Vortrag auf der Veranstaltung „Reden im Raum“ am 4. April 2025
Von Andreas Wehr
Eine Vorbemerkung: Die folgende Bewertung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) beruht auf insgesamt fünf Artikeln von mir, die im Onlinemagazin Telepolis, der Zeitschrift Hintergrund sowie auf meiner Website veröffentlicht wurden. Der erste Artikel erschien bereits im Oktober 2023, die anderen im Herbst 2024 sowie Anfang 2025.
Meine Kritik am BSW habe ich also bereits lange vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 vorgebracht. Und sie hätte auch nicht ihre Gültigkeit verloren, wäre das BSW erfolgreich gewesen.
BSW als Kraft gegen Aufrüstung und Krieg
Gerade in der heutigen Zeit fehlt eine Fraktion des BSW im Deutschen Bundestag, gibt es doch dort keine Partei, die sich konsequent gegen den massiven Aufrüstungskurs ausspricht. Die Partei Die Linke lehnt die Aufrüstung zwar gleichfalls ab, doch wo sie Einfluss auf das Gesehen nehmen kann, in den Landesregierungen an denen sie beteiligt ist, duckt sie sich weg. So hat sie nicht verlangt, dass sich Bremen sowie Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat bei der Abstimmung über die Grundgesetzänderung, mit der eine unbegrenzte Aufrüstung möglich wird, enthalten. Anders aber haben die Regierungen von Thüringen und Brandenburg an denen das BSW beteiligt ist gestimmt. Sie enthielten sich.
Das Scheitern des BSW bei den Wahlen ist daher auch eine Niederlage der Friedensbewegung. Sie hat mit ihm eine wichtige Stimme im Bundestag verloren.
Das BSW als Partei ohne Mitglieder
In meinen Artikeln habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass das BSW eine Partei fast ohne Mitglieder ist. Nach eigenen Angaben sind es gegenwärtig bundesweit nicht mehr als 1.300. Selbst dort, wo es Landesregierungen angehört, sind es nur wenige: In Thüringen knapp über 100 und in Brandenburg sogar nur 46. Mit seiner restriktiven Aufnahmeregelung und der Selbstbeschränkung auf verschwindend wenige Mitglieder verpasste das BSW das Momentum, um den Aufschwung der Friedensbewegung für sich zu nutzen. Man verzichtete darauf, jene an sich zu binden, die von einer kriegsbereiten SPD enttäuscht sind bzw. sich von einer grünlibertär gewendeten Partei Die Linke abwenden. Und hier geht es um viele. Etwa um jene, die zu den Kundgebungen der Friedensbewegung am 25. Februar und am 4. November 2023 sowie am 3. Oktober 2024 in Berlin zusammenkamen. Sie setzten ihre ganze Hoffnung auf Sahra Wagenknecht und auf die von ihr gegründete Partei. Schließlich war sie es doch, die mit dem „Manifest für den Frieden“ den Raum für eine Debatte über den Ukrainekrieg geöffnet hatte. Viele der knapp eine Million Unterzeichner des Aufrufs wollten aber die neue Partei nicht nur wählen können, sondern am Gelingen des Projekts als Mitglieder aktiv mitwirken. Sie vor den Kopf zu stoßen, indem man die Türen der Partei verschlossen hält, war der sicherste Garant für das Misslingen des Projekts „Bündnis Sahra Wagenknecht“.
Besonders im Bundestagswahlkampf machte sich das Fehlen einer Mitgliederbasis schmerzlich bemerkbar. Notwendig gewesen wäre die personelle Präsenz vor Ort, und hier nicht alleine in den großen Städten, sondern auch und gerade in den vielen Kleinstädten und auf dem flachen Land. Doch mangels Mitglieder kandidierte das BSW nur in wenigen, großstädtischen Wahlkreisen mit Direktkandidaten. Wahlkampf findet aber in erster Linie mit Kandidaten vor Ort statt, in den vielen Diskussionsrunden die etwa Sozialverbände, Sportvereine, Kirchengemeinden, Mieterorganisationen, Schulklassen und andere mit den Vertretern der Parteien organisieren. Hier aber blieb der Platz des BSW regelmäßig leer. Mangels Direktkandidaten führte das BSW auch keinen Haustürwahlkampf, ein Wahlkampfmitttel, das diesmal vor allem Die Linke erfolgreich einsetzte. Dieses Versäumnis dürfte sich erheblich auf das Ergebnis ausgewirkt haben, machen doch viele Wähler ihre Entscheidung davon abhängig, dass die Parteien auch mit einem sichtbaren Kandidaten vor Ort präsent sind. So gingen Stimmen verloren, die am Ende fehlten.
