Von Johannes Schillo
Gegen den atemberaubenden Aufrüstungskurs formiert sich Protest in deutschen Gewerkschaften. Die Initiative IVA hat den Aufruf „Den Wahnsinn stoppen!“ unterstützt, gleichzeitig aber Kritik an einzelnen Aussagen und Forderungen angemeldet. Das hat zu einer Korrespondenz unter Kriegsgegnern geführt.
Kritische Gewerkschaftsinitiativen wie „Sagt nein!“ aus Verdi haben jüngst gemeinsam mit anderen oppositionellen Stimmen, vorwiegend aus dem antikapitalistischen Lager, den Aufruf „Gegen Krieg, Hochrüstung und Kriegswirtschaft!“ veröffentlicht. IVA hat diesen Aufruf unterstützt, aber auch Kritik angemeldet und diese im März unter „Den Wahnsinn stoppen!“ veröffentlicht. (Dort findet sich außerdem der eigene Aufruf von IVA „Gegen Kriegstüchtigkeit“, der Medien- und Kulturschaffende, Lehrkräfte, Seelsorger und sonstige Volkserzieher bzw. -betreuer dazu aufruft, dem neuen Leitbild der Kriegstüchtigkeit eine Absage zu erteilen.) Daraufhin gab es Einwände, die wir hier zusammen mit einer Stellungnahme von IVA veröffentlichen.
Post von F.H.
Liebe Genossinnen und Genossen, als einer der Initiatoren des Aufrufs „Den Wahnsinn stoppen!“ möchte ich auf eure kritischen Anmerkungen antworten. Der Aufruf versteht sich ausdrücklich als ein Beitrag, um Gräben zu überwinden. Und es ist genau so, wie ihr schreibt, dass ein solcher Aufruf notwendiger Weise ein Kompromiss ist und zugleich das Angebot beinhaltet, die weiter bestehenden Kontroversen auszutragen.
Ist das Kapital nicht an Krieg interessiert?
Ihr seht hier – pointiert ausgedrückt – einen Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten. Wenn die Kapitalisten die herrschende Klasse sind und sich heute den Staat nicht nur untergeordnet haben, sondern auch mit ihm verschmolzen sind, dann gibt es einen solchen grundlegenden Unterschied nicht. Wenn der Blackrock-Manager Friedrich Merz Bundeskanzler wird, dann streift er seine Mission als Vertreter des Finanzkapitals nicht ab, sondern vertritt sie in einer neuen Rolle weiter. Dem liegt die Gesetzmäßigkeit des Imperialismus zu Grunde, dass Kapital expandieren muss und dass die Welt unter den Monopolen und Staaten bereits aufgeteilt ist. Wenn sich die Stärke der verschieden imperialistischen Gruppen verändert, dann wird die Aufteilung der Welt notwendigerweise in Frage gestellt. Heute ist es so, dass Maximalprofit nur mit einer weltmarktbeherrschenden Position erzielt werden kann. Die Neuaufteilung wird verfolgt mit wirtschaftlichen, diplomatischen und schließlich unweigerlich mit militärischen Mitteln. Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wenn also das Kapital als herrschende Klasse die Politik dirigiert, dann gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Profitinteressen und Krieg. Das war zur Zeit Heartfields bereits richtig – die führenden Monopole wollten den Krieg gegen die Sowjetunion – und ist es heute noch mehr.
Faschisten verbieten?
Ich stimme eurer Ausgangsthese vollkommen zu, dass bürgerliche Demokratie und Faschismus zwei Formen bürgerlicher Herrschaft sind. Es entspricht dieser Tatsache, dass heute auch bürgerliche Demokraten mehr und mehr faschistoide und faschistische Elemente in ihrer Politik verfolgen. Man kann das Rechtswende nennen oder auch Faschisierung des Staatsapparats. Ihr fragt nun, an wen sich die Forderung des Verbots faschistischer Parteien richtet. An den Staat natürlich, konkret an die Regierung. An wen soll sich eine politische Forderung sonst richten? Wenn man es ablehnt, vom Staat demokratische Rechte und Freiheiten zu fordern, dann begeht man genau den Fehler, den Lenin so vehement kritisiert: Man verzichtet darauf, um die Möglichkeit offener politischer Betätigung der Arbeiterklasse zu kämpfen. Es ist eben für die Arbeiterklasse nicht egal, ob bürgerliche Demokratie oder Faschismus herrscht, ob man sich legal versammeln und organisieren kann, denn ein solcher politischer Reformkampf ist eine Schule des gesellschaftsverändernden Kampfes und zielt auf Bedingungen für diese Schule ab.
