Der Toys R Us-Aufsichtsratsvorsitzende (CEO) David A. Brandon darf sich für das Jahr 2017 auf Vergütungen und Boni von rund 18 Millionen US-$ freuen – auch nachdem er die Spielwaren-Kette am 19. September 2017 in die Pleite geführt hat. Das geht aus öffentlich einsehbaren Verträgen hervor.1 2 Das Toys R Us-Management äußerte sich auf Nachfrage nicht.
Damit liegt Brandon weit über dem, was deutsche Top-Manager einstreichen und was hierzulande regelmäßig für Empörung sorgt.
Mehr als alle deutschen Top-Absahner
Nur Springer-CEO Mathias Döpfner bekam mit umgerechnet 22 Mio US-$ mehr Cash auf die Flosse als Brandon – die Fachwelt streitet allerdings über die korrekte Berechnung seiner Bezüge durch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und die TU München.
Das nächste deutsche Schwergewicht in der Rangliste der Top-Absahner ist SAP-Chef Bill McDermott mit umgerechnet 16 Mio US-$ vor Daimler-Boss Dieter Zetsche.3
Keine Panik nach Toys R Us-Pleite: Deutschland-Geschäft nicht betroffen?
Toys R Us beschwichtigt die Beschäftigten in Deutschland, was die Bedeutung der Insolvenz angeht. Man sei nicht Teil der US-Mutter, die steuerlich in der Finanzoase Delaware veranschlagt ist und operativ von Wayne im Bundesstaat New York geleitet wird, sondern gehöre zum britischen Toys R Us-Ableger. Dieser sei gesund.
Zweifel bezüglich der Eigenständigkeit sind angebracht. Tatsächlich laufen alle Fäden in Wayne zusammen; das deutsche Management hat – wie in US-Unternehmen üblich – wenig Gestaltungsspielraum.
Finanzhaie an dickem Brocken verschluckt
Nach dem Weltfinanzcrash von 2008 gelang es bislang nicht, eine Ausstiegsstrategie zu finden. Ein für 2013 geplanter Börsengang musste abgesagt werden. Brandon, der bereits früher für Bain gearbeitet hatte, wurde 2015 eingesetzt, um das Ruder herum zu reißen.
Toys R Us schweigt sich bislang darüber aus, ob die obszön wirkende Summe von 18 Mio. für ihren Pleite-Manager tatsächlich ausgezahlt wird.
Belohnung für systematisches Lohndumping
Kritikwürdig ist nicht nur Brandons Belohnung trotz dauerhaften Misserfolgs, sondern auch der Kontrast zum dem erbärmlichen Lohn, den Toys R Us in Deutschland zahlt – er liegt oft nur knapp über Hartz IV-Niveau und zumeist unter einer Marge, die eine Rente über der Armutsgrenze ermöglicht.
Folgendes ist zu beachten: Brandon verdient seine 18 Millionen nicht etwa trotz der schlechten Behandlung von Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaftern, sondern wegen systematischen Lohndumpings und Tarifflucht.5 6
Seine Philosophie ist die gnadenlose Kostensenkung. Beschäftigte sind für Leute wie Brandon in erster Linie Kostenfaktoren. Genau hier liegt auch der Grund für den unaufhaltsamen Niedergang der Kette.
Ein Spielwarenladen sollte an Kinder und Junggebliebene letztendlich mehr verkaufen als in China zusammengeschweißtes Plastik, sondern Phantasie, soziale Interaktion, familiäre Idylle, Spaß, Spannung und Liebe. Diese Werte müssen durch Menschen vermittelt werden – die Verkäuferinnen und Verkäufer.
Schier unlösbare strukturelle Probleme
Monopolistischer Spielzeugmarkt-Kannibale Toys R Us ist Amazon schutzlos ausgeliefert
Brandon und seine Controller haben den Spielwarenhandel in ein seelenloses Verkaufsmonster verwandelt, das am Standrand angesiedelt ist.
