Ausgepresst

Von Minh Schredle

Internationale Investoren legen ihr Geld inzwischen lieber am Wohnungsmarkt als in der Automobilindustrie an. Der rasante Aufstieg der Vonovia, in deren Häusern eine Million Menschen wohnen, verdeutlicht, wie dabei asoziales Verhalten belohnt wird.

Weil der alte Name mit zu viel Negativem verbunden war, musste ein neuer her. Die Deutsche Annington heißt seit Mitte 2015 Vonovia. Falls sich durch die Umbenennung etwas an dem Marktverhalten, das der Annington ihren schlechten Ruf einbrachte, geändert hat, muss es sich heimlich vollzogen haben.

In rasanter Geschwindigkeit ist die Vonovia zum größten deutschen Immobilienunternehmen aufgestiegen und als einziger Vertreter dieser Branche auf dem Deutschen Aktienindex (DAX) gelistet. 2001 ist sie, noch unter dem Namen Deutsche Annington, erstmals in Erscheinung getreten: Im Zuge der Bahnreform kaufte sie elf der achtzehn Eisenbahnerwohnungsbaugesellschaften, die damals zur Auktion standen, mit insgesamt 65 000 Wohnungen. Gewisses Startkapital war demnach vorhanden. In den folgenden Jahren setzte das Immobilienunternehmen vornehmlich auf zwei Strategien: Die Konkurrenz aufkaufen und dort zuschlagen, wo in großem Stil öffentliches Eigentum in privates umgewandelt wurde.

Ein Paradebeispiel dafür: Das Land Baden-Württemberg verkauft 20 000 Wohnungen an die Patrizia Immobilien, die verkauft weiter an die Süddeutsche Wohnen (Südewo) und Vonovia kauft die Süddeutsche Wohnen. Das war 2015. Ein noch viel größerer Coup gelang zehn Jahre zuvor: Die Vonovia, damals noch unter dem Namen Annington, übernimmt die Viterra AG und sichert sich dadurch gut 150 000 Wohnungen zu einem Stückpreis unter 50 000 Euro. Knapp sieben Milliarden Euro nimmt der Konzern dafür in die Hand – und feuert anschließend ein Drittel seiner MitarbeiterInnen. Durch den Aufkauf der Konkurrenz war der Vonovia-Vorgänger nur vier Jahren nach seiner Gründung zum größten Wohnungsbesitzer der Republik geworden.

Damals waren es 230 000 Wohnungen, die die Vonovia ihr Eigen nannte. Heute sind es 350 000. Viele stehen heute wieder zum Verkauf, allerdings deutlich teurer. In den „Stuttgarter Nachrichten“ berichtet ein Vonovia-Mieter von einem besonders extremen Beispiel: Eine Wohnung, die beim Einzug für 95 000 Euro zu kaufen gewesen wäre, wird acht Jahre später, „ohne größere Renovierungen“, plötzlich für 284 300 Euro angeboten.

Reich kauft, arm zahlt

Die umsatzstärkste Branche in Deutschland ist nicht die Autoindustrie, auch nicht der Einzelhandel, sondern der Wohnungsmarkt: Etwa ein Fünftel aller Wertschöpfung entfällt auf dieses Segment. Die steigenden Mieten in nahezu allen Großstädten sind dabei kein Zufall, keine gottgegebene Naturgewalt, sondern zu großen Teilen Resultat einer investorInnenfreundlichen Legislatur. Wie mieterInnenfeindlich die geltenden Gesetze gegenwärtig sind, verdeutlicht etwa die sogenannte Modernisierungsumlage. Diese eröffnet EigentümerInnen die Möglichkeit, kostenfrei den Wert ihrer Immobilie zu steigern. Bezahlen dürfen das die MieterInnen.

Das Prinzip hat gewisse Ähnlichkeiten zum Ratenkauf, allerdings mit einer Eigenheit. Stellen Sie sich vor, Sie bestellen ein Paket, und zahlen zunächst den vollen Kaufpreis. Dann aber lassen Sie die Kosten häppchenweise jemand anderes abstottern, während Ihr Eigentum Ihr Eigentum bleibt. So funktioniert es am Wohnungsmarkt. Wenn sich eine Hausbesitzerin dazu entscheidet, eine Modernisierung vorzunehmen, darf sie pro Jahr elf Prozent der Gesamtkosten auf die Kaltmiete aufschlagen. Heißt also: Nach gut neun Jahren ist die Investition – etwa für eine bessere Wärmedämmung, einen zusätzlichen Balkon oder einen neuen Aufzug – zu 100 Prozent durch den Mieter abbezahlt, der anschließend weiterhin die höhere Miete bezahlen darf. Der Eigentümer vermehrt also auf Kosten des Mieters sowohl Vermögen als auch sein Einkommen. Das zementiert eine Umverteilung von unten nach oben.

Vermögenslose, deren Einkommen nicht ausreicht, Rücklagen zu bilden, geraten so noch mehr in Bedrängnis. Auch wenn ihr Einkommen wächst, müssen sie es an die bereits Vermögenden abführen. Eigenes Vermögen, das wiederum Einkommen generieren könnte, können sie so nicht aufbauen. Das Resultat ist eine extrem einseitige Wohlstandsverteilung, die das Auseinanderdriften von arm und reich weiter forciert. Eine Entwicklung, die sich nicht nur auf dem Wohnungsmarkt beobachten lässt: Noch nie war das globale Vermögen so ungleich und einseitig konzentriert wie in der Gegenwart.