Ich bin für das Verbot faschistischer Parteien auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens, welches die NSDAP und alle Nachfolgeorganisationen verbietet. Diese Bestimmungen sind Bestandteil des Grundgesetzes geworden und können von der Regierung ohne ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht umgesetzt werden.
Eure Begrifflichkeiten zur AfD als „rechtspopulistische Querschläger“, „Störenfriede“ oder „Vertreter eines dissidenten Standpunkts“ finde ich irritierend, weil genau so eine verharmlosende Begrifflichkeit heute von der verharmlosenden bürgerlichen Propaganda geprägt werden. Wenn ihr der Ansicht seid, dass die AfD keine faschistische, sondern eine „rechtspopulistische“ Partei sei, dann würde sich die Forderung nach einem Verbot erübrigen. Dem ist aber nicht so.
Eine Antwort von IVA
Hallo F.H., danke für Deine Anmerkungen zu unserer Kritik am Flugblatt „Den Wahnsinn stoppen“. Du gehst auf zwei Aspekte ein, die Dir bei den Ausführungen nicht einleuchten. Dazu einige Überlegungen
Zum ersten Punkt: „Ist das Kapital nicht an Krieg interessiert?“
Der Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten ergibt sich aus den jeweils unterschiedlichen Zwecken, die sie verfolgen. Jeder Kapitalist strebt nach größtmöglichem Profit – gegen seine Konkurrenten im In- und Ausland. Entsprechend haben Unternehmen nur ihre Bilanzen im Blick und sind daran interessiert, dass ihnen dafür die besten Bedingungen geschaffen werden. Und zwar im Inland vom Staat mit dem Schutz des Eigentums, der Scheidung von Besitzern von Produktionsmitteln und Besitzlosen, die nur ihre Arbeitskraft haben und mit der Herstellung materieller Bedingungen (siehe weiter unten). Gegenüber dem Ausland soll der Staat beste Bedingungen für Im- und Export herstellen, für die Nutzung von Arbeitskräften im Ausland, für Investitionen, für den Abtransport von benötigten Rohstoffen usw. Dabei stößt jeder Staat natürlich auf das ähnlich gelagerte Interesse der restlichen Staatenwelt, wo es immer darum geht, dass das eigene Kapital sich möglichst viele Vorteile aus den auswärtigen Geschäftsbeziehungen verschafft. Am Ende entscheiden die ökonomische und die sie flankierende militärische Gewalt, wer den Kürzeren zieht. Deutschland z.B. ist nicht „Exportweltmeister“ geworden, weil hierzulande so nette, disziplinierte und schlaue Menschen leben… Aber wem sagen wir das.
Soweit das grundsätzliche Interesse des Kapitals. Die Geschäfte sollen laufen, Störungen jeglicher Art sind nicht erwünscht. So sieht das auch der jeweilige Staat, der seine Kapitalisten tatkräftig dabei unterstützt. Damit erschöpft sich aber der Job der herrschenden Politik nicht. Diese will und muss die Bedingungen dafür schaffen, dass die gesamte Akkumulation funktioniert, die Wirtschaft kontinuierlich wächst. Um elementare Dinge wie Gesundheitsversorgung, Infrastruktur (der gegenwärtige Schlager neben Rüstung), Energie, Bildung und Forschung, die dafür notwendig sind, kümmert sich der einzelne Kapitalist nicht. Und auf so Sachen wie Arbeits- oder Umweltschutz und vor allem Sozialleistungen kommt ein Unternehmer ohne Druck der Politik schon mal gar nicht. Der Staat handelt hier im Sinne des Kapitals im Allgemeinen, denn er erhält damit den Unternehmen die Masse an Arbeitskräften, die sie für eine dauerhaft erfolgreiche Ausbeutung brauchen. Allerdings muss er eben dafür diesen Unternehmen Auflagen erteilen, damit sie dem Folge leisten. Weil sie aus ihrem Geschäftsinteresse heraus die damit verbundenen Kosten freiwillig nie aufbringen würden.
