Gegen die Wand. Eine kleine Branchenanalyse der deutschen Autoindustrie

 Von Toni Richter

Deutschland ist Autoland ohne Tempolimit. Fragt man, wie die Deutsche Automobil Treuhand in ihrer jährlichen Umfrage, nach den Gründen für den Autokauf, dann geben im Jahr 2019 in Deutschland 33 Prozent der NeuwagenkäuferInnen an, dass sie schlicht Lust auf einen neuen PKW hatten (s. Grafik des Monats Mai, online unter: https://report.dat.de . Mit anderen Worten: Das Auto gehört zum emotionalen Wohlbefinden erheblicher Teile der deutschen Bevölkerung.

Doch das deutsche Autoparadies ist in Gefahr. Schickte schon der Diesel-Skandal echte Schockwellen durch das Land, indem er dem National-Mythos des deutschen Ingenieurs einen tiefen Kratzer im Lack zufügte, so ist die bürgerliche Presse inzwischen voll von Artikeln, in denen Sorgen um die Zukunft der deutschen Auto-Industrie im Mittelpunkt stehen. Liegt die deutsche Auto-Industrie in Sachen E-Auto gegenüber anderen Herstellern irreversibel zurück? Wird die Corona-Krise diesen Rückstand womöglich vertiefen? Wird die Abwrackprämie der deutschen Auto-Industrie etwas Zeit schenken, um den Rückstand aufzuholen? Wo steht die deutsche Autoindustrie, wenn es um die Digitalisierung des Autos geht? Und ist eine Massenproduktion von E- oder anderen Autos ökologisch überhaupt vertretbar?

Schaut man dabei zunächst auf die jährlich hergestellten Autos, dann ist VW als zugleich weltweite Nr. 1 mit Abstand der größte deutsche Hersteller mit 10,3 Millionen hergestellten Autos im Jahr 2019. Erst dann ­folgen mit weitem Abstand die Premium-Hersteller Daimler mit 2,6 Millionen sowie BMW mit 2,5 Millionen Autos. In der deutschen Autoindustrie arbeiteten zudem im Jahr 2019 ca. 850.000 Beschäftigte. Zählt man die 441.000 (2018) Beschäftigten im KFZ-Gewerbe hinzu, dann ist das wirtschaftliche Schicksal von knapp 1,3 Millionen Menschen hierzulande sehr eng mit dem Auto verbunden. Einige Branchen wie Stahl oder Chemie sind zudem vermittelt mit der hiesigen Autoproduktion verknüpft, d.h. die indirekten Beschäftigungseffekte der Auto-Industrie in Deutschland sind sicher größer als diese 1,3 Millionen. Nicht umsonst gibt es also den Spruch: »Wenn Wolfsburg hustet, bekommt das Ruhrgebiet eine Lungenentzündung.« Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass im deutschlandweiten Vergleich andere Wirtschaftszweige längst viel größere Jobmotoren sind als die Auto-Industrie: im Gesundheits- und Sozialwesen waren 2018 etwa 5,4 Millionen Menschen beschäftigt, im Handel 5,3 Millionen sowie in Erziehung und Unterricht knapp 2,8 Millionen.

Neben Stück- und Beschäftigtenzahlen sind drei weitere Punkte hervorzuheben. Erstens: die deutsche Auto-Industrie hängt stark vom Export und da wiederum von der EU ab. 65 Prozent der in Deutschland hergestellten Autos werden z.B. in das europäische Staatenbündnis exportiert, zudem lebt die deutsche Auto-Industrie von kostengünstigen Produktionsstandorten und Zulieferketten in Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Rumänien. Zweitens: die Auto-Industrie ist im Gegensatz zum sozialen Bereich eine Hochlohnbranche für ArbeiterInnen in Deutschland, MitarbeiterInnen ohne Hochschulabschluss verdienen hier im Schnitt 56.600 Euro im Jahr ohne Sonderzahlungen. Das liegt auch an der hohen Tarifbindung. Zudem haben die Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie immer auch eine Orientierungsfunktion für die Forderungen der anderen DGB-Gewerkschaften, bis zu einem gewissen Grad bestimmen sie die Spielräume der Lohnentwicklung in Deutschland überhaupt. Drittens schließlich: die deutschen Auto-ArbeiterInnen stellen zurzeit das Rückgrat der deutschen Gewerkschaftsbewegung dar, wenn man berücksichtigt, dass mehr als ein Drittel der betriebsangehörigen Mitglieder der IG Metall in der Auto-Industrie beschäftigt ist. Ein Beschäftigungskahlschlag in der Auto-Industrie würde also nicht nur die IG Metall in eine ernste Krise stürzen, auch die weiteren Folgen für die deutschen Gewerkschaften, aber auch für die deutsche Linke wären nicht zu unterschätzen.

