Konzipiert hatte man Anfang dieses Jahrhunderts die Offene Ganztagsschule (OGS) als Übergangslösung zum gebundenen Ganztag (Schulpflicht am Nachmittag), aber fast 20 Jahre danach gilt die Übergangslösung immer noch. Es gibt immer noch keine landesweiten Regeln oder Standards zu Kosten, Betreuungsstandards, Qualifikation des Betreuungspersonals. Alles ist von der Kommune und deren finanziellem Zuschuss oder dem jeweiligen Träger der OGS abhängig. Die Stadt schließt mit den freien Trägern Leistungsvereinbarungen, die in der Regel nur den Umfang der Betreuung festschreiben, den Trägern aber das programmatische und personale Planen komplett überlässt.
Einen Rechtsanspruch auf einen Platz ihrer Kinder in der Tagesbetreuung, wie in den Vorschuleinrichtungen, haben die Eltern in der Grundschule erst im Jahr 2025.
Bis dahin wird man auch in Dortmund weiter mit diesem pädagogischen Modell vor sich hin eiern, auf Kosten der Kinder, Eltern und den Beschäftigten im Erziehungsdienst.
In Dortmund besteht seit 2003 ein Ganztagsangebot für Schüler. Schon zu Beginn stand nicht der Ausbau der Tageseinrichtungen unter Federführung der Jugendhilfe und mit Standards wie im Tagesstättenbereich im Vordergrund, sondern, dass möglichst billig, möglichst viele Kinder „versorgt“ werden.
So wurde eine bildungspolitische Konstruktion gewählt, bei der Probleme, besonders für die pädagogischen Fachkräfte, Kinder und Eltern vorprogrammiert sind.
Skandalös ist, dass einerseits in den vergangenen Jahren die Zuschüsse des Landes nur selten erhöht wurden und der Kostenentwicklung hinter liefen und andererseits die Städte in einzelnen Jahren Mittel im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich erst gar nicht vom Land abgerufen haben – die Städte rechtfertigen sich damit, dass mit dem U3-Ausbau die OGS vernachlässigt werden musste! So ist es kein Wunder, dass vor allem bei den freien Anstellungsträgern bei den Personalkosten gespart wird. Mit der Folge, dass die Ferienbetreuung nicht mehr gewährleistet ist, das Angebot eingeschränkt, die Fluktuation des Personals immer höher und der Arbeitsplatz in der OGS immer unattraktiver wird.
Aktueller Stand der Versorgung
Schon im Dezember 2017 hatte der Rat der Stadt Dortmund Geld für weitere OGS Plätze bereitgestellt, es sollten im nun abgelaufenen Schuljahr 11.550 sein. Geschaffen wurden aber nur 10.950 Plätze, weil in den Grundschulen kein Platz ist für eigene Räume der OGS ist.
Beim Mittagessen muss wegen mangelnder Räumlichkeiten im „Schichtverfahren“ gegessen werden und das Raumproblem wird erstmals bleiben: An 16 von 24 Schulen ,die die Verwaltung überprüfte, sind größere Um- oder Anbauten erforderlich. Der Zeitrahmen für Bauprüfung und Bauanträge liegt bei Neubauten bei 3 Jahren. Hier wird dann als Notlösung die Kurzbetreuung bis 14 Uhr empfohlen – derzeit sind schon 1.100 Kinder in dieser kurzen Betreuung an 24 Schulen, für die berufstätigen Eltern ein Unding.
Auch bei den Bedarfszahlen gibt es Unstimmigkeiten: Die Verwaltung geht bei ihren über die Schulen ermittelten Bedarfe von 11.125 Plätze für das abgelaufene Schuljahr und 11.496 für das kommende Schuljahr aus. Die Stadtelternvereinigung geht davon aus, dass die Zahl der benötigten Plätze weit höher liegt und die Schulen von vorneherein die Hürden für eine Bewerbung um einen Platz bewusst zu hoch ansetzen.
Die erreichte Versorgungsquote liegt in Dortmund mit den 10.950 Plätzen lediglich bei 52 Prozent. Angestrebt wird für das Schuljahr 2022/23 die 62 Prozentmarke – wenn der im Dezember 2018 erweiterte Ratsbeschluss zum OGS Ausbau umgesetzt wird, der auch besagt, dass bis 2023 jährlich 900 zusätzliche Plätze entstehen sollen- das ist aber fraglich, weil in diesem Schuljahr nur rund 300 neue Plätze entstanden sind. Das Ganze wird aber noch getoppt durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Jahr 2025.