Der Staat zwingt also mit Gesetzen und Verordnungen sein Kapital, dem in seinem Sinne übergeordneten Interesse an den Bedingungen der Akkumulation Rechnung zu tragen. Der Staat fungiert als „ideeller Gesamtkapitalist“. Und insofern setzt er sich mit diesem übergeordneten Standpunkt gegen Einzelinteressen von Unternehmern durch. Regelmäßig abzulesen an den Klagen der Wirtschaftsverbände über zu hohe Belastungen durch Steuern und Abgaben, zu viele Vorschriften und überhaupt eine „verfehlte Wirtschaftspolitik“ – ganz gleich, wer gerade in der Regierung am Ruder ist, der Ruf nach Bürokratieabbau passt immer.
Auch ein ehemaliger Blackrock-Aufsichtsrat Friedrich Merz wird als Bundeskanzler diese Perspektive des „ideellen Gesamtkapitalisten“ einnehmen. Das geht auch gar nicht anders: Dafür sorgen Grundgesetz und alle sonstigen rechtlichen und administrativen Grundlagen des deutschen Staates. Die Kapitalisten ordnen sich nicht den Staat unter. Sie sind vielmehr die Lieblingsbürger, weil sie für den Reichtum und damit die Macht der herrschenden Politiker sorgen. Entsprechend werden sie hofiert, dürfen auch um besondere Berücksichtigung ihrer Einzelinteressen konkurrieren (Lobbyismus) – aber werden auch dort in ihre Schranken gewiesen, wo sie den staatlichen Interessen, siehe oben, im Wege stehen.
Das kann dazu führen, dass gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen zerstört werden. Bestes Beispiel der Ukraine-Krieg: Das Russlandgeschäft vieler Unternehmen wurde von der Bundesregierung gestoppt, der größte Gasversorger Uniper stand vor der Pleite, und mit günstiger Energie für die Wirtschaft war Schluss. Weil eben der deutsche Staat entschied, in diesem Krieg einzugreifen auf Seiten der Ukraine – auf dass der Kontrahent Russland, den Deutschland und die deutsche EU als Konkurrenten um die Macht auf dem europäischen Kontinent ausgemacht haben, möglichst großen Schaden nimmt. Und es akzeptieren muss, vor seiner Haustür einen schwer bewaffneten, gegen ihn gerichteten NATO-Stützpunkt zu bekommen. Für diesen Zweck ist Deutschland tatsächlich bereit, gewichtige wirtschaftliche Verluste zu erleiden. Und es zwingt das Kapital, diese hinzunehmen. Und das ist kein Novum einer zugespitzten weltweiten Krisenlage. Auch früher schon hat der deutsche Staat etwa seine Textilindustrie geopfert, um Zugang zu auswärtigen Märkten zu erhalten.
Insofern sind wir nicht Deiner Meinung, Kapital und Staat seien miteinander „verschmolzen“. Um im Bild zu bleiben: Sie sind schon zwei verschiedene Parteien, aber Kumpane im Interesse an möglichst großem Gewinn. Die einen sorgen für die bestmöglichen Rahmenbedingungen, auch gegen einzelne Unternehmer-Interessen, damit die Wirtschaft insgesamt, wie es so euphemistisch heißt, „wächst“.
In puncto Krieg sind dementsprechend die Interessenlagen ebenfalls nicht gleich. Die Zerstörung von Mensch und Material ist kein „Geschäftsmodell“. Selbst die Rüstungsindustrie hätte kein Problem damit, endlos weiter Panzer und Raketen zu produzieren, wenn nur die Aufträge kommen. Was damit passiert, hat keinen Einfluss auf die Bilanz. Im Gegenteil: Im Kriegsfall würden zwar die Aufträge nicht versiegen, dürfte aber auch die Gefahr steigen, von Bomben und Raketen vernichtet zu werden. Und der Auftraggeber kann ausfallen, wenn er den Krieg verliert. Für die zivile Wirtschaft bedeutet Krieg den Einbruch vieler Geschäftsbeziehungen, den Verlust an Arbeitskräften, die Zerstörung von Betrieben und Ressourcen. Krieg ist für sie geschäftsschädigend, nicht fördernd. Natürlich, wenn es um „das große Ganze“ geht, ordnen sich die national gesinnten Manager den Ansagen „von oben“ unter. Wiewohl sie, wie Du weißt, von ihrem Interesse an weltumspannendem Geschäft her „vaterlandslose Gesellen“ sind. Ein Zähneknirschen ist dann gelegentlich bei manchem Unternehmenslenker nicht zu überhören: die schönen Märkte im Osten nicht vergeigen und China bitte nicht zu sehr reizen!
