„Keine Entwarnung bei prekärer Beschäftigung. Auch wenn das Thema im aktuellen Koalitionsvertrag keine zentrale Rolle spielt, bleibt der Gesetzgeber gefordert, prekäre Beschäftigung einzudämmen und die Leitplanken für gute Arbeit zu setzen. Die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt bleibt weiterhin dramatisch. Dabei bietet grade die gute Konjunktur am Arbeitsmarkt viele Spielräume, um auch prekär und atypisch Beschäftigte besser in den Arbeitsmarkt einzubinden und ihre Lage zu verbessern.
1. Einleitung
Eine Studie des BMAS stellt fest, dass die Unterschiede zwischen Fachkräften und Helfer/innen sogar größer werden. „Die Verhandlungsposition Geringqualifizierter wird sich dagegen voraussichtlich eher verschlechtern, so dass erhebliche Unterschiede in den Arbeitsbedingungen und in der empfundenen Arbeitsqualität, je nach Ausbildung, Qualifikation und Tätigkeit der Zeitarbeitnehmer/-innen, zu erwarten sind.“
In allen Formen prekärer Arbeit ist ein ähnliches Muster erkennbar: Niedrige Einkommen, geringer sozialer Schutz und weniger Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Davon werden auch die Stammbelegschaften in Mitleidenschaft gezogen. Beschäftigte in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen werden durch die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes unter Druck gesetzt, ihren Arbeitsgebern Zugeständnisse zu machen. Prekäre Arbeit hat zu einer drastischen Zunahme des Niedriglohnbereichs geführt. In Deutschland ist er größer als in allen anderen Staaten Westeuropas. 1,2 Millionen Erwerbstätige verdienen so wenig, dass sie zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind, zum Teil auch deswegen, weil sie keine Vollzeitbeschäftigung finden.
Viele Menschen sind arm, obwohl sie erwerbstätig sind. Die Sanktionsdrohung im HartzIV-Bezug wirkt disziplinierend auf alle Arbeitsuchenden. Sie verschärft die ohnehin gegebene Macht-Asymmetrie auf dem Arbeitsmarkt zu Lasten der abhängig Beschäftigten. Arbeitsuchende, die wissen, dass sie bei Ablehnung einer Arbeit – z. B. weil sie unter Tarif bezahlt wird – sanktioniert werden, können nicht frei und selbstbewusst mit Arbeitgebern über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandeln. Und die Pflicht, nahezu jede Arbeit annehmen zu müssen, wirkt zusätzlich als Motor von prekärer Beschäftigung. Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Beschäftigung haben auch deshalb keine so nachhaltige Wirkung wie nötig erreicht, weil Reformen nur punktuell und halbherzig umgesetzt werden – oder mit den Reformen, auch wegen des massiven Widerstands der Arbeitgeberseite, die Regeln nicht so klar und eindeutig gefasst wurden, dass sie in der Realität greifen.
So bleiben z. B. Werkverträge weiterhin missbrauchsanfällig, da es der Regierung in der letzten Gesetzesreform nicht gelungen ist, klare Abgrenzungskriterien von Werkverträgen zu bestimmen. Die Befristung der Leiharbeit kann leicht umgangen werden. Die Einschränkung von sachgrundloser Befristung wird vermutlich zu einem Rückgang von Befristungen führen, hier werden wir uns als Gewerkschaften für eine möglichst effektive Regelung engagieren. Es gilt darauf zu achten, dass nicht im nächsten Schritt Arbeitgeber immer mehr Verträge zum Teil mit Sachgrund befristen. Das Dilemma ist: Solange nur einzelne Verbesserungen durchgesetzt werden, nicht aber ein Maßnahmenbündel, um prekäre Beschäftigungen insgesamt einzudämmen, werden die Erfolge im Kampf gegen prekäre Arbeit unbefriedigend bleiben.
