Von Mag Wompel
In Anerkennung ihrer früheren Fehler haben die DGB-Gewerkschaften unter Androhung eines Generalstreiks ein Verbot der Leiharbeit durchgesetzt. Dem Geschrei der Branche der Sklavenhändler setzten sie entgegen: Wenn diese so tolle und individuell angepasste Vermittlungsarbeit beherrschten, könnten sie die – befristet eingestellten und überforderten – KollegInnen der Job Center und Arbeitsagenturen ergänzen (übergangsweise, bevor Hartz IV durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt wird). Und: Wenn die Verleihbranche daran zugrunde geht, wenn sie mindestens gleiche Löhne zahlen muss, ist sie offenbar überflüssig… Man müsse schliesslich nicht jeden Arbeitsplatz und um jeden Preis retten, lautete die gemeinsame und einstimmige Verlautbarung.
Erst ging ein Aufschrei durch die deutsche Wirtschaft, denn die dadurch erforderlichen massenhaften Neueinstellungen zum Equal Pay und Equal Treatment – also als ganz normale KollegInnen – erhöhten natürlich die Personalkosten der Unternehmen. Und klar, sie schmälerten dadurch deren Profite, schwächten allerdings kaum die ach so wichtige internationale Wettbewerbsfähigkeit, denn da war noch viel Luft im internationalen Vergleich… Mit generell steigendem Lohnniveau erfolgte so ganz nebenbei die den Gewerkschaften seit langem so wichtige Stärkung der Binnennachfrage als Wirtschaftsmotor – in ihrer Argumentation lange Jahre wichtiger als die Frage, was Menschen zum guten Leben brauchen. Nun bekehrt, konnten sie die Abwanderungsdrohungen des deutschen Kapitals lässig abwehren: Was wollt ihr, wir setzen die Belegschaften doch nur auf den früheren, nicht so verdichteten und gesünderen Stand zurück! Und berauscht von ihrem Erfolg kündigte DGB & Co alle Differenzierungsklauseln in den bisherigen Tarifverträgen: Schluss mit der Spaltung der Belegschaften zugunsten der Profite. Und organisierten einen politischen Streik gegen die Hartz-Gesetze.
Dadurch wiederum ging ein Aufschrei der Gewerkschaften weltweit los: Wie habt ihr das geschafft? Sie pilgerten nun – freiwillig – nach Deutschland, um beim DGB das deutsche Modell einer “konfrontativen Mitbestimmung” zu studieren, die ihnen in den langjährigen Kämpfen für Mindestlohn und gegen Privatisierungen wie Leiharbeit helfen könnte. Und die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland mussten sich endlich nicht mehr schämen, als internationale Lohndumper beschimpft zu werden…
Leider klingelte dann der Wecker, wie schade – und peinlich für den DGB
Aktuell würde man diesen Traum als Fake News bezeichnen. Und verbieten wollen – könnte er doch Begehrlichkeiten wecken. Für Fake wurden hingegen unsere wahren Informationen gehalten, die wir international verbreitet haben in letztem Halbjahr 2016, z.B. gegenüber der Transnational Social Strike Plattform oder bei der Reise nach Japan und Südkorea. Informationen darüber, dass es in Deutschland möglich ist, das EU-gesetzliche Gebot gleicher Bezahlung und gleicher Arbeitsbedingungen für LeiharbeiterInnen mit einem Tarifvertrag zu unterlaufen. Und die international wenig bekannte Tatsache, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund mit allen acht Mitgliedsgewerkschaften als DGB-Tarifgemeinschaft aktuell (und erneut) Tarifverhandlungen führte mit den zwei wichtigsten Arbeitgeberverbänden der Leih- bzw. Zeitarbeit, von uns auch als Sklavenhandel bezeichnet. Damit nutzt die DGB-Tarifgemeinschaft ohne Not diesen sog. Tarifvorbehalt – gesetzliche Erlaubnis zur Aushebelung gesetzlicher Vorgaben durch einen Tarifvertrag – und trägt aktiv zur (zusätzlichen) Spaltung der Belegschaften bei, ebenso wie zur Zementierung von Niedriglöhnen, von denen die meisten LeiharbeiterInnen nicht leben können und daher Hartz-IV-Aufstockung erhalten. International haben wir darüber informiert, weil die Ausweitung der Leiharbeit und des damit verbundenen Lohndumpings in Deutschland internationale Konsequenzen hat, denn der deregulierte Arbeitsmarkt in Deutschland ist für die Krise in Europa mitverantwortlich.