Soweit erst einmal zum Interessengegensatz zwischen Staaten und Kapitalisten. Über das Thema Macht der Monopole, Verdienste der Heartfield-Brüder oder überhaupt den Zusammenhang von Geschäft und Gewalt können wir uns gern noch gesondert austauschen. Hier nur unser Versuch, die grundsätzlichen Einwände zu erläutern.
Zum zweiten Punkt: „Faschisten verbieten?“
Warum halten wir es für keine gute Idee, dem Staat ein Verbot der AfD anzutragen? Zunächst einmal von der logischen Seite: Man lehnt bürgerliche Herrschaft ab, bittet bzw. unterstützt sie indes dabei, einen Konkurrenten um eben diese Herrschaft zu eliminieren? Das passt schon mal nicht zusammen.
Was haben Gegner dieses Herrschaftsapparates davon, sich in den Wettbewerb der Parteien um ihn einzumischen? Da meinst Du: Durchaus vorteilhaft, weil in der Demokratie kann die Arbeiterklasse sich offener politischer Betätigung erfreuen, im Faschismus nicht. Ergo müsste man sich für die Demokratie als bessere Bedingung des Klassenkampfs einsetzen. Da malst Du ein ziemlich rosiges Bild der hiesigen Verhältnisse: Ein politischer Generalstreik ist hierzulande sowieso verboten, Klassenkampf, das wissen alle, passt überhaupt nicht mehr in unser Gemeinwesen. Gegen Demonstrationen wird eingeschritten, wenn sie der „Staatsräson“ zuwiderlaufen – Stichwort Gaza-Krieg –, und unliebsame Stimmen verlieren ihren Job oder Redner ihre Auftrittsmöglichkeiten – Stichwort „Putin-Versteher“. Erinnert sei nur daran, wie in Berlin behördlicherseits die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensergebiete, Francesca Albanese, daran gehindert wurde, öffentlich aufzutreten, sodass sie letztendlich zu einem linken Podcastsender wechseln musste. Was in dieser Demokratie wohl los wäre, wenn die Gewerkschaften es tatsächlich darauf anlegten, dass alle Räder still stehen, weil ihr starker Arm das will und kann?
Gut, im Faschismus würde der Staat gar nicht erst darauf vertrauen, dass die Gewerkschaften weiter so brav alles mitmachen. Er würde sie einfach zur Sicherheit gleichschalten, wie damals im Dritten Reich. Das funktioniert aber nur, wenn die Masse der Werktätigen und ihre Organisationen das mitmachen – wie damals die Gewerkschaftsbewegung in der Deutschen Arbeitsfront. Es muss ihnen einleuchten, dass „die Nation“ jetzt über alles geht und daher jeglicher Zweifel oder Widerstand gegen die wirtschaftliche und militärische Aufrüstung zu unterbinden ist. Kommt Dir das irgendwie bekannt vor? Ach, das beschreibt ja die aktuelle Propaganda zur Kriegsertüchtigung der Deutschen! Ganz ohne Faschismus wird gerade das Volk auf Krieg und die damit zusammenhängenden „Opfer“ eingestimmt.
Und diesen Herrschaften soll man darin folgen oder sie drängen, die AfD zu verbieten? Das ist eine Option, über die die etablierten Parteien einerseits ja durchaus selbst laut nachdenken, und zwar als Mittel gegen eine unangenehme neue Konkurrenz. Andererseits stimmen sie in ziemlich vielen politischen Ansichten mit der AfD überein und haben sich in der Migrationsfrage für einen Überbietungswettbewerb im Wahlkampf entschieden. Aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik trifft das zu, genau so beim Anliegen, eine starke Bundeswehr zu haben. Ist es nicht vielleicht so, dass an der AfD (neben dem, dass man sie sich als Konkurrenz nicht bestellt hat und nur zu gerne wieder loswerden möchte) vor allem eines stört: dass sie eine alternative außenpolitische Linie verfolgt und die kompromisslose Feindschaftserklärung an Russland nicht teilt (ebenso wenig wie das BSW)? Dass sie also in den Streit um die deutscheuropäische Führungsrolle eine momentan störende Disruption einbringt?
