Denk ich an das Arbeitsrecht, wird der beste Handkäs schlecht – Betriebsratsbekämpfung ist in Deutschland faktisch straffrei

Von Elmar Wigand

Am 7. März 2018 führte die aktion ./. arbeitsunrecht in Frankfurt die erste Demonstration zur Durchsetzung des §119 BetrVG in der deutschen Geschichte durch. Der Paragraph stellt Betriebsratsbehinderung unter Strafe. Verurteilungen sind allerdings nicht bekannt. Es handelt sich um den am meisten missachteten Straftatbestand des deutschen Rechts. Um das zu ändern, startete die aktion ./. arbeitsunrecht eine Petition an den hessischen Generalstaatsanwalt Helmut Fünfsinn: Betriebsräte schützen, kriminellen Unternehmern und ihren Beratern das Handwerk legen, Nachahmer abschrecken! .

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) trat in der Bundesrepublik 1952 in Kraft. Hessen war damals schneller und auch fortschrittlicher als der Rest der Republik. Das Bundesland verabschiedete bereits am 26. Mai 1948 mit den Stimmen von CDU, SPD und KPD das wesentlich weiter reichende Hessische Betriebsrätegesetz (HBG),[1] machte den aufrechten Sozialdemokraten Fritz Bauer zum Generalstaatsanwalt und verankerte die Enteignung von Unternehmern, die monopolistisch wirken oder ihre Macht missbrauchen, in §39 seiner Landesverfassung.[2] Das waren noch Zeiten!

Wie weit Gesetze, politische Absichtserklärungen und Realität auch damals auseinander lagen, illustriert ein Bericht des Spiegel vom Juli 1950.[3] Karl Korkhaus, der Chef der Limburger Farbmühle Aloys Anton Hilf, versuchte den Betriebsratsvorsitzenden Fritz Fischer zu feuern: “Wegen Gefährdung des Arbeitsfriedens und Aufwiegelung der Belegschaft.” Die Arbeiter und ihr Betriebsrat weigerten sich, Samstagsarbeit und massive Überstunden zu leisten. Der Konflikt endete schon damals mit dem Ausscheiden des Gewerkschafters, der 1938 eingestellt worden war, und nicht mit der Durchsetzung des Rechts und einer Bestrafung des Unternehmers. Auch das fortschrittlichste Betriebsrätegesetz nutzt nichts, wenn es niemand einfordert und durchsetzt.

68 Jahre später kamen über 30 Personen vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zusammen, um das stumpfe Schwert des §119 BetrVG ein wenig zu schärfen. Anlass war ein Prozess, in dem der berüchtigte Union-Busting-Anwalt Helmut Naujoks im Auftrag der Security-Firma I-SEC deren Betriebrat am Frankfurter Flughafen mittels juristischer Nachstellungen beharkte. Zu Naujoks’ Methoden gehören absurde Hausverbote, Aufhetzen und Einschüchtern der Belegschaft, konstruierte Kündigungsversuche und eine bizarre Schadenersatzklage in Millionenhöhe.

Die versammelten Gewerkschafter, Sozialisten und Bürgerrechtler hielten drei Kundgebungen ab: vor dem Arbeitsgericht, an der Konstablerwache, vor der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Als visuelles Motiv dienten drei ignorante Schimpansen, einer mit Doktorhut, die sich Augen, Ohren und Mund zuhielten: „§119 BetrVG: Nix sehen, hören, sagen.“ Während eines Protestzugs durch die Innenstadt wurden Parolen gerufen: „Denk ich an das Arbeitsrecht, wird der beste Handkäs schlecht!“. Vor der Staatsanwaltschaft in der Konrad-Adenauer-Allee skandierte man: „Herr Staatsanwalt, genug geschlafen, Arbeitsunrecht schreit nach Strafen!“

Die Straftat der Betriebsratsbehinderung wird auch in Hessen traditionell als Kavaliersdelikt gehandelt. Seit 1948 ist keine einzige Verurteilung bekannt geworden. (Falls jemand Fälle kennt, bitte melden! koeln01(at)arbeitsunrecht.de) Die Ermittlungen der zuständigen Frankfurter Staatsanwältin Stefanie Queißer gegen I-SEC begannen im November 2017. Sie kamen offenbar kaum voran. Ein Effekt ist nicht messbar; das Vergehen nimmt seinen Lauf, ohne dass die Exekutive etwas zum Schutz der Betriebsratsmitglieder unternimmt. Naujoks’ Zermürbungstaktik machte die anstehenden I-SEC-Betriebsratswahlen im Mai zur Farce, da der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter durch Ketten von Hausverboten und Missachtung richterlicher Anordnungen seit Monaten keinen Zugang zur Belegschaft haben.

Inzwischen wurden die Akten angeblich von Frankfurt zur Staatsanwaltschaft Darmstadt verschoben, weil der offizielle Unternehmenssitz von I-SEC im nahe gelegenen Kelsterbach liege. Was das bringen soll? Vermutlich eine weitere Verschleppung von Ermittlungen und die Ablenkung von Protesten in die Peripherie.

Die Gerechtigkeit wird gern in Form der römischen Göttin Justitia dargestellt, die mit verbundenen Augen eine Waage hält. Die Justiz soll ohne Ansehen der Person, ganz gleich, ob arm oder reich, Recht und Unrecht abwägen. Wenn aber die Exekutive – Justizministerium, Staatsanwaltschaft, Polizei – mit verbundenen Augen agiert, entsteht ein rechtsfreier Raum. So gibt es Razzien gegen “Rockerbanden”, so sitzen in Hessen fast 400 Schwarzfahrer im Gefängnis, so bekämpft man Grafitti-Sprayer und Ladendiebe, während kriminelle Unternehmer und ihre Berater ohne Angst vor Strafe gegen Betriebsräte schalten und walten können.

 

 

bild: union-busting

Die Petition “Betriebsräte schützen, kriminelle Unternehmer bestrafen!ist hier zu finden.

Anmerkungen:

[«1] Zeitgeschichte in Hessen: Verabschiedung des Hessischen Betriebsrätegesetzes, 26. Mai 1948, Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen, abgerufen am 13.3.2018

[«2] Verfassung des Landes Hessen, Art. 39 (1) Jeder Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt.
(2) Vermögen, das die Gefahr solchen Missbrauchs wirtschaftlicher Freiheit in sich birgt, ist auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in Gemeineigentum zu überführen.