DGB-Kongress: nur Appelle

Von Herbert Schedlbauer

Vom 13. bis 17. Mai 2018 tagte in Berlin der 21. Ordentliche Bundeskongress des DGB. Rund 400 Delegierte vertraten knapp 6 Millionen Mitglieder aus acht Einzelgewerkschaften. Sie entschieden über vier weitere Jahre die Richtung des DGB in Sachen „Wirtschaft- und Sozialpolitik“. Grundlage waren rund 80 Anträge. Zwar analysiert das Arbeitsmaterial die bundesdeutsche Arbeitswelt und ihre Auswirkungen für die Menschen sehr real. Doch bei der Bewältigung der Missstände setzt der Gewerkschaftsbund auf Lobbyismus und hofft auf die Große Koalition. Richtschnur bei den Zukunftsaufgaben bleibt „eine funktionierende Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern“. Aus Sicht des Dachverbandes und seiner Mitgliedsgewerkschaften „ist dies eine unverzichtbare Erfolgsbedingung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und für Demokratie in Deutschland und Europa“ (A001).

Unverkennbar in den Leitanträgen ist die Illusion, mit der Großen Koalition werde alles besser für die arbeitenden Menschen. Praktizierte der Deutsche Gewerkschaftsbund in früheren Jahren schon die „konzertierte Aktion“, so setzt der Bundesvorstand heute auf einen „gesellschaftlichen Zukunftsdialog“, wie immer der aussehen mag. Auf die verschärfte Gangart des Kapitals und die dadurch immer stärkeren gesellschaftlichen Klassengegensätze in Deutschland und Europa antwortet der DGB unverändert mit Sozialpartnerschaft und Lobbyismus.

Eine Kehrtwende, sich wieder auf die ursprünglichen Aufgaben als Organisation der Arbeiter und Angestellten und der Intelligenz zu orientieren, findet nicht statt. In allen Anträgen ist nicht einmal das Wort „Sozialabbau“ zu finden. Dabei gäben die neuerlichen Angriffe des Kapitals und deren Große Koalition auf Sozialrechte und Arbeitsverhältnisse allen Anlass dazu. Trotz Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Bundesdeutsche Wirklichkeit in der Arbeitswelt ist auch im Jahre 2018: jeder vierte Beschäftigte bezieht Niedriglohn. Prekäre Beschäftigung und schlechte Arbeitsbedingungen sowie Billiglöhne nehmen nicht ab. Tausende Arbeitsplätze werden jährlich vernichtet, obwohl vorher Lohnverzicht und andere Zugeständnisse mit den Konzernen vereinbart wurden.

Als Gegenmittel gegen die „Digitalisierung 4.0“ wird der Wunschvorstellung hinterhergejagt, man könne ohne Mobilisierung der Mitglieder an der Basis weitere Arbeitsverdichtungen oder Massenentlassungen verhindern. Etwa mit Tarifverhandlungen, mit der Bundesregierung oder den Unternehmerverbänden. Gleiches zeigt sich ebenso beim Verzicht auf eine wirkliche Arbeitszeitverkürzung (AZV) bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle Beschäftigten. Zwar wird im Antrag B012 „Gute Arbeit 4.0 geschlechtergerecht gestalten“ davon gesprochen „eine gesellschaftliche Debatte zum Verhältnis von Produktivitätssteigerungen und Arbeitsverdichtung und deren gesellschaftlichen Folgen zu verbinden“. Richtig erkannt wird vom Bundesfrauenausschuss, dass die AZV bei Lohn- und Personalausgleich als Option zur Vermeidung von Beschäftigungsabbau in die Digitalisierungsdebatte eingebracht werden muss. Doch weder spricht man von einem vollen Lohn- und Personalausgleich, noch soll die AZV für alle gelten. Einige Zeilen vorher wird diese nämlich auf Beschäftigte mit „Familienverantwortung“ reduziert.