Was an der AfD „faschistisch“ oder „faschistoid“ ist, können wir gern noch einmal gesondert besprechen. An dieser Stelle nur der Hinweis: Auch diese Partei will ein mächtiges und reiches Deutschland, das auf prächtiger Ausbeutung des arbeitenden Volks und auf das Grundgesetz baut. Und auch diese Partei wird sich aller Mittel bedienen, Widerstand dagegen auszumerzen. Wie es die anderen Parteien tun, wie es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Verbot der KPD geschah. Auch Letzteres – als Leistung einer frisch gebackenen Demokratie – sollte zu denken geben, wenn man als Linker das Verbot einer rechtsradikalen Partei fordert. Das käme eh als eine Maßnahme gegen Extremismus und dann weiß man als Linker, was folgt…
Antwort von Andreas B., Mitinitiator von ´SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden`
- Die sogenannte ´Zeitenwende´ ist kein zufälliger oder gar vermeidbarer Kurswechsel in der Politik, sondern der spezifisch ´deutsche´ Ausdruck der strukturellen Transformation des Kapitalismus imperialistischen Stadiums im Krisenmodus der Auflösung der bipolaren in eine – wie auch immer geartete multipolare globale (Un-) Ordnung – des Übergangs vom libertären Neoliberalismus zur offenen Kriegswirtschaft. Dabei teile ich mit IVA die Einschätzung, dass der bürgerliche Staat nicht ´einfach eine Marionette einzelner Kapitalisten´ ist, sondern als ´ideeller Gesamtkapitalist´ agiert / agieren muss – doch der entscheidende Unterschied liegt in der Bewertung dieser Rolle: Die Rolle und Funktion des ´ideellen Gesamtkapitalisten´ ist eben nicht nur abstrakter und systemimmanenter Sachzwang, sondern auch konkreter Ausdruck bürgerlicher Klassenherrschaft, deren Krise sich heute auch in den bisher davon eher wenig getroffenen Metropolen in zunehmender kriegerischer Eskalation, aggressiver weiterer Kriegsvorbereitung, Aufrüstung, sozialer und politischer Repression und fortschreitender gesellschaftlicher Faschisierung (da sind die A*D, FdI, RN, PiS & Co. nur die Spitze des Eisbergs) zuspitzt und entlädt.
- Die Rolle des Staates wird mit der Zunahme der Krise und der innerimperialistischen Konkurrenz immer zentraler, um eine Wirtschaftsentwicklung im ´nationalen Interesse´ zu garantieren. Und er bekommt auch wieder ein ideologisches Programm:
- Statt des neoliberalen Selbstlaufes wurde (beginnend) in der ´Coronapandemie´ der Staat zum autoritären Zuchtmeister zur ´Sicherung des kollektiven (Über-) Lebens´ und des Schutzes plötzlich entdeckter ´vulnerabler Gruppen´ – wie zynisch angesichts der millionenfach weltweit in Kriegen, vor Hunger und Durst und auf der Flucht Verreckenden(!!!).
- Von der letzten Bundesregierung wurde die ´Einheit von Wirtschaft und Klimaschutz´ propagiert.
- Heute sind es nackt die Anforderungen der Kriegsfähigkeit, gemäß denen die Gesellschaft autoritär formiert
- Genauso wie der patriarchale Kapitalist im Imperialismus zum funktionalen Agenten des Finanzkapitals geworden ist, übernimmt der kapitalistische Staat im Krisen- und Kriegskapitalismus die zentrale Rolle zur Stimulierung, Dirigierung und teilweise auch Substituierung der Kapitalinvestitionen, um die imperialistische Entwicklung zu garantieren. Die Kriegswirtschaft ist dabei der Keynesianismus der ökonomisch und militärisch schwachen Staaten (wie ehedem Nazideutschlands, um sich kriegsfähig zu machen, während die USA den New Deal hatten). Heute sind die USA militärisch (noch) dominierend und nutzen ihre Stellung, um ihre ökonomische Basis auf Kosten der Konkurrenz zu verbessern; seit MAGA auch ganz unmaskiert innerhalb der innerimperialistischen Konkurrenz mit der EU, was die sog. ´Transatlantiker´ gerade noch erkennbar ´verunsichert´… 😊 Deutschlands und der EU-Plan des ´Green New Deal´ sind nicht zuletzt am chinesischen Vorsprung (Solaranlagen, Elektroautos…) gescheitert, so dass die EU/BRD jetzt auf den Panzer gekommen ist, während China seine Autoindustrie subventioniert…
