Freiheit zu sorgen oder sorglose Freiheit? – Das Bedingungslose Grundeinkommen

Von Eveline Linke und Ruth Becker

Die Digitalisierung als Arbeitskiller. Das lässt viele (mal wieder) nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) rufen. Denn wie immer bei der Einführung neuer Technologien werden Arbeitsplätze überflüssig, was erst auffällt, seit es auch die Fertigung trifft, den Kern des geheiligten Wachstums, während in der bisherigen Frauendomäne Dienstleistung die Digitalisierung längst im Gange ist (mit Verlusten und Gewinnen).

Auch Arbeit 4.0 lässt die Arbeit (noch) nicht ausgehen, sondern kreiert neue Jobs, bestenfalls anspruchsvollere, weniger gesundheitsschädliche, weniger eintönige, weniger schwere und besser bezahlte – für die einen. Nur wer nicht mit kann, zu alt, lernunwillig oder nicht mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet ist, fällt leider raus. Doch ist für diese „Kollateralgeschädigten“ des Strukturwandels das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) die richtige Antwort?

Oder ist sie es für die wachsende Zahl derer in deregulierten Jobs, die (rot-grüne) Politik zu verantworten hat: für die unfreiwillig Zeitarbeitenden und Multijobbenden, die Jobcentergeplagten und Alleinerziehenden?

Nicht wenige sind überzeugt davon. Ein BGE wird bekanntlich von vielen Seiten gepriesen: von neoliberalen Unternehmern, von Konservativen über Religiöse, die, einig mit den Linken, ein Menschenrecht auf (leistungsfreie) Existenzsicherung beschwören, bis zu PostkapitalistInnen, Postpatriarchalen (altertümlich Feministinnen) und PostwachstümlerInnen, die – wenigstens für den Einstieg in den Ausstieg – ein BGE für unterstützend bis unerlässlich halten.

Denn es verspricht Freiheit. Freiheit von Existenznöten, Arbeitszwängen und demütigenden Bedürftigkeitsnachweisen, von miesen Arbeitsbedingungen, stressigen Selbstoptimierungsansinnen und sinnlosen oder schädlichen Tätigkeiten. Und die Freiheit zu mehr Zeitsouveränität für Sorge, politische Aktivität und Arbeitskämpfe, zur Selbstverwirklichung und zur Muße.

Das ist bestechend und findet viele Gläubige. Jedenfalls solange die ProtagonistInnen sich mit Konkretem zurückhalten, mit Zahlen und unbequemen Details.

Wie groß kann die finanzielle Freiheit sein?

Nehmen wir ein Grundeinkommen von 1000 Euro pro Person monatlich, wie vielfach vorgeschlagen. Allein für die 82 Millionen derzeit in der BRD Lebenden bräuchte es rund eine Billion Euro im Jahr. Das Argument, diese werde bereits heute an Sozialleistungen (962 Milliarden in 2017) ausgegeben, übersieht, dass das Sozialbudget ganz überwiegend aus Versicherungsleistungen besteht, finanziert von Beschäftigten und Unternehmen und nicht vom Staat. Wäre es wohl als gerecht zu vermitteln, die Arbeitslosen vom ersten Tag an auf das Grundeinkommen zu verweisen unabhängig vom bisherigen Verdienst, und alle Rentnerinnen unabhängig davon, wie viel sie in die Rentenkassen einbezahlt haben? Und dann noch ihre Kranken- und Pflegekosten aus dem BGE finanzieren zu lassen?

Unbedenklich könnten nur Hartz IV, Kinder- und Erziehungsgeld, BaFöG und die Grundsicherung im Alter entfallen. Das sind rund 140 Milliarden Euro (incl. Verwaltungskosten!). Es fehlen also noch 860 Milliarden, zuzüglich der (kaum voraussehbaren) Krankenversicherungskosten, die nach vielen Modellen für all diejenigen auch steuerfinanziert werden sollen, die neben dem BGE kein Einkommen beziehen. Nicht gerechnet den Mehraufwand für die Finanzbehörden, da dann alle, die ein Einkommen beziehen, individuell veranlagt werden müssten. Spätestens hier wäre es mit der Freiheit von Kontrolle dann auch vorbei. Es träfe allerdings alle und nicht nur die Prekarisierten. (Steuerflucht würde es aber kaum eindämmen).

Die Vorschläge, wie diese Milliarden zu finanzieren seien, gehen weit auseinander. Gedacht wird sowohl an die Erhöhung bestehender Steuern (seltsamerweise aber nicht an eine Erhöhung der durch Rot-Grün gesenkten Körperschaftssteuer!) wie auch an die Einführung neuer (z.B. Maschinen- oder Ressourcensteuer). Konkrete Berechnungen liegen jedoch nur für die sogenannte negative Einkommensteuer vor, weshalb wir uns hier auf diese beziehen.

Wer profitiert und wer zahlt drauf?

