»Die Beschäftigten wissen, dass die Tage des Verbrenners gezählt sind«

Den Arbeitern aus der Autoindustrie wird nachgesagt, bei der Verkehrswende auf die Bremse zu treten. Wie unterschiedlich die ökologische Transformation am Hallenboden tatsächlich aufgenommen wird, hat der Soziologe Klaus Dörre in einer Studie untersucht. Im Interview erklärt er, welche Erwartungen und Befürchtungen die Beschäftigten haben und vor welchen Herausforderungen die Gewerkschaften stehen.

Interview mit Klaus Dörre geführt von Nastia Nedjai

Einst Aushängeschild und Herzstück der deutschen Wirtschaft beginnt das jahrzehntelange Versprechen von Wachstum und Wohlstand der deutschen Autoindustrie nun zu bröckeln. VW-Werke in Deutschland stehen vor dem Aus. Die Gewerkschaften halten sich in Alarmbereitschaft und Arbeitsplätze, die lange als sicher galten, sind nun bedroht.

Das EU-weite Verbrenner-Verbot bis 2035 erhöht zusätzlich den Druck auf die deutsche Automobilindustrie. Der Absatz von E-Autos ist im Vergleich zum Vorjahr erheblich gesunken. Der Wegfall von staatlichen Subventionen und Einbrüche auf dem chinesischen Markt setzen die deutschen Großkonzerne unter Zugzwang: Sie müssen ihre Position auf dem neuen Markt behaupten und die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die Autoindustrie gerät somit in das Sturmzentrum der derzeitigen sozialen und ökologischen Umbrüche. Die klimapolitische Planlosigkeit der Ampel nutzen hingegen Kräfte wie die AfD, um gegen die ökologische Wende Stimmung zu machen – und das mit Erfolg, wie die Landtagswahlen in Ostdeutschland zuletzt wieder zeigten.

Der Soziologe Klaus Dörre und sein Forschungsteam schauen hinter die Tore der bedrohten Werke von VW und Opel. Wie ihre Forschung offenbart, zeigt sich sowohl beim Management als auch unter den Beschäftigten der Drang, das Vertraute zu bewahren und am Erhalt der Verbrennerindustrie in Zeiten des Umbruchs festzuhalten – selbst wenn das bedeutet, die notwendige ökologische Wende hintenanzustellen. Um die Wut gegen die Klimapolitik, und den Aufstieg der AfD zu verstehen, plädiert Dörre dafür, den Produktionsalltag genauer zu betrachten und den Sorgen der Arbeiterschaft zuzuhören. Mit welchen Herausforderungen die Gewerkschaften nun bei der Versöhnung einer ökologischen Transformation mit den Anliegen der Beschäftigten zu kämpfen haben, erklärt er im Gespräch.

Wir steuern unaufhaltsam auf die Klimakatastrophe zu – Überschwemmungen, Waldbrände, Hitzewellen, Ressourcenkonflikte, Artensterben sind nur einige alarmierende Vorboten. Doch wenn die Welt, wie wir sie bisher kennen, unter unseren Füßen zerbricht, trifft uns das dann nicht quer durch die Gesellschaft zunächst alle gleich?

Das kann ich direkt verneinen. Mit Ulrich Becks bahnbrechendem Werk Risikogesellschaft hat lange Zeit die Auffassung gegolten, dass das Wissen um die Dramatik und Finalität ökologischer Großgefahren ausreiche, um eine entsprechende Bereitschaft für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zu erzeugen. Seine Formel war: »Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch.«. Mit »Not ist hierarchisch«, bezog er sich auf den Klassenkonflikt, der nach seiner Auffassung an Bedeutung verlor. Dagegen gebe es bei ökologischen Großgefahren eine »demokratische Allbetroffenheit«. Sie lösten eine neue Konfliktdynamik aus, die die modernen Gesellschaften präge.

