„Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen…“ ? – Von wegen: Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Juli 2024 konkretisiert massive Förderung der Rüstungsindustrie / Aufbau der Kriegswirtschaft

Die Bundesregierung plant die massive Förderung der Rüstungsindustrie, dazu wird aktuell an einer „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie“ gearbeitet. Kritiker meinen, dass dabei eher an einen Einstieg in die  Kriegswirtschaft gedacht wird.

Wie so etwas aussehen könnte, macht das Positionspapier „Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa“ der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Juli 2024 deutlich.

Da wird beispielsweise klargestellt: „Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht irgendeine Industrie; es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Parlaments, die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz dieses heimischen Industriezweiges, im Sinne der nationalen und europäischen Sicherheit, zu garantieren. Leitend dürfen dabei nicht Marktmechanismen sein, sondern Sicherheitsinteressen, Werte und Normen“. SPD-Positionspapier: S. 1

Der Trend, dass staatliche Beteiligungen an Rüstungskonzernen wieder Konjunktur haben, soll forciert werden: „Um Schlüsseltechnologien zu halten und deren Proliferation besser zu kontrollieren, sollten staatliche Beteiligungen des Bundes an Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Einzelfall (mit Sperrminorität) erwogen werden“. SPD-Positionspapier: S. 6

Auch werden baurechtliche Hürden und andere Hemmnisse ins Visier genommen: Dies schließt beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren ein und erlaubt es einzuschreiten, falls nationale Sicherheitsinteressen durch kommunales Planungsrecht konterkariert werden.“ SPD-Positionspapier: S. 2

Schließlich wird auf das Vorhalten großer Produktionskapazitäten und eine Bevorratung gesetzt: „Durch Abnahmegarantien und langfristige Verträge müssen Planungssicherheit und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, in ihre Produktionskapazitäten zu investieren. Diese sind notwendig, um ein Produktionsniveau an Munition, Verschleißteilen und Gerät aufzubauen, das  dem Ziel der Bevorratung gerecht wird und für Krisenfälle entsprechende Aufwuchsreserven bereithält“. SPD-Positionspapier: S. 2“

Im Folgenden wird das gesamte Positionspapier „Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa“ der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Juli 2024 vorgestellt.

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/Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion 

2.Juli 2024

 

Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa – 10 Punkte der SPD-Bundestagsfraktion

Wir wollen die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa stärken. Sie ist die Grundlage dafür, dass die Bundeswehr und die Armeen unserer Partnerländer den gestiegenen sicherheits- und verteidigungspolitischen Anforderungen gerecht werden können. Der NATO-Vertrag gibt vor, dass jedes Mitgliedsland verteidigungsfähig sein muss und im Sinne der Beistandspflicht darüber hinaus Fähigkeiten bereitstellt, um unseren Partnern gegebene Sicherheitsversprechen, z.B. im Osten Europas, einlösen zu können. Hier steht Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU in der Verantwortung. Mit der Einrichtung des „Sondervermögens Bundeswehr“ wurde eine bahnbrechende Trendwende eingeleitet, die wir durch einen nachhaltig abgesicherten Verteidigungshaushalt von mindestens 2% des BIP aufrechterhalten wollen. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht irgendeine Industrie; es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Parlaments, die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz dieses heimischen Industriezweiges, im Sinne der nationalen und europäischen Sicherheit, zu garantieren. Leitend dürfen dabei nicht Marktmechanismen sein, sondern Sicherheitsinteressen, Werte und Normen. Diese besondere Stellung des Industriezweiges geht mit einer besonderen Verantwortung der Unternehmen gegenüber unserer demokratischen Gesellschaft, den eigenen Mitarbeitenden und den von Parlament und Regierung vorgegebenen Strategien und Leitlinien in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einher.

Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst und positionieren uns mit folgenden zehn Punkten:

  1. Wir setzen uns für eine kooperative Steuerung der Industriepolitik ein, die sich an den auf NATO-Ebene definierten Fähigkeitsanforderungen orientiert und schnelle, verlässliche Entscheidungen ermöglicht.
  2. Wir arbeiten mit einer kurz- und einer langfristigen Verteidigungsplanung, die legislaturübergreifend angelegt ist.
  3. Wir stellen finanzielle Planungssicherheit her, setzen uns für eine auskömmliche Finanzierung der Gesamtverteidigung ein und sorgen dafür, dass innere, äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden.
  4. Wir setzen uns für ein unbürokratisches und kosteneffizientes Beschaffungswesen ein, das die deutsche und europäische Souveränität stärkt und Kooperationen fördert.
  5. Rüstungsexporte, sowie Exporte von Kleinwaffen und Dual-Use Gütern, regulieren wir streng, verlässlich und mit dem Ziel, unsere außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Prioritäten zu erreichen, Partnerschaften zu etablieren und unsere Werte und Normen zu stärken.
  6. Wir fördern fokussierte europäische Rüstungskooperationen, die Kosten reduzieren und Interoperabilität stärken.
  7. Schlüsseltechnologien müssen definiert, geschützt und gefördert werden.
  8. Wir stärken die Forschungs- und Innovationsförderung und wollen mit dem Ökosystem in Dialog treten, wie Dual-Use Forschungs- und Innovationsförderung perspektivisch weiterentwickelt werden kann.
  9. Wir investieren in strategische, staatliche Beteiligungen, um unserer Verantwortung für Sicherheit gerecht zu werden und die heimische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu stärken.
  10. Wir setzen uns für attraktive Beschäftigungsbedingungen in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ein und sichern über Chancen der Transformation ausreichend Fachkräfte als Grundlage für industriellen Erfolg und Wohlstand.
Voraussetzungen schaffen: Industriepolitische Steuerung, langfristige Verteidigungsplanung, Planungssicherheit
1. Steuerung der Industriepolitik

Damit die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einerseits dauerhaft leistungsfähig bleibt und andererseits angesichts derzeitiger Bedrohungsszenarien resilienter wird, brauchen wir eine Steuerung der Industriepolitik durch die Bundesregierung. Unter Steuerung verstehen wir zunächst die Beratung über sicherheits- und verteidigungspolitische Anforderungen, die daraus abgeleiteten Bedarfe sowie die notwendigen Fähigkeiten, dann die entsprechenden Beschaffungen und schließlich die Exportentscheidungen zu treffen. Strategisch sollte diese Steuerung aus dem Bundeskanzleramt erfolgen. Operativ muss sie, genau wie die fachliche Zuständigkeit für die Rüstungsexporte, im Bundesverteidigungsministerium liegen. Grundlage der Steuerung bilden die militärischen Fähigkeitsanforderungen, die im Verbund der NATO definiert werden, sowie die Bestimmung darüber, über welche militärischen Fähigkeiten Deutschland und die EU souverän verfügen sollten. Die Steuerung wird maßgeblich zur Beschleunigung von Entscheidungen und Prozessen beitragen. Dies schließt beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren ein und erlaubt es einzuschreiten, falls nationale Sicherheitsinteressen durch kommunales Planungsrecht konterkariert werden.

2. Langfristige Verteidigungsplanung

Teil der industriepolitischen Steuerung müssen differenzierte Planungshorizonte in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sein. Wir brauchen eine kurzfristige Planung von zwei bis fünf Jahren für dringende Fähigkeiten und eine langfristige Planung, die sich an Innovationszyklen orientiert. Der Faktor Zeit ist für den kurz- und mittelfristigen Fähigkeitsaufwuchs der Bundeswehr die uneingeschränkt bestimmende Größe. Ohne die zukünftige Handlungsfreiheit des Parlaments und der Regierung zu beschränken, sollen diese Zyklen legislaturübergreifend angelegt und parlamentarisch beraten und begleitet werden. Nur so lässt sich für die Industrie Planungssicherheit herstellen, die für den Fähigkeitserhalt, den Kapazitätsaufbau, die Skalierung und die Innovationskraft der Unternehmen unerlässlich ist.