Entwicklungstrends

Hört man sich bei Kennern der deutschen Auto-Industrie um, dann sieht sich diese Branche vor allem vier Entwicklungstrends gegenüber, die ihre Stellung gefährden. Der erste Trend verbindet sich mit den Stichworten Klimawandel und Dekarbonisierung. Will die deutsche Auto-Industrie die von der EU vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten, dann müssen bis 2030 knapp 40 Prozent der Autos Elektroautos sein und im Jahr 2050 muss der Autoverkehr komplett dekarbonisiert sein. Elektromotoren brauchen allerdings deutlich weniger Teile als Verbrenner, wie das Beispiel des Antriebsstrangs zeigt. Wenn ein Verbrenner hier mehrere tausend Teile braucht, sind es beim E-Auto lediglich einige Hundert. Bedenkt man nun, dass gegenwärtig am Antriebsstrang in Deutschland knapp 400.000 Arbeitsplätze hängen, dann wird deutlich, dass der Wechsel zum E-Auto einen großen Teil dieser Arbeitsplätze gefährdet. So schätzt die IG Metall in einer Studie, dass bei 45 Prozent Elektrifizierung knapp 100.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten, wobei es vor allem kleinere und mittlere Spezialhersteller in der Zulieferkette treffen würde.

Der zweite Trend, der gegenwärtig eine große Gefahr für die deutsche Auto-Indus­trie darstellt, hat wiederum mit dem Stichwort Digitalisierung zu tun. Das meint zum einen die Digitalisierung des Autos. Beispielsweise gehen Beobachter davon aus, dass autonom fahrende Autos in den USA in den nächsten Jahren Realität werden und sich in 15 bis 20 Jahren durchsetzen könnten. Mit dieser Entwicklung wären durch Algorithmen gesteuerte »Robo«-Taxis, die per App gebucht beständig hin und her fahren, bald keine Zukunftsmusik mehr. Damit würde zugleich der Privatbesitz von Autos zunehmend unattraktiv und die Zahl der gebauchten Autos insgesamt fiele. Digitalisierung meint aber zum anderen auch Digitalisierung der Auto-Produktion (Schlagwort »Industrie 4.0«). Kenner der Branche gehen davon aus, dass diese Automatisierungswelle nicht nur Produktionsarbeitsplätze gefährden wird. Auch 20 bis 30 Prozent der Arbeitsplätze in den indirekten Nicht-Produktionsbereichen stünden auf der Kippe, z.B. durch die Ausweitung der Gig-Economy, also die globale Ausschreibung von Arbeitsaufträgen auf digitalen Plattformen.

