Trotz ständig steigender Arbeitslosenzahlen leistet die neoliberal- und kapitalorientierte Arbeitsmarktpolitik nahezu einen Offenbarungseid, wenn sie in den monatlichen Arbeitsmarktberichten der Öffentlichkeit die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu erklären versucht. Dann muss u.a. die Sommerpause dafür herhalten, dass zigtausende von Menschen nicht nur ihren Arbeitsplatz verlieren, sondern aufgrund der völlig unzureichenden Sozialleistungen, ob Arbeitslosengeld oder Bürgergeld, in finanzielle Notlagen gestürzt werden. Gleichwohl wird die herrschende Politik nicht müde zu behaupten, der Arbeitsmarkt zeige sich trotz abnehmender wirtschaftlicher Konjunktur „beständig“ oder „robust“, obwohl auch im August 2023 die tatsächliche Arbeits- bzw. Erwerbslosigkeit in NRW mit 938.577 Tsd. Personen in einem Bereich liegt, der auch nicht ansatzweise Anlass zur Euphorie geben sollte, denn damit liegt die tatsächliche Arbeitslosigkeit um 46.629 arbeitslosen Menschen höher als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Dies veranlasst die neoliberalen Akteure der NRW-Arbeitsmarktpolitik jedoch in keiner Weise, entschiedene Maßnahmen für eine deutliche Kursänderung zu ergreifen.
Im Gegenteil, sie verbreiten auch weiterhin Durchhalteparolen und einen unbegründeten Zweckoptimismus, wenn der Geschäftsführer der Regionaldirektion NRW, Roland Schüßler, zu den aktuellen Arbeitslosenzahlen beschwichtigend erklärt, dass „Am Arbeitsmarkt in NRW im August die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat unverändert geblieben“ (sei)……Das ist eine erfreuliche Nachricht.“ Das ist für die herrschende Arbeitsmarktpolitik gewissermaßen gottgewollt bzw. naturgegeben. Man könnte schon fast von Realitätsverweigerung sprechen, aber es gehört erfahrungsgemäß zur neoliberalen Propaganda, schlechte Verhältnisse schönzureden, um die deutsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik im europäischen Kontext weiterhin als vorbildlich und erfolgreich darzustellen.
Ebenso verbleiben die Langzeitarbeitslosigkeit und die Zahl der Menschen, die gezwungen sind, von völlig unzureichenden „Bürgergeld“-Sätzen zu leben (aktuell mehr als 1,5 Mio. in NRW), nach wie vor auf einem erschreckend hohen Niveau. So ist die Teilnehmerzahl beim Projekt „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ sogar zurückgegangen, während der sog. „Abgang“ in Erwerbstätigkeit nur 12.450 Personen von 519.465 im SGB II-System registrierten arbeitslosen Menschen ausweist und damit lediglich ca. 2,3 % (!) sich in die Erwerbstätigkeit abmelden. Und dabei heißt es doch so schön in nahezu allen Stellungnahmen der Arbeitsagentur, dass der Arbeitsmarkt sich weiter „robust“ gezeigt habe. Ja, stabil im Interesse der NRW-Großkonzerne, deren Gewinne nahezu explodieren, aber desolat, wenn man die zunehmende Verarmung zum Maßstab machen würde.
Zu den Zahlen im einzelnen:
Die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit wird demgegenüber mit lediglich 725.161 Personen angegeben, während damit 213.416 (!) Personen unterschlagen werden, weil sie nach neoliberaler Terminologie nicht zu den „Arbeitslosen“ gerechnet werden. Diese unterschlagene Zahl setzt sich im einzelnen aus 18o.879 Personen im SGB II-Bezug („Bürgergeld“) und 32.537 Personen im SGB III-Bezug (ALG 1) zusammen. Sie befinden sich entweder in sog. Trainings- oder Weiterbildungs-Maßnahmen, gehören zu Alleinerziehenden oder sind kurzfristig arbeitsunfähig erkrankt. Alle von ihnen sind zwar bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern arbeitslos gemeldet, werden aber zur Bereinigung der Statistik als arbeits- bzw. erwerbslose Menschen nicht berücksichtigt. Die neoliberale Arbeitsmarktpolitik hat dafür den vernebelnden Begriff der „Unterbeschäftigung“ erfunden.
Der Anstieg der offiziell registrierten Arbeitslosigkeit um 31.216 Personen seit August 2022 (687.723) beruht allerdings zu einem nicht geringen Teil darauf, dass zum Stichtag (13. August) in NRW ca. 41.700 aus der Ukraine geflüchtete Menschen arbeitslos gemeldet waren. Da diese seit dem 01.06.22 von den Jobcentern erfasst und damit SGB II-leistungsberechtigt sind, waren ca. 148.000 Leistungsanträge für Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit bei den Jobcentern abgegeben worden. Darunter fast ca. 47.000 Kinder und Jugendliche.
Von den offiziell registrierten Personen sind 390.212 Männer (53,8 %) und 333.733 Frauen (46,2 %). 64.774 als arbeitslos registrierte Personen sind zwischen 15 bis unter 25 Jahre alt. 239.221 (33 %) sind älter als 50 Jahre. Und obwohl „Ausländer“ (offizielle Kategorie) an der Gesamtbevölkerung nur ca. 12 % ausmachen, liegt ihr Anteil mit ca. 40% (290.657) weit über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die relativ hohe Differenz von 18.971 Personen im Vergleich zum August 2022 beruht, wie bereits ausgeführt, hauptsächlich auf dem Zuzug von ukrainischen Flüchtlingen, denen im Verhältnis zu allen anderen (Kriegs-)Flüchtlingen ein sofortiger SGB II-Leistungsanspruch eingeräumt wurde.
