Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde das alte Ziel der Rentenversicherung, der Sicherung des Lebensstandards nach einem langen Erwerbsleben, verlassen und die Beitragsstabilität, sprich Senkung der „Lohnnebenkosten“ in den Vordergrund gestellt. Die Beiträge sollen bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent steigen und bis zu diesem Zeitpunkt das Rentenniveau um 20 Prozent sinken. Für die Beschäftigten heißt das, dass die gesetzliche Rente an Wert verlieren wird und sie privat und betrieblich vorsorgen sollen.
Das neue System wird das „Drei-Säulen-Modell“ genannt. Die Gesetzliche Rentenversicherung als erste Säule der Altersversorgung beruht auf dem Umlageverfahren, das heißt, die Erwerbstätigen zahlen mit ihren Beiträgen die laufenden Renten. Dagegen basieren die betriebliche Altersversorgung und die private Altersvorsorge auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Die Beiträge der Versicherten werden dabei auf einem persönlichen Beitragskonto zuzüglich Zinsen und Zinseszinsen, sowie der von den Versicherungsunternehmen erwirtschafteten Überschüsse angesammelt. Hieraus werden dann die Versicherungsleistungen entweder in einer einzigen Summe oder als monatliche private Rente ausgezahlt. Der Staat unterstützt die betriebliche und private Altersvorsorge mit Zuschüssen.
Seit Januar 2012 wird das Einstiegsalter nach und nach auf 67 Jahre erhöht. Es wird schon davon geredet, es auf 69 oder 70 Jahre anzuheben. Die EU Kommission möchte das Rentenalter noch flexibler handhaben und es von der Lebenserwartung abhängig machen. Die Begründung, egal von wem die Vorschläge kommen, ist immer gleich: Die Menschen werden immer älter, sie beziehen dementsprechend länger ihre Altersrenten und darum muss die Lebensarbeitszeit verlängert und entsprechend die Rentenbezugsdauer gesenkt werden. Den jüngeren Beschäftigten wird gedroht, dass wenn keine grundsätzliche Änderung im Rentensystem erfolgt, sie immer länger für die Älteren arbeiten müssen, ihnen immer weniger Entgelt für ihre Arbeit ausbezahlt wird und sie selbst ganz spät in den eigenen Rentenbezug kommen.
Aufgrund der Lohnentwicklung, Arbeitslosigkeit, zunehmender prekärer Beschäftigung und permanenter Einschnitte im Rentenrecht ist die Höhe der Neurenten in den letzten 15 Jahren ständig gesunken.
Gesetzliche Rentenversicherung
Seit dem Ende der Industriellen Revolution wurde die Lebensarbeitszeit im langfristigen Trend, mit zwischenzeitlichen Ausnahmen, verkürzt und zwar sowohl absolut (Summe der geleisteten Arbeitsstunden pro Biografie) als auch relativ (das Verhältnis dieser Summe zur den Gesamt-Lebensjahren).
Als Begründung für das Hinausschieben des Renteneintritts wird ein veränderter Altersaufbau genannt, dass immer weniger beruflich Aktive mehr Ruheständler versorgen müssten. Bei dieser Argumentation geht man davon aus, dass mit nur zwei Generationen der Erwerbstätigen gerechnet wird und nicht mit drei Generationen, die der Erwerbstätige immer schon sichern musste. Nämlich nicht nur für seine eigene, sondern auch für die ältere Generation, die schon nicht mehr im Erwerbsleben steht und aber auch die jüngere Generation, die noch nicht in das Erwerbsleben eingetreten ist.
Wenn man dann noch, das Verhältnis der Gesamtbevölkerung (also alle drei Generationen) und die Erwerbsbevölkerung ins Verhältnis setzt, war es keineswegs so, dass die erwerbstätige Generation heute mehr für jene Bevölkerungsteile zur arbeiten hat, die nicht mehr oder noch nicht arbeiteten. Denn schon seit hundert Jahren musste bei uns jede erwerbstätige Person eine weitere Person mit unterhalten – entweder eine ältere Person, die nicht mehr erwerbstätig ist oder eine jüngere, die noch nicht erwerbstätig ist. Hierbei zählen zu den nicht Erwerbstätigen auch die Selbständigen mit, wie Bauern, Handwerker und Freiberufler.
