Ein Streiflicht: Antikriegstage im Rheinland

Der traditionelle Antikriegstermin der Gewerkschaften hatte dieses Jahr sein ganz eigenes Gepräge – von brutaler Polizeigewalt bis zum Champagnerfrühstück mit der Rüstungsindustrie. Hier einige Beobachtungen aus engagierter Perspektive.

Von Johannes Schillo

Der in der BRD vor rund 70 Jahre als gewerkschaftlicher Traditionstermin installierte Antikriegstag – nachdem die Remilitarisierung im Adenauer-Staat nicht zuletzt durch die Unterstützung der Gewerkschaftsführung ohne ernsthaften Widerstand über die Bühne gegangen war – hat seitdem seine wechselhafte Geschichte und zweifelhafte Tradition. Das Gewerkschaftsforum hat darauf anlässlich des diesjährigen Aufrufs des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aufmerksam gemacht und auf die Aktivitäten der gewerkschaftlichen Basisinitiative „Sagt NEIN!“ hingewiesen, die zur Kölner Demo am 30. August mobilisierte.

Die Initiative „Sagt NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“ ist 2023 im Rahmen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi entstanden und hat inzwischen mehr als 28.000 Unterschriften für ihren Appell an die Gewerkschaftsöffentlichkeit eingesammelt; in NRW wird sie von den Websites Rätekommunismus und IVA mit getragen. „Sagt NEIN!“ ist kein Zusammenschluss oder Bündnis im eigentlichen Sinn, sondern ein Kreis von Unterstützern, die sich in allerlei Hinsicht unterscheiden, sich aber in einer Sache einig sind – dass nämlich ohne eine antimilitaristische und antikapitalistische Stoßrichtung der Antikriegsprotest eine pazifistische Illusion bleibt.

In diesem Sinne unterstützt die Basisinitiative alle einschlägigen gewerkschaftlichen Vorgänge, beteiligt sich am Protest gegen den „Burgfrieden“ und interveniert in öffentliche Kontroversen, wobei sie deutlich ihre eigenen Vorstellungen einbringt. So hat sie u.a. mit einem Workshop am Kölner Camp „Rheinmetall entwaffnen“ mitgewirkt und am Antikriegswochenende ihr Anti-DGB-Flugblatt in hoher Auflage verteilt.

„Und seid ihr nicht (kriegs-)willig, so brauch‘ ich Gewalt“

Was am Antikriegstagswochenende in Köln los war – brutale Polizeigewalt gegen eine kriegsunwillige Jugendbewegung – ist mittlerweile ausreichend dokumentiert, zumindest in der Gegenöffentlichkeit. Das muss man in dem Fall besonders hervorheben, denn die Leitmedien glänzten wieder einmal durch Meisterleistungen der Verlogenheit. Hier schloss man sich mehr oder weniger den offiziellen polizeilichen Verlautbarungen an. Demnach kam es wieder einmal bei einer Demo zu Gewalt und Ausschreitungen, so dass die Polizei einschreiten und die Versammlung auflösen, waffenähnliche Gegenstände beschlagnahmen sowie Personalien feststellen musste. Diese Floskeln der Beschönigung, die einem deutschen Journalisten natürlich bei einer Demonstration in Teheran oder Peking nie im Leben einfallen würden, hat Renate Dillman jetzt in ihrem Beitrag auf den NachDenkSeiten unter die Lupe genommen. Er trägt den Titel: „Und seid ihr nicht (kriegs-)willig, so brauch‘ ich Gewalt“ und fasst nicht nur zusammen, was vor Ort geschah (greift dafür auch auf Augenzeugenberichte zurück, die etwa das Gewerkschaftsforum veröffentlichte), sondern gibt zudem eine Einordnung dieses Vorgangs in den Militarisierungsschub, den die BRD derzeit – begleitet von der Schützenhilfe der Medien – erfährt.

Dillmanns Fazit lautet: „Deutschland – so die nationale Zielbestimmung – muss kriegstüchtig werden. Deutschland – so die nationale Selbstdarstellung – muss das tun, um sich als freiheitliches Land gegen ‚autoritäre Regime‘ behaupten zu können. ‚Kriegstüchtig‘ werden – dazu gehört neben der Beschaffung von Waffen und Soldaten ganz weit vorne in der Prioritätenliste: die Reihen im Innern zu schließen. Für den Kriegskurs muss eine neue nationale Einheit her, und wenn sie nicht da ist, wird sie erzwungen – im Namen der Freiheit selbstverständlich. Denn diejenigen, die nicht mitziehen, sind ja – das wusste schon Franz Josef Strauß – die Feinde der Freiheit.“

Die Autorin hält auch fest, dass dazu der bisher zugelassene und ziemlich funktionale Level von Kritik und Protest nicht mehr passt. Das ist ja die Lektion, die in Kölner nicht nur 3000 „radikalen“ Jugendlichen, sondern damit auch der ganzen Friedensbewegung in der Republik erteilt wurde. Erfreulicherweise hat das Kölner Friedensforum diese Kampfansage verstanden und sich nicht von der Parade des Camps distanziert. Am 1. September hat das Forum eine Presserklärung veröffentlicht, in der es heißt: „Wir sehen hier seitens des Innenministeriums, des Polizeistabes und der Einsatzleitung die Absicht, die Proteste für Frieden und gegen die massive Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Bundesregierung zu kriminalisieren.“

Ausdrücklich vermerkt wird in dieser Erklärung auch die Irreführung der Öffentlichkeit, „dass nämlich von breiten Teilen der Medien ins Gegenteil verkehrt wird, was für uns, die wir diese Demonstration erlebt und mitgestaltet haben, erfahrbar war: Diese Demonstration ist nicht gestoppt worden, weil sie gewalttätig war, sondern weil sie in Opposition zur ‚Kriegstüchtigkeit‘ für den Frieden stand, sie ist gestoppt worden, obwohl sie friedlich war.“ Die Beleg dafür sind zahlreich, die Kölner DFG-VK hat z.B. weitere Augenzeugen zu Wort kommen lassen und Videoaufnahmen ins Netz gestellt, die Anwohner angefertigt haben. Sie zeigen – außer den einzelnen Grausamkeiten – eins: Das war keine Nacht-und Nebel-Aktion eines ausgerasteten Polizeitrupps, sondern alle Welt sollte sehen & einsehen, dass hier den Kriegsunwilligen im Lande die nötige Lektion erteilt wird.