Angesichts des prognostizierten Fachkräftebedarfe und des internationalen Innovationswettbewerbs kann die deutsche Wirtschaft nicht mit einem Leitbild von Billigarbeit bestehen. In Deutschland wurde lange der Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft, der wirtschaftliche Entwicklung mit gesellschaftlicher Solidarität verbunden hatte, hochgehalten. Mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes seit den 90er Jahren wurde dieses Versprechen aufgekündigt. Während auf der einen Seite die Wirtschaft heute boomt, haben auf der anderen Seite prekäre Beschäftigungen und deregulierte Arbeitsmärkte zu einer tiefen Verunsicherung großer Teile der Erwerbstätigen geführt. Deshalb ist unabdingbar, diese Entwicklung zu stoppen und dem ein zukunftsfähiges Leitbild von Guter Arbeit entgegenzustellen. Dies beinhaltet neben der sozialen Absicherung und einem existenzsicherndem Einkommen auch gute Arbeitsbedingungen mit erweiterten betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Beschäftigten. Aus Sicht der Gewerkschaften muss es die Aufgabe von Politik sein, gute Arbeit durch eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt abzusichern: Das bedeutet eine drastische Reduzierung von prekärer Beschäftigung und eine qualitative Verbesserung bei der Vermittlung von Arbeit während der Arbeitslosigkeit. Die Schaffung Guter Arbeit ist auch ein wichtiges Mittel, um das Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen.
Grade Menschen, die hohe Risiken tragen, sollten mindestens besser sozial abgesichert werden. Derzeit wird im Bundestag ein Gesetz beraten, das den Zugang zur Arbeitslosenversicherung erleichtert. Die Beschäftigten sollten in Zukunft 30 Monate Zeit haben, um durch eine 12-monatige Beschäftigung den Anspruch auf Arbeitslosengeldgeld zu erwerben. Der DGB fordert eine Frist von 36 Monaten und eine Verkürzung der Vorbeschäftigung von zwölf auf zehn Monate. Rund 100.000 Menschen würden dann bei Arbeitslosigkeit nicht mehr Hartz IV sondern Arbeitslosengeld bekommen. Das ist auch finanzierbar, wenn der Beitrag – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – nur um 0,3 Prozent und nicht um 0,5 Prozent gesenkt würde. Uns geht es darum, das soziale Sicherungsversprechen zu erneuern.
2. Befristung
Was ursprünglich als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedacht war, ist inzwischen zu einem Massenphänomen geworden. Viele Arbeitgeber nutzen die bestehenden gesetzlichen Regelungen, obwohl es keinen betrieblichen Anlass für Befristungen gibt. Sie verlagern die Risiken auf die Beschäftigten, mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat dies Verhalten nichts mehr zu tun. Befristungen werden entweder als verlängerte Praktika, Probezeiten, oder als Flexibilisierungsinstrument missbraucht. Der fehlende Kündigungsschutz setzt die Beschäftigten unter Druck, weniger mutig gegenüber den Vorgesetzten aufzutreten und er hebelt die Mitbestimmungsrechte aus. Auch Branchen, die ansonsten über Fachkräftemangel klagen, setzen verstärkt auf Befristungen, das eigene Verhalten und die Klagen in der Öffentlichkeit passen nicht zusammen.
Viele Beschäftigte hangeln sich von Job zu Job. Kettenbefristungen können über Jahre andauern. Sie führen zu fehlenden Perspektiven, psychischen Belastungen und sind Gift für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – besonders für junge Beschäftigten, die vorwiegend von Befristung betroffen sind.
Einschränkung sachgrundloser Befristung in Koalitionsvereinbarung
In der aktuellen Diskussion der Bundesregierung sind eine Begrenzung der sachgrundlosen Befristung und eine Verkürzung der zulässigen Laufzeit für befristete Arbeitsverträge vorgesehen. Betriebe mit mehr als 75 Beschäftigten dürften dann nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Darüber hinaus sollen die Befristungsdauer insgesamt wieder auf 18 Monate verkürzt werden. Kettenbefristungen mit Sachgrund sollen nach maximal fünf Jahren ganz verboten werden.
Dies ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber er wird die Probleme der Befristung nur teilweise lösen. Denn Befristungen mit Sachgrund bleiben weiterhin bestehen. Es ist zu befürchten, dass viele Betriebe, die bisher sachgrundlose Befristungen praktiziert haben, diese in Befristungen mit Sachgrund umwandeln. Für den Arbeitgeber ist es leichter, keine Sachgründe anzugeben, da sie schwieriger abzugrenzen sind und rechtlich überprüft werden können. Andere Arbeitgeber, denen das neue Verfahren bei Befristungen zu kompliziert werden könnte, werden vermutlich auf andere Flexibilisierungsinstrument ausweichen und stattdessen stärker auf Leiharbeit oder Werkverträge zurückgreifen.