- IVA bleibt – bei aller ökonomiekritischen Klarheit – letztlich analytisch und politisch defensiv. Ihr beschreibt das Arrangement von Staat und Kapital, stellt bezüglich der zunehmenden globalen militärischen Eskalation und der Rolle der Regierenden als ´mögliche Adressaten politischer Forderungen´ richtige Fragen, aber Ihr stellt dem keine für mich erkennbare Idee oder gar ein Konzept einer möglichen eigenständigen Klassenpolitik oder zumindest Orientierung entgegen. Genau das halte ich aber für dringend erforderlich. So, wie es 1916 auch Rosa Luxemburg mit ihrer ´Juniusbroschüre´ versuchte, deren Aktualität heute unübersehbar ist. Aus ihrer Analyse folgt: ´Die bloße Beendigung eines Krieges´ – sei er durch Diplomatie, Waffenstillstand oder Sieg einer Seite erreicht – führt unter kapitalistischen Bedingungen zwangsläufig in die nächste militärische Eskalation. Denn der Militarismus ist kein Betriebsunfall, sondern ein notwendiges Produkt des kapitalistischen Klassenstaates. Das gilt umso mehr, je länger er sich historisch im faulenden Stadium des Imperialismus befindet. Die Forderung nach Abrüstung unter diesen Bedingungen erklärt Luxemburg daher zu Recht für „völlig utopisch“.Was bedeutet das für unsere Debatte? Es reicht m.E. nicht, präzise zu analysieren, wie die imperialistischen Staaten als jeweils die nationalen ´ideellen Gesamtkapitalisten´ die jeweiligen ´nationalen´ wirtschaftlichen Interessen durchsetzen. Wir müssen begreifen, dass der imperialistische Krieg spätestens in der jetzt begonnenen historischen Phase selbst systemisch ist. Der Kapitalismus imperialistischen Stadiums hat eben nicht ´versagt´, im Gegenteil: Er funktioniert gerade in der aktuellen Eskalation genau so, wie er funktionieren muss – in der Krise eben fast ausschließlich noch über Umweltvernutzung bis zum Klimakollaps, Aufrüstung, Eskalation, ideologische Mobilmachung und in letzter Konsequenz dem permanenten globalen Krieg; ohne dabei selbst die atomare Eskalation zu scheuen; sie im Gegenteil zunehmend technisch umsetzbar und damit politisch realisierbarer zu machen. Die Orientierung auf die staatlich induzierte Rüstungsproduktion kann zwar die Wirtschaft temporär ankurbeln und über den Waffenexport auch Profit generieren, die vorerst in den Kasernen verbleibenden Panzer können ihren Wert allerdings erst im Krieg zur Eroberung neuer Märkte oder der vernichtenden Vorbereitung des Wiederaufbaus realisieren. Insofern ist der Kriegskeynesianismus auch die direkte Vorstufe der kriegerischen Krisenlösung des Kapitals. Und gerade deshalb halte ich auch die von IVA kritisierte Heartfield-Zuspitzung ´Krieg und Leichen, die Hoffnung der Reichen!´ ebenso wie Fritz nicht nur für sprachlich und politisch, sondern auch analytisch am Ende für präzise. Und eben darin offenbart sich die tödliche Konsequenz für die Arbeiter*innenklasse. Luxemburg schreibt: Der Krieg ist „nicht bloß ein grandioser Mord, sondern auch Selbstmord der europäischen Arbeiterklasse“. Auch heute sterben junge Menschen (überwiegend immer noch Männer) – Ukrainer*innen, Russen*innen, auf eher kurz als lang auch wieder Deutsche – auf Geheiß des Kapitals, mit Nationalfahnen im Rucksack und Freiheitsparolen im Ohr, während Rüstungs- und Energiekonzerne und die finanzierenden Banken und Investmentfonds Milliarden verdienen.
