Massive Streichungen im Funke-Konzern – Hunderte Entlassungen mitten in der Pilotphase von „User First“

Von Wilfried Urbe

Für die 6.000 Mitarbeiter der Funke Mediengruppe ist es ein Kahlschlag, der von vielen be-reits befürchtet wurde. Seit vor zehn Jahren rund 300 Redakteure auf einen Schlag ihren Job verloren, sind immer wieder Arbeitsplätze abgebaut worden. Jetzt holt der Konzern mit Hauptsitz in Essen zu einer weiteren Runde aus: Allein in Nordrhein-Westfalen werden erneut mindestens über 300 Stellen gestrichen, von Redakteur*innen, Volontär*innen, Kolle-ginnen und Kollegen aus dem Druck und dem Anzeigenbereich oder auch Mediengestalter*innen.

Es betrifft unter anderem die Traditionsblätter Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) und Neue Ruhr Zeitung (NRZ). Die Ausgabe der Westfalenpost in Warstein wird zudem komplett geschlossen. Außerdem sollen 21 der 26 Geschäftsstellen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland verschwinden. Die ersten Kolleginnen und Kollegen in diesen Leserläden haben bereits ihre Kündigung erhalten. Aus Sicht der Funke-Betriebsräte ist das Aufgeben dieser Anlaufstellen in den Innenstädten ein großer Fehler, weil sie letztlich für die Leser*innen dort das „Gesicht“ der Zeitungen seien. Schon einmal, unter dem damaligen Geschäftsführer Bodo Hombach, gab es eine Schließung von fast allen Geschäftsstellen. Eine Fehlentscheidung wie sich damals zeigte, die dann wieder rückgängig gemacht wurde.

Die Berliner Zentralredaktion bleibt ebenfalls nicht verschont: 22 Kolleg*innen, der Großteil Redakteur*innen, erwartet die Kündigung, fünf aktuell offene Redakteursstellen werden nicht neu besetzt, so der Wunsch der Geschäftsführung. Der Verlust der 27 Arbeitsplätze macht über ein Viertel aller Jobs dort aus. Bei der Berliner Morgenpost wurde das Layout ausgelagert und die Kompakt-Ausgabe eingestellt. Gehen sollen hier insgesamt 24 Beschäftigte, darunter sechs Redakteur*innen, drei Fotoredakteure, neun Layouter*innen, zwei Mitarbeiter*innen im Vertrieb sowie vier im Anzeigenverkauf beim Media Checkpoint Berlin.

Geschlossen wird ebenso die Mantel-Redaktion von TV direkt/Gong Verlag in Ismaning. Vier Kündigungen wurden bereits ausgesprochen, bis zu drei weitere werden erwartet. Den anderen zehn Mitarbeiter*innen sollen möglichst Stellen im Haus angeboten werden.

Auch in Thüringen wird der Rotstift noch einmal angesetzt, wo Funke mit der Thüringer Allgemeinen, der Thüringischen Landeszeitung und der Ostthüringer Zeitung quasi ein Monopol besitzt. Wie die Reduzierung hier aussehen wird, ist noch nicht klar, aber Stellenstreichungen soll es wohl auf jeden Fall geben. Für Aufsehen sorgte das „Gerücht“, die Leser*innen hier nur noch mit digitalen Angeboten zu versorgen, weil die Auslieferung der Printexemplare zu teuer sei. Dabei sind diese Zeitungen über lange Zeit Cash Cows gewesen und verfügen noch immer über eine stabile Auflage. Und das, obwohl auch in dieser Region vor drei Jahren Redaktionen zusammengelegt und 150 Mitarbeiter*innen entlassen wurden und die überregionale Berichterstattung nach Berlin verlagert wurde. Nach einem Aufschrei der Entrüstung ruderte der Verlag in Bezug auf den Plan, nur noch digitale Inhalte zu verbreiten, schnell zurück. Wahrscheinlich auch, weil die Internetversorgung in den ländlichen Gebieten das Vorhaben erschwert hätte.

Arbeitsplatzabbau zur Unzeit

Angesichts dieser Kürzungen fragen sich die Beschäftigten, wie der Verlag eigentlich seine neue Digital Strategie „User First“ verwirklichen möchte. Sie ist die größte Veränderung im redaktionellen Alltag, den der Verlag jemals erlebt hat, und soll zukünftig – so der Konzern-„Sprech“ – „ein gemeinsames und standortübergreifendes Verständnis zwischen allen beteiligten Bereichen Redaktion, Verlag und Technik über den Prozess in den Redaktionen“ erreichen. Konkret bedeutet das: Reporter*innen sollen beispielsweise nur noch „draußen“ unterwegs sein und Geschichten in die Redaktion liefern, wo die Blattmacher die Inhalte sofort in digitale Kanäle leiten und später daraus die Zeitungsseiten produzieren.