Das Verhältnis der Gesamtbevölkerung zur Erwerbsbevölkerung ist ebenfalls seit über hundert Jahren gleichgeblieben.
Im gleichen Zeitraum kam es aber zu einem enormen Produktionsfortschritt bzw. einer Steigerung der Arbeitsproduktivität und das ist Grund dafür, dass die Arbeitszeit gesunken ist und die Renten, von ein paar Einbrüchen abgesehen, gestiegen sind. Von dem Produktionsfortschritt haben die Rentner, wie auch die Beschäftigten nicht profitiert, denn der produzierte Reichtum wurde von unten nach oben umverteilt, landete auf dem Kapitalmarkt und stand für für die Sozialleistungen und Entgelte der Beschäftigten nicht zur Verfügung.
Privatisierung der Altersversorgung
Seit dem Jahr 2012 wird nun das Renteneintrittsalter aufgestockt und im Jahr 2029 soll es bei 67 Jahren liegen. Das hat zur Folge, dass theoretisch Arbeitsplätze besetzt bleiben, auf die junge Menschen zwei weitere Jahre warten müssen, aber praxisbezogen werden viele Arbeitsfähige gar nicht bis zur offiziellen Altersgrenze beschäftigt bleiben. Wenn sie aber vorzeitig die Rente in Anspruch nehmen, müssen sie Rentenkürzungen in Kauf nahmen und mit erhebliche Einkommenseinbußen rechnen. Der gutsituierte, konsumfreudige Rentner wird die Ausnahme werden und die mangelnde Nachfrage schafft weiteren Abbau von Arbeitsplätzen.
Diese faktische Kürzung der Renten wird dafür genutzt, Stimmung für die kapitalgedeckte Vorsorge zu machen.
Die Befürworter der Privatisierung der Altersversorgung gehen davon aus, dass eine verfehlte Gesetzgebung die Menschen während ihrer Berufstätigkeit daran gehindert hat, den Teil ihres Einkommens, den sie nicht verbraucht haben, in ausreichendem Maße vermögensbildend anzulegen. Der Staat hat diesen Überschuss ohne sofortige Gegenleistung im Umlageverfahren an die damaligen Rentenbezieher abgegeben. Für das Geld wurde kein Eigentum erworben, sondern nur der Anspruch, später einmal auf diese Weise ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Bei der privaten Vorsorge zahlen die Beschäftigten nicht mehr in die Rentenkasse ein, haben zusätzliches Geld, können Vermögen bilden und ihr Geld beispielsweise in Aktien anlegen. Entweder legen sie es selbst an oder nutzen dafür einen Finanzdienstleister, z.B. eine Lebensversicherung. Im Alter wird ihr Eigentum dann wieder veräußert, in der Regel an die Berufstätigen der nächsten Generation, die auf diese Weise ihrerseits vorsorgen.
Soweit die Theorie.
Genau genommen ist es dasselbe Transfer-System wie seither, es hat nur einen anderen Namen. Die noch Beschäftigten zahlen auch hier für die Ausgeschiedenen. Was heute noch Anspruch heißt, wird dort Eigentum genannt. Immer handelt es sich um Geld, das von den Jüngeren an die Älteren gezahlt wird.
Wenn man dann noch davon ausgeht, dass es in der nächsten Generation weniger aktive Berufstätige und mehr Betagte gibt, wird es an Käufern für die Aktien der Rentner fehlen. Dann werden die Kurse fallen und die Anlagen verlieren an Wert.
Auch das Ausweichen auf den internationalen Kapitalmarkt wird nicht die große Lösung sein, denn auch dort muss es eine nächste Generation geben, die die Aktien der Alten kauft. Im Gegenzug könnten ausländische Werte in Deutschland vermehrt abgestoßen werden und somit die Kurse drücken, was dann das Risiko wiederum vergrößert.