- Hierzulande wird der Ukrainekrieg zur ´Verteidigung von Demokratie´, ´westlicher Werte´ oder gar ´Kultur´ verklärt – doch was wirklich verteidigt wird, ist ein ökonomisches und geopolitisches Herrschaftssystem in der Überlebenskrise. Die bürgerliche Demokratie ist der politische Ausdruck der bürgerlichen Warengesellschaft und nicht der sozialen Emanzipation. Schon 1844 schrieb Friedrich Engels: „Die demokratische Gleichheit ist eine Chimäre, der Kampf der Armen gegen die Reichen kann nicht auf dem Boden der Demokratie oder der Politik ausgekämpft werden.“ Vor diesem Hintergrund teile ich die berechtigten Zweifel von IVA an den Überlegungen von Fritz über die mögliche Bedeutung von ´mehr oder weniger Demokratie´ als denkbarem Möglichkeitsraum für die Emanzipation der Arbeiter*innenklasse.
- Die zunehmenden Kriegsherde weltweit sind die sich formierende Fronten des dritten imperialistischen Weltverteilungskrieges. Auf den jeweils spezifisch geprägten Konfliktfeldern wirkt eine Gemengelage durchaus auch divergierender imperialistischer Interessen großer und kleiner Akteure, die sich der im Kapitalismus zwangsläufigen Dynamik von Konkurrenz und Konzentration folgend um die beiden dominierenden Machtblöcke (USA/NATO und ihre Verbündeten sowie China/Russland und ihre Verbündeten) gruppieren. In den ideologischen Argumentationslinien der Kriegsparteien gefangen, die tieferen ökonomischen Hintergründe des sich ausbreitenden Weltgemetzels ignorierend und vor allem bar jeder materialistischen Klassenanalyse dilletiert demgegenüber die sogenannte ´Linke´ als Möchtergerndiplomat auf dem im wahrsten Sinne des Wortes entbrannten und in hellen Flammen stehenden weltgeschichtlichen Parkett.
Sich daran zu beteiligen, führte nicht nur in die falsche Richtung, sondern direkt in den Sumpf der imperialistischen Diplomatie und des imperialistischen Krieges! - Gegen das sich immer offener und ungenierter selbst entlarvende kapitalistische Krisenregime der totalen warenförmigen Zurichtung und Hinrichtung wird zunehmend, auch in den Gewerkschaften und sogar auf den Straßen ein allgemeines Unwohlsein sicht- und hörbar; und vom sogenannten ´Verfassungsschutz´ entsprechend direkt als „demokratiegefährdend“ identifiziert. Dieses bisher weitestgehend unorganisierte ´Unwohlsein´ und ´Aufmucken´ ist politisch ambivalent und reicht vom empörten Reflex gegen die aktuellen Verbrechen der verschiedenen Kriegsparteien bis zur gewünschten Rückkehr zur ´guten alten Zeit´ (zu Willy Brandt oder Honecker oder gar noch weiter zurück, je nach den verwirrten Projektionen der Protagonist*innen). Abstrahiert von den beschriebenen ökonomischen Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus und den tatsächlichen sozialen Klasseninteressen wird dabei meistens auf ´Volksbewegungen´ orientiert oder die Nation als politischer Referenzrahmen konstruiert (gegen atomare Erstschlagswaffen auf DEUTSCHEM Boden, weil dadurch Deutschland zum Kriegsschauplatz würde; für die NATIONAL Befreiung Palästinas oder Kurdistans etc.). Hier mischen sich dann nicht selten die so klassischen wie ´klassenlosen´ sogenannte ´linken´ und sogenannte ´rechten´ politischen Vorstellungen.
- Die tonangebenden Kapitalfraktionen des Militärisch-Industriellen-Digitalen-Komplexes in EU/Deutschland nutzen über ihre Einpeitscher*innen in der EU-Kommission, der Bundesregierung und insbesondere auch den Regierungen Polens und der baltischen Staaten die Ukraine als Frontstaat, nicht um das Völkerrecht zu schützen, sondern um geopolitisch verlorenes Terrain gegenüber Russland und China und mittlerweile auch ganz offen den USA zurückzuerobern – mit allen Mitteln, auch auf Kosten der eigenen Bevölkerung. Während Reallöhne sinken, Heizkosten explodieren und Sozialsysteme ausbluten, steigt der Aktienkurs von Rheinmetall & Co. um mehr als tausend Prozent, während die Gewerkschaften sich trotz zunehmenden Widerstandes in den eigenen Reihen mit ihrer kapitulantenhaften Burgfriedenspolitik erneut im vorauseilenden Gehorsam ihrer jeweils nationalen Bourgeoisien unterwerfen. Es gilt heute wie zur Zeit Luxemburgs: ´Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen.´
- Luxemburgs zentrale Erkenntnis bleibt unverzichtbar: Die Arbeiter*innenklasse darf „weder schweigen noch sich unterordnen“. Sie darf sich nicht von ´Friedensappellen´ der Herrschenden einlullen lassen, denn „auch ein Waffenstillstand im Kapitalismus bedeutet bloß: Atempause vor der nächsten Aufrüstung“. Und sie darf sich nicht auf „diplomatische Rezepte“ einlassen, wie sich der Imperialismus ´zähmen´ lasse. Deswegen bin ich persönlich zusammen mit IVA auch politisch inhaltlich anders als Fritz gegen jedwede Forderungen an die nationalen sogenannten ´politisch Verantwortlichen´.