„Für die Redaktionen kommen diese Stellenstreichungen zur Unzeit“, beschweren sich die Betriebsräte von WAZ, NRZ, WP, Funke Online NRW sowie Funke Sport in einem internen Schreiben an die Belegschaft, „Wir fragen uns: Warum haben wir Betriebsräte sowie zahlreiche Kolleginnen und Kollegen seit Oktober mit Hochdruck an Konzepten für ‚User First‘ gearbeitet? Warum haben wir pragmatisch eine Betriebsvereinbarung erarbeitet und einer Testphase zugestimmt? Es braucht engagierte und motivierte Kolleg*innen, um das in der Pilotphase steckende Projekt auch in der Fläche über alle Titel ans Laufen zu bekommen.“

Die Betriebsräte jedenfalls haben der Belegschaft bereits angekündigt, in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und sich dafür einzusetzen, eine bestmögliche und sozialverträgliche Lösung zu erzielen. Was den Essener Konzern angeht, so sehen Branchenbeobachter in den aktuellen Vorgängen eine Fortsetzung des Missmanagements verschiedener Geschäftsführungen in den vergangenen Jahren, das sich hauptsächlich auf Stellenabbau konzentriert. Offenbar möchte die Geschäftsführung bis Sommer eine Einigung mit den Arbeitnehmervertreter*innen erzielen. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. 2008/2009 hatte es acht Monate gedauert, bis nach über 50 Gesprächen eine Regelung für den Sozialplan zustande kam.

Anzeigenrückgang und Schulden

Dass die Printmedien aufgrund sinkender Werbe- und Abonnentenzahlen schon seit Jahren unter wirtschaftlichem Druck stehen, ist eine Realität, mit der sich die Betroffenen auseinandersetzen müssen. Bei Funke soll allein der Rückgang bei den Anzeigen in 2018 zwischen 20 und 25 Prozent betragen haben, schätzen gut informierte Insider. Außerdem standen die Essener Dezember 2017 immer noch mit Verbindlichkeiten von 630 Millionen Euro bei den Banken in der Kreide – Nachwirkungen des Kaufs der Springer-Zeitungen im Jahr 2013.

Das alles wissen auch die Angestellten bei Funke. Dennoch sind Wut, Enttäuschung, Unverständnis groß, denn viele fragen sich: Warum fällt dem Verlag nie etwas anderes als Stellenstreichungen ein? Dass es auch anders geht, haben die Essener selbst gezeigt, etwa mit dem WAZ-Projekt „Projekt Bochum“ (ProBO), das als eine Art Experiment geplant war. Die Bochumer Lokalredaktion wurde mit zwei Redakteuren verstärkt, um sich noch stärker an den Bedürfnissen der Leser*innen auszurichten und „Journalismus dabei auch mal in experimenteller Weise querzudenken“. Und das passierte Online und im Print mit mehr Nachrichten sowie Informationen aus dem lokalen Umfeld.

„Aus unserer Sicht verläuft dieses Projekt seit seinem Start Mitte 2017 sehr erfolgreich“, resümiert Funke-Betriebsrat Thomas Richter die ersten Ergebnisse, „es hat sich positiv auf die Abo-Entwicklung ausgewirkt. Die Zahl der Abstellungen war hier wesentlich moderater, seitdem die Qualität durch weitere Mitarbeiter verbessert wurde.“ Ähnlich entwickelte sich die Situation bei der Ausgabe in Essen, wo verstärkt Inhalte über Internet und soziale Medien transportiert wurden und sich so der Dialog mit den Leser*innen intensivierte.

Abgesehen von der Diskussion darüber, wie sinnvoll die Sparmaßnahmen tatsächlich sind, kann man den Funke-Verantwortlichen mindestens schlechtes Timing bei der Kommunikation ihrer Pläne vorwerfen: Gerade erst hat der Konzern seine neue Zentrale bezogen, die mit einer Investition von 90 Millionen Euro errichtet wurde. Parallel dazu erhöhte das Unternehmen die Abo-Preise. Und fast zeitgleich gab der Verlag den Stellenabbau bekannt.

 

 

 

 Der Artikel ist  in https://mmm.verdi.de Ausgabe 1/2019 erschienen

Bild: wdr.de