Gewerkschaftliche Forderungen
- Abschaffung aller sachgrundlosen Befristungen, um den Missbrauch der verlängerten Probezeit zu beenden und Beschäftigte besser zu schützen.
- Abschaffung bestimmter Sachgründe: Keine Sonderregelung für Existenzgründer; keine Befristung wegen befristeter Haushaltmittel sowie keine Befristungen in der Wissenschaft.
- Schaffung eines Anspruchs auf bevorzugte Einstellung für befristet Beschäftigte.
3. Leiharbeit
2017 hat die Leiharbeit mit über einer Million Beschäftigte in Deutschland einen Höchststand erreicht. 2018 sind die Zahlen leicht rückläufig. Eine Ursache hierfür sind die Flüchtlinge, die verstärkt über Leiharbeit in Erwerbstätigkeit integriert werden. Auch die schärferen Sanktionen bei Scheinselbständigkeit könnten dazu geführt haben, dass Betriebe Werkverträge durch Leiharbeit ersetzen. Ziel der Gesetzesreform von 2017 war es, Leiharbeit und Werkverträgen auf die Kernfunktionen zu beschränken. Eine spürbare Wirkung ist aktuell noch nicht zu sehen.
Aus den Einzelgewerkschaften gibt es erste Hinweise, dass vereinzelt Leihbeschäftigte nach 18 Monaten fest übernommen wurden. Aber ebenso werden Fälle berichtet, in denen Betriebe die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten umgehen. Um die Festeinstellung zu verhindern, tauschen Unternehmen einfach die Leihbeschäftigten aus oder setzen sie nach einer Unterbrechung von drei Monaten erneut als Leihbeschäftigte ein. Das widerspricht eindeutig der Absicht des Gesetzes. Die Koalition hat sich für diese Legislaturperiode vorgenommen, das Gesetz zu überprüfen. Der DGB wird deshalb die Verleihpraxis genauer beobachten, um auf mögliche Probleme aufmerksam zu machen.
Die Beschäftigten tragen auch weiterhin das Hauptrisiko von Leiharbeit: Geringe Verdienste, wenig Perspektiven auf eine reguläre Arbeit und keine Mitbestimmung in den Verleihbetrieben. Oft sind sie Beschäftigte zweiter Klasse – in einzelnen Betrieben werden sie sogar durch besondere Kleidung oder Kennzeichen von der Stammbelegschaft unterschieden. Leiharbeit bietet aber auch Arbeitslosen die Möglichkeit, wieder in der Berufswelt Fuß zu fassen. Doch von einem Sprungbrett in reguläre Arbeit kann weiterhin nicht die Rede sein!
Leiharbeit bedeutet für viele Beschäftigte ein Dauerzustand, bzw. sie wechseln zwischen Phasen von Leiharbeit, Arbeitslosigkeit und abhängiger Beschäftigung. Die Wahrscheinlichkeit, selbst nach fünf Jahren Leiharbeit in eine reguläre Beschäftigung zu wechseln, liegt nur bei 35%. Die Brückenfunktion wird zwar immer wieder öffentlich thematisiert, aber in Wirklichkeit hat der Verleiher kein Interesse daran, dass die Beschäftigten vom Entleihbetrieb übernommen werden. Die Erfahrung zeigt, dass eher Fachkräften der Übergang gelingt, diese benötigen aber keine Leiharbeit, um in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen.
Für Flüchtlinge ist Leiharbeit oft der erste Kontakt mit der deutschen Arbeitswelt. Verleihfirmen übernehmen die Bürokratie mit den Behörden, so dass sich die Flüchtlinge auf die Arbeit und ihre neue Lebenswelt konzentrieren können. Hier kann Leiharbeit ein Weg in die Normalbeschäftigung sein. Wichtig ist aber, dass die Verleiher in Weiterbildung investieren. Das geschieht leider zu selten. Hierfür können sie sogar eine Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit erhalten. So können die Potentiale der Geflüchteten für den Arbeitsmarkt genutzt werden.
Gewerkschaftliche Forderungen
- Die Reduzierung von Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen bleibt angesichts der hohen Zahlen dringender denn je. Leiharbeit hat sich ursprünglich von einem Ausnahmeinstrument immer mehr zu einer „normalen“ Beschäftigungsform entwickelt.