Eine generelle Debatte über die Notwendigkeit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalausgleich würde nicht nur bestehende Arbeitsplätze sicherer machen. Sie zwingt die Unternehmer auch zu Neueinstellungen. Bei einer breiten Diskussion innerhalb der Einzelgewerkschaften und gemeinsam mit einer Kampagne des DGB käme man so wieder in die Offensive gegenüber dem Kapital. Der jetzige Versuch einer flexiblen Lösung, ist eine „Billiglösung“ für die Besitzer der Betriebe. Ganz zu schweigen von der flächendeckenden Umsetzung. Wie soll die aussehen in Betrieben ohne Betriebsräte?

Schon bei Beginn des Kongresses sorgten die fehlenden offensiven Ziele für Kritik an der Basis. Gegen die von oben verordnete Harmonie und Klassenversöhnung mit dem Kapital meldeten sich mehrere Delegierte zum ergänzenden Geschäftsbericht zu Wort. So stellte Carsten Bätzeld von der IG Metall die Frage, „… ob wir immer das richtige tun? Mitglieder kämen bekanntlich nur durch und über konfliktreiche Auseinandersetzungen“. Detlef Lange von ver.di arbeitet im Einzelhandel und sieht mit den Sonntagsöffnungen den Versuch, die Arbeitszeiten weiter zu flexibilisieren.

Gewählt wurde erneut ein vierköpfiger Bundesvorstand. Reiner Hoffmann (SPD) wurde zum zweiten Mal als Vorsitzender bestätigt. Allerdings erhielt er die niedrigste Stimmenzahl, lediglich 76,3 Prozent. Gegenüber dem Antritt vor vier Jahren sind dies 16,8 Prozent weniger. Das Wahlergebnis zeigt, dass der DGB Chef anscheinend dafür abgestraft wurde, weil er in Sachen Große Koalition sich zu weit aus dem Fenster lehnte. Weiter wurden gewählt Elke Hannack (CDU) als Stellvertreterin mit 86,5 Prozent. Annelie Buntenbach (81,2 %) und Stefan Körzell. (83,6 %).  

Aus dem Grundsatzreferat des alten und neuen DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann wird klar, dass der DGB keine neuen Konfliktfelder aufmachen wird. Damit liefert er die Linie des DGB bis 2022. Hoffmann sieht als Hauptaufgabe der Gewerkschaften, Verbesserungen für die arbeitenden Menschen in der sozialen Marktwirtschaft zu verwirklichen. „Wir können und werden die großen Umbrüche unserer Arbeitswelt und Gesellschaft demokratisch, sozial gerecht und nachhaltig gestalten. Wir sind ein starker Partner für Wirtschaft und Politik“.

In der anschließenden Aussprache betonte Raja Bernard, dass wir aktuell erlebten, wie die Unternehmer das Arbeitszeitgesetz schleifen. „Ich wünsche mir, dass wir mit einem starken Signal nach Hause fahren“. Die ver.di Delegierte weiter „Die Politiker bei der Podiumsdiskussion sollten darauf festgenagelt werden, wie steht ihr dazu?“ Bernard machte den Vorschlag, politische Bündnisse zu schaffen, die für dieses Arbeitszeitgesetz in der jetzigen Form streiten wollen und „wir aus diesem Parlament der Arbeit gehen und sagen: Eine Verschlechterung dieses Gesetzes ist mit uns nicht möglich“.

Auf dem Kongress legte der DGB Bundesvorstand einen Leitantrag vor „Gesellschaftlicher Zusammenhang und Demokratie in Deutschland und Europa“. Die darin überwiegend verbreitenden Visionen veranlassten Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, darauf hinzuweisen, dass Veränderungen der Arbeitswelt, wie bei der Digitalisierung 4.0, immer von Seiten des Kapitals ausgenutzt werden, die neuen Bedingungen für sich zu entscheiden. Das koste Tausende von Arbeitsplätzen. Visionen und Versprechungen helfen da weniger, „Klare Ziele und Stimmen sind gefragt und notwendig“.