»Der Verlust dieser Sicherheit und des damit verkoppelten sozialen Status wiegt schwerer als die bloße Angst vor Arbeitslosigkeit.«

Doch das ist ein Irrtum. Smog betrifft zwar mehr oder minder alle, aber eben nicht auf die gleiche Art und Weise. Das gilt für alle ökologischen Großgefahren, allen voran den Klimawandel. Obwohl die Datenlage sich etwas verbessert hat, ist sie insgesamt weiterhin schlecht. Es gibt jedoch einige aussagekräftige Studien, wie die von Lucas Chancel, welche 2022 im Journal Nature Sustainability veröffentlicht wurde. Diese zeigt klar, dass klimaschädliche Emissionen mit Vermögen und Einkommen stark zunehmen. Die reicheren Schichten haben einen deutlich höheren CO2-Fußabdruck als die ärmere Hälfte der Gesellschaft. Besonders dramatisch ist dabei die Erkenntnis, dass mittlere Einkommen, wie etwa die von Facharbeiterinnen und Facharbeitern in der Automobilindustrie, sich innerhalb des Korridors der Pariser Klimaziele für 2030 bewegen. Doch im Gegensatz dazu hat das reichste 1 Prozent seine Emissionen zwischen 1990 und 2019 um 26 Prozent gesteigert, und die obersten 0,01 Prozent sogar um 80 Prozent.

Es ist im Grunde so: Der Fußabdruck der Reichsten und Allerreichsten wird statistisch zum Verschwinden gebracht, indem er mit dem niedrigen CO2-Ausstoß der Mehrheit kompensiert wird, der wiederum – wenn man es genau betrachtet – fast ausschließlich auf die untere Hälfte der Einkommensbezieherinnen und -bezieher zurückzuführen ist. Und dieses Ungleichgewicht ist fundamental, weil es bereits erahnen lässt, dass es ein gravierendes Problem der Klimaungerechtigkeit gibt.

Wenn Sie die unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensschichten ansprechen, beziehen Sie auch eine soziale Dimension in die ökologische Herausforderung mit ein. Können Sie noch einmal konkretisieren, was das für Fragen der Klimagerechtigkeit bedeutet?

Es reicht nicht, nur auf ökologische Fragen und die Konsumentinnen und Konsumenten zu schauen. Wenn man den Klimawandel allein durch die Linse der Konsummuster betrachtet, entgeht einem ein entscheidender Punkt der Klimagerechtigkeit: Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, leiden am stärksten unter dessen Folgen. Um das miteinzubeziehen und nicht zu vernachlässigen, müssen wir die Klassenachse in die Analyse des ökologischen Konflikts gleichwertig einbinden. Das aktuelle Krisenverständnis nimmt eine Vielzahl der Krisenherde in den Blick, ohne das zentrale Problem zu adressieren. Wenn wir die ökologischen und sozialen Dimensionen nicht zusammendenken, landen wir bei unzureichenden Analysen und politischen Lösungen. Ein Beispiel ist die Diskussion, ob wir individuelle Konsummuster wie vermeintliche Ferienflüge »gewöhnlicher Leute« nach Mallorca einschränken sollten. Solche Vorschläge bedienen Klassenklischees, während das eigentliche Problem in klimaschädlichen Investitionen begründet liegt, nicht im individuellen Konsumverhalten. Ohne Einbeziehung der Perspektive einer sozialen Dimension der Klasse kommen wir zu keiner gerechten Lösung des Klimawandels.

Sie und Ihre Forschungsgruppe schauen sich in einer Studie zwei deutsche Standorte der Automobilindustrie an. Warum steht gerade die Automobilindustrie im Sturmzentrum der Klimakrise?

Die Automobil- und Zulieferindustrie bildet nach wie vor das Herzstück der deutschen Industrie. Im Rahmen der EU-Dekarbonisierungsziele soll ab 2035 nur noch die Neuzulassung emissionsfreier Neufahrzeuge erlaubt sein, während herkömmliche Verbrennungsmotoren innerhalb der EU ein Auslaufmodell sind. Dieses stößt mittlerweile auf erheblichen Widerstand, nicht nur seitens der AfD, auch FDP und CDU mischen hier fleißig mit. Der gesamte Verkehrssektor und die aggregierten Industrien haben bisher aber kaum zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen beigetragen. Dabei soll Deutschland bis 2045 emissionsfrei sein. Und der Autoindustrie drohen erhebliche Strafen, wenn sie die Klimaziele verfehlt.

