Cum-Ex: Die Umverteilung von unten nach oben muss enden

Von Gerhard Schick

Es ist der größte Steuerskandal Deutschlands. Mit einem Schaden von geschätzt mindestens 10 Milliarden Euro und einer Laufzeit von fast 20 Jahren sind Cum-Ex-Geschäfte der größte Steuerskandal in der Geschichte Deutschlands. Nimmt man die artverwandten Cum-Cum-Geschäfte hinzu, erreicht der Schaden über 30 Milliarden Euro. In ganz Europa war der Schaden fast doppelt so hoch. Und trotzdem müssen wir miterleben, dass diese Gesellschaft sich offenbar kaum dafür interessiert, dass sie von Finanzprofis ausgeplündert wird. Bisher fand zu diesem Thema keine einzige Talkshow statt, die verantwortlichen Minister auf Bundesebene Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble äußern sich zwar häufig öffentlich, werden allerdings praktisch nie kritisch zu ihrer Rolle in diesem Skandal befragt.

Von Cum-Ex profitieren nur die Priviligiertesten

Dabei ist die Umverteilung von unten nach oben, die über solche Transaktionen stattfindet, eklatant. Denn die entsprechenden Fonds wurden nur sehr vermögenden Privatpersonen angeboten oder von Unternehmen der Finanzindustrie auf eigene Rechnung gemacht. Profiteure finden sich also in den privilegiertesten Gruppen unseres Landes. Die Rendite kam ausschließlich aus Steuern, die wir alle bezahlen. Doch beim Kampf um Steuergerechtigkeit, bei den Diskussionen zur Umverteilung wird diese Art Geschäfte insgesamt zu wenig berücksichtigt.

Der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat sich bis Herbst letzten Jahres fast zwei Jahr lang damit befasst, diese kriminellen Machenschaften aufzudecken. Obwohl teilweise aufgearbeitet wurde, wie der Staat von gierigen Finanzprofis ausgeplündert wurde, hielt die große Koalition dieses Thema klein. Eigentlich hätte über den Untersuchungsausschuss regelmäßig berichtet werden müssen. Die Erkenntnisse waren dramatisch. Doch es war sehr mühsam, das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen.

Trotz Gesetzesänderungen geht die Abzocke weiter

Wir haben aufgearbeitet, was Politik und Verwaltung versäumt haben und in Zukunft besser machen müssen. Leider hat die Mehrheit im Bundestag verhindert, dass es als Konsequenz aus den bei Cum-Ex zu beobachtenden Fehlern künftig zu einer aktiven Bekämpfung von betrügerischen Geschäften an den Finanzmärkten kommt. Dabei muss jedem, der die Geschichte des Dividendenstrippings in den letzten Jahrzehnten anschaut, klar sein, dass es völlig naiv wäre zu meinen, mit den letzten Gesetzesänderungen sei das Thema ein für allemal vom Tisch. Auch wenn die jeweils konkreten Gestaltungen durch einzelne steuerrechtliche Änderungen gestoppt werden konnten, gingen die rein steuerlich getriebenen Geschäfte rund um den Dividendenstichtag doch auf neue Art immer weiter. So dürfte auch die Gesetzesänderung von 2011 zu Cum-Ex und die Gesetzesänderung von 2016 zu Cum-Cum nicht das Ende der Geschichte sein. Umso wichtiger wäre es, frühzeitiger als bisher neue Gestaltungen aufzudecken.

Zuletzt haben Journalisten die so genannte Cum-Fake Methode thematisiert. Mittels Hinterlegungsscheinen, die den Handel von ausländischen Aktien in den USA erleichtern sollen, wurde um den Tag der Dividendenausschüttung die Existenz von Aktien vorgetäuscht, die es nicht gab. Mit diesen Phantomaktien wurden offenbar Steuerbescheinigungen für die auf Dividenden fällige Kapitalertragssteuer erwirkt, obwohl nie eine Steuer abgeführt wurde. Und mit diesen wurde dann eine Rückerstattung beantragt. Dass das kriminell ist, sieht jeder.

Die US-Finanzaufsicht hat die Deutsche Bank hart bestraft

In den USA hat die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC unter anderem gegen die Deutschen Bank prozessiert, die für die Schaffung der Phantomaktien eine saftige Strafe zahlen musste. Die amerikanische Behörde interessierte sich allerdings nur für den Verstoß gegen die amerikanischen Börsenregeln. Ob der Hintergrund der Schaffung von Phantomaktien die Ausplünderung des Fiskus anderer Staaten war, spielte im Verfahren in den USA praktisch keine Rolle. Natürlich hat die Bankenaufsicht in Deutschland und Europa von den Rechtsstreitigkeiten der Deutschen Bank mitbekommen. Offenbar fehlte es aber erneut an einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Finanzaufsicht und Steuerbehörden bei der Bekämpfung dieser Finanzkriminalität.