Aus den unter Ziff. 6 genannten Gründen betrifft das insbesondere Forderung nach ´mehr Diplomatie´, ´Abrüstung´ oder auch die ´Durchsetzung des Völkerrechts´. Ebenso betrifft es aber auch die an den bürgerlichen Staat gestellte Forderung nach einem ´Verbot der A*D´, ganz jenseits der Tatsache, dass ich Fritz Irritation über die von IVA in Bezug auf die A*D gewählten Begriffe wie „rechtspopulistische Querschläger“, „Störenfriede“ oder „Vertreter eines dissidenten Standpunkts“ teile, weil sie der verharmlosenden bürgerlichen Propaganda entsprechen und damit desorientierend wirken. Das schließt für mich bezüglich der ´A*D-Verbotsforderung´ allerdings nicht aus, diese ´taktisch´ im Rahmen einer zu formulierenden antiautoritären, antimilitaristischen und emanzipatorischen Gesamtstrategie und Generalkampflinie und ausschließlich zum Zwecke einer möglichen breiteren Mobilisierung wegen erwarteter ´Anknüpfungsfähigkeit an das Alltagsbewusstsein´ in Erwägung zu ziehen; insofern komme ich nach wie vor mit dieser Forderung im Aufruf klar… 😊 Die von Regierungs- und ´demokratischem Parteienkanons-´ Seite unter Verwässerung und Umdrehung des Schwurs von Buchenwald orchestrierten ´Nie wieder ist jetzt!´- Demos im Vorfeld der Bundestagswahlen, bei gleichzeitigem finalen Abräumen der sowieso immer nur halluzinierten ´Brandmauer gegen rechts´ am 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz im Deutschen Bundestag lassen für mich jedoch auch die unverkennbaren Grenzen solchen ´taktischen Verständnisses´ erkennen. Da bin ich dann wieder sehr bei IVA. - Die internationale Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung scheiterte 1914 daran, den Krieg vom Klassenstandpunkt und mit dem ´Blickwinkel des Proletariats´ zu kritisieren – und sie scheitert heute erneut. Statt sich dem bürgerlichen ´Kampf für (mehr) Demokratie´ anzuschließen, muss eine emanzipatorische Linke endlich ´den eigenen Klassenstandpunkt´ geltend machen. Sie muss aufhören, der Zeitenwende hinterherzurennen. Sie muss ihr etwas entgegensetzen – nicht taktisch, sondern grundsätzlich. Nicht reformistisch, sondern konkret revolutionär.
- Solange die Arbeiter*innenklasse gespalten bleibt – national, ethnisch, ideologisch – wird sie zwischen den Fronten der imperialistischen Blöcke zerrieben. Was es braucht, ist nicht ein Appell für ´mehr Diplomatie statt Aufrüstung´, nicht ein Verbot von A*D, FdI, RN, PiS & Co. oder ein ´besseres Krisenmanagement´ durch ´sozialere Politik´, sondern eine klassenbewusste, internationalistische Kraft, die sich allen Kriegsparteien entgegenstellt. Krieg dem Kriege! Für die Überwindung der Verhältnisse, die ihn hervorbringen. Die Schlussworte aus der Juniusbroschüre bleiben daher das politisch Notwendige wie das moralisch Unverzichtbare:
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„Der Wahnwitz wird erst aufhören, und der blutige Spuk der Hölle wird verschwinden, wenn die Arbeiter in Deutschland und Frankreich, in England und Russland endlich aus ihrem Rausch erwachen, einander brüderlich die Hand reichen und den bestialischen Chorus der imperialistischen Kriegshetzer […] überdonnern: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Der Beitrag erschien auf https://www.i-v-a.net/ und wird mit freundlicher Genehmigung hier gespiegelt. Bild: Symbolbild