- Die Benachteiligung von Leihbeschäftigten muss beseitigt werden. Einkommen, Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungsrechte von Leihbeschäftigten müssen sich an denen der normal Beschäftigten orientieren.
4. Werkverträge und Solo-Selbständige
Werkverträge sind deshalb so brisant, weil sie stark missbrauchsanfällig sind. Besonders für Erwerbstätige im unteren Einkommensbereich bergen sie ein hohes Risiko, ausgebeutet zu werden. Tätigkeiten, die einfach zu ersetzen sind, werden durch Werkverträge ausgelagert. Hierdurch wird auch ein zusätzliches Lohngefälle geschaffen. Solo-Selbstständige können zusätzlich unter Druck gesetzt werden, weil sie persönlich abhängig sind, haben keinen Betriebsrat und können nur individuell mit ihrem Auftraggeber verhandeln. Arbeitgeber können sich durch Werkverträge ihrer Verantwortung für die Arbeitnehmer entziehen. Auch ausländische Beschäftigte lassen sich leichter über Werkvertragskonstruktionen ausbeuten, indem die hohen Schutzbestimmungen des deutschen Arbeitsrechts umgangen werden.
Die Folgen des Missbrauchs von Werkverträgen sind gravierend: Erosion der Tarifbindung und die Teilung der Belegschaften in Beschäftigte erster und zweiter Klasse. Ebenso werden die Stammbelegschaften durch das Outsourcing von Tätigkeiten unter Druck gesetzt, bisherige Errungenschaften zu verlieren. Die Standards ganzer Branchen werden nach unten gezogen und einem Unterbietungswettbewerb überlassen. Durch prekäre Beschäftigung wird ein Teufelskreislauf in Gang gesetzt: Schlechte Arbeit, Spaltung der Belegschaft, geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad, weniger Mitbestimmung und Durchsetzungskraft der Beschäftigten.
Werkverträge werden statistisch nicht erfasst, weil dies nicht sinnvoll möglich ist. Gezählt werden Solo-Selbstständige, die ihre Tätigkeiten aber überwiegend über Werkverträge erledigen. Deren Anzahl ist von 1,4 Mio. (1991) auf 2,3 Mio. (2016) gestiegen. Aufgrund der aktuell guten Wirtschaftssituation ist ihre Anzahl leicht abnehmend. Die Hälfte der Solo-Selbstständigen in Deutschland bezieht nur ein Verdienst im Niedriglohnbereich. Außerdem ist der soziale Schutz vor Krankheit, Verdienstausfall und im Alter in dieser Beschäftigtengruppen unzureichend. Die gerade von der Bundesregierung beschlossene Herabsetzung des monatlichen Mindestbeitrags von 360 Euro auf 156 Euro in die Krankenversicherung bedeutet eine spürbare Entlastung von Selbstständigen mit geringen Einkommen.
Auch bei neuen Arbeitsformen der Digitalisierung wie dem Crowdworking oder den „Digital Worker“ spielen Werkverträge eine zentrale Rolle. Um Dumpingprozesse zu unterbinden und soziale Standards auch in der Plattformökonomie durchzusetzen, ist es unabdingbar, dass ein neuer Ordnungsrahmen geschaffen werden muss, der die Ausbreitung prekärer Formen verhindert.
Die Gesetzesreform zu Leiharbeit und Werkverträgen von 2017 hat immerhin dazu geführt, dass Scheinselbstständigkeit besser bekämpft werden kann. Illegale Arbeitnehmerüberlassung kann nicht mehr rückwirkend in Leiharbeit umgewandelt werden. Ein Grundproblem ist allerdings geblieben: Es fehlt eine klare Definition der Werkverträge durch einen fest beschriebenen Kriterienkatalog. Diese ist am Widerstand der Union gescheitert. Damit bleiben Werkverträge aufgrund ihrer schwammigen Konstruktion Einfallstore für missbräuchliche Nutzung.
Damit Betriebsräte besser mit den Risiken von Werkverträgen umgehen können, hat die Hans-Böckler-Stiftung einen Handlungsleitfaden herausgegeben, der in Kürze veröffentlicht wird.
Gewerkschaftliche Forderungen
- Werkverträge müssen durch einen Kriterienkatalog besser von Leiharbeit unterschieden werden, um den Missbrauch zu verhindern. Auch Kettenwerkverträge müssen endlich verboten werden.
