Hiermit veröffentlichen wir die sehr wichtige friedenspolitische Resolution „Uni in der Zeitenwende“ – ein Beschluss der Mitgliederversammlung ver.di FU Berlin vom 6. November 2025. Der Vorstand der Betriebsgruppe stellte diesem Beschluss folgende Stellungnahme voran:
„Wir veröffentlichen diesen Beitrag auf diesem Weg, weil wir die Diskussion darüber gewährleisten wollen. Die Veröffentlichung des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 06.11.2025 auf unserer Homepage (www.verdi-fu.de) wurde von der Landesfachbereichsleitung (ver.di Berlin-Brandenburg) untersagt und gelöscht.
Vorstand, ver.di-Betriebsgruppe Freie Universität
Aktuell (Stand: 10.11.2025, 10 Uhr) ist die gesamte Webseite der ver.di-Betriebsgruppe offline. Damit sind sämtliche kritischen Berichte der ver.di-Betriebsgruppe FU sowie Solidaritätserklärungen – zuletzt für den fristlos gekündigten DHL-Mitarbeiter Christopher – derzeit nicht mehr auffindbar.“
Friedenspolitische Resolution „Uni in der Zeitenwende – Ver.di-Betriebsgruppe an der Freien Universität Berlin, 6. November 2025:
Die Entscheidungen über Krieg, Rüstung und Wehrpflicht werden von Menschen getroffen, die selbst niemals an der Front stehen werden. Es sind auch nicht deren Kinder, die im Ernstfall den Kopf hinhalten, sondern wir Auszubildende, Lohnabhängige, Studierende und prekär Beschäftigte.
Daraus ergibt sich, dass wir als Lohnabhängige eine eigene, berechtigte Perspektive auf Krieg und Militarisierung haben. Ohne Zustimmung funktioniert kein Krieg. Deshalb sind wir auch die entscheidende Kraft, um dem Krieg die Grundlage zu entziehen.
Als ver.di-Betriebsgruppe an der Freien Universität Berlin lehnen wir jede Form der “Kriegsertüchtigung” unserer Gesellschaft ab – ob durch eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, durch Rekrutierungsversuche an Schulen und Hochschulen oder durch eine Aufrüstungspolitik, die unter dem Deckmantel der Sicherheit Kürzungen im Sozial-, Kultur- und Bildungsbereich rechtfertigt. Eine Billion Euro (das sind 1.000.000.000.000 €) sollen in den nächsten fünf Jahren in die Militarisierung gesteckt werden. Das Ziel über 2030 hinaus lautet jährlich 5% des BIP, derzeit wären das 213,5 Milliarden Euro (213.500.000.000 €), ins Militär zu investieren.
Gegen Spardiktat …
Diese Form der bedingungslosen Aufrüstung verschärft die soziale Ungleichheit. Während Rüstungsfirmen satte Gewinne einstreichen und Dividenden ausschütten, erwarten uns magere Tarifabschlüsse, Stellenabbau und Arbeitsverdichtung. Diese horrende Entwicklung wird flankiert von Weichenstellungen, welche den Geist der zivilen Forschung und Lehre nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs in Frage stellen.
Im Januar 2024 veröffentlichte die EU-Kommission ein „Weißbuch“, in dem besondere Anstrengungen zur Förderung der Forschung mit zivilen und militärischen Zielen (sog. Dual-Use-Forschung) gefordert werden. In ähnlicher Weise veröffentlichte das mittlerweile in Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt umbenannte deutsche Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im März 2024 ein „Positionspapier“, in dem die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Forschungseinrichtungen und die Schaffung von „Finanzierungsanreizen für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen ziviler und militärischer Forschung“ gefordert wurde. In ihrem Jahresbericht für 2024 schlug die deutsche Expertenkommission „Forschung und Innovation“ vor, die bisherige Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung aufzulösen.