3. Finanzielle Planungssicherheit

Finanzielle Planungssicherheit ist essentiell. Durch Abnahmegarantien und langfristige Verträge müssen Planungssicherheit und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, in ihre Produktionskapazitäten zu investieren. Diese sind notwendig, um ein Produktionsniveau an Munition, Verschleißteilen und Gerät aufzubauen, das dem Ziel der Bevorratung gerecht wird und für Krisenfälle entsprechende Aufwuchsreserven bereithält. Die durchgängige Versorgung mit Rüstungsgütern muss in Friedens- und in Kriegszeiten sichergestellt werden – daran bemisst sich der Auftrag an Rüstungsindustriepolitik. Das Sondervermögen Bundeswehr war ein richtiger erster Schritt. Jetzt geht es darum, die Finanzierung der Bundeswehr – und unserer Sicherheit insgesamt – langfristig und nachhaltig sicherzustellen. An erster Stelle steht für uns als SPD-Bundestagsfraktion dabei, dass innere, äußere und soziale Sicherheit nie gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Wir brauchen eine zu jedem Zeitpunkt gesicherte und auskömmliche Finanzierung unserer Sicherheit, die nicht am Dogma der schwarzen Null scheitert. Mit Hilfe eines Planungsgesetzes wollen wir mittel- bis langfristige Verteidigungsplanung legislaturübergreifend ermöglichen. Die parlamentarische Kontrolle bleibt dabei durch die Notwendigkeit der Zustimmung des Haushaltsausschuss über Vorlagen mit einem Schwellenwert von 25 Mio. € bestehen. Darüber hinaus sollen weitere Finanzierungsinstrumente genutzt werden; hierzu zählen Produkte am Finanzmarkt ebenso, wie eine mögliche Beteiligung der KfW und der Europäischen Investitionsbank. Eine angepasste Anwendung der Nachhaltigkeitskriterien der EU muss sicherstellen, dass der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie keine Nachteile aus der ESG-Taxonomie entstehen. Die Finanzierung unserer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie muss darüber hinaus Teil des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens der EU ab 2028 sein. Dazu sind EU-Anleihen, ein größerer Verteidigungsfonds sowie konkrete Förderprogramme zu prüfen.

Zuverlässig bleiben und Koordinierung intensivieren: Beschaffung, Exporte, Europäische Rüstungskooperation
4. Beschaffung