- Alle Beschäftigtengruppen sollen in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden: Durch die Einführung einer Bürgerversicherung erhalten Solo-Selbstständige eine gesetzliche Krankenversicherung.
- Ausländische Werkvertragsnehmern/innen werden aufgrund von fehlenden Sprach- und/oder Rechtskenntnissen besonders häufig ausgebeutet. Hier muss der Schutz vor missbräuchlichen Praktiken dringend verbessert werden. Das Beratungsnetzwerk muss weiter ausgebaut werden.
- Um die Position von „Fremdbeschäftigten“ in den Betrieben zu stärken, muss die betriebliche Mitbestimmung angepasst werden und Betriebsräten mehr Rechte eingeräumt werden, die Interessen von Werkvertragsnehmern/innen zu vertreten.
5. Minijobs
Die größte Gruppe prekärer Beschäftigung sind die Minijobs, mit derzeit 7,5 Mio. Beschäftigten. 4,7 Mio. Minijobber/-innen sind ausschließlich geringfügig beschäftigt, darunter 2,7 Mio. im klassischen Erwerbsalter zwischen 25 und 64 Jahren. Mit der Obergrenzen von monatliche 450 Euro sind Minijobs für die Beschäftigten keineswegs ein Einstieg zu guter Arbeit, sondern bilden Sackgassen mit mangelnden Perspektiven, niedrigen Einkommen und oftmals schlechten Arbeitsbedingungen.
Für Arbeitgeber haben Minijobs trotz der hohen Kosten durch die Pauschalabgaben für die Sozialversicherung ein enormes Flexibilisierungspotenzial. Beschäftigte werden z. B. durch Arbeit auf Abruf dann eingesetzt, wenn es für den Betrieb passt. Vielfach arbeiten Minijobber/innen in Tätigkeiten unterhalb ihres Qualifikationsniveaus und erhalten seltener Möglichkeiten zur Weiterbildung und beruflichen Aufstieg. Als flexible Lückenfüller werden sie in der betrieblichen Praxis oft schlechter behandelt als die „normalen“ Vollzeitbeschäftigten, obwohl ihnen die gleichen Rechte zustehen. Der Status der Beschäftigten zweiter Klasse verhindert, dass Minijobber/innen seltener ihre Rechte wahrnehmen. In vielen Fällen werden Minijobs dazu missbraucht, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen. Dazu werden die Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich erhöht, bzw. durch einen verminderten Lohnausgleich schwarz ausgezahlt.
Durch steuerpolitische Anreize (Gleitzonenregelung; Kombination der Steuerklassen III/V) werden besonders für Frauen hohe Barrieren aufgebaut, um den Übergang in eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ebnen. Durch die Befreiung von der Pflicht zur Rentenversicherung und niedrigen Renten setzt der Staat durch die Minijobs fatale Fehlanreize für die Verhinderung von Altersarmut. In einzelnen Branchen wie im Einzelhandel, in der Gastronomie oder dem Gesundheit- und Sozialwesen verdrängen Minijobs zunehmend die reguläre Beschäftigung.
In der politischen Diskussion gibt es von konservativer Seite immer wieder Versuche, die Minijobgrenzen auszuweiten und die Attraktivität von Minijobs zu steigern. Dies lehnt der DGB entschieden ab. Statt Minijobs durch steuerliche Anreize zu fördern, müssen Minijobs drastisch reduziert werden und in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden.
Gewerkschaftliche Forderungen
- In einer Zeit des Fachkräftemangels sind Minijobs nicht mehr zeitgemäß. Die Politik muss endlich die Kraft aufbringen, um einen Weg für den Ausstieg aus dem Minijobsystem zu finden. Der DGB hat hierfür Vorschläge vorgelegt4. Dem DGB ist bewusst, dass dies keine leichte Diskussion ist, deswegen müssen Übergangsregelungen eingeführt werden und weitere Begleitregelungen für Sonderfälle bei der Umsetzung berücksichtigt werden.
- Auf keinen Fall sollten die Einkommensgrenzen weiter angehoben werden, weil dies Regelungen in der Zukunft immer mehr erschwert. Das gilt auch für die Obergrenze der sogenannten Midijobs.