… und Rüstungsinflation
Wir verwahren uns dagegen, dass die zivile Orientierung öffentlicher Hochschulen und Forschungseinrichtungen so offen in Frage gestellt wird. Nie wieder sollten sie für das Militärische vereinnahmt werden – das war die Schlussfolgerung aus der Geschichte des Nationalsozialismus, in dem sich auch die Wissenschaft allzu leicht für militärische Zwecke instrumentalisieren ließ.
Schon jetzt beobachten wir, dass weniger Mittel in sozial- und geisteswissenschaftliche Projekte und Fächer fließen, die für die technologische Hochrüstung keinen direkten Nutzen versprechen. Dabei verstärken Kürzungen in der Grundfinanzierung bei inflationär steigenden Mitteln fürs Militär den ökonomischen Anpassungsdruck auf Hochschulen und einzelne Wissenschaftler:innen. Im Einklang mit dem Beschluss vom letzten ver.di-Bundeskongress 2023 lehnen wir es ab, dass „öffentliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen […] durch strukturelle Unterfinanzierung dazu gedrängt werden, entsprechende Forschung durchzuführen (und Zivilklauseln faktisch auszuhebeln), noch dürfen autonome Waffensysteme entwickelt oder durch die Bundeswehr eingesetzt werden.“
Wir stellen fest:
Zivilklauseln sind ein notwendiges Instrument, um die friedliche Orientierung von Forschung und Lehre an den Berliner Hochschulen zu wahren. Nie wieder soll von deutschem Boden Krieg ausgehen. Als Gewerkschafter:innen sagen wir Nein zu politischen Initiativen, wie sie CDU/CSU und SPD beispielsweise in Hessen und Bayern versuchen, die diese Fundamente unserer freien Wissenschaft angreifen und erodieren. Die in den Bundesländern Bremen und Thüringen in den Hochschulgesetzen verankerten Zivilklauseln und in ca. 70 Hochschulen in langen Auseinandersetzungen erkämpften Selbstverpflichtungen, Lehre und Forschung allein für zivile Zwecke zu betreiben, sind eine wichtige Errungenschaft. Sie folgen dem Friedensgebot im Grundgesetz (Art. 1 Abs. 2; Art. 26 Abs. 1) und schaffen die Voraussetzungen für zivile, kooperative und nachhaltige Lösungsansätze internationaler Konflikte und globaler Herausforderungen.
Die Freie Universität Berlin ermangelt bislang eines solch ethischen Grundstatuts.
Unsere Forderungen an alle politischen Parteien sowie die Berliner Regierung
Keine Militarisierung der Bildungseinrichtungen
- Keine Rekrutierung durch die Bundeswehr an Hochschulen und Schulen; Werbung und Präsenz von Bundeswehrangehörigen verbieten
- Stopp der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht; Wehrerfassung und verpflichtende Ersatzdienste ablehnen
- Keine Forschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu militärischen Zwecken: Bestehende Zivilklauseln müssen erhalten bleiben und dürfen weder direkt noch faktisch ausgehebelt werden
- Dual Use berücksichtigen und militärischen Missbrauch gesetzlich einschränken
- Erforschung und Entwicklung sowie Einsatz von tödlichen autonomen Waffensystemen (LAWS) verbieten
- Eine Zeitenwende weg von politisch steuerbarer Drittmittelabhängigkeit hin zu angemessener Grundfinanzierung im Hochschul-, Bildungs- und Erziehungswesen
Gegen Repression und Einschränkung der Meinungsfreiheit
- Solidarität mit Kolleg:innen und Studierenden, die sich öffentlich friedenspolitisch äußern
- Per Gesetz werden, insbesondere in Berlin, hochschulrechtliche Standards verändert, um gegen Studierende vorzugehen, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wahrnehmen. So wird die Androhung von Exmatrikulationen zur Repression eingesetzt. Diese Maßnahmen beschneiden demokratische Beteiligung und dienen der Einschüchterung politisch Engagierter. Daher:
- Schluss mit der Kriminalisierung legitimer Proteste!
