen sein Kapital, dem in seinem Sinne übergeordneten Interesse an den Bedingungen der Akkumulation Rechnung zu tragen. Der Staat fungiert als „ideeller Gesamtkapitalist“. Und insofern setzt er sich mit diesem übergeordneten Standpunkt gegen Einzelinteressen von Unternehmern durch. Regelmäßig abzulesen an den Klagen der Wirtschaftsverbände über zu hohe Belastungen durch Steuern und Abgaben, zu viele Vorschriften und überhaupt eine „verfehlte Wirtschaftspolitik“ – ganz gleich, wer gerade in der Regierung am Ruder ist, der Ruf nach Bürokratieabbau passt immer.
Auch ein ehemaliger Blackrock-Aufsichtsrat Friedrich Merz wird als Bundeskanzler diese Perspektive des „ideellen Gesamtkapitalisten“ einnehmen. Das geht auch gar nicht anders: Dafür sorgen Grundgesetz und alle sonstigen rechtlichen und administrativen Grundlagen des deutschen Staates. Die Kapitalisten ordnen sich nicht den Staat unter. Sie sind vielmehr die Lieblingsbürger, weil sie für den Reichtum und damit die Macht der herrschenden Politiker sorgen. Entsprechend werden sie hofiert, dürfen auch um besondere Berücksichtigung ihrer Einzelinteressen konkurrieren (Lobbyismus) – aber werden auch dort in ihre Schranken gewiesen, wo sie den staatlichen Interessen, siehe oben, im Wege stehen.
Das kann dazu führen, dass gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen zerstört werden. Bestes Beispiel der Ukraine-Krieg: Das Russlandgeschäft vieler Unternehmen wurde von der Bundesregierung gestoppt, der größte Gasversorger Uniper stand vor der Pleite, und mit günstiger Energie für die Wirtschaft war Schluss. Weil eben der deutsche Staat entschied, in diesem Krieg einzugreifen auf Seiten der Ukraine – auf dass der Kontrahent Russland, den Deutschland und die deutsche EU als Konkurrenten um die Macht auf dem europäischen Kontinent ausgemacht haben, möglichst großen Schaden nimmt. Und es akzeptieren muss, vor seiner Haustür einen schwer bewaffneten, gegen ihn gerichteten NATO-Stützpunkt zu bekommen. Für diesen Zweck ist Deutschland tatsächlich bereit, gewichtige wirtschaftliche Verluste zu erleiden. Und es zwingt das Kapital, diese hinzunehmen. Und das ist kein Novum einer zugespitzten weltweiten Krisenlage. Auch früher schon hat der deutsche Staat etwa seine Textilindustrie geopfert, um Zugang zu auswärtigen Märkten zu erhalten.
Insofern sind wir nicht Deiner Meinung, Kapital und Staat seien miteinander „verschmolzen“. Um im Bild zu bleiben: Sie sind schon zwei verschiedene Parteien, aber Kumpane im Interesse an möglichst großem Gewinn. Die einen sorgen für die bestmöglichen Rahmenbedingungen, auch gegen einzelne Unternehmer-Interessen, damit die Wirtschaft insgesamt, wie es so euphemistisch heißt, „wächst“.
In puncto Krieg sind dementsprechend die Interessenlagen ebenfalls nicht gleich. Die Zerstörung von Mensch und Material ist kein „Geschäftsmodell“. Selbst die Rüstungsindustrie hätte kein Problem damit, endlos weiter Panzer und Raketen zu produzieren, wenn nur die Aufträge kommen. Was damit passiert, hat keinen Einfluss auf die Bilanz. Im Gegenteil: Im Kriegsfall würden zwar die Aufträge nicht versiegen, dürfte aber auch die Gefahr steigen, von Bomben und Raketen vernichtet zu werden. Und der Auftraggeber kann ausfallen, wenn er den Krieg verliert. Für die zivile Wirtschaft bedeutet Krieg den Einbruch vieler Geschäftsbeziehungen, den Verlust an Arbeitskräften, die Zerstörung von Betrieben und Ressourcen. Krieg ist für sie geschäftsschädigend, nicht fördernd. Natürlich, wenn es um „das große Ganze“ geht, ordnen sich die national gesinnten Manager den Ansagen „von oben“ unter. Wiewohl sie, wie Du weißt, von ihrem Interesse an weltumspannendem Geschäft her „vaterlandslose Gesellen“ sind. Ein Zähneknirschen ist dann gelegentlich bei manchem Unternehmenslenker nicht zu überhören: die schönen Märkte im Osten nicht vergeigen und China bitte nicht zu sehr reizen!