Die vielfach in der Kritik stehende Vonovia hält in diversen Medienberichten dagegen, dass ja auch die Mietparteien von ihren Modernisierungen profitieren würden. Nämlich durch gesteigerte Wohnqualität und niedrigere Heizkosten, obendrein werde also auch noch etwas für den Klimaschutz getan. In Springers „Welt“ weist ein Vonovia-Sprecher auch den Vorwurf übermäßiger Mieterhöhungen entschieden zurück und sagt über den durchschnittlichen Preisanstieg nach Modernisierungen: „Das ist für uns sozial verträglich.“

Im Alltag gestaltet sich diese Sozialverträglichkeit folgendermaßen: Das ZDF schildert den Fall einer 85-jährigen Vonovia-Mieterin, die sich nach der Modernisierung ihre Wohnung nicht mehr leisten kann: Nachdem ihre Monatsmiete auf einen Schlag um 200 Euro stieg, wird sie sich nach 54 Jahren nach einer neuen Bleibe umsehen müssen. „So lange es geht selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu können, ist der Wunsch vieler im Alter“, führt indes die Vonovia auf ihrer Homepage aus. Und bewirbt ihre barrierearmen Wohnungen mit dem Slogan: „Bleiben können, wo man gerne lebt.“

Apropos bleiben können: Weil das Wort Gentrifizierung die dramatischen Mietpreissteigerungen in ohnehin schon teuren Wohngegenden nicht mehr angemessen erklären kann, verwenden ForscherInnen inzwischen den Begriff der Supergentrifizierung. Dieser war zunächst einigen extrem teuren Wohngegenden Londons vorbehalten, etabliert sich allerdings zunehmend auch für Deutschland. In Stuttgart etwa, das auch in der Vergangenheit nicht als günstiges Pflaster bekannt war, sind die Preise bei Neuvermietungen seit 2009 um durchschnittlich 40 Prozent in die Höhe geschnellt. Ähnliche Tendenzen sind in unterschiedlicher Intensität in beinahe allen deutschen Großstädten zu beobachten.

Kapital konzentriert sich

Während der Durchschnittsmieter diesen Verdrängungsprozess selten als angenehm empfindet, kann er für börsennotierte Immobilienunternehmen und ihre Aktionäre eine erfreuliche Entwicklung darstellen. Denn die Dividenden sind rekordverdächtig. Die Vonovia-Aktie etwa ist im vergangenen Jahr um 33,9 Prozentpunkte gestiegen. Trotz 1,124 Milliarden Euro, die der Konzern 2017 in Modernisierung und Instandhaltung seines Bestands investierte, konnte die AG ihren Anteilseignern 675 Millionen Euro ausschütten.

Eine Rendite, die so attraktiv ist, dass sie auch ausländische Investoren anlockt. Größter Einzelaktionär ist mit einem Anteil von 8,62 Prozent der US-amerikanische Finanzgigant Blackrock, der ein Vermögen von 6500 Milliarden Dollar verwaltet – das entspricht etwa dem 17-fachen Volumen des deutschen Bundeshaushalts (384,2 Milliarden Dollar). Die Schattenbank erstellt mit Supercomputern Prognosen über die wahrscheinliche Wirtschaftsentwicklung, berät ihre KundInnen, darunter auch Regierungen, beim Risikomanagement. Zudem zeigt sie sich investitionsfreudig: Blackrock ist nicht nur an der Vonovia beteiligt, sondern an allen 30 Dax-Unternehmen mit insgesamt 50 Milliarden Euro. In Deutschland ist das Unternehmen größter Einzelaktionär unter anderem bei Daimler, BASF, HeidelbergCement, Lufthansa, der Deutschen Bank und der Deutschen Börse. International lässt sich diese Liste um Apple, Nestlé, McDonald’s, Exxon, Shell und vier der fünf größten US-amerikanischen Banken erweitern.

Bayer und Monsanto fusionieren? Blackrock hält schon heute bedeutende Aktienanteile an beiden. Vom klassischen Heuschrecken-Investment unterscheiden sich die Beteiligungen der Fondsgesellschaft insbesondere dadurch, dass sie in ihrer Einflussnahme vergleichsweise zurückhaltend auftreten, oder präziser: passiven statt aktiven Druck ausüben: „Wenn wir mit der Entwicklung eines Unternehmens nicht zufrieden sind,“ zitiert die „Welt“ Blackrock-Präsidenten Robert S. Kapito, „dann verkaufen wir ganz einfach die Aktien.“

In Deutschland ist dabei besonders spannend, wie die Gunst gegenüber der Automobilindustrie bei Blackrock und Co. schrittchenweise zu schwinden scheint. Über die vergangenen Jahre hinweg veräußerte der weltgrößte Vermögensverwalter häppchenweise Aktienanteile bei Daimler, BMW und VW. Und investiert in zunehmendem Umfang am Wohnungsmarkt. Nicht nur bei der Vonovia, auch bei ihren Konkurrenten. Bei den drei börsennotierten Unternehmen mit dem größten Wohnungsbesitz (Vonovia, Deutsche Wohnen SE, LEG Immobilien) ist der US-amerikanische Finanzgigant größter Einzelaktionär.

Wenn einflussreiche Großinvestoren ihr Geld lieber auf dem Wohnungsmarkt als in der Automobilindustrie anlegen, verheißt das für MieterInnen nichts Gutes. Angesichts der bislang vermögensbevorzugenden Gesetzgebung ist nicht ersichtlich, wie der Wohnungsmarkt in absehbarer Zeit resozialisiert werden soll. Falls etwas helfen kann, dann Druck von unten.

 

 

 

Der Beitrag erschien auf  Kontext:Wochenzeitung: https://www.kontextwochenzeitung.de/ und wird hier mit freundlicher Genehmigung  der Redaktion gespiegelt.

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