„Highway to hell“

Einen besonderen Akzent zum Antikriegstag setzte derweil die Landeshauptstadt Düsseldorf, wie jetzt die Website Rätekommunismus berichtet. Unter der Überschrift „Highway to hell“ wird dort über den neuesten olivgrünen Kult der öffentlichen Bekenntnisse und Gelöbnisse informiert. Passender Weise wurde kurz nach dem Antikriegstag ein Großereignis vor dem Düsseldorfer Landtag gefeiert: 420 Rekruten durften das Gelöbnis „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe“ ablegen. Das Gelöbnis war dabei der Höhepunkt einer fast zweistündigen Feier mit geladenem Publikum, wohlwollenden Zuschauern und einer kleinen Horde von lauten Kriegsgegnern, die über 100 Meter entfernt von der Festwiese ihrem Protest Ausdruck verleihen durften.

Die Düsseldorfer Website informiert aber vor allem über einen anderen bemerkenswerten Vorgang – über eine Konferenz der Rüstungsindustrie in Verbindung mit einem hochrangigen DGB-Vertreter, die genau am 1. September begann. Informationen dazu finden sich auch in der Jungen Welt vom 5. September. Im Hotel Maritim trafen sich führende Vertreter der Rüstungsindustrie mit Bundespolitikern und Gewerkschaftern auf Einladung des Handelsblattes. Laut Einladungstext ist die derzeit labile politische Situation als ein Aufbruchssignal für die Rüstungsindustrie zu verstehen: „Die aktuellen sicherheitspolitischen Umbrüche und geopolitischen Spannungen führen zu milliardenschweren Investitionen in den Verteidigungssektor.“ Aber Geld ist nicht alles, so das Handelsblatt: „Für ein mögliches ‚olivgrünes Wirtschaftswunder‘ braucht es mehr als Geld: Entscheidend sind klare politische Leitlinien …“

Mittendrin war hier Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall. Ein Mann, der in Fragen Aufrüstung kein Blatt vor den Mund nimmt, sich aber auf Anfragen aus der Gewerkschaftsopposition zu seiner Teilnahme nicht äußern wollte. Eine kleine, aber lautstarke Gruppe der Gewerkschaftsinitiative „Sagt NEIN!“ begrüßte nämlich die Besucher der Konferenz. Sie wollte „die Kriegstreiber und -profiteure bei ihrem Festbankett in Düsseldorf nicht alleine“ lassen und verteilte dazu ihr Flugblatt „Kriegstreiber provozieren am Antikriegstag“. Per Megafon wurde den Konferenzteilnehmern mitgeteilt, dass so „der Militärisch-Industrielle-Digitale-Komplex auf seine ganz eigene und perverse Art den Antikriegstag“ feiert und die Teilnehmer sich „bei Champagner und Canapés zur weiteren Planung ihrer Kriege treffen“.

Natürlich ist klar, wie die Website Rätekommunismus festhält, dass Kriege in den Chefetagen der Politik geplant werden. Aber das Material hierzu liefert die Industrie und macht dabei schwindelerregende Gewinne – „Wie sagt man so schön: Eine Hand wäscht die andere!“. Und dass diese Gewinne eingefahren werden können, setzt gerade in schweren Zeiten einen sozialen Frieden voraus, der sich gewaschen hat. Dafür braucht man dann eine rücksichtslos national gesinnte Gewerkschaft. Die müssen Politik und Kapital in Deutschland nicht lange suchen. IG Metall-Kollege Kerner ist hier ein Musterexemplar. Bisher sind zwar keine Beiträge bekannt, die er auf der Düsseldorfer Konferenz abgegeben hat. Aber vor wenigen Monaten kennzeichnete er seine Position so eindeutig, dass seine Teilnahme den Erfolg der Verhandlungen, zu denen sich die Reichen und Mächtigen trafen, bestimmt nicht gefährdet hat.

Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten hat sich sich Kerner nämlich am 10. März in einem Interview so geäußert: „Wir merken momentan nur, dass wir für Abrüstungsdebatten keinen Ansatzpunkt finden, weil wir jetzt damit konfrontiert werden, dass wir uns erst einmal selber verteidigen müssen und feststellen, dass wir dazu nicht in der Lage sind, wenn die Amerikaner nicht mehr mitspielen… Wir fordern einen industriepolitischen Plan für die wehrtechnische Industrie. Wenn wir das aktuelle Sondervermögen mit den 100 Milliarden Euro anschauen, da fließt der größte Anteil nach Amerika, weil wir dort viele Rüstungsgüter kaufen. Weiterhin in den USA im großen Stil auf Einkaufstour zu gehen, selbst wenn der Präsident dort es will, wäre völlig kontraproduktiv.“

Tja, deutsche Gewerkschafter kümmern sich also nicht nur um den Aufwuchs einer deutschen Rüstungsindustrie, sondern auch darum, dass Rüstungsarbeiter in den USA ihre Arbeitsplätze verlieren…

 

 

 

 

 

Bild: picture alliance/dpa | Henning Kaiser