Der dritte Entwicklungstrend, dem die deutsche Auto-Industrie angstvoll entgegenblickt, sind neu entstehende Mobilitätsanforderungen. Die Mobilitätsbedürfnisse der zahlungskräftigen StädterInnen ändern sich. Auch wenn das Auto in ländlichen Regionen wichtig bleibt, so frönen inzwischen viele »Young Urban Professionals« ihrer Individualität, ohne dass der Autokauf als Prestigeobjekt zum Lifestyle dazugehört. Allenfalls mit Car-Sharing-Strategien kann diese Klientel noch für das Auto begeistert werden. Zugleich gibt es immer mehr Städte, die den Blechlawinen des täglichen Auto-Verkehrs mit ihren vielen Emissionen nichts mehr abgewinnen können und deshalb mit Gegenmaßnahmen das Autofahren in den Stadtzentren immer unattraktiver zu machen suchen. Viertens schließlich lebt die Auto-Industrie nicht nur von der EU, sie ist vielmehr eine globale Freihandelsindustrie, die sowohl im Verkauf wie auch in ihren Produktionsketten vom freien Zugang auf die Märkte anderer Länder und Regionen profitiert. Auch hier wird das Stirnrunzeln vieler Auto-Manager Tag für Tag größer, wenn sie etwa an die Handelsscharmützel der Trump-Regierung oder aber an den Brexit denken.

Focus: E-Auto

Haken wir an zwei Punkten jedoch etwas tiefer nach, da sie von besonderer Bedeutung sind. Da ist zunächst der große Irrglaube, dass die Durchsetzung des E-Autos sich ökologischen Erwägungen verdankt. Leider ist das eine naive Perspektive auf den gegenwärtigen technologischen Wandel. Und die vielen Texte, die in ökologischer Gesamtrechnung nachweisen, dass das E-Auto keineswegs »grüner« als der Verbrenner ist, sind zwar gut gemeint und richtig, sie treffen aber den Kern der Sache nicht. Um diesen zu verstehen, gilt es nach China zu blicken. China gilt gegenwärtig als der größte Zukunftsmarkt für die Auto-Industrie, wer den Anschluss auf diesem Markt verpasst, dem stehen als Autobauer schwere Zeiten bevor. China ist ein Land, in dem die Wunden eines rassistischen Kolonialismus besonders tief gerissen wurden und diese sicherlich so wenig verheilt sind wie anderswo, aber gleichzeitig schon längst nicht mehr nur die billige »Werkbank der Welt«, sondern hat sich durch den Aufbau eigener Industrie, Forschung und Entwicklung unabhängig gemacht von westlichen Direktinvestitionen und der Rolle als Zulieferstandort. Und wenn China irgendwo einen Technologievorsprung im Automarkt vermelden kann, dann findet sich dieser in der Batterietechnik.

Entsprechend ist der strategische Gedanke hinter der chinesischen Autopolitik einfach, aber genial: Wer im Wachstumsmarkt China als Auto-Unternehmen auf Dauer sein Geld verdienen will, der muss dies in zunehmendem Maße als E-Auto-Produzent tun. Entsprechend führte das Land 2017 eine E-Auto-Quote ein, die wie folgt funktioniert: »Die so genannte E-Autoquote gilt für alle Hersteller in China, die mehr als 30.000 Fahrzeuge jährlich produzieren. Diese müssen eine Mindestzahl an Autos mit E-Antrieb oder Hybrid produzieren. Verfehlt ein Hersteller die Quote, muss er ähnlich wie beim Emissionshandel entweder Kreditpunkte von anderen Unternehmen dazukaufen oder eine Strafe zahlen. Bei der Quote unterscheidet die Regierung zwischen reinen E-Autos und Hybridmotoren sowie ihrer Reichweite. 2019 sollen zehn Prozent der verkauften Fahrzeuge Elektrofahrzeuge sein, ab 2020 dann zwölf Prozent.« (Deuber 2017) Die Folgen dieser Jahr für Jahr steigenden Quote sind drastisch. Erstens: Autobauer, die wie die deutsche Autoindustrie in Sachen E-Auto lange tief geschlafen haben, stehen plötzlich unter immensem Druck, in kurzer Zeit auf E-Auto-Produktion umzurüsten. Das schreibt sich einfach, ist in Wahrheit aber eine Herkulesaufgabe, die die Anflüge von Panik in der deutschen Auto-Industrie verstehen hilft. Denn mit Blick auf die wichtigen Skalen-Gewinne in der Produktion langt es keineswegs, nur die Produktion in China umzurüsten; vielmehr gilt es, die eigene Produktion global so schnell wie möglich in ­erheblichen Teilen zu »elektrifizieren«. Dies ergibt aber nur dann Sinn, wenn die KäuferInnen die neuen Modelle dann auch kaufen. Zweitens: alle Autofirmen, die vom chinesischen Wachstumsmarkt profitieren wollen, ohne die E-Quote zu erfüllen, müssen qua Handel mit Kreditpunkten und Strafzahlungen tief in die eigene Tasche greifen. Das wäre womöglich eine Zeitlang zu verschmerzen, aber implizit subventionieren diese E-Auto-Looser mit ihren Zahlungen chinesische Hersteller wie BYD, aber auch womöglich US-Unternehmen wie Tesla, denen diese Strafzahlungen wiederum in Form von Subventionen zu Gute kommen. Drittens: China gewinnt in mehrfacher Hinsicht. Es stärkt seine eigenen Hersteller und legt die Grundlage für eine starke chinesische Auto-Industrie. Es verbessert in einem Land, das pro Jahr mehr als eine Millionen Feinstaubtote zu verzeichnen hat, die Lebensqualität. Es kontrolliert perspektivisch die globale Auto-Industrie, einfach weil es über riesige Vorkommen von seltenen Erden verfügt, die für die Batterie-Produktion wichtig sind. Es wird schließlich deutlich unabhängiger vom Erdöl, das das Land bislang importieren muss, und gewinnt damit im geostrategischen Spiel gegen die Weltmacht USA deutlich an Spielraum.