Finanzieren müssten das BGE die Steuerzahlenden, und zwar nicht nur die Reichen, sondern alle, die dazu verdienen, vom ersten Euro an!

Einer alleinstehenden Person blieben mit einem 1000 Euro-Job bei einem Steuersatz von 50 Prozent (mit dem viele Modelle rechnen) sowie dem derzeit rund 20 Prozent-Beitrag für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung von ihrem Verdienst gerade mal 300 Euro, hätte also einschließlich Grundeinkommen 1.300 Euro. Wer 3000 Euro brutto oder mehr verdient, würde sich dagegen schlechter stellen als mit den derzeit geltenden Regelungen. Ob das die Akzeptanz bei den BezieherInnen kleiner und mittlerer Löhne bzw. Gehälter fördern würde?

Für Alleinstehende bringt das BGE wenig mehr als die bisherige Grundsicherung, die je nach Region und Wohnungskosten auch bei knapp 1000 Euro liegen kann. Ohne Wohngeld (das viele BGE’ler abschaffen wollen) könnten sie sich kaum noch das Leben in teuren Großstädten leisten – und die Freiheit für Frauen, sich aus unbefriedigenden Beziehungen zu lösen, wäre sehr begrenzt.

Vorteile hätten die Menschen mit Kindern. Bei einem einheitlichen BGE auch für Kinder, was auch von feministischen Befürworterinnen unterstützt wird, hätte z.B. ein Paar mit drei Kindern 5000 Euro Grundeinkommen und könnte noch berufstätig sein – hätte aber vielleicht nicht mehr viel Anlass dazu. Auch Alleinerziehenden ginge es damit vergleichsweise gut.

Die Eliten blieben weitgehend unangetastet, denn ihr Grenzsteuersatz liegt heute schon bei knapp 50 Prozent (einschließlich Soli und Reichensteuer). Die Hauptlast des BGE würden die weiterhin Erwerbstätigen mit mittlerem Einkommen tragen. Ob sich alle den Berufs-Stress auf Dauer noch antun wollten, wäre es gesellschaftlich akzeptabel, nicht erwerbstätig zu sein, ist zumindest fraglich.

Doch nicht nur potenzielle AussteigerInnen würden die Finanzierung ins Wackeln bringen. Auch alle, die verlockt wären, aus EU-Ländern mit schlechteren Lebensbedingungen hierher überzusiedeln – von den MigrantInnen aus nicht EU-Ländern ganz zu schweigen. Oder soll der Zuzug gestoppt und die Wohltaten des BGE auf Deutsche beschränkt werden? Da liegen die Vorstellungen weit auseinander und manche retten sich in den Zukunftstraum eines weltweiten BGE.

Wer wird wie die Freiheiten nutzen?

Die Befreiung von Existenznöten per Umverteilung ist somit nicht ganz befriedigend. Aber da wären ja noch all die erwarteten Effekte des BGE. Die Wirtschaft würde angekurbelt, weil mehr Leute mit hoher Konsumneigung nun mehr Geld hätten. Das freut nicht nur die Unternehmer, die nun wieder Grund hätten, in Maschinen statt in Kapitalprodukte zu investieren (was die Digitalisierung aber nicht aufhalten würde). Es freut erstaunlicherweise auch einige Linke, obwohl diese doch Grund hätten zu fragen, ob dieser Konsum wünschenswert ist, weil das Wachstum die Umwelt und das Klima zerstört, was die Armut vergrößert. Freilich nicht bei uns – erstmal. Lassen wir mal beiseite, dass die erhoffte Kaufbereitschaft der Massen auch Anlass geben könnte, die Preise zu erhöhen, so müssen sich doch auch die konservativen BGEler, die eigentlich nicht mehr wollen, als ein befriedetes Weiterso, fragen lassen wie weit es noch geht, wenn es so weiter geht. Ob sie die Klimaflüchtlinge aus dem Süden dann doch akzeptieren, weil die Weichmacher aus unserem Konsumschrott nicht nur die Fische, sondern auch die Männer zunehmend zeugungsunfähig machen? Und die aus dem BGE-Bezug ausgeschlossenen MigrantInnen dann die letzten noch nicht robotisierten Drecksarbeiten vor ihren Augen erledigen (statt weit weg in den Sweatshops des Südens)?

Womöglich tun die sich aber mit all den Unzufriedenen zusammen, die sich, nun existenzgesichert, in Arbeitskämpfe stürzen, locker ihren schlecht bezahlten Job riskierend, zumal der sich bei den neuen Steuersätzen noch weniger rentiert. Mit ihrer 1000-Euro-Sicherung springen auch die resignierten Langzeitarbeitslosen von der Couch und machen sich selbständig. Die in den blühenden Landschaften still Verwelkten verwirklichen sich im Urban Gardening und die rechtsradikalen Kids entwickeln gemeinwohlorientierte Projekte, unterstützt von ehrenamtlicher Hilfe zur Selbsthilfe.