Das zeigt den Handlungsbedarf: Zur Bekämpfung brauchen wir deutliche Verbesserungen sowohl bei den Steuerbehörden als auch der Finanzaufsicht. Als das Bundesfinanzministerium sich schon mit Cum-Ex beschäftigte, hat die Finanzaufsicht noch die Aufsetzung von Investmentfonds genehmigt, die ausschließlich den Zweck hatten, Cum-Ex-Aktivitäten durchzuführen. Hätte die Regierung die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) über den Verdacht des Ministeriums bezüglich Cum-Ex informiert, wären diese Fonds nicht mehr zugelassen worden und der Schaden für die Steuerzahler wäre geringer ausgefallen. Nach wie vor werten die Finanzmarktaufseher die vorhanden Transaktionsdaten und Handelsvolumina um Dividendenstichtage nicht systematisch aus und überprüfen sie nicht auf Auffälligkeiten. Die deutsche Aufsichtsbehörde muss aktiv werden und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen mit den Steuerämtern der Bundesländer teilen. Das Bundesfinanzministerium wiederum muss dafür sorgen, dass alle staatlichen Einrichtungen hier besser kooperieren.

Die Bundesregierung blockiert ein vernünftiges Whistleblower-Gesetz

Bezeichnend ist, dass die Steuerbehörden und Staatsanwälte alle entscheidenden Hinweise zur Aufdeckung von Cum-Ex und jetzt auch Cum-Fake – wie auch bei allen anderen großen Steuerskandalen wie Panama Papers und Luxleaks – von Informanten kamen. Dies zeigt, wie wichtig diese mutigen Menschen im Kampf gegen die Kriminalität sind. Um sie zu unterstützen und zu ermutigen, den zuständigen Behörden oder der Öffentlichkeit Informationen über kriminelle Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, benötigen wir viel bessere Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern. Im aktuellen EU-Gesetzgebungsverfahren für ein Whistleblower-Gesetz setzt die Bundesregierung sich grotesker Weise dafür ein, dass Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Beamte von dem nötigen Schutz ausgenommen werden. Die Koalition stellt sich also schon wieder gegen sinnvolle Mechanismen, Kriminellen in der Zukunft das Handwerk legen zu können.

Die finanziellen und gesellschaftlichen Kosten durch Steuertricks am Finanzmarkt sind zu hoch, um die Augen geschlossen zu halten. Unsere Gesellschaft sollte sich den Luxus nicht leisten, diese Umverteilung von unten nach oben schulterzuckend hinzunehmen.

 

Cum-Ex, Cum-Cum und Cum-Fake

Unter Dividendenstripping wird die Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Termin der Dividendenzahlung und Rückkauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin verstanden. Inländischen Aktionären steht eine Steuererstattung zu, ausländischen nicht. Banken machen daraus ein Geschäft. Sie kaufen die Aktien ausländischer Kunden kurz vor Auszahlung der Dividende und verkaufen sie danach sofort zurück. Bei diesen als Cum-Ex bezeichneten Geschäften kam es in der Vergangenheit in großem Umfang zu bewusst herbeigeführter mehrfacher Erstattung von nur einmal abgeführter Kapitalertragsteuer. Eine ebenfalls zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gehende Form des Dividendenstrippings sind Cum-Cum-Geschäfte zur Umgehung der Kapitalertragssteuer für ausländische Anleger. Wenn deutsche Unternehmen eine Dividende ausschütten, müssen ausländische Anleger darauf normalerweise etwa 15 Prozent Kapitalertragsteuer abführen. Um das zu umgehen, verleihen sie ihre Aktien vorübergehend kurz vor dem Dividendenstichtag an einen in Deutschland ansässigen Finanzdienstleister, der sich die Kapitalertragsteuer vom Staat erstatten lassen kann. Kurz nach dem Dividendenstichtag werden die Aktien an den bisherigen ausländischen Besitzer zurückgegeben. Die Partner teilen sich die gesparte Steuer. Bei Cum-Fake läuft es noch viel einfacher. Die Aktie, für die eine Steuererstattung erfolgt, gibt es erst gar nicht.

 

 

 

Quelle: dgb-gegenblende.de

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