Aufgenommen wurde auch ein Initiativantrag, der auf die verstärkte Aufrüstung der Länder der EU aufmerksam macht. „Der Bundeskongress unterstützt den Appell der Friedensbewegung Abrüsten statt Aufrüsten“. Ein Delegierter regte an, bis Jahresende 100.000 Unterschriften zu sammeln.

Verabschiedet wurde der weitergehende Antrag A002 „Frieden geht anders“. Darin wird die Erhöhung der Rüstungsausgaben in der Bundesrepublik abgelehnt. Marlies Tepe, Vorsitzende der GEW, rief unter starkem Beifall dazu auf, mehr Geld für Bildung auszugeben und nicht für Rüstung. Tepe betonte in diesem Zusammenhang, dass sich die Gesellschaft sehr schnell nach rechts ändern kann. „Dies merken wir in der Türkei, in Ungarn oder Amerika“. Auch deshalb wäre die Investition in Bildung unerlässlich.

Eine Kehrtwende weg von der Sozialpartnerschaft war vom Kongress nicht zu erwarten. Obwohl der DGB in mehreren Anträgen immer wieder die mangelnde Einsicht der „Arbeitgeber“ in Sachen Mitbestimmung und beim Betriebsverfassungsgesetz beklagt. Reduziert wird dies auf Appelle. Die Unternehmerverbände sollten endlich mit der Be- und Verhinderung der Arbeit von Betriebs- und Personalräten und mit der gezielten Bekämpfung von Gewerkschaften (Union Busting) aufzuhören.

Ob und wie weit sich der DGB wieder zu einer kämpfenden Interessenvertretung entwickelt, wird davon abhängen, wie die Veränderungen von unten stattfinden. Gebraucht werden Kampagnen. Auf die Tagesordnung gehört deshalb die flächendeckende Rente mit 63 Jahren und eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

 Weitere Infos unter http://bundeskongress.dgb.de

Der Artikel erschien in Marxistische Blätter 4_2018 und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.
https://www.neue-impulse-verlag.de/
Wir möchten auf diese neue Ausgabe der Marxistische Blätter 4_2018 hinweisen:

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Thema: Die soziale Frage

·       Pauperismus, Arbeiterklasse und die Wiederkehr der sozialen Frage, Arnold Schölzel

·       Von der Sklaverei zur Lohnsklaverei, Rainer Roth

·       Die soziale Frage bei Friedrich August von Hayek, Patrick Schreiner

·       Die Erosion des »Normalarbeitsverhältnisses«, Petra Heiner

·       Share Economy: Weltkonzerne mit Tagelöhner-Armee, Werner Rügemer

·       Zur Renaissance des Strafrechts in Zeiten sozialer Unsicherheit, Volkmar Schöneburg

·       Die Geißel Arbeitslosigkeit beseitigen, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Dokumentation

·       Für ein Recht auf gute Arbeit und gutes Leben, Partei Die Linke

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Syrien, die Kurden und eine verkürzte Solidarität, Joachim Guilliard

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Hans Heinz Holz: Die Sinnlichkeit der Vernunft. Letzte Gespräche, (Nina Hager)

Strutynski, Peter: Die Welt verändern … nicht nur interpretieren. Gesammelte Aufsätze (Georg Fülberth)

Stefan Dietl: Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und »völkischem Antikapitalismus« (Kurt Baumann)

Werner Seppmann: Kapital und Arbeit. Klassenanalysen I (Herbert Münchow)

Christoph Henning: Marx und die Folgen (Franz Anger)

Stefan Berger (Hg.): Gewerkschaftsgeschichte als Erinnerungsgeschichte (Rainer Venske)

Peter Brandt: »Freiheit und Einheit«, Beiträge zu den deutschen Freiheits- und

Einheitsbestrebungen während des langen 19. Jahrhunderts (Bd. 1+2) (Günther Wehner)

Holger Wendt, Der lange Marsch der »Neuen Marxlektüre«, MASCH-Skript (Klaus Müller)