Um die vorhandenen finanziellen Mittel effizient für die Bundeswehr einsetzen zu können, bedarf es eines dynamischen, funktionalen Beschaffungswesens, ohne die parlamentarische Beteiligung zu beschränken. Alle bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, um den Beschaffungsprozess so schnell und unbürokratisch wie möglich zu gestalten, sollen ausgeschöpft werden. Wir brauchen in den beteiligten Einheiten eine Kultur des Möglichmachens und das Arbeiten an gemeinsamen Zielen. Die SPD-geführte Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr bereits richtige Entwicklungen angestoßen; gleiches gilt für den Erlass des SPD-geführten Verteidigungsministeriums zur Beschleunigung der Beschaffungen. Auch die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums, bei Beschaffungsvorhaben unter bestimmten Voraussetzungen nach §56 Absatz 1 BHO der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Vorfinanzierungen zu gewähren, begrüßen wir und plädieren dafür, dass dieses Vorgehen häufiger Anwendung findet. Generell gilt, dass, wenn möglich, verfügbar und finanziell vertretbar, in Deutschland und Europa beschafft werden soll. Entscheidendes Kriterium für die Beschaffung von Rüstungsgütern sind die in der NATO geltenden und weiterzuentwickelnden Standards. Die Abhängigkeit von außerhalb der NATO und der EU hergestellten Vorprodukten, muss im Sinne der Souveränität reduziert werden. Ein Fokus soll außerdem auf marktverfügbaren Lösungen liegen. Ein Verzicht auf sog. “Goldrandlösungen” bedeutet automatisch eine wesentlich geringere Forderungskomplexität, einen großen Zeitgewinn bei Materialzuläufen und erfahrungsgemäß geringere Beschaffungs- und Life-Cycle-Kosten. Außerdem sollte die Bundesregierung Performance-Based-Contracts in Betracht ziehen, um den Einsatz von Fähigkeiten nachhaltig sicherzustellen. Der Staat soll als Anker- und Referenzkunde Sicherheit bieten und Innovationen ermutigen, z.B. durch Abnahmegarantien vertraglich fixierter Mindestmengen, die vereinfachte Regelung der Handhabung des Art. 346 AEUV sowie bei außereuropäischer Beschaffung die Möglichkeit von Offset-Geschäften als Vertragsbedingung. Die beschriebene Stärkung der Industrie darf nicht dazu führen, dass die Industrie die angespannte Sicherheitslage für eine nicht gerechtfertigte Preispolitik ausnutzt; unser Ziel ist eine staatlich-industrielle Partnerschaft auf Augenhöhe. Bei der Beschaffung in Drittenstaaten muss sichergestellt werden, dass Wartungslizenzen miterworben werden. Neben den Systemhäusern wollen wir den Mittelstand verlässlich an Rüstungsaufträgen beteiligen. Dies könnte unter anderem durch die frühzeitige Bereitstellung von Informationen über bevorstehende Beschaffungsvorhaben durch das Verteidigungsministerium angereizt werden. Insbesondere in der Nutzungsphase von Systemen bietet die Einbeziehung des Mittelstands große Potenziale für alle Beteiligten, u.a. bei der Wartung und Instandsetzung. Als Voraussetzung dafür sollen Nutzungsrechte, beispielsweise für technische Dokumentationen und Software, zukünftig grundsätzlich beim Bund liegen. Wir wollen es erleichtern, dass mittelständische Unternehmen sich auftragsbezogen zusammenschließen, um auch bei großen Volumina mitbieten zu können, beispielsweise durch die Instrumente einer Arbeitsgemeinschaft oder eines Konsortiums. Mittelständler können einen wichtigen, dauerhaften Beitrag zur Versorgungssicherheit der militärisch genutzten Systeme leisten.

5. Rüstungsexporte

Rüstungsexporte sind Teil einer umfassenden Sicherheitspolitik und nicht mit Exporten ziviler Güter und Produkte vergleichbar. Rüstungsexporte müssen reguliert und gleichzeitig gezielt eingesetzt werden, um strategische Partnerschaften aufzubauen und unsere Werte, Normen und Interessen durchzusetzen. Rüstungsexporte dürfen dabei nicht unsere demokratisch legitimierten Ziele in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik konterkarieren, regionale Konflikte anheizen oder Menschenrechtsverletzungen begünstigen. Seit des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, verändert sich der globale Rüstungsmarkt und es entstehen Räume, die für neue strategische Partnerschaften, im europäischen Sicherheitsinteresse, genutzt werden sollten (um sie nicht anderen, nicht-demokratischen Kräften zu überlassen). Die Bundeswehr ist für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie der wichtigste Anker- und Referenzkunde. Die Abnahme durch die Bundeswehr reicht allerdings nicht aus, um langfristig Produktionskapazitäten, Expertise und qualifizierte Fachkräfte zu erhalten. Diese sind jedoch die Voraussetzung dafür, dass Deutschland durch eine starke und leistungsfähige Industrie zur Wahrung von Frieden und Sicherheit eine ausreichende Abschreckungsfähigkeit aufrechterhalten kann. Um die europäische Kooperation zu stärken, die Rüstungsindustrie finanziell tragfähig zu machen, neue Partner weltweit zu gewinnen und diese stärker an die strategischen Ziele Europas zu binden, müssen wir einen realistischen Blick auf die Rüstungsexportrichtlinien werfen. Wir setzen uns dementsprechend für ein zeitgemäßes nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein, das Empfängerländer zu einer strengen Endverbleibskontrolle verpflichtet und befürworten perspektivisch eine EU-weite Harmonisierung der Rüstungsexportkontrolle – im Sinne der europäischen Souveränität. Die Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie und das Überdenken der deutschen Exportrichtlinien, sind zwei Seiten derselben Medaille. Exporte in EU-, NATO, NATO gleichgestellte Drittstaaten sowie ausgewählte weitere Drittstaaten sind dementsprechend nicht nur im deutschen Sicherheitsinteresse, sondern auch eine industrielle Notwendigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es für die deutsche und die europäische Industrie sowie für unsere europäischen und internationalen Partner unerlässlich, dass unsere Genehmigungsentscheidungen berechenbar, verlässlich und schnell sind und sich am Gemeinsamen Europäischen Standpunkt orientieren. Eine zunehmende Administrierung durch Government-to-Government-Verträge begrüßen wir.