Wenn die alten Menschen keine Wertpapiere erworben haben und dafür in Immobilien investierten, brauchen sie in der Regel keine Miete zu zahlen. Sie benötigen aber Geld für den alltäglichen Lebensunterhalt. Also müssten sie mehrere Häuser und Grundstücke gesammelt haben, die sie nun verkaufen oder vermieten können, um daraus Geld zu machen. Wenn es aber auch hier weniger jüngere Beschäftigte gibt, finden sie keine Käufer, die Häuser stehen leer und die alten Menschen fühlen sich dann so wie Rentner, die viel eingezahlt haben und nur wenig zurückbekommen.
Auch hier wird deutlich, dass die Generationen so oder so immer voneinander abhängig bleiben werden und dass immer versucht wird, den Keil genau hier einzutreiben und diese gegenseitige Abhängigkeit in Frage zu stellen.
Es wird in der Diskussion vernachlässigt, dass die Privatvorsorge auch von den Steuerzahlern aufgebracht wird und volkswirtschaftlich sich gar nicht rechnet.
Am Beispiel der Entgeltumwandlung wird dies deutlich. Hier werden die Zulagen und Steuervergünstigungen der Riester-Rente und der Rürup-Rente vom Steuerzahler aufgebracht und der zahlt für die betriebliche Altersvorsorge mit, weil für die Aufwendungen zur betrieblichen Altersvorsorge weder Steuern noch Sozialabgaben bezahlt werden müssen. Wegen der Entgeltumwandlung fehlen dann die Gelder für die Gesetzliche Rentenversicherung und die Anteile des Entgelts, die in die betriebliche Altersvorsorge fließen sind nicht sozialversicherungspflichtig und fehlen dann in den Sozialkassen. Die Entgeltumwandlung zeigt auch, wie durch die Förderung der Privatvorsorge die Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente nachhaltig zerstört wird.
Schon seit Beginn dieses Jahrhunderts, als die private Altersvorsorge beworben wurde, haben sich einige Interessen miteinander verflochten. Die Politik trat als Lobby der Versicherungen auf, Gelder flossen und es roch nach Korruption. Wie stark diese Verflechtung war, ist in den vergangenen Monaten häufig veröffentlicht worden, das ganze Ausmaß ist zurzeit aber noch nicht bekannt.
Auch sollten die Zahlen auf den Tisch kommen, wie viel die private Altersvorsorge in Wirklichkeit kostet. Wie hoch die staatlichen Fördermittel realistisch sind und wie viel Geld für die Gebühren, Provisionen und Renditen in die Taschen der Versicherer fließt.
Es ist an der Zeit die Effektivität der privaten Altersvorsorge grundsätzlich in Frage zu stellen.
Betriebliche Altersvorsorge
Im Jahr 2006 hatte der inzwischen verstorbene Robert Kurz unter der Überschrift „Zeitbombe Betriebsrenten“ auf folgenden Zusammenhang hingewiesen: „Die gesamte Weltwirtschaft schiebt einen Berg von Schulden, faulen Krediten und Abschreibungstiteln vor sich her. Einen wenig beachteten Aspekt bilden die Betriebsrenten der westlichen Konzerne. Entstanden in den längst vergangenen Zeiten der fordistischen Prosperität, sind sie zum Risikofaktor des neuen Finanzkapitalismus geworden.“
Zehn Jahre später ist das Jammern groß. Erst jetzt wird offensichtlich, dass die Rentner in Wahrheit in eine Falle gelockt wurden, aus der es kein Entkommen gibt. Die gesetzlich garantierte Rente fällt und fällt, aber die private Vorsorge, die die Lücke schließen sollte, gleicht das nicht aus. Die Altersvorsorge von 17 Millionen Deutschen ist bedroht, denn die Pensionskassen können nur noch Anleihen mit niedrigen Zinsen aufnehmen. Der darauffolgende Anlagennotstand lässt die Renten schrumpfen.
Die Säule der betrieblichen Altersvorsorge ist ins Wanken geraten. Die Niedrigzinsen sägen an den Betriebsrenten, so hat sich z.B. bei den DAX-Konzernen der Grad, mit dem die dortigen Betriebsrentenzusagen aus finanziert sind, von 66 auf 61 Prozent reduziert. Das lässt sich derzeit noch durch die gestiegenen Aktienkurse ausgleichen. Falls der gegenwärtige DAX-Höhenflug aber platzt, wird sich dieser Wert dramatisch weiter reduzieren.