»Es wird geschätzt, dass wegen der Umstellung auf E-Antriebe, dem Vordringen von Shared Mobility und der fahrerlosen Mobilitätsangebote bis zu 300.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten.«

Konzerne wie VW und Stellantis haben daher auf Elektromobilität, insbesondere batterieelektrische Antriebe gesetzt, was wiederum Folgen für die Beschäftigung hat. Im Vergleich zur Produktion von Verbrennungsmotoren benötigt die Elektromobilität etwa ein Zehntel der Arbeitskräfte, so sagt man im Management; das ist auch Expertenmeinung. Das wurde oft aber nicht klar ausgesprochen. Aber es wird geschätzt, dass wegen der Umstellung auf E-Antriebe, dem Vordringen von Shared Mobility und längerfristig der fahrerlosen Mobilitätsangebote jeweils bis zu 300.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und dem Autohandel wegfallen könnten. Das ist eine gewaltige Zahl. Im VW-Werk in Baunatal gibt es derzeit 15.500 Arbeitsplätze, von denen bis zu 8.000 verloren gehen könnten. Es kommen auch neue dazu, aber das ist trotzdem ein erheblicher Anteil.

Die Stammbelegschaften vor allem bei VW fürchteten bis in die jüngere Vergangenheit weniger die Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr den Statusverlust. Als qualifizierte Kräfte würden sie bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage sicherlich einen Job finden, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so sehr in den strukturschwachen Regionen, aber sie würden letztendlich doch was finden. Bei den Herstellern in der Autoindustrie wird gut bezahlt und die Arbeiterinnen und Arbeiter profitieren, sofern sie den Stammbelegschaften angehören, zusätzlich von umfangreicher sozialer Sicherheit, von Tarifverträgen, Mitbestimmungsrechten und zum Teil auch von unternehmensseitigen Sozialleistungen. Obwohl das alles abgeschmolzen wurde, handelt es sich in der Bandarbeit immer noch um vergleichsweise attraktive Arbeitsplätze. Der Verlust dieser Sicherheit und des damit verkoppelten sozialen Status wiegt schwerer als die bloße Angst vor Arbeitslosigkeit.

Es ist bereits angeklungen, dass der Umstieg auf Elektromobilität verschiedene Herausforderungen mit sich bringt. Betriebe müssen ihre Ziele plötzlich völlig neu definieren, und gleichzeitig sind Arbeitsplätze, die jahrzehntelang als sicher galten, maßgeblich bedroht. Wie werden die Ambitionen der ökologischen Transformation von der Belegschaft aufgenommen?

Bei den großen Herstellern, insbesondere bei VW und etwas weniger bei Opel, setzte man zum Zeitpunkt unserer Erhebung seitens des Managements vorbehaltlos auf Elektromobilität und grünes Wachstum. Das galt in den Führungsgruppen als beschlossene Sache. Es ist daher irritierend, wenn aus der Politik Signale kommen, dass man diese Richtung wieder ändern wolle. Das schafft eine enorme Planungsunsicherheit und lässt die Führungskräfte ratlos zurück. Bei VW haben wir erlebt, dass Topmanager überzeugt waren, dass sie einer von zwei verbleibenden Plattformherstellern weltweit sein werden, die überleben. Sie rechnen sogar damit, dass Tesla in Zukunft auf ihren Plattformen fahren werde. Die VW-Krise, drohende Standortschließungen und die Ankündigung betriebsbedingter Kündigungen trifft nun selbst das Führungspersonal völlig unvorbereitet. Das auch, weil in beiden Werken, VW Kassel und Opel Eisenach, das lokale Management nur einen äußerst geringen Einfluss auf strategische Entscheidungen hat. Die wichtigen Entscheidungen fallen zuletzt in den jeweiligen Unternehmenszentralen. Aus der Perspektive von VW Kassel-Baunatal verläuft der Hauptkonflikt nicht zwischen »Oben gegen Unten«, sondern es heißt eher »Werk gegen Zentrale«. Bei Opel Eisenach ist das kaum anders. Jede Art von Zusage für ein neues Produkt, ein neues Modell ist ein harter Kampf, der meist nur mit schmerzhaften Zugeständnissen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen gewonnen werden kann.