Schutz für alle Kriegsdienstflüchtlinge
- Weltweit riskieren Kriegsdienstverweigerer und Deserteur:innen Verfolgung, Haft und Repression: Wir fordern sicheren Aufenthalt und Asyl für alle, die dem Krieg entfliehen – unabhängig von Herkunft und Nationalität
- Schluss mit Abschiebungen, insbesondere in Länder, in denen Betroffene zum Militärdienst gezwungen werden
Unsere Forderungen an das Präsidium der Freien Universität
Ein klares Bekenntnis zur Forschung für zivile Zwecke
- Die verantwortlichen Gremien der Freien Universität sollen eine entsprechende Verpflichtung (Zivilklausel), die militärische Forschung wirksam verhindert, auf den Weg bringen
- Die von Charité und FU eingesetzte „Kommission für die Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“ (KEF) ist im Einklang mit BerlHG §74 Abs. 4 paritätisch zu besetzen
- Transparenz und Kontrolle: Militärisch bestimmte Forschungsprojekte sowie zivile Forschungsprojekte mit potenziell militärischem Nutzen (Dual Use) sind den Beschäftigten offenzulegen.
Keine Kooperationen mit Institutionen im In- und Ausland, die militärische Forschung fördern oder betreiben
- Zivilklauseln zum flächendeckenden Standard für die Forschung und zur Voraussetzung für internationale Zusammenarbeit weiterentwickeln
- Intensivierung der zivilen und friedensbildenden Forschung sowie internationaler Kooperationen. Nur so können wir mit den großen, drängenden globalen Problemen wie dem Klimawandel und Fragen der sozialen Gerechtigkeit fertig werden
Appell an die Gewerkschaften
Internationale Vernetzung für den Frieden
- ver.di, der DGB und alle internationalen Dachverbände sind aufgerufen, Kongresse gegen Militarisierung, Aufrüstung und Krieg zu organisieren
- Diese Kongresse dürfen nicht symbolisch bleiben, sondern müssen konkrete Strategien und internationale Kampagnen hervorbringen
- Die Finanzierung dieser Initiativen muss durch unsere Mitgliedsbeiträge gewährleistet werden – denn unsere Beiträge sollen dem Frieden und den Interessen der Beschäftigten dienen, nicht der Militarisierung
- Ziel ist eine internationale Bewegung von Gewerkschaften, die mit gemeinsamer Stimme für Frieden eintritt
- Gewerkschaftliche Mobilisierung gegen Waffentransporte und -lieferungen auf Luft-, See- und Landwegen, insbesondere an Luft- und Seehäfen, Bahnhöfen etc.
Beratungsangebote für Kriegsdienstverweigerung stärken
- ver.di muss eine niedrigschwellige, aktive Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerung aufbauen bzw. unterstützen
- Besonders junge Beschäftigte und Auszubildende brauchen Zugang zu rechtlicher und gewerkschaftlicher Hilfe
- Wir fordern ver.di auf, Informationsbroschüren zur Kriegsdienstverweigerung herauszugeben
Wir bejahen das Rechtzur gewissenhaften Verweigerung, an Projekten mit militärischen Zielen teilzunehmen! Niemand darf genötigt werden, gegen sein bzw. ihr Gewissen an militärischen (Forschungs‑)Projekten teilzunehmen oder sie zu akquirieren. Die Berliner Landesverfassung garantiert: „Jedermann hat das Recht, Kriegsdienste zu verweigern, ohne dass ihm Nachteile entstehen dürfen“ (Art. 30 Abs. 2)!
Für eine zivile, solidarische Gesellschaft – gegen Militarisierung & Aufrüstung!
Der Beitrag erschien auf Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin – Einmischen in aktuelle politische Diskurse aus gewerkschaftlicher Sicht Bild: ver.di