Focus: Software

Neben der Batterietechnik gibt es jedoch ein weiteres Mega-Schlachtfeld, auf dem sich die Zukunft der deutschen Auto-Industrie entscheidet: die Software. Da das Handelsblatt dieses Kampffeld in einem vorzüglichen Artikel kürzlich analysiert hat, seien im Folgenden einige längere Zitate erlaubt. Einführend heißt es da: »Das Geschäft der Autobauer ändert sich fundamental. Leistungsstarke Verbrennungsmotoren scheiden als Alleinstellungsmerkmal von Deutschlands Vorzeigeindustrie aus. Schlimmer noch: Auch mit Elektroantrieben können sich die Hersteller kaum mehr von Wettbewerbern differenzieren. (…) Die Technik kann jeder Hersteller beherrschen. Beim Design und Karosseriebau sind Daimler, BMW und Volkswagen zwar noch führend. Das wichtigste Unterscheidungskriterium ist künftig aber die Software. Das Auto der Zukunft fährt mit einem Zentralcomputer, einer obersten Instanz für Motor, Klima und Navigation. Ständig mit dem Internet verbunden, tauscht er Daten aus und wird so zum Ausgangspunkt neuer Geschäftsmodelle. Software wird damit zur Überlebensfrage für die Industrie und ausgerechnet hier hinkt das heimische Trio Angreifern wie Tesla hinterher.« (Handelsblatt, 25. Mai 2020, S. 4) Und weiter: »Die Folge: VW, Daimler und BMW arbeiten unabhängig voneinander an eigenen Softwareplattformen, die so etwas wie das Gehirn und das zentrale Nervensystem der Fahrzeuge von morgen darstellen. Wer diese Betriebssysteme am nutzerfreundlichsten programmiert, gewinnt das Rennen um die Mobilität der Zukunft und sichert sich lukrative Erlöse mit neuen Services, so das Kalkül.« (Ebd.)