Was wir in den Betrieben mal mehr oder mal weniger sehen, ist eine Fortsetzung eines Managementmodells, das ich Ende der 1990er Jahre als »straffe Profitsteuerung« beschrieben habe. Im Kern hat sich daran bis heute nichts geändert, egal wie viel von einer vermeintlichen Abkehr vom Shareholder-Ansatz geredet wird. Große Konzerne wie VW und Opel steuern nach Key Performance Indicators – Stückzahlen, Erträge, das ist, was zählt. In den Werken gibt es strenge Produktivitätsvorgaben, die oft unrealistisch sind. Die Betriebsräte wissen selbst, dass man nicht Jahr für Jahr 5 Prozent Produktivitätssteigerung herausholen kann. Der psychische Druck, der dabei entsteht, ist enorm – die soziale Dimension am Arbeitsplatz leidet, Pausen sind keine Zeiten des Miteinanders mehr. Beschäftigungssicherheit und Lohn werden unter dem Druck von Standortkonkurrenzen gegen wirtschaftliche Effizienz eingetauscht – etwa in Gestalt flexibler Schichtsysteme. Im Grunde wird der ökonomische Druck von oben bis hin zu den einzelnen Beschäftigten weitergegeben. Für die Managementebene bedeutet Nachhaltigkeit Elektromobilität und das wird zum Thema gemacht, und von den Beschäftigten am Hallenboden verlangt man, dass sie diese Zielsetzung übernehmen, obwohl sie möglicherweise unter den Folgen des Umbaus leiden

Was wird dort erkennbar?

Je näher sie dem Hallenboden kommen, desto ausgeprägter ist die Kritik an der E-Mobilität. Der Hallenboden ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für die, die wirklich Autos oder Autoteile produzieren, und am Band arbeiten. Es werden innerhalb der Arbeiterschaft in den untersuchten Werken drei Hauptströmungen sichtbar: Eine Minderheit der Belegschaft ist offen für eine Produktkonversion, das heißt, sie können sich vorstellen, Produkte für eine nachhaltige Verkehrswende herzustellen. Sie vertrauen auf ihre Fähigkeiten und ihr Fachwissen und sehen in der Umstellung eine Chance. Daneben existiert eine eher technikzentrierte Gruppe, die hofft, die Dekarbonisierungsziele mittels technologischer Innovationen erreichen zu können, ohne dabei große Änderungen im Lebensstil vornehmen zu müssen.

»Unter dem Vorwand der ökologischen Nachhaltigkeit drängt man mich dazu, das aufzugeben, was ich an meinem Leben gut finde. Aber selbst wenn ich verzichte, fährt mein Manager trotzdem weiter Porsche.«

Und dann gibt es noch die Gruppe der Beharrenden. Die möchte die ökologische Transformation verlangsamen und in der Übergangsphase zur E-Mobilität weiterhin auf konventionelle Antriebe wie moderne Dieselmotoren setzen, um den eigenen Lebensstil zu erhalten. Das Auto ist für sie lebensnotwendig, da öffentliche Verkehrsmittel in diesen Regionen oft unzureichend sind und in ländlichen Gebieten ein unverzichtbares Mittel zur Fortbewegung darstellen. Daher werden die Vorschläge der »grünen« Regierung und Klimabewegungen oft als lebensfremd wahrgenommen, da ihr Alltag und dessen Anforderungen ausgeblendet werden. Eine Arbeiterin brachte es auf den Punkt: »Die Natur wird geschützt, aber wer schützt die Menschen?«

In Medien und Öffentlichkeit klingt auch immer wieder an, dass gerade die Arbeiterschaft die ganze Klimadebatte hasst. Da kommen Politiker, Aktivistinnen und Manager mit schönen Ideen und radikalen Plänen, und die, die wirklich am Band stehen, sollen ihren Job riskieren, damit der Planet gerettet wird. Ist das nicht der alte Klassenkonflikt: Die da Oben gegen die hier Unten – diesmal in Grün verpackt?