Der Besuch bei Toys R Us basiert auf dem Auto – bereits das Hinkommen ist nervig und unökologisch. Von den Gewerbegebieten aus wurden mittels Preisdumping beinahe sämtlichen innerstädtischen Spielwarenläden in Deutschland in den Ruin getrieben. Heute gibt es allenfalls in Großstädten noch spezialisierte Nischenhändler.
Nun begann dieser letzte übrig gebliebene Kannibale – nachdem er alle anderen Einwohner auf seiner Insel verspeist hatte – sich selbst zu verzehren. Durch das Universal-Rezept us-amerikanischer Unternehmensberater und ihrer Nachahmer: „Optimierung der Wertschöpfungskette“, permanente Kostensenkung durch Lohndumping, Flexibilisierung, Verdichtung der Arbeit.
Den Aufstieg des Online-Handels verschlief Toys R Us in der Hybris des unanfechtbaren Monopolisten. Als ein neues seelenloses Monster namens Amazon auf den Plan trat, war Toys R Us ihm schutzlos ausgeliefert.
Wozu mit dem Auto an den Stadtrand fahren, wenn DHL und UPS die Spiele nach Hause liefern?
Die unlösbaren Probleme wurden durch den Welt-Finanzcrash von 2008 nicht kleiner. Die Rekordsumme von 5,8 Mrd. US-$, die Toys R Us vor dem Crash gekostet hat, wird heute nicht mehr reingeholt werden. Das Ganze ist ein Abschreibungsgeschäft. Keiner der kühlen, auf Quartals-Zahlen fixierten Controller will dem faulen Geld noch Kredite für dringend notwendige Investitionen hinterher werfen, um Amazon im Online-Handel paroli zu bieten.
Man darf gespannt sein wie die Geschichte ausgehen wird. Ob sich doch noch ein Käufer für Toys R Us findet? Vielleicht in China?
Ein wirtschaftlicher Irrglaube namens EBITDA
Brandons Lage als CEO von Toys R Us gleicht also einem Himmelfahrtskommando. Dass Brandon trotz programmierten Misserfolgs noch auf horrende Bezüge hoffen darf, liegt an Klauseln in seinem Vertrasg, die seine Leistung als Manager an der umstrittenen Größe EBITDA messen. Hinter der Abkürzung stehen die englischen Begriffe für Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und (Firmenwert-)Amortisierungen.
EBITDA setzte sich als Vergleichswert für den Erfolg einer Firma ab Anfang der 1990er-Jahre durch – parallel zum scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg aggressiver Finanzinvestoren.7
EBITDA soll beziffern, wie viel Zinslast eine Firma tragen kann, ohne zu kollabieren. Denn das Geschäft aggressiver Investmentfonds basiert darauf, mit wenig Eigenkapital Kredite aufzunehmen und das aufgekaufte Unternehmen diese Kredite abzahlen zu lassen.
Rote Zahlen sollen Beschäftigte und Gewerkschaften erpressen
So werden tiefrote Verlustzahlen erzeugt, um Belegschaften und Gewerkschaften zu Lohnsenkungen und Auslagerungen zu pressen. Die Investoren werden mit Ebitda beruhigt, das die gezielt konstruierten Verluste heraus rechnet.
Pamela Stumpp, Managerin der Rating-Agentur Moody’s, erklärte im Jahr 2000 in einer viel beachteten Studie, dass die Betonung des EBITDA oft irreführend sei, da es den Cash-flow zu sehr hervorhebe und wenig, wenn nicht sogar überhaupt nichts, über die Gewinnqualität aussage.
Immer heiter weiter: Auch dem Welt-Finanz-Crash 2008
Der Aufstieg und Fall des längst vergessenen New Economy-Riesen und ehemaligen Börsen-Wunders AOL TimeWarner war eng mit EBITDA verbunden. Deren CEO Richard Parson führte den Begriff so oft im Munde, dass er es zu „Ibbidda“ vernuschelte – und sich zum Gespött der Analysten machte.
