Die Beschäftigten leisten über 1,8 Milliarden Überstunden – nur die Verknappung des Arbeitsangebots kann als Jobmotor wirken

Für jeden dritten Beschäftigten in Deutschland ist es Realität, deutlich länger zu arbeiten als es vereinbart wurde. Fast jeder vierte arbeitet sogar mehr als 45 Stunden in der Woche und etwa jeder sechste Beschäftigte arbeitet sogar mehr als 48 Stunden pro Woche. Die Arbeitnehmer leisteten 2016 mehr als 1,8 Milliarden Überstunden, knapp eine Milliarde davon war unbezahlt. Das geht aus einer repräsentativen Beschäftigtenbefragung des DGB hervor.

Die betroffenen Beschäftigten berichten deutlich häufiger von fehlender Erholung als andere Arbeitnehmer, ihr Arbeiten ohne Ende gefährdet die Gesundheit und erschwert, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu kriegen.

Zwischen den verschiedenen Branchen gibt es große Unterschiede, so geben 59 Prozent der Fahrzeugführer an, überlange Arbeitszeiten zu haben. Den Spitzenwert erreicht die Hotel- und Gaststättenbranche, dort arbeiten 63 Prozent der Vollzeitbeschäftigten länger als vereinbart. Den geringsten Anteil an Überstunden leisten der Studie zufolge die Beschäftigten in der Finanz- und Versicherungsbranche.

Wir brauchen dringend neue Regeln, damit die Beschäftigten ihre Arbeitszeit flexibel und selbstbestimmt gestalten und eine neue Verteilung von Arbeit, die ein Jobwunder auslösen würde. 60 Prozent der Beschäftigten arbeiten mehr als sie laut Arbeitsvertrag müssten. 33 Prozent der Vollzeitbeschäftigten verbringen wöchentlich 45 Stunden und mehr am Arbeitsplatz, 17 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten geben sogar an, über 48 Stunden pro Woche zu arbeiten.

Wer mehr als 45 Stunden die Woche am Arbeitsplatz verbringt, steht ständig unter Zeitdruck. 70 Prozent der Befragten, die überlang arbeiten, gaben an, sich sehr häufig gehetzt zu fühlen. Wenn dann noch fast eine Milliarde Überstunden unbezahlt sind, richtet die Mehrarbeit die Menschen völlig zugrunde.

Die Zahlen machen deutlich, wie eng die Personaldecke in den Unternehmen ist, denn die Überstunden sind ein Spiegelbild von Arbeitsverdichtung, zunehmendem Stress und dem Auspressen der Belegschaft.

Überstundenverpflichtung

Zu den Überstunden sind Arbeitnehmer nur verpflichtet, wenn das im Arbeits- oder Tarifvertrag steht bzw. in einer Betriebsvereinbarung festgelegt ist. Dort finden sich dann zum Beispiel Formulierungen wie: „Sie sind im Bedarfsfall dazu verpflichtet, Überstunden zu leisten.“ Steht nichts im Vertrag, gilt nur die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit. Ohne eine ausdrückliche kollektiv- oder individualrechtliche Vereinbarung ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nur verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu erbringen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden existiert nicht.

Werden Überstunden angeordnet, muss der Arbeitgeber immer auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen. Wenn z.B. jemand sein Kind vom Kindergarten abholen muss, kann er in dem Fall keine Überstunden machen. Der Arbeitgeber muss eine Interessenabwägung vornehmen, wenn sein Interesse als Arbeitgebers höher zu bewerten ist, müssen Mitarbeiter die Überstunden dann hinnehmen. Außerdem muss er bei den Überstunden die Obergrenzen des Arbeitszeitgesetzes beachten. Danach sind in der Regel maximal pro Tag acht, im Ausnahmefall zehn Stunden Arbeit erlaubt. Auch muss der Betriebsrat einer angeordneten Überstunde zustimmen, denn sonst ist die Weisung unzulässig.

Eine Verpflichtung zur Leistung von Überstunden besteht bei einem Notfall und zur Abwehr von Gefahren, also auch bei für den Arbeitgeber nicht vorhersehbaren Fällen.

Wenn der Beschäftigte berechtigterweise eine Überstunde verweigert, kann ihm nichts passieren, denn dann gilt das sogenannte Maßregelungsverbot: Der Arbeitgeber darf niemanden bestrafen, weil er von seinen Rechten Gebrauch macht.

Wenn die Weisung allerdings zulässig war, kann die Weigerung im schlimmsten Fall zur Kündigung führen.

Überstunden vergüten

Unabhängig von der Problematik, ob Überstunden vom Arbeitnehmer überhaupt zu leisten sind, stellt sich die weitere Frage, inwieweit angefallene Überstunden zu vergüten oder auszugleichen sind.

Ein gesetzlicher Anspruch auf Überstundenvergütung besteht nicht. Auch hier gilt zu differenzieren, ob im konkreten Arbeitsverhältnis entsprechende Regelungen vorhanden sind oder nicht.