6. Europäische Rüstungskooperation

Die Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie geht Hand in Hand mit der Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Nur im EU- und im NATO-Verbund sind wir in der Lage, unsere Fähigkeitsanforderungen zu bedienen und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig und resilient zu halten und somit unsere Souveränität zu stärken. Hinzu kommt die fachliche Notwendigkeit des Common Designs und die dadurch entstehende Interoperabilität von Systemen, die zur Bedingung von europäischen Rüstungskooperationen werden muss. Common Design führt außerdem zu einer Reduzierung von unterschiedlichen Systemen, erhöht die Stückzahl einzelner Systeme und trägt zu einer Konsolidierung des Marktes bei. Deutschland muss in der Lage sein, sich an europäischen Rüstungskooperationsprojekten zu beteiligen, ohne dass dadurch anderen Partnern ein Nachteil entsteht. Um europäische Kooperationsprojekte effizienter zu gestalten, sollten sich diese vornehmlich an Faktoren wie Verfügbarkeit, Kompetenz und gemeinsamen Einsatzbedürfnissen orientieren. Da wo durch Kompetenz und Kapazität möglich, sollte Deutschland in europäischen und internationalen Kooperationsprojekten eine Führungsrolle anstreben und dies anderen Partnern, in anderen Projekten, auch ermöglichen.

Wettbewerbsfähigkeit erhalten und ausbauen: Schlüsseltechnologien, Forschung, Strategische Beteiligungen

7. Schlüsseltechnologie

Strategischer Pfeiler der nationalen und europäischen Souveränität sind Schlüsseltechnologien, um im Bereich der Gefahrenabwehr und der nationalen Sicherheit unabhängig von Drittstaaten zu sein. Schlüsseltechnologien sind als ganze Systeme für uns mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Die Einstufung als Schlüsseltechnologie geht einerseits einher mit einer Reihe von Privilegien, wie direkte (nationale) Beschaffungen nach Art. 346 AEUV, politische Flankierung von Exporten und der Stärkung von Forschung und Entwicklung. Andererseits auch mit bestimmten Schutzmechanismen, welche die betreffenden Unternehmen zu leisten haben oder sogar mit Marktbeschränkungen. In den kommenden Jahren müssen mit den bereits genannten Punkten der industriepolitischen Steuerung (Zielstruktur bei Schlüsseltechnologien), der verbesserten Beschaffungsrahmenbedingungen (vereinfachte Handhabung des Art. 346 AEUV), der Exportflankierung sowie der ausreichenden Ausstattung der Schlüsseltechnologien mit Mitteln für Forschung und Entwicklung im Bundeshaushalt die Anreize einer Einstufung als Schlüsseltechnologie für die betroffenen Unternehmen deutlicher spürbar werden. Aber auch die Unternehmen selbst sind in der Pflicht, ihre Budgets für Forschung und Entwicklung so aufzustellen, dass sie damit zur Innovationskraft und Technologieführerschaft der Branche beitragen. Hinzukommt die Pflicht der Unternehmen, mit Schlüsseltechnologien und den darin enthaltenen Einzeltechnologien verantwortlich umzugehen. Expertise und Kompetenz zum Management von Rüstungsprojekten- und Prozessen in Unternehmen, die Schlüsseltechnologien herstellen, ist ein entscheidender Faktor. Sie zu erhalten und weiter auszubauen ist unerlässlich. Außerdem müssen wir perspektivisch zusammen mit unseren europäischen Partnern entscheiden, wer in der EU für welche Schlüsseltechnologien verantwortlich ist, um eine effektive und effiziente Entwicklung, Produktion und Versorgung zu gewährleisten.