Doch auch nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag scheint man in der Führung des BSW nichts daraus gelernt zu haben. Noch immer hält man die Türen für Interessierte nahezu verschlossen. Auch jene, die sich als Unterstützer im Wahlkampf für das Bündnis engagiert hatten, müssen –von wenigen Ausnahmen abgesehen – weiterhin draußen bleiben.
Das BSW als zentralistische Partei
Die geringen Mitgliederzahlen sind Ergebnis einer extrem zentralistischen zur Aufnahmepraxis. In der Satzung des BSW ist festgelegt, dass über Mitgliedsanträge „grundsätzlich der Bundesvorstand“ entscheidet. Er „kann hierbei dem zuständigen Landesverband sowohl für den Einzelfall als auch generell schriftlich Vollmacht erteilen. Diese Vollmacht kann jederzeit widerrufen werden. Der Parteivorstand bleibt stets entscheidungsbefugt.“ Dies ist eine extrem zentralistische Regelung, die keine andere deutsche Partei kennt! In der SPD und auch in der CDU/CSU entscheiden etwa allein die unteren Parteigliederungen über Aufnahmeanträge.
Als offizieller Grund für diese restriktive Praxis wird die Sorge vor Unterwanderung und lähmenden Fraktionskämpfen genannt. Diese Ängste sind durchaus nicht unberechtigt, blickt man etwa auf das Schicksal der Partei Die Piraten, die nach kurzer Zeit vor allem an internen Machtkämpfen scheiterte. Doch auch seine rigide Aufnahmepraxis konnte das BSW nicht vor parteiinternem Streit bewahren. Friedrich Pürner, der als Kandidat des BSW in das Europäische Parlament gewählt wurde, kritisierte bereits kurz darauf seine Partei scharf und verließ das BSW nach nur wenigen Monaten. Erinnert sei auch an die Gegengründung eines Hamburger Landesverbandes. Sie ging von Personen aus, denen ausdrücklich bei Gründung des BSW die Mitgliedschaft angetragen wurde.
Doch die Angst vor Unterwanderung und Machtkämpfen ist das Eine. Nicht übersehen werden darf daneben, dass eine geringe Mitgliederzahl für die wenigen Auserwählten einen entscheidenden Vorteil bietet: Man bleibt unter sich und kann so über Kandidaturen für lukrative Abgeordnetenmandate und Regierungsämter in kleinen Kreisen entscheiden.
Wenige Mitglieder und damit das Heraushalten kritischer Stimmen ermöglicht auch die reibungslose Durchsetzung der ausschließlich ganz oben formulierten Programmatik. Eine offene Diskussion oder gar Widerspruch gibt es nicht. Die beiden Parteitage des BSW waren denn auch bloße Akklamationsveranstaltungen und Personality Shows der Parteigründerin. Die Delegierten fungierten lediglich als Statisten.
BSW als „Catch-all-Party“ (Otto Kirchheimer):
Das Bundestagswahlprogramm des BSW besteht aus einer Sammlung von Forderungen, mit denen man möglichst vielen Menschen nach dem Munde reden wollte. Eine durchgängige Linie ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Man versteht sich ausdrücklich als weder rechts noch links und bezeichnet den eigenen Standort als „links-konservativ“, was auch immer damit konkret gemeint ist.
Entstanden ist so das Bild einer „Staubsaugerpartei“ bzw. Catch-all-Party, deren vorrangiges Ziel ist, möglichst viele Wählergruppen für sich zu gewinnen. Und so stehen neben traditionellen linken Positionen etwa zu Frieden, Aussagen in der Migrationspolitik, die man nur als islamophob bezeichnen kann. Selbst die populistische Forderung nach einer Technokratenregierung auf Bundesebene fand Aufnahme in das Wahlprogramm – eine klassisch neoliberale Position. Unübersehbar ist die Orientierung auf Wutbürger, dazu passt die Kennzeichnung von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen unisono als „Altparteien“, eine Bezeichnung, die auch die AfD verwendet.
BSW als Regierungspartei:
Nach Erfolgen bei drei ostdeutschen Landtagswahlen im September 2024 beteiligt sich das BSW an Regierungen in Thüringen und Brandenburg. In Sachsen unterstützt es von Fall zu Fall die von CDU und SPD gestellte Regierung. Das BSW erlangte so Einfluss auf die friedenspolitischen Haltungen dieser Länder und machte davon auch bei der Abstimmung über die Grundgesetzänderung zur Ermöglichung weiterer Aufrüstung Gebrauch. Ansonsten konnte das BSW als Regierungspartei aber kaum eigene Akzente setzen. Kürzungen im Sozialbereich trug man in beiden Ländern klaglos mit. Angestrebt wird ein möglichst geräuschloses Mitregieren des BSW unter Führung von CDU bzw. SPD, Parteien, die man gleichzeitig auf Bundesebene als „Altparteien“ bekämpft.