So klar das Kalkül daherkommt, so unterschiedlich sind die Strategien. Da wäre etwa die Daimler-Strategie, die von den Handelsblatt-Autoren wie folgt umrissen wird: »Statt an Kunden nur alle paar Jahre einen Neuwagen zu verkaufen, hofft er [Daimler-Chef Ole Källenius/T.R.], bald Geld mit Softwareupdates zu verdienen. Fahrer können ihren Mercedes mit verbesserten Fahrassistenzsystemen aufrüsten oder mehr elektrische Reichweite erwerben. Das Potenzial ist riesig. Källenius glaubt, die Digitalerlöse könnten ›relativ schnell ein Volumen von mehreren Hundert Millionen Euro erreichen‹. Sein Ziel: mit leicht skalierbaren Features Traumrenditen generieren. Ähnlich wie der iPhone-Hersteller Apple oder der Elektropionier Tesla will Daimler das Kunststück vollbringen, den Anteil des Servicegeschäfts bei insgesamt steigenden Erlösen in den kommenden Jahren drastisch zu erhöhen. Langfristig könnte die voll vernetzte Sternenflotte dann Teil eines Wirtschaftssystems werden, in dem Menschen Mobilitätsdienstleistungen nach Bedarf hinzubuchen.« Lassen wir dann die vorsichtigere BMW-Strategie, die sich bisher auf Car-Sharing-Konzepte und die Nutzung eines eigenen Betriebssystems für die eigenen Autos konzentriert, außer Acht, dann ist da noch die VW-Strategie, die im Handelsblatt so beschrieben wird: »VW-Chef Herbert Diess hält nichts von zu viel Klein-Klein. Seine Strategie geht weit über jene von Daimler und BMW hinaus. Er will den Eigenanteil an der Entwicklung von Software von unter zehn Prozent bis Mitte der Dekade auf über als 60 Prozent steigern. Mehr noch: Diess bietet Wettbewerbern sein in Planung befindliches Betriebssystem zur lizenzierten Nutzung an. Mit seiner Macht als weltweit größter Hersteller hofft VW so, das beste System in der Branche zu programmieren. Das Ziel von Diess ist, Volkswagen von einem Industriekonzern in ein Hightech-Unternehmen zu verwandeln – mit entsprechender Marktkapitalisierung. Als Vorbild dient ihm der US-Wettbewerber Tesla.« (Ebd.)

Dieser Kampf ist längst kein Kampf mehr innerhalb der Auto-Wirtschaft, schon gar nicht der deutschen. Am Horizont steht vielmehr ein Technologie-Gigant, der es letztlich auf die völlige Kontrolle über die Auto-Wirtschaft abgesehen hat und der durch seinen riesigen Vorsprung in Sachen Datenverarbeitung gute Chancen bei diesem Vorhaben haben dürfte: »Anders als früher müssen die Deutschen im Softwarebereich Angriffe von Datenkonzernen aus China und dem Silicon Valley abwehren, die mit aller Macht in die Fahrzeuge drängen. Vor keinem Unternehmen fürchten sich Daimler, BMW und VW beim Kampf um das Auto-Hirn so sehr wie vor Google. Der Riese aus dem kalifornischen Mountain View inszeniert sich gerne als freundlicher Helfer der Fahrzeugindustrie. Mit ›Android Auto‹ bietet der Konzern bereits ein System an, um Apps und Informa­tionen auf dem Smartphone ins Fahrzeug zu spiegeln. Es ergänzt die Infotainment-Angebote der Autobauer, ersetzt sie aber nicht. Das ändert sich nun. Mit ›Android Automotive OS‹ rollt Google gerade ein Multimediasystem für Fahrzeuge aus, das die komplette Cockpit­elektronik steuert. Erstmals zum Einsatz kommt es im Polestar 2. Der Mittelklasse-Elektrowagen der Volvo-Tochter kann seit einigen Wochen bestellt werden. Auch andere Branchengrößen wie General Motors, Fiat Chrysler oder Renault-Nissan setzen künftig bei ihren Modellen auf das ganzheitliche Multimediasystem von Google, das Nutzern auch ohne Smartphone den Zugriff auf Google Maps oder Assistant ermöglicht.« (Ebd.)

Gegen die Wand

Das Corona-Virus hat diese ohnehin schon komplizierte Gemengelage zusätzlich zugespitzt, da nicht nur die Autokäufe global massiv einbrachen, sondern anhaltende Zweifel an der Konsumentenlaune nicht nur die deutsche Autoindustrie eine ganze Zeit lang begleiten werden. Zudem ist die Entscheidung der Bundesregierung, das riesige Konjunkturpaket nicht mit einer Abwrackprämie zu versehen, eine kleine Sensation. Zwar sollte man abwarten, ob die Auto-Lobby im Herbst nicht doch noch ihren Willen bekommt. Aber dieser Schock über den Entzug der ›staatlichen Fürsorge‹ sitzt einstweilen tief. Denn die Warnzeichen werden größer.