8. Forschungs- und Innovationsförderung

Für die Entwicklung und Sicherung der Fähigkeiten der Bundeswehr ist Forschung, Entwicklung und Innovation ein wichtiger Motor. In Deutschland können wir dabei auf ein leistungsfähiges und dynamisches Forschungs- und Innovationsökosystem zurückgreifen, das wir weiter stärken wollen. Der Staat, hier verstanden als Katalysator-Staat, kann u.a. mit dem Auftrag zur Fähigkeitsentwicklung, Vergaben, Vorfinanzierung und mit Abnahmegarantien vertraglich fixierter Mindestmengen zielgerichtet auf Innovation einwirken. Auch der Weg zum Patentschutz für die Entwicklungen hochinnovativer Unternehmen, insb. KMU, muss erleichtert werden. Die Verteidigungsforschung ist stark aufgestellt und kann kurzfristig auf die Bedarfe der Bundeswehr reagieren. Gleichzeitig erfolgt der Transfer von Hochtechnologie in der Verteidigungsforschung, wie in anderen Bereichen auch, oftmals schleppend. Das betrifft nicht notwendigerweise nur die Entwicklung von Waffensystemen, sondern auch die Bereitstellung informationstechnischer Systeme in Logistik, Aufklärungs- oder Bereitschaftssystemen. Grundsätzlich sind zivil-militärische Kooperationen in Deutschland weitgehend möglich und notwendig. Aber die Diskussion über die Auswirkungen der Zeitenwende auf das Wissenschafts- und Innovationssystem steht noch am Anfang und muss geführt werden. Deswegen wollen wir gemeinsam mit dem Wissenschafts- und Innovationsökosystem in einen Diskussionsprozess einsteigen, um zu klären, welchen Stellenwert Dual-Use Forschung und Entwicklung in Deutschland in Zukunft haben soll und wie die dazugehörigen Verfahren aussehen können. Dieser Diskussionsprozess muss auch mit Blick auf die Frage der Risikofolgen hybrider Bedrohungen für die Akteure des Ökosystems, wie Desinformation, Abschöpfung, und Cyberangriffe geführt werden und auch die Freiheit internationaler Zusammenarbeit berücksichtigen. Zudem hat die Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung für uns gleichrangigen Wert. Folgende Prinzipien sind für uns handlungsleitend: Wir wollen, dass der Bundeswehr bestmögliche Systeme zur Verfügung stehen und unsere Industrie damit international wettbewerbsfähig ist. In diesem Sinne soll Forschungs- und Innovationsförderung missions- und fähigkeitsorientiert sein und zur Erprobung neuer Technologien beitragen. Vorkommerzielle Auftragsvergabe, z.B. im Rahmen von Innovationswettbewerben, kann auch im Bereich der Dual-Use Forschung und Entwicklung einen Beitrag leisten. Wir werden das Versprechen der Finanzierungssicherheit durch die Wissenschaftspakte wahren; es darf in keinem Fall zu Ressourcenkonflikten im Wissenschaftssystem kommen. Wir wollen Felder der zivil-militärischen Kooperation gemeinsam mit der Wissenschaft und dem Innovationsökosystem so beschreiben, dass die Wissenschaftsfreiheit gewahrt bleibt. Wer sich entscheidet ausschließlich zu zivilen Zwecken zu forschen, soll keine Nachteile fürchten müssen und die Autonomie der Institutionen muss in diesem Feld gewahrt bleiben. Dort wo es Möglichkeiten des Transfers von Wissen aus der Grundlagenforschung in die Anwendung gibt, muss dies schnell und effizient geschehen. Ein Ort hierfür ist z.B. die Cyberagentur des Bundes, die einen Fokus auf die Marktreife von Innovationen legt und damit zu Wertschöpfung, Wohlstand und Resilienz beiträgt in Deutschland beiträgt.