Mehrarbeitsstunden gehen bei vielen Betrieben auf das Arbeitszeitkonto, in Betriebs- und Dienstvereinbarungen sind in der Regel dann Obergrenzen vereinbart, z.B. eine Grenze von 100 Stunden, die dann entgolten oder abgefeiert werden können. In Arbeitsspitzen werden unter Druck regelmäßig die 100 Stunden überschritten, ohne dass sie angerechnet werden, von Abfeiern kann dann schon gar nicht gesprochen werden.

Die Verknappung des Arbeitsangebots ist angesagt

Schon seit Jahrzehnten sind die gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsraten größer, als die preisbereinigten Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts. Das entscheidende Arbeitsvolumen geht permanent zurück, die Arbeitszeit selbst stagniert und das wird in Zukunft auch so bleiben.

Die Reaktion auf diese Entwicklung bestand und besteht darin, die Leiharbeit und Werkverträge als moderne Form der Unterbeschäftigung immens auszubauen. Flankiert wird das Ganze mit erzwungener Teilzeitarbeit und der Kombination mit den Überstunden der Vollzeitbeschäftigten.

Das Arbeitsangebot wurde entsprechend vergrößert und dadurch in Verbindung mit Transferleistungen bei Voll- und Teilzeitarbeit eben billiger.

Folglich müsste die Devise lauten: Verknappung des Arbeitsangebots!

Das Kapital, besonders in den Gütermärkten, macht es doch vor. Immer, wenn auf Grund einer zu geringen Nachfrage in Relation zum Angebot der Preis verfällt und die Waren billiger werden.

Dieser Zusammenhang muss den Beschäftigten in den Betrieben klargemacht werden; das ist eine wichtige bildungspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe. Denn ohne die Verknappung des Arbeitsangebots und ohne Arbeitszeitverkürzungen wird es keine Änderung auf dem Arbeitsmarkt geben und die Gewerkschaften werden es auch zukünftig in den Tarifrunden nicht schaffen, den realen Lohn produktivitätsorientiert zu steigern.

Das Gegenteil tritt dann ein, das Entgelt der Beschäftigten wird weiter fallen und die Arbeitszeiten werden noch einmal verlängert.

Das Ziel einer vernunftbezogenen Arbeitszeitpolitik müsste darin bestehen, das gesellschaftlich insgesamt verfügbare Erwerbsarbeitspotential und das entsprechende Arbeitsvolumen so umzuverteilen, dass sowohl die erwerbslosen Menschen eine Beschäftigung bekommen, als auch die Teilzeitbeschäftigten die Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen ausbauen können, um so ihre materielle Existenz durch Arbeit zu sichern und auf Transfereinkommen verzichten können.

Arbeitszeitverkürzung eröffnet viele neue Perspektiven. Sie ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine gleichberechtigte häusliche Arbeitsteilung.

Arbeitszeitverkürzung schafft Möglichkeiten für die Weiterbildung und bessere Bedingungen für die Entwicklung individueller und künstlerischer Fähigkeiten, für Sport und Gesundheitspflege und Teilhabe am politischen Geschehen.

Arbeitszeitverkürzung fördert nachbarschaftliche Kontakte und ehrenamtliche Aktivitäten.

Arbeitszeitverkürzung bringt mehr Zeit jenseits fremdbestimmter Erwerbsarbeit und lässt eine neue Produktivität entstehen, die der ganzen Gesellschaft zugutekommt.

Die Finanzierung der Verknappung des Arbeitsangebots dürfte bei den Produktivitätszuwächsen und der gesamtwirtschaftlichen Mehrwertquote aus Gewinn- und Kapitaleinkünften ja wohl kein Problem sein. Allein 2016 haben die 30 größten börsennotierten Unternehmen bei uns knapp 31 Milliarden Euro Dividenden an die Kapitaleigner ausgeschüttet. Fast 6 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der Beschäftigte dagegen, der 45 Jahre lang in Vollzeit für 11,60 Euro in der Stunde im Niedriglohnsektor gearbeitet hat, hat zukünftige Rentenansprüche erwirtschaftet, die nicht einmal mehr das Niveau der staatlichen Grundsicherung erreichen werden.

Wir brauchen eine kollektive Arbeitszeitverkürzung, mit der 30-Stunden-Woche. Die kurze Vollzeit für alle, mit vollem Lohn- und Personalausgleich.

Dahin kommen wir aber nur, wenn die Entscheidungsmacht in den Unternehmen gebrochen wird, wenn allen Beteiligten klar ist, dass in den Betrieben ohne die Beschäftigten keine Werte geschaffen werden und mit der Mitbestimmung allein keine Änderungen erfolgen kann.

Weitere Infos:

file:///C:/Users/Admin/Downloads/DGB-Index_Kompakt_1-2016_Ueberlange-Arbeitszeiten.pdf

Quelle: Bontrup, dgb:

Bild: ver.di