Woher aber kommt der umzuverteilende gesellschaftliche Reichtum, wenn er „nicht mehr über die an Arbeitszeit gebundenen Wertschöpfungsprozesse und die Distribution von Waren“ (Andre Gorz) entsteht? Und dann auch nicht mehr aus den Kapitalgewinnen? Es gäbe dann nicht mehr so viel zu verteilen. Es sei denn, die Ziele des Wachstums würden beizeiten umdefiniert.

Weil Wachstum nicht per se schlecht ist (zumal es ja zur Finanzierung des Grundeinkommens gebraucht wird), muss, so die DeGrowtherInnen, klar sein, was künftig wachsen soll. Und da ist klar, wachsen soll, was die Lebensqualität hebt, ohne Natur verbrauchende und zerstörende Massenproduktion und auch jenseits „grünen“ Wachstums, unterstützt durch Subsistenz und Eigenproduktion. Ob sich davon so ohne weiteres all die überzeugen lassen, die auch mit dem BGE nur von der Hand in den Mund leben, ist zumindest zweifelhaft. Suffizienz ist wohl eher nicht ihr Thema. Und ob die BGE-geschröpfte Mittelschicht in der notwendigen Mehrheit (die DeGrowth-Gemeinde würde kaum reichen) von ihrer Orientierung nach oben lassen würde?

Eines darf, ja muss wachsen: die bisher unterbewerteten, die vernachlässigten Sorgearbeiten. Da sind sich alle kapitalismuskritischen Bewegungen einig. Voran die feministischen. Die wollen „die beiden im Kapitalismus getrennten Sphären von Produktion und (Re)Produktion zusammen denken“ (Adelheid Biesecker u.a.) und möglichst Care zum Ausgangspunkt allen Wirtschaftens machen, auf dass sich eine vorsorgende Wirtschaftsweise entwickele, eine Produktion gemäß den Bedürfnissen von Mensch und Natur statt der bisherigen Bedürfnisproduktion. Dafür könnte ein BGE mit seinem Versprechen der Zeitsouveränität nur nützlich sein. Die Unbedingtheit eines von allen zu leistenden Care-Anteils scheint sich hier ohne weiteres mit der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens zusammendenken zu lassen.

Nun besteht zwar die Chance, dass ein geändertes Geschlechterverhältnis zu einer gesellschaftlichen Transformation beiträgt. Doch wird ein neues Zeitregime, das sehen auch die Denkerinnen, die Sorgearbeiten nicht selbstverständlicher zwischen den Geschlechtern verteilen.

Ein BGE wird auch die Care-Arbeiten nicht automatisch aufwerten, zumal es keinesfalls als Lohn für Hausarbeit misszuverstehen sein soll. Überhaupt ist die Aufwertung per Bezahlung strittig (wenngleich durch Wachstum des Care-Sektors ja auch Geld in die BGE-Kasse fließen könnte). Sorgearbeiten nicht zu bezahlen, wertet sie erfahrungsgemäß nicht auf. Sie zu bezahlen jedoch – wegen des unbezahlbaren Emotionalitätsfaktors – in mancher Augen ab. Realistisch finden einige, es brauche beides: unbezahltes und bezahltes Sorgen und letzteres eben deutlich höher. Gabriele Winkers BGE-Begleitforderung nach einem steuerfinanzierten „deutlich ausgebauten Netz personennaher Dienstleistungen in den Bereichen Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheitsversorgung und Altenpflege“ gerät allerdings unweigerlich in (finanzielle) Konkurrenz zum BGE und lässt die Frage aufkommen, ob mit einem solchen Netz nicht schon vieles von dem erreicht wäre, was mittels BGE erst erkämpft werden soll.

Vielleicht wären überhaupt nichtmonetäre Formen eines BGE die realistischere Variante, wie der Gratiszugang zu einigen lebensnotwendigen Ressourcen und Infrastrukturen, in die ohnehin viel investiert werden müsste. Das hätte den Vorteil, mit Steuergeldern finanzierte, qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen, statt Geld ohne Gegenleistung zu verstreuen. Und zwar in genau den Bereichen, deren Vernachlässigung von den Feministinnen so sehr beklagt wird. Das funktioniert allerdings nur (sinnvoll), wenn es gelingt, die heutigen Hauptprofiteure der Infrastrukturen und größten Ressourcenverbraucher angemessen an der Finanzierung zu beteiligen, d.h. entsprechend ihrer (Ver)Nutzung zu besteuern, statt einer ebenso ungerechten wie ineffizienten Steuer-Flatrate für alle.

 

 

Ruth Becker ist Volkswirtin und war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Frauenforschung und Wohnungswesen an der TU Dortmund. Eveline Linke ist Architektin und freie Autorin. 

Der Artikel erschien zuerst in Lunapark21, Heft 40, Winter 2017 http://www.lunapark21.net/ und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion gespiegelt.

Bild: hallischestoerung.de