Diese weitgehend widerspruchslose Unterordnung des BSW unter CDU und SPD musste zu Enttäuschungen unter den Wählern in Thüringen, Sachsen und Brandenburg führen. In Ergebnis schnitt das BSW bei den Bundestagswahlen dort deutlich schlechter ab als bei den Landtagswahlen im September 2024. In Thüringen betrug der Stimmenverlust 41 Prozent, in Sachsen 24 Prozent und in Brandenburg 21 Prozent. Dieser Widerspruch zwischen verbaler Systemopposition auf Bundesebene und handzahmer Regierungspolitik auf Länderebene dürfte der wichtigste Grund für das Scheitern bei der Bundestagswahl gewesen sein.
BSW als Partei ohne Tradition, ohne Seele:
Das BSW richtet seine Politik ausdrücklich nicht am Klassenkonflikt aus. Stattdessen wählte man als Parteislogan die nichtssagenden Worte „Vernunft und Gerechtigkeit“. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Verlustes an sozialistischer Tradition in der Gesellschaft, das BSW folgt damit dem Weg der SPD und der Partei Die Linke.
Was wäre aber die Aufgabe einer Partei der Emanzipation, der Überwindung der vielfältigen Diskriminierungen der Unterdrückten? Parteien sind vor allem für die Durchsetzung der Rechte der Besitzlosen von existenzieller Bedeutung. Für den italienischen Philosophen und Historiker Domenico Losurdo entsteht „die organisierte politische Partei auf der Woge einer Forderung nach Emanzipation seitens der unteren Klassen. Sie sind es, die eine soweit wie möglich verzweigte und kapillar verästelte Organisation benötigen, nicht etwa die Klassen, die den Staats- und Regierungsapparat und den Reichtum zur Verfügung haben und dazu auch noch den gesellschaftlichen Einfluss, der aus all dem sich unmittelbar ergibt. Deshalb stellt sich während einer ganzen historischen Periode der bourgeoisen Meinungspartei die organisierte Arbeiter- oder Volkspartei entgegen.“ Losurdo bezieht sich dabei auf Antonio Gramsci: „Es sind die unteren Klassen, die zu organisierten und langanhaltenden Anstrengungen greifen müssen, um eine autonome Kultur und eine autonome politische Anschauung zu erarbeiten, um ‚ihre eigene Gruppe von unabhängigen Intellektuellen‘ zu bilden und dies im Zuge eines Prozesses, der oft unterbrochen wird von der politischen und ideologischen Initiative der herrschenden Gruppen’“.
Das BSW unterstützt aber einen solchen Selbstorganisations- und Lernprozess der unteren Klassen nicht. An seine Stelle setzt es als Partei ohne Mitglieder ausschließlich auf Stellvertreterpolitik durch Parlamentsfraktionen und Regierungsmitglieder. Dort, wo sie fehlen, ist das Bündnis nahezu unsichtbar.
BSW – Quo vadis?
Der weitere Weg des BSW bleibt für den Kampf gegen Militarisierung und Aufrüstung von großer Bedeutung, gehört das Bündnis doch zu den wenigen verbliebenen Stimmen, die sich gegen diesen verhängnisvollen Kurs in Deutschland aussprechen.
Um sich aber als Partei verankern zu können, bedarf es grundlegender Veränderungen:
Das BSW ist vor allem aufgerufen, seine Stellung im politischen System der Bundesrepublik zu klären. Gegenwärtig zeigt es hier ein zutiefst widersprüchliches Bild: Auf der einen Seite koaliert es in Ländern mit Parteien wie CDU und SPD. Andererseits steht es auf Bundesebene in einem scharfen Gegensatz zu diesen Kräften, die sie als „Altparteien“ verurteilt.
Das BSW muss von einer Organisation, die von einer selbsternannten kleinen Gruppe beherrscht wird, zu einer Mitgliederpartei werden. Nur dann kann es – wie von Sahra Wagenknecht angestrebt – auch zu einer Volkspartei bei Wahlen werden.
Das BSW darf sich nicht einer offenen innerparteilichen Debatte über seine programmatischen Ziele entziehen. Die Ausrichtung der Partei kann nicht länger allein von nur einer Person, der Parteigründerin und Namensgeberin, bestimmt werden.
Das BSW bleibt als eine nach einer Person benannten Partei in ihrer Existenz immer abhängig von ihr. Zu einer Reform des BSW gehört daher auch seine Umbenennung.
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