Fehlende Grundlagen
Die Grundlage für die Arbeit und Rahmenbedingungen der OGS bilden lediglich Erlasse und Förderrichtlinien, jeder Anstellungsträger kann in der tagtäglichen Praxis machen, was er will.
In der Rahmenvereinbarung der Stadt Dortmund steht: „Schulen und Jugendhilfe bilden eine Verantwortungsgemeinschaft zur Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen die zweckmäßig und wirtschaftlich und in ihrer Ausgestaltung nach Art, Umfang und Qualität darauf ausgerichtet sind, Kindern und deren Eltern ein bedarfsgerechtes, differenziertes und integriertes Ganztagsangebot auf der Grundlage des jeweiligen Schulprogramms anzubieten“.
Es geht also um eine „Verantwortungsgemeinschaft“, die in der Praxis aber kaum existiert.
Im Gegenteil, es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Arbeitssituation der pädagogischen Fachkräfte zu verbessern, im Einzelnen z.B. bei
– Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen
– Personalschlüssel
– Pausenregelung
– körperliche und psychische Belastung
– räumliche Situation und Ausstattung
– Transparenz und Informationsfluss
– Arbeits- und Gesundheitsschutz
– Zuständigkeiten Schule – freie Träger
– Regelung Fach- und Dienstaufsicht
– konzeptionelle Weiterentwicklung
– Koordination und Kooperation
– Mitbestimmung und Mitwirkung
– Einhaltung von Mindeststandards
– Supervision und Weiterbildung
und
Regelungen für Honorarkräfte.
Diese Rahmenbedingungen in Verbindung mit zunehmender Belastung und unangemessener Entlohnung führen mit dazu, dass der Beruf der Erzieherinnen und Erzieher immer unattraktiver wird. Hinzu kommt die Diskussion um den Einsatz von langzeitarbeitslosen Menschen und die Kurzumschulung von früheren Einzelhandelskaufleuten, um die Fachkräftelücke zu füllen. Eine Diskussion, die das Berufsbild der Erzieherinnen und Erzieher schon jetzt nachhaltig beschädigt hat.
Umfragen geben der Mangelverwaltung recht
Eine Studie des Deutschen Instituts für Pädagogische Forschung aus dem vergangenen Jahr, an der auch das Deutsche Jugendinstitut, das Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund sowie die Justus-Liebig-Universität Gießen mitgewirkt haben, kommt zu dem Schluss, dass viele Ganztagsschulen die pädagogischen Ansprüche, vor allem in der Nachmittagsbetreuung, nicht erfüllen. Das ist schade, weil gerade Ganztagsschulen und deren Angebote dazu beitragen können, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in dem psychosozialen Bereich, das Selbstbewusstsein, das Selbstkonzept und das soziale Lernen zu unterstützen.
Insbesondere bei der Leseförderung und dem sozialen Lernen kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung durch die Ganztagsschule nur dann positiv beeinflusst werden kann, wenn die pädagogische Qualität der Angebote stimmt.
Gerade in den Großstädten mangelt es aber an der räumlichen Ausstattung, dem richtigen Personal und adäquate Kooperationspartner stehen dort nicht immer zur Verfügung.
Den meisten Ganztagsschulen fehlt überhaupt ein Konzept, so das Fazit der Studie.
Im September 2016 hat der WDR einen digitalen Fragebogen an alle Grundschulen in NRW geschickt und um eine Bewertung der OGS gebeten. Von insgesamt 2.812 Schulen haben sich 754 Grundschulleiter an der Umfrage beteiligt.
Auch hier ein erschreckendes Ergebnis: Es fehlt an qualifiziertem Personal, Räumen und Geld. Das Fazit der Umfrage nennt der WDR so: Gute OGS ist Glückssache.
Die freiwillige Nachmittagsbetreuung soll laut Erlass ein hochwertiges und umfassendes Bildungs- und Erziehungsangebot liefern, für individuelle Förderung und Chancengleichheit sorgen. Eingelöst hat die Politik dieses Versprechen bisher nicht, ein kind- und elterngerechtes Bildungsangebot für Kinder und Eltern anzubieten.
Während es im Vorschulbereich der Jugendhilfe einen Rechtsanspruch auf einen Platz mit gleichen Standards gibt, gibt es in der OGS nichts Vergleichbares.
Die „Verantwortungsgemeinschaft“ hat in der Praxis schon längst ausgedient – hier muss der Gesetzgeber ran.
Die Gewerkschaften, besonders die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di muss in Düsseldorf ordentlich Druck machen und der bisher vernachlässigten Jugendhilfe den Rücken stärken.
Quellen: Stadt Dortmund, WAZ; WDR Bildbearbeitung: L. N.