Auch die Langzeitarbeitslosigkeit liegt mit 297.767 Personen um 1.899 höher als im August 2022 nach wie vor auf einem mehr als hohen Niveau. Trotz eines vor ca. drei Jahren vollmundig propagierten Programms zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit („Teilhabe am Arbeitsmarkt“) sind von diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument in NRW aktuell gerade einmal 12.219 (!) Personen in einem geförderten und sozialversicherten Arbeitsverhältnis (jedoch ohne Arbeitslosenversicherung!), also nur ca. 4,5 % der Menschen, die dringend in den Arbeitsprozess integriert werden müssten.
Im Gegensatz zur offiziellen Propaganda, die den Eindruck erzeugt, die Arbeitsmarktpolitik tue alles, um die arbeitslosen Menschen zu fördern (O-Ton: „Die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sehe ich als zentralen Schlüssel für den Arbeitsmarkt der nahen Zukunft“), sprechen die Zahlen eine deutlich andere Sprache. Obwohl von den arbeitslosen Menschen im Bürgergeld-Bezug ca. 65% (!) ohne berufsqualifizierenden Abschluss sind, erhalten nach aktuellem Stand lediglich 13.428 von ihnen eine berufliche Weiterbildung, also gerade einmal ca. 3% (!) werden beruflich gefördert. Deutlicher kann sich die neoliberale Propaganda eigentlich nicht selbst entlarven.
Bei der arbeitsmarktpolitischen Förderung („Weiterbildung“) springt insbesondere ins Auge, dass die Arbeitslosen, die ALG I beziehen, eine erheblich qualifiziertere und kostenaufwändigere Förderung erhalten, als die im SGB II-System erfassten Personen. Während von 24.298 ALG I-Leistungsbeziehenden (diese Zahl erfasst Personen, die „nah“ am Arbeitslosenstatus sind) 17.203 Personen, also ca. 70 % an einer beruflichen und abschlussbezogenen Weiterbildung teilnehmen, sind es bei den „Bürgergeld“-Beziehenden lediglich ca. 13 % (13.428 von 106.979 Personen, die nach neoliberaler Lesart „nah“ am Arbeitslosenstatus sind), was das Zwei-Klassensystem in der Arbeitsförderung mehr als deutlich zum Ausdruck bringt. Und obwohl von der Förderung gerade diejenigen profitieren sollten, die besonders darauf angewiesen sind: Menschen ohne Hauptschul- bzw. berufsqualifizierenden Abschluss.
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in NRW nahm im Juni 2023 (letzter statistisch erfasster Monat) erstmalig nach längerer Zeit wieder ab und betrug 7.273.000 Mio. Personen, wovon allein ca. 29 % (2.100.936 Mio.) in Teilzeit arbeiten. Dass jedoch selbst eine sozialversicherte Beschäftigung seit vielen Jahren häufig nicht mehr zur Finanzierung des Lebensbedarfs reicht, kommt sehr deutlich bei den im Bürgergeld-System erfassten Menschen zum Ausdruck: von 223.253 Menschen mit aufstockenden Leistungen arbeiten gerade einmal 102.790 sozialversicherungspflichtig, wovon lediglich 21.784 in Vollzeit (ca. 12%) und 83.305 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung arbeiten (Faktencheck des DGB NRW Stand Juli 2023).
Die regelmäßig von der offiziellen Berichterstattung nahezu unterschlagenen Menschen im Bürgergeld-Bezug werden mit 1.124.940 Mio. Personen angegeben, was der Zahl der sog. „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ entspricht. Auch hier hat die Leistungsberechtigung der Ukraine-Flüchtlinge dazu geführt, dass diese Zahl seit August 2022 um 29.010 Menschen gestiegen ist. Hinzu kommen noch die Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren mit 456.066 Personen, so dass in NRW mehr als ca. 1,58 Mio. Menschen registriert und damit gezwungen sind, von die Armut Monat für Monat befördernden Sozial-Leistungen zu leben. Zu diesen Zahlen verliert der gesamte Arbeitsmarktbericht wie in den Vormonaten kein einziges Wort!
Schließlich:
nach wie vor hält die neoliberale Arbeitsmarktpolitik an den menschenunwürdigen sog. Arbeitsgelegenheiten, also 1-Euro-Jobs, fest. Diese enthalten keine normalen arbeitsvertraglichen Rechtsansprüche und sind mit einer nahezu sklavenartigen Lohnhöhe von maximal 2 Euro je Stunde verbunden, die allerdings anrechnungsfrei sind. In NRW machen sie aktuell 14.735 „Maßnahmen“ aus, während das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit („Teilhabe am Arbeitsmarkt“) gerade einmal 12.219 Personen erfasst hat. Auch an dieser eklatanten Schieflage soll nach wie vor nichts geändert werden. Der wesentliche Grund für die hartnäckige Beibehaltung von 1-Euro-Jobs liegt darin, dass sie für die Arbeitsverwaltung bzw. Jobcenter erheblich billiger sind, als wenn, wie im Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, zu 100% sozialversicherte Arbeitsverhältnisse gefördert werden, also die Unternehmen von der Lohnzahlung im ersten Jahr völlig und in den Folgejahren stufenweise befreit sind.
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