Über die konkrete Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt – Essen aus dem Müll: Containern, auch Mülltauchen oder Dumpster Diving genannt

Die Auswirkungen der Reformen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Koalition Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet. Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht hat und auch der Mittelschicht deutlich gemacht, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und ihre Ohnmacht an den Schwächeren ab.

Begleitet wird das Ganze von dem Misstrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen. Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und denjenigen Menschen mit Abstiegsängsten und den großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.

Der Bereich in dem der strafende Staat schon seit Jahrzehnten eine besonders tragische Kontinuität an den Tag legt, ist die Ahndung von Bagatelldelikten, die von den ärmeren Menschen begangen werden.

Das Armutsdelikt Containern wird im Folgenden genauer betrachtet und auch wie es geahndet wird.

In Müllcontainern von Supermärkten findet man oft noch genießbare Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Danach zu suchen und Verwertbares mitzunehmen, wird als Containern, Mülltauchen oder Dumpstern bezeichnet.

Für Menschen in prekären Lebensverhältnissen ist diese Art der Nahrungsbeschaffung vielfach zum Alltag geworden. Andere Menschen betreiben das Containern aus einer kritischen Haltung zur Gesellschaft und sehen darin einen Protest gegen den Kapitalismus und die Wegwerfgesellschaft.

Doch aufgepasst, streng genommen ist das Mitnehmen von Lebensmitteln aus den Behältern Diebstahl. Nach Paragraf 959 des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten Lebensmittel auch dann als Eigentum, wenn sie weggeworfen werden, zumal der Eigentümer damit eine Absicht verbindet, nämlich die Entsorgung des Lebensmittels.

Ein besonders schwerer Fall von Diebstahl

Wer dem Lebensmitteleigentümer das Lebensmittel vor der Entsorgung wegnimmt, läuft Gefahr, einen besonders schweren Fall von Diebstahl zu begehen.

Das ist 2 Frauen passiert, denen die Staatsanwaltschaft einen besonders schweren Fall von Diebstahl vorgeworfen hatte, weil sie Waren aus dem Müllcontainer eines Lebensmittelmarktes entwendeten.

Den beiden Frauen ging es bei ihrer Tat ums Prinzip: Das sogenannte Containern kann ihrer Meinung nach nichts Strafbares sein, weil die Supermärkte noch genießbare Produkte einfach wegwerfen. Wer containern geht, sei es aus Not oder aus Überzeugung, ist nach ihrer Ansicht ein Lebensmittelretter, aber kein Dieb.

Als die beiden Frauen von der Polizei überrascht wurden, fand man Waren im Wert von rund 100 Euro in ihren Rucksäcken. Für die Staatsanwaltschaft ein Grund, die Anklage wegen des „öffentlichen Interesses“ aufrecht zu halten, obwohl der Marktleiter seine Klage schon längst zurückgezogen hatte. Für den Richter waren die 100 Euro als Wert viel zu hoch, er befand, das sei vielleicht der Wert gewesen, den die Waren noch im Laden gehabt hätten. Zum Zeitpunkt des Diebstahls seien Bananen, Salat und das übrige Diebesgut aber praktisch wertlos gewesen, eben nur Müll. Trotzdem lautete sein Urteil: sie müssen je acht Stunden Sozialarbeit bei der „Tafel“ leisten und die Geldstrafe von 225 Euro wurde für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Die beiden Frauen hatten sogar noch etwas Glück, einige Staatsanwälte zücken noch den Straftatbestand der Sachbeschädigung oder auch Hausfriedensbruch hervor.

Der Fall löste bundesweites Aufsehen aus und die Diskussionen über die Strafen für das Containern lebten mal wieder auf. Auch die Vorschläge für die zukünftige Straffreiheit und das Wegwerfverbot für Supermärkte wurde diskutiert. Doch alles stieß auf taube Ohren bei den Regierungsparteien, die auch von der FDP noch Unterstützung erfuhren.

So auch der letzte Vorstoß das Containern zu erlauben des Hamburger Justizsenators Steffen Anfang Juni 2019. Die Justizminister der Länder haben sich nicht darauf einigen können, das Containern zu legalisieren.

 

 

Quellen: WAZ, Lorenz Böllinger, zeit-online, monitor.de, Volkmar Schöneburg

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