So haben die Betriebsräte der verschie­denen VW-Standorte Anfang März einen Brandbrief an Aufsichtsrat und Vorstand ­geschrieben, in dem sie drei Fragen stellen: »Wer von Ihnen trägt hier die Verantwortung dafür, dass wir Technik und Marketing wieder in den Griff bekommen? Wer übernimmt die Verantwortung für das Produktdesaster unserer aktuellen Modellpalette? Und wie wollen Sie zukünftig vermeiden, dass hier im Konzern unnötig Geld verbrannt wird, weil hier keine eindeutigen Konzernstrategien erkennbar sind?« Doch nicht nur die Think-Big-Digitalphantasien des VW-Chefs Diess zerbrechen bislang an der internen Realität. Auch in der Zuliefer-Industrie scheint eine massive Restrukturierung mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten bereits ihren Anfang zu nehmen. ZF Friedrichshafen kündigte den Abbau von 15.000 Stellen bis 2025 an, das sind zehn Prozent ­aller MitarbeiterInnen. Bei Bosch gehen Betriebsräte davon aus, dass allein im Großraum Stuttgart knapp 3.000 Arbeitsplätze nicht mehr gebraucht werden. Continental wiederum stellt 15.000 Arbeitsplätze, davon 5.000 in Deutschland, bis 2023 auf den Prüfstand. Und: ZF, Bosch und Continental geht es bislang gut, da sie am oberen Ende der Zulieferketten stehen. Für viele kleine, oftmals hochspezialisierte Zulieferer sind die Aussichten noch düsterer. Auch deshalb, weil nur die wenigsten über Alternativen nachgedacht haben, wie eine Umfrage der IG Metall bei Betriebsräten der Metall- und Elek­troindustrie verdeutlicht. Sage und schreibe 43 Prozent der Unternehmen verfügen entweder über keine Strategie für die bevorstehende Transformation oder aber die befragten Betriebsräte dieser Unternehmen kennen diese Strategie nicht.

Die bittere Pointe von alledem soll schließlich nicht verschwiegen werden. Selbst wenn nämlich die deutsche Auto-Industrie ein weiteres Mal erfolgreich bleiben und ihre Weltmarktanteile auch im E-Auto-Zeitalter halten oder gar ausbauen sollte, dann wird dies sehr wahrscheinlich ein ökologischer Pyrrhus-Sieg sein. Denn, wie erwähnt, ist das E-Auto in einer ökologischen Gesamtrechnung kaum grüner als die jetzigen Verbrenner. Dazu kommt, dass die automobilen Digitalisierungsphantasien bisher eine Kleinigkeit völlig außer Acht lassen: eine massive Ausweitung digitaler Technik führt zu einer Ausweitung des Energiebedarfs. Forschungen auch im Auftrag der Bundesregierung, die Tillmann Santarius an der TU Berlin leitet, zeigen jedoch, dass dieser zusätzliche Energiebedarf nicht mit regenerativen Energien sichergestellt werden kann. Allenfalls Atomkraftwerke könnten hier schnelle und CO2-neutrale Abhilfe schaffen. Mit anderen Worten: Die meisten der hier vorgestellten Strategien und Ideen führen nur in eine Richtung: gegen die Wand. Als kleine Hoffnung bleibt da nur die Bemerkung von Berthold Brecht: Revolutionen werden in Sackgassen gemacht!

Literatur:

  • Deuber, Lea (2017): »Was die E-Quote für deutsche Autobauer bedeutet«, in: Wirtschaftswoche Online,www.wiwo.de

 

 

Der Beitrag erschien in express 6/2020 / weitere Infos und Bezug unter: www.express-afp.info



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