Das EBITDA von AOL TimeWarner hatte 2002 rund 8,8 Milliarden Dollar betragen, eine Steigerung um fünf bis sechs Prozent. Das klang wesentlich besser als ein Nettoverlust in Höhe von 53 Milliarden Dollar. Der hohe Verlust enthielt Abschreibungen in Höhe von 54 Milliarden Dollar, und zwar auf den überhöhten Preis, den AOL bei der Übernahme von Time Warner im Vergleich zu deren eigentlichem Wert gezahlt hatte.8
Es handelt sich bei EBITDA also um einen Rosstäuscher-Trick.9 10
Obwohl Toys R Us laut Wirtschaftspresse seit 2013 in allen Quartalen außer dem Weihnachtsquartal rote Zahlen schreibt, konnte das Unternehmen bislang die geforderten EBITDA-Werte erreichen.
Um Anrechte auf Langzeit-Boni zu bekommen muss Brandon in drei Jahren einen Ebitda von 600 Mio. US-$ erzielen. Für 2016 gab die Firma einen Wert von 792 Mio. US-$ bekannt, 2015 sollen es 800 Mio. gewesen sein. Dem gegenüber stehen Nettoverluste von 36 Mio. und 130 Mio. US-$.11
Fußnoten
1Toys R Us: Employment Agreement David Brandon, https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1005414/000119312515213371/d935504dex101.htm, abgerufen 18.5.2017
2Laura Marcinek/Alicia Ritcey: Bain-Backed Toys ‘R’ Us New CEO Eligible for $50 Million in Cash, bloomberg.com, 5.6.2015 https://www.bloomberg.com/news/articles/2015-06-04/bain-backed-toys-r-us-new-ceo-eligible-for-50-million-in-cash
3Petra Schwegler: Was verdient Springer-Chef Mathias Döpfner?, wuv.de, 5.7.2017 https://www.wuv.de/medien/was_verdient_springer_chef_mathias_doepfner
4Spielzeug für 5,8 Milliarden Dollar, Manager magazin, 17.3.2005 http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-346982.html
5aktion./.arbeitsunrecht: Toys „R“ Us- Warum wurde das Unternehmen für den Schwarzen Freitag am 13. Mai 2016 nominiert?, https://aktion.arbeitsunrecht.de/de/freitag13/Mai2016/toysrus , abgerufen 26.9.2017
6Stefan Sauer: Toys’R’Us. Streik im Spielzeugland, Frankfurter Rundschau, 15.10.2015, http://www.fr.de/wirtschaft/toys-r-us-streik-im-spielzeugland-a-429535
7Ted Gavin: Top Five Reasons Why EBITDA Is A Great Big Lie, forbes.com, 28.12.2011 https://www.forbes.com/sites/tedgavin/2011/12/28/top-five-reasons-why-ebitda-is-a-great-big-lie/2/#618b27fa1a1c
8David Shook: Das Ebitda vernebelt den Blick auf das Unternehmensergebnis, FAZ, 15.1.2003 http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/gastkommentar-das-ebitda-vernebelt-den-blick-auf-das-unternehmensergebnis-191976.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
9What Buffett and Seth Klarman Say About EBITDA, oldschoolvalue.com, 10.3.2016 https://www.oldschoolvalue.com/blog/investing-perspective/buffett-klarman-ebitda/
10Herb Greenberg: Why Ebitda Falls Short Judging a company’s prospects in this market is no small feat., Fortune magazine, 10.7.2000 http://archive.fortune.com/magazines/fortune/fortune_archive/2000/07/10/283793/index.htm
11PR Newswire: Toys“R“Us, Inc. Reports Results for the Full Year and Fourth Quarter of Fiscal 2016, 12.4.2917 http://www.prnewswire.com/news-releases/toysrus-inc-reports-results-for-the-full-year-and-fourth-quarter-of-fiscal-2016-300438484.html
Bild: ver.di