Bei den 30 DAX-Konzernen stiegen die Pensionslasten noch im vergangen Jahr um 61 Milliarden Euro.
Jetzt wurde zudem noch deutlich, dass die niedrigen Zinsen bei den Pensionslasten auch zu einem Steuerproblem werden. Das liegt daran, dass sich die für die Handelsbilanzen relevanten Zinsen nach dem deutschen Handelsgesetzbuch(HGB) aus dem Durchschnittszins der letzten sieben Jahre errechnet, während aber die Rückstellungen vom Fiskus so behandelt werden, als gäbe es die Niedrigzinsen überhaupt nicht. In der Steuerbilanz werden die Rückstellungen nach wie vor mit 6 Prozent abgezinst, so müssen die Betriebe Steuern auf Gewinne zahlen, die es gar nicht gibt.
Das Problem lässt sich auch gut an der Renditeentwicklung deutscher Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit ablesen: Warfen die Papiere im Jahr 2002 noch einen üppigen Ertrag von mehr als 5 Prozent ab, sind es heute gerade einmal 1,2 Prozent. Nach Abzug der Inflationsrate machen Anleger mit Bundesanleihen derzeit sogar Verlust.
Die Brisanz zeigt auch eine Modellrechnung des Anleihehauses Bantleon, das Versorgungswerke berät. Die Rechnung geht von der Annahme aus, dass die Pensionskassen überwiegend in Pfandbriefe mit besonders langer Laufzeit investieren. Setzt sich die Niedrigzinsphase nun fort, würde die jährliche Wertentwicklung eines typischen Portfolios einer Kasse drastisch zurückgehen, innerhalb der nächsten fünf Jahre um insgesamt mehr als ein Drittel. Die Verzinsung würde dann jedes Jahr um etwa 0,3 Prozentpunkte abnehmen und von derzeit im Schnitt 4,0 Prozent bis 2017 auf nur 2,5 Prozent im Jahr absinken. Bleibt es bei dieser Zinsdifferenz auf Dauer, könnten den Rentnern später hohe Summen fehlen. Wer bisher 1.000 Euro erwartet hatte, bekäme dann nur noch etwa 650 Euro.
Die medienbekannten Befürworter der privaten Altersvorsorge und Totengräber der gesetzlichen Rentenversicherung rudern neuerdings zurück. Sie stimmen derzeit die 17 Millionen Beschäftigten, die in Betriebsrenten einzahlen, darauf ein, dass sie geringere Erträge aus ihrer Rente erzielen werden. Auch warnen sie schon die Firmen, die ihren Beschäftigten eine hohe feste Verzinsung zugesagt hatten, dass die Pensionskasse zum Verlustgeschäft werden kann. Gegen die Insolvenz eines Unternehmens sind die Renten auch nur zum Teil, nämlich allenfalls in Höhe der eingezahlten Beträge, gesichert.
Wie kann es weitergehen?
Das bisherige Umlageverfahren ist seit über 100 Jahren gerecht und krisensicher. Das eingezahlte Geld wird ja nicht gesammelt, sondern sofort in Renten umgewandelt. Dagegen sind alle gesparten Gelder den Risiken des Kapitalmarkts ausgesetzt.
Wir leben immer noch in einer Situation, in der das ökonomische und technologische Potential zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit ohne materielle Einbußen für den einzelnen Menschen vorhanden ist. Um dieses Potential nutzen zu können, ist ein gesellschaftlicher Umbau erforderlich.
Bis es soweit ist, sollten die Gewerkschaften, Sozialverbände und sozialen Bewegungen Druck machen, dass die Riester- und Rürup-Rente und auch die Entgeltumwandlung nicht mehr staatlich gefördert werden.
Bis die Förderung eingestellt wird, sollten die staatlichen Zuschüsse auf dem Rentenkonto der Beitragszahler landen und ein Hohes Lied mit Lobpreisung auf die Gesetzliche Rentenversicherung angestimmt werden.
Quelle: Nachdenkseiten, T. Kuczynski
Bild: dgb