»Arbeitszeit bei Lohnausgleich verkürzen, Finanzmärkte regulieren, Sparpolitik beenden!«

Die Jubelmeldungen über die Erfolge der deutschen Wirtschaft reißen nicht ab. Gleichzeitig sorgten Anfang des Jahres Kursstürze an den Aktienmärkten weltweit für Unruhe. Die MAIZEITUNG sprach darüber mit Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen und Sprecherin der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

MAIZEITUNG: Mit 2,2 Prozent ist die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr so schnell gewachsen wie seit fünf Jahren nicht mehr. Alles in bester Ordnung?

Mechthild Schrooten: Das Wirtschaftswachstum kommt nicht bei allen Menschen an. Wir haben ein dauerhaftes Verteilungsproblem. Die Kapitalseite profitiert deutlich stärker vom Aufschwung als die abhängig Beschäftigten. Unsere Gesellschaft spaltet sich immer stärker in Gewinner/innen und Verlierer/innen. Wer auf der Gewinnerseite sein will, muss Kapital, Vermögen oder ein hohes Einkommen haben.

Die Bundesregierung spricht von »Rekordbeschäftigung«, aber jede(r) vierte Beschäftigte arbeitet mittlerweile im Niedriglohnsektor. Handelt es sich bei den neu entstandenen Arbeitsplätzen überwiegend um prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit oder unfreiwillige Teilzeit?

Mechthild Schrooten: Das war in den vergangenen Jahren vielfach so. Inzwischen nehmen auch die sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen wieder zu. Es tut sich in der Tat etwas auf dem Arbeitsmarkt. An manchen Stellen besteht sogar ein hartnäckiger Fachkräftemangel. Die Unternehmen singen aber lieber das Lied vom Mangel, als dass sie deutlich attraktivere Löhne zahlen. Der Arbeitsmarkt ist in Bewegung, was nicht zu Lasten der abhängig Beschäftigten gehen darf. Dabei sind auch neue Arbeitszeitmodelle gefragt.

Wie können Ihrer Meinung nach die Beschäftigten stärker vom Aufschwung, aber auch von den Produktivitätszuwächsen im Zuge der Digitalisierung profitieren?

Mechthild Schrooten: Ich rate den Gewerkschaften, auf deutliche Lohnforderungen und Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich zu setzen. Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Damit es zu keiner Mehrbelastung für die Beschäftigten kommt, muss der notwendige Personalausgleich in den Tarifverträgen festgeschrieben werden. Dann würden auch die profitieren, die es am nötigsten haben, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Arbeit angemessen zu entlohnen, kann Wunder wirken: Steigende Einkommen kurbeln die Binnennachfrage weiter an und stabilisieren so die wirtschaftliche Entwicklung.

Könnten die Kursstürze an den Aktienmärkten Anfang des Jahres Vorboten größerer Probleme sein?

Mechthild Schrooten: Die Vorboten größerer Probleme kommen schon aus dem vergangenen Jahr, als die Aktienkurse stark gestiegen sind. Auch dafür gab es keine realwirtschaftliche Begründung. Ähnliches sehen Sie auch am Immobilienmarkt. Da sind keine echten Werte geschaffen worden, sondern in erster Linie nur die Preise gestiegen. Bei stark steigenden Preise und Kursen kommt es immer wieder zu Korrekturen nach unten. Die Unsicherheiten haben auch im weltwirtschaftlichen Gefüge zugenommen. Wir werden zukünftig öfter erleben, dass es auf den Finanzmärkten schnell nach oben oder nach unten geht.

Was müsste die Politik tun, um die Finanzmärkte in den Griff zu bekommen?

Mechthild Schrooten: Im Zuge der internationalen Finanzkrise war angekündigt worden, die Kapitalmärkte sicherer zu machen, neuen Krisen vorzubeugen und die Finanzakteure an den Kosten der Krise zu beteiligen. Nach wie vor gibt es jedoch keine Finanztransaktionssteuer, und einzelne Banken werden immer größer. Das ist Regulierungsversagen und damit Politikversagen. Mit der Finanztransaktionssteuer sollten die Geldgeschäfte auf dem Finanzmarkt entschleunigt und der Sekundenhandel mit sehr schnellen Käufen und Verkäufen verteuert werden. Die daraus resultierenden kleinen Kursgewinne tragen durch die große Menge, mit denen Kapitalanleger und Fondsgesellschaften handeln, zu erheblichen Spekulationsgewinnen bei.

Was ist mit der Regulierung der Banken?

Mechthild Schrooten: Die Bankenregulierung ist jetzt zehn Jahre nach der internationalen Finanzkrise deutlich besser geworden. Aber man kann nicht sagen, dass der Bankensektor stabilisiert ist. Noch immer schlummern an vielen Stellen faule Kredite.

Wie bewerten Sie die Ankündigung der Großen Koalition, das Spardiktat im Euroraum beenden und mehr investieren zu wollen?

Mechthild Schrooten: Das wäre dringend notwendig. Wie auch auf der nationalen Ebene ist in Europa eine Abkehr von der sogenannten Sparpolitik ganz zentral. Wohin die Kürzungspolitik führt, kann man nicht nur in extremer Form in Griechenland, sondern schon hier in Deutschland sehen. Schauen Sie sich den unterfinanzierten öffentlichen Sektor an, wie hoch da der Investitionsbedarf ist. Da sind Straßen, Brücken und Schulen marode. Es fehlt an allen Ecken und Enden, von der Kita bis zur Pflege ist alles unterfinanziert. Die entstehenden Kosten müssen die Menschen privat schultern. Gleichzeitig weist der Staatshaushalt in Deutschland Überschüsse aus. Das macht weder politisch noch ökonomisch Sinn. [1]

 

MECHTHILD SCHROOTEN (57) ist Professorin an der Hochschule Bremen mit dem Schwerpunkt Geld und internationale Integration. Zusammen mit Heinz-J. Bontrup ist sie Sprecherin der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die jeweils zum 1. Mai ein Gegengutachten zum jährlichen Gutachten der »fünf Wirtschaftsweisen« herausgibt. Vor ihrer Tätigkeit an der Hochschule Bremen war Mechthild Schrooten stellvertretende Leiterin der Abteilung Weltwirtschaft beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und hatte eine Professur an der HitotsubashiUniversität, der wichtigsten Universität für Ökonomie in Japan.

 

 

Quelle: Maizeitung/DGB Hannover   

Bild: verdi-jugend