- Das vom DGB entwickelt Konzept eines „Arbeitnehmer-Entlastungsbetrages“ bietet eine Alternative, um die steuerpolitischen Anreize von Minijobs abzubauen.
- Überführung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit durch Beratung und Qualifizierung. Damit wird die Rentenversicherungspflicht gestärkt und Altersarmut verhindert.
Stärkere Kontrollen des Mindestlohns, um den Missbrauch von Minijobs zu verhindern.
6. Dimension Zeit
Die massive Ausweitung von Teilzeit in den letzten Jahren hat in Deutschland dazu geführt, dass sich die Arbeitszeiten stark polarisieren. Auf der einen Seite stehen Vollzeitbeschäftigte, oft mit überlangen Arbeitszeiten und Arbeiten ohne Ende. Auf der anderen Seite stehen Teilzeitbeschäftigte mit geringen Stundenvolumen und niedrigen Verdiensten. Dies hat Auswirkungen auf die individuellen Erwerbsverläufe der Beschäftigten und den Arbeitsmarkt insgesamt.
Der Anstieg der Teilzeitbeschäftigung ist das Resultat der stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen. Dieser Wandel in den Geschlechterrollen trifft alle Arbeitsmärkte in den westlichen Industrienationen. In Deutschland ist Unterschied zwischen den Arbeitszeiten von Frauen und Männern (Gender-Time-Gap) besonders groß. Männer sind knapp acht Stunden pro Woche länger als Frauen erwerbstätig, Frauen tragen weiterhin den Hauptteil der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen. Im langjährigen Verlauf ist aber das Arbeitsvolumen in Stunden nur geringfügig angestiegen. Die Arbeitszeiten verteilen sich demnach auf mehr Beschäftigte, was die Ungleichverteilung zwischen den individuellen Arbeitszeiten vergrößert.
Je nach Lebensphasen und Haushaltssituation variieren die Arbeitszeitmuster von Beschäftigten. Für Deutschland typisch: Männer und Frauen arbeiten bis zum Zeitpunkt des Zusammenlebens gleichermaßen Vollzeit. Von da an arbeiten Männer länger und Frauen kürzer. Kommt das erste Kind, vergrößern sich die Ungleichheiten und Frauen geraten oft in eine Teilzeitfalle, aus der sie schwer wieder raus kommen. Längere Phasen von Teilzeit und/oder Erwerbsunterbrechungen führen im Erwerbsverlauf zu niedrigen Renten und Altersarmut. Mütter in prekären Beschäftigungsverhältnissen und alleinerziehende Eltern sind überdurchschnitt von Armut betroffen. Dies ist der Hauptgrund für die hohe Kinderarmut in Deutschland. Durch die steuerlichen Rahmenbedingungen und die Minijobreglung wird der Druck noch verstärkt.
Ungleiche Arbeitszeitverteilungen wirken sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Sie verstärken die Einkommensunterschiede zwischen den Beschäftigtengruppen. Die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich setzt die unteren Einkommensschichten stark unter Druck. Sie sind besonders von den Zumutungen prekärer Arbeit betroffen und sie sind die Leidtragenden, wenn Arbeitgeber den Betrieb stärker flexibilisieren. Beschäftigte, die mit dem Rücken an der Wand stehen, haben keine wirkliche Wahlfreiheit, sie können weder über ihr Arbeitszeitvolumen frei entscheiden noch unter welchen Arbeitsbedingungen sie arbeiten.
Flexible Erwerbsverläufen müssen deshalb besser abgesichert werden. Der DGB setzt sich für lebenslauforientierte Arbeitszeiten ein. Flexible Arbeitszeitelemente – wie Teilzeit, Unterbrechungen für Pflegetätigkeiten oder Weiterbildung – werden mit sozialpolitischen Instrumenten verknüpft. Damit können die materiellen und zeitlichen Ungleichheiten verringert werden und Benachteiligungen aufgrund von Fürsorgearbeit verhindert werden.
Gewerkschaftliche Forderungen
- Die Forderung der Gewerkschaften nach einem Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit wurde endlich in der Koalitionsregierung aufgegriffen. Allerdings gilt das Recht erst in Betrieben mit mehr als 45 Beschäftigten und eingeschränkt in Betrieben bis 200 Beschäftigten.
