In Dauerschleife erklingen aus der politischen Blase die Rufe nach längeren Arbeitszeiten. Jetzt sollen auch noch die Standards des Arbeitszeitgesetzes geschliffen werden. Ökonomisch absurd und fernab der Lebensrealität der Beschäftigten. Das #schlaglicht 18/2025 aus Niedersachsen stellt die Debatte vom Kopf auf die Füße.
Zuletzt hat sich wohl niemand schöner um Kopf und Kragen geredet als Carsten Linnemann. Im Polittalk Caren Miosga beklagte der CDU-Generalsekretär, dass eine mangelnde Einsatzbereitschaft bei den Beschäftigten um sich gegriffen hätte. Im Sinne des Wohlstands müsse aber länger gearbeitet werden. Als Linnemann daraufhin von der IG Metall Vorsitzenden Christiane Benner und der Moderatorin in die Mangel genommen wurde, kam er gehörig ins Schlingern. Am Ende waren es für ihn dann vor allem die – kein Scherz – Rentner*innen, die nicht mehr fleißig genug sind. Was kommt als nächstes? Kinder spielen zu viel?
Ständige Appelle für Mehrarbeit
Zur Verteidigung des CDU-Mannes muss man leider sagen, dass er mit diesen Vorwürfen nicht allein unterwegs ist. Es war Kanzler Friedrich Merz, der in seiner ersten Regierungserklärung mehr Leistung verlangte und die Work-Life-Balance sowie die 4-Tage-Woche attackierte. Flankenschutz gibt es dazu noch von den sogenannten Topökonom*innen. So fordern Veronika Grimm und Moritz Schularick die Abschaffung von einem oder gleich zwei Feiertagen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Und auch die ins Auge gefasste Reform des Arbeitszeitgesetzes zielt letztlich nur auf eine Ausweitung der Arbeitszeiten ab.
Arbeitsvolumen wächst und wächst
Fakt ist: Einem Realitätscheck halten solche Töne nicht stand. Denn die bestimmende Kennzahl, das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen, steigt seit Jahren an und befindet sich auf einem Allzeithoch (siehe Grafik). Dazu wurden 2024 rund 638 Mio. unbezahlte Überstunden von den Beschäftigten geleistet. Wenn zudem über die hohe Teilzeitquote geklagt wird, wird übersehen, dass diese vor allem auf fehlende Betreuungsinfrastrukturen zurückgeht, so dass Frauen weiterhin das Gros der Care-Arbeit übernehmen und aus Selbstschutz ihre Arbeitszeit nicht ausweiten.
Mehr Fleiß bei steigender Arbeitslosigkeit?
Geradezu abenteuerlich wirkt der Ruf nach Mehrarbeit in Anbetracht der Wirtschaftslage. Die jetzige Konjunkturschwäche hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit spürbar zugenommen hat und viele Betriebe für ihre Beschäftigten Kurzarbeit anmelden. Wie in dieser Situation eine Ausweitung des Arbeitsangebots hilfreich sein soll, bleibt ein ökonomisches Rätsel. Sollte es nicht um die Integration von mehr Menschen in Arbeit gehen?
Gesundheit und Vereinbarkeit gefährdet
Zumal längere Arbeitszeiten auch andere Risiken bergen – insbesondere, wenn die Bundesregierung eine wöchentliche Höchstarbeitszeitgrenze mit 12-Stunden-Tagen ermöglicht. In der Arbeitsmedizin gilt es längst als Tatsache, dass mehr als acht Arbeitsstunden die Gesundheit beeinträchtigen und die Gefahr von Arbeitsunfällen signifikant zunimmt. Gleichzeitig droht eine weitere Zunahme der ohnehin nicht gelösten Betreuungskonflikte.
Hände weg vom Arbeitszeitgesetz!
Die Gewerkschaften werden einer Reform des Arbeitszeitgesetzes daher nicht die Hand reichen. Schon heute bietet es ausreichend Flexibilität. Vor allem ist grundfalsch und beleidigend, den Menschen im Land ständig zu predigen, sie würden nicht genug arbeiten und dies auch noch mit angeblichen wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründen zu wollen. Statt billigem Beschäftigten-Bashing muss es um gute Arbeitsbedingungen ohne gesundheitliche Risiken gehen. Punkt!
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#Schlaglicht 18/2025 – Arbeitszeitgesetz & Mehrarbeit: Realitätsverweigerung am Limit (PDF, 174 kB)
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