Natürlich musste dieser gewerkschaftspolitische Skandal verhindert werden! Zuletzt anlässlich der Tarifrunde 2013 gab es eine – zugegeben erfolglose – Kampagne: “Equal Pay durchsetzen statt Lohndumping tarifieren – Nein zum DGB Tarifvertrag in der Zeitarbeit!” Doch in 2016 bot sich (leider) eine neue Gelegenheit, denn die DGB-Tarife in der Leiharbeit waren zum 31.12. 2016 und ab dem 30. Juni kündbar. Unseres Erachtens gab es diesmal für die DGB-Gewerkschaften eine noch größere Dringlichkeit, die Tarifverträge ersatzlos zu kündigen, denn die (teilweise) noch schlechteren Tarifverträge durch gelbe, dem Arbeitgeber noch nähere Konkurrenz sind gerichtlich für nichtig erklärt worden. Die Bilanz der einzelgewerkschaftlichen Aufstockungen des Tariflohns durch Branchenzuschläge und Betriebsvereinbarungen selbst bei Entleihern mit starken Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten (v.a. Automobilindustrie) ist weit vom Equal Pay und Equal Treatment entfernt. Das LabourNet Germany startete daher zusammen mit einigen Kooperationspartnern im Sommer 2016 einen Aufruf zum neuen Anlauf für eine Kampagne gegen den Sklavenhandel mit Tarif.
Unsere Argumentation lautete dabei: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit stellt nach wie vor die Beschlusslage der an der DGB-Tarifgemeinschaft beteiligten Gewerkschaften dar! Sie alle beklagen, dass die Ausweitung der Leiharbeit und des damit verbundenen Lohndumpings zu einer Steigerung prekärer Beschäftigung führt, Belegschaften unter Druck setzt und uns in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen schwächt. Unverzichtbar sei daher, die DGB-Tarifverträge in der Zeitarbeit schnellstmöglich zu beenden. Da Tarifverträge nicht zur Schlechterstellung gegenüber dem Gesetz führen dürften, forderten wir in unserer Kampagne, die von 37 ErstunterzeichnerInnen (darunter viele Gruppierungen) unterstützt wurde, die ersatzlose Kündigung der bisherigen Tarife sowie die Absage erneuter Tarifverhandlungen und den konsequenter Einsatz aller gewerkschaftlicher Mobilisierungskraft gegen zusätzliche Verschlechterungen durch das neue Gesetz zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen. Dieser offene Brief an die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit und die beteiligten Gewerkschaften (und deren Tarifkommissionen) mit einer online-Unterschriftfunktion sowie Unterschriftenlisten zum Ausdrucken erreichte insgesamt 775 Unterschriften (2013: 425), darunter viele namhafte (hauptamtliche) GewerkschafterInnen und Betriebsräte, PolitikerInnen und insgesamt 27 Gruppierungen. (Eine gleichzeitige und ähnliche Kampagne, die auch das Verbot der Leiharbeit fordert, hat zudem fast Tausend Unterschriften gesammelt.)
Um aus der Erpressbarkeit des Arbeitsplatzargumentes herauszukommen, die schließlich die Gewerkschaften dazu bewegt, Leiharbeit besser als keine Arbeit zu finden, sollten wir unseren Fokus ändern und nicht nur die Leiharbeit, sondern die Lohnarbeit insgesamt bekämpfen! Der immense Niedriglohnsektor, die sich ausbreitende Armut trotz Arbeit sowie die uns alle lähmende Spaltung und Konkurrenz untereinander beruht auf der immer noch breiten Akzeptanz der Abhängigkeit von einem Lohnarbeitsplatz – um jeden Preis, auch ohne dass dieser die Existenz oder soziale Anerkennung sichert.
Dadurch haben nicht nur die Gewerkschaftsapparate aus den Augen verloren, dass dieser gesellschaftlich (und auch nur bis zur Überwindung des Kapitalismus) nur dann einen Sinn macht, wenn er seine Funktionen der Existenzsicherung und Vergesellschaftung erfüllt und seine Produkte der Gesellschaft nützen. Wir wissen, dass dies in allen Punkten weniger denn je der Fall ist. Warum machen wir nicht die Lebensqualität aller zum Fokus und messen die Arbeitsqualität an ihrer Funktionalität hierfür? Die Gewerkschaftsapparate müssten uns bei Strafe ihres Untergangs auf diesem Weg in die Emanzipation von der Erpressbarkeit durch die Lohnarbeit folgen.
Mag Wompel, LabourNet Germany, im Februar 2017
Quelle und zuerst erschienen auf LabourNet Germany: http://www.labournet.de/?p=112291
Kurzfassung des Artikels ist erschienen in ak – analyse und kritik – Nr. 624 vom 21.2.2017. Er stellt die Bilanzierung der Kampagne gegen die Tarifrunde Leiharbeit 2016/17 dar
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