- Lebenslauforientierte Arbeitszeiten ermöglichen es, individuelle Arbeitszeitschwankungen im Erwerbsverlauf durch sozialpolitische Instrumente auszugleichen. Damit wird selbständige Existenzsicherung ermöglicht und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt.
7. Handlungsmöglichkeiten
Die entscheidenden Stellschrauben für die Eindämmung prekärer Beschäftigung liegen auf bundespolitischer Ebene. Der Gesetzgeber muss den Rahmen für atypische und damit oft prekäre Beschäftigung weiter einschränken. Die Betriebe verfügen über genügend Instrumente, um die Arbeit an das Arbeitsvolumen anzupassen, wie z. B. Arbeitszeitkonten. Notfalls kann Kurzarbeitergeld gezahlt werden. So sind solidarische Lösungen möglich, ohne dass die Risiken auf bestimmte Gruppen verteilt werden.
Auch in den Tarifabschlüssen der Branchen können die Bedingungen von Befristungen, Leiharbeit usw. verbessert werden. Um entscheidend gegen prekäre Beschäftigung vorzugehen, ist es wichtig, alle Formen von prekärer Arbeit gleichermaßen zu begrenzen und durch ein Bündel von Maßnahmen zu regulieren.
Aber auch konkret vor Ort – in Betrieben oder Kommunen – bestehen begrenzte Möglichkeiten, prekäre Beschäftigung einzudämmen oder zumindest Notlagen zu lindern. In Betrieben und Dienststellen können Interessenvertretungen für die Risiken von prekärer Beschäftigung sensibilisieren.
Dort wo direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten bestehen wie z. B. bei Minijobs oder Befristungen verhindern Betriebsräte, dass sie nicht schlechter gestellt werden als die Stammbeschäftigten. Sie können auch Optionen vereinbaren, um sie in normale Beschäftigung zu überführen.
Dort wo keine direkte Mitbestimmung besteht, können Betriebsräte dafür sorgen, dass Leihbeschäftigte und Werkvertragsnehmer/innen nicht aus dem Blick verschwinden. Durch die Kontrolle bei der Vergabe von Werk- und Dienstverträgen wird überprüft, ob bei den eingesetzten Auftragnehmer/-innen, Freelancern/-innen oder Crowdworker/-innen Scheinselbstständigkeit besteht oder ob die Tarifverträge von Leihbeschäftigten angewendet werden. Betriebsräte können derzeit nur mittelbar auf die betriebliche Personalpolitik Einfluss nehmen und das Outsourcing von Tätigkeiten verhindern. Weiter unterstützen sie die Kollegen/innen aus den „Fremdfirmen“ dabei, eigene Betriebsräte in den Entleih- und Verleihbetrieben zu gründen, um deren Mitbestimmungsrechte besser durchzusetzen. Insgesamt müssen die Rechte der Betriebsräte in Bezug auf atypische Beschäftigung und die Auslagerung von Tätigkeiten gestärkt werden.
Auf kommunaler Ebene werden vielerorts Zeichen gegen prekäre Beschäftigung gesetzt: In kommunalen Beiräten, Wirtschaftsausschüssen, Initiativen, lokalen Bündnissen und runden Tischen kann ein Bewusstsein für gute Arbeit geschaffen werden. Im besten Fall gelingt es, ein Leitbild für gute Arbeit zu installieren, an dem sich sie die handelnden Akteure orientieren. Kommunale Arbeitgeber wirken hierbei als Vorbilder: Die Arbeitsbedingungen in den Kommunen oder die Vergabebestimmungen von Aufträgen, sind so gestaltet, dass sie prekäre Beschäftigung ausdrücklich ausschließen.
Die schärfste Waffe im Kampf gegen prekäre Beschäftigung sind politische Kampagnen, die viel öffentliche Wirksamkeit erzeugen. Das Beispiel der Fleischindustrie zeigt, dass eklatante Missstände in Betrieben angeprangert und skandalisiert werden können. Gemeinsam mit Kirchen, Kommunen, Landespolitik und Unterstützungsinitiativen kann es Gewerkschaften auch unter schwierigen Bedingungen gelingen, Erfolge zu erzielen und das Problembewusstsein für prekäre Arbeit zu schärfen.“
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https://www.dgb.de/themen/++co++ac3b32d2-f2ef-11e8-bccf-52540088cada
Quelle: dgb.de Bild: dgb.de