9. Strategische staatliche Beteiligungen

Die weithin privatwirtschaftlich organisierte deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zeichnet sich durch das enge Zusammenwirken von Systemhäusern und mittelständischen Unternehmen aus. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und ein Level-Playing-Field herzustellen, wollen wir über strategische Staatsbeteiligungen an relevanten Unternehmen der Industrie nachdenken: In ausgewählten Bereichen braucht es nationale Champions, auch um Steuerung und Skalierung im Krisenfall nachhaltig finanzieren zu können. Um Schlüsseltechnologien zu halten und deren Proliferation besser zu kontrollieren, sollten staatliche Beteiligungen des Bundes an Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Einzelfall (mit Sperrminorität) erwogen werden. Diese Beteiligungen könnten z.B. über eine eigene Einheit bei der KfW gesteuert werden. Ferner muss der breite Mittelstand bei Kooperationen und Verhandlungen mit etwaigen Staatsunternehmen europäischer Partner der Rücken gestärkt werden. Denkbar wären Konstrukte wie projektbezogene Arbeitsgemeinschaften mit Beteiligung des Bundes.

10. Fachkräfte sichern und Transformationschancen nutzen

Die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wird perspektivisch zu mehr Arbeitsplätzen in der Branche führen. Wir wollen uns, zusammen mit den Gewerkschaften, dafür einsetzen, dass es sich dabei um gute, tarifgebundene und sichere Arbeitsplätze handelt. Flächendeckende Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung erhöhen die Attraktivität der Branche. Um sicherzustellen, dass wir diese Arbeitsplätze auch besetzen können, wollen wir in die Ausbildung entsprechender Berufe investieren und gezielt Möglichkeiten zur Umschulung und Weiterbildung anbieten. Auch die Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sollen die Möglichkeit nutzen, durch attraktive Ausbildungsangebote ihre Fachkräfte von morgen verstärkt selbst auszubilden. Darüber hinaus müssen wir in der aktuellen Transformation unserer Wirtschaft pragmatische Wege aufzeigen, wie Fachkräfte aus einer Branche in die andere Branche wechseln können. Damit stellen wir Beschäftigung sicher, halten Arbeits- und Fachkräfte, wenn möglich, in ihren Regionen und stärken den Industriezweig schnell und nachhaltig. Eine weitere Voraussetzung dafür ist, dass notwendige Sicherheitsüberprüfungen, für die Beschäftigung in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, zügig durchgeführt werden. Neben den zahlreichen Fachkräften, die in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie benötigt werden, brauchen wir auch im Bereich der Forschung, Entwicklung und Innovation Spitzenpersonal, das wir über wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen und ausreichend ausgestattete Forschungs- und Entwicklungsetats anziehen und halten. Um diese spezialisierten Fachkräfte, ggf. auch aus anderen EU-Staaten, langfristig zu binden, ist es unabdingbar, dass die Unternehmen und Einrichtungen ihre gesellschaftliche Verantwortung stärker nach außen wahrnehmen und eine Willkommenskultur vorleben. Ziel ist es, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft in der Region, in Deutschland bleiben wollen und den Unternehmen so langfristig zur Verfügung stehen. Mit einer Fokussierung auf den Fähigkeitsausbau in Deutschland und Europa, müssen wir sicherstellen, dass die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch zu mehr tarifgebundenen Arbeitsplätzen, betrieblicher Mitbestimmung und schließlich auch Wohlstand vor Ort führt.

 

 

 

 

 

 

Hier pdf lesen: position-staerkung-sicherheits_und-verteidigungspolitik.pdf (spdfraktion.de)

Weitere Infos auch bei: Entwurf_Strategie-Starkung-SVI-clean.pdf (politico.eu)