Soweit erst einmal zum Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten. Über das Thema Macht der Monopole, Verdienste der Heartfield-Brüder oder überhaupt den Zusammenhang von Geschäft und Gewalt können wir uns gern noch gesondert austauschen. Hier nur unser Versuch, die grundsätzlichen Einwände zu erläutern.
Zum zweiten Punkt: „Faschisten verbieten?“
Warum halten wir es für keine gute Idee, dem Staat ein Verbot der AfD anzutragen? Zunächst einmal von der logischen Seite: Man lehnt bürgerliche Herrschaft ab, bittet bzw. unterstützt sie indes dabei, einen Konkurrenten um eben diese Herrschaft zu eliminieren? Das passt schon mal nicht zusammen.
Was haben Gegner dieses Herrschaftsapparates davon, sich in den Wettbewerb der Parteien um ihn einzumischen? Da meinst Du: Durchaus vorteilhaft, weil in der Demokratie kann die Arbeiterklasse sich offener politischer Betätigung erfreuen, im Faschismus nicht. Ergo müsste man sich für die Demokratie als bessere Bedingung des Klassenkampfs einsetzen. Da malst Du ein ziemlich rosiges Bild der hiesigen Verhältnisse: Ein politischer Generalstreik ist hierzulande sowieso verboten, Klassenkampf, das wissen alle, passt überhaupt nicht mehr in unser Gemeinwesen. Gegen Demonstrationen wird eingeschritten, wenn sie der „Staatsräson“ zuwiderlaufen – Stichwort Gaza-Krieg –, und unliebsame Stimmen verlieren ihren Job oder Redner ihre Auftrittsmöglichkeiten – Stichwort „Putin-Versteher“. Erinnert sei nur daran, wie in Berlin behördlicherseits die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensergebiete, Francesca Albanese, daran gehindert wurde, öffentlich aufzutreten, sodass sie letztendlich zu einem linken Podcastsender wechseln musste. Was in dieser Demokratie wohl los wäre, wenn die Gewerkschaften es tatsächlich darauf anlegten, dass alle Räder still stehen, weil ihr starker Arm das will und kann?
Gut, im Faschismus würde der Staat gar nicht erst darauf vertrauen, dass die Gewerkschaften weiter so brav alles mitmachen. Er würde sie einfach zur Sicherheit gleichschalten, wie damals im Dritten Reich. Das funktioniert aber nur, wenn die Masse der Werktätigen und ihre Organisationen das mitmachen – wie damals die Gewerkschaftsbewegung in der Deutschen Arbeitsfront. Es muss ihnen einleuchten, dass „die Nation“ jetzt über alles geht und daher jeglicher Zweifel oder Widerstand gegen die wirtschaftliche und militärische Aufrüstung zu unterbinden ist. Kommt Dir das irgendwie bekannt vor? Ach, das beschreibt ja die aktuelle Propaganda zur Kriegsertüchtigung der Deutschen! Ganz ohne Faschismus wird gerade das Volk auf Krieg und die damit zusammenhängenden „Opfer“ eingestimmt.
Und diesen Herrschaften soll man darin folgen oder sie drängen, die AfD zu verbieten? Das ist eine Option, über die die etablierten Parteien einerseits ja durchaus selbst laut nachdenken, und zwar als Mittel gegen eine unangenehme neue Konkurrenz. Andererseits stimmen sie in ziemlich vielen politischen Ansichten mit der AfD überein und haben sich in der Migrationsfrage für einen Überbietungswettbewerb im Wahlkampf entschieden. Aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik trifft das zu, genau so beim Anliegen, eine starke Bundeswehr zu haben. Ist es nicht vielleicht so, dass an der AfD (neben dem, dass man sie sich als Konkurrenz nicht bestellt hat und nur zu gerne wieder loswerden möchte) vor allem eines stört: dass sie eine alternative außenpolitische Linie verfolgt und die kompromisslose Feindschaftserklärung an Russland nicht teilt (ebenso wenig wie das BSW)? Dass sie also in den Streit um die deutscheuropäische Führungsrolle eine momentan störende Disruption einbringt?
Was an der AfD „faschistisch“ oder „faschistoid“ ist, können wir gern noch einmal gesondert besprechen. An dieser Stelle nur der Hinweis: Auch diese Partei will ein mächtiges und reiches Deutschland, das auf prächtiger Ausbeutung des arbeitenden Volks und auf das Grundgesetz baut. Und auch diese Partei wird sich aller Mittel bedienen, Widerstand dagegen auszumerzen. Wie es die anderen Parteien tun, wie es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Verbot der KPD geschah. Auch Letzteres – als Leistung einer frisch gebackenen Demokratie – sollte zu denken geben, wenn man als Linker das Verbot einer rechtsradikalen Partei fordert. Das käme eh als eine Maßnahme gegen Extremismus und dann weiß man als Linker, was folgt…
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