Grundsätzlich herrscht keine pauschale Ablehnung der Klimapolitik. Die überwiegende Mehrheit, auch in den Automobilbetrieben, ist sich einig, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss. Es gibt in diesen Belegschaften breite Zustimmung zu der Notwendigkeit von Maßnahmen. Selbst dort, wo der Widerstand gegen die Antriebswende groß ist, herrscht kein grundsätzlicher Zweifel an der Dringlichkeit des Klimaschutzes.

Aber wir wissen aus anderen Untersuchungen, dass die Zustimmung zur Klimabewegung deutlich zurückgegangen ist. Ein Manager hat uns fast wörtlich auf die Frage nach seinen Wünschen für die Zukunft geantwortet: »Kein Krieg und keine Klimakleber.« Argumente von Carsten Büchling, dem jetzigen Betriebsratsvorsitzenden von VW Kassel-Baunatal, für nachhaltige Verkehrssysteme mit reduziertem Autoverkehr werden unter der Arbeiterschaft durchaus aufgenommen, aber mit völlig anderen Schlussfolgerungen.

Es ist durchaus so, dass Verbrennungsmotoren weiterhin als zuverlässige und bewährte Technologie geschätzt werden. Dabei wird die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Klimaschutz anerkannt, allerdings verbunden mit der Forderung, diese nicht zu überstürzt und radikal durchzusetzen. »Machen wir langsamer mit der Transformation. In der Welt werden Verbrenner noch lange gefahren. Warum sollten wir jetzt mit der Produktion aufhören? Wir müssen auch Teile für diese Motoren liefern. Wir haben eine Teilegarantie von fünfzehn Jahren am Laufen«, entgegnete man uns in der Werkhalle. Flankiert werden solche Äußerungen teilweise mit plausiblen Argumenten, die man sonst eher von Seiten der Klimabewegung hört – etwa die Kritik an den Arbeitsbedingungen und der Zerstörung von Natur durch den Abbau von Lithium und Kobalt. Diese Bedenken verstärken die Skepsis gegenüber der Antriebswende erheblich und schaffen gleichzeitig ein enormes Widerstandspotenzial.

Die Klimapolitik der Grünen und Protestaktionen von Fridays for Future oder der Letzten Generation werden teilweise mit heftiger Vehemenz kritisiert. Gleichzeitig erleben wir in der deutschen Automobilindustrie die ersten Schließungen auf deutschem Boden. Wie hängen die ökologischen Transformationskonflikte nun mit dem Alltag der Arbeiterschaft zusammen?

Zum einen spiegeln sich die Transformationskonflikte sowohl in der Arbeitsweise als auch in der individuellen Lebensführung wider, die wie sie für die Arbeiterschaft der untersuchten Werke typisch sind. In einem Interview erklärte uns ein Opel-Arbeiter, der sich als »Autonarr« bezeichnete, sein Hobby bestehe darin, sein Auto auf 220 km/h zu tunen, um auf der linken Spur der Autobahn Teslas zu jagen, bis deren Akku überhitzt und der Tesla rechts ran fahren muss. Neben mir im Interview saß eine studentische Klimaaktivistin, die in ihrem Sitz zusammensackte. Man konnte förmlich spüren, wie es in ihr brodelte. Sie hielt sich selbstverständlich zurück. Allerdings schien der Opel-Arbeiter darauf aus zu sein, uns zu provozieren – aber warum?

Stell dir einen Arbeiter vor, der etwa in Bad Langensalza wohnt. Der Alltag ist vom Takt der Fabrik bestimmt: Wenn du die Frühschicht um 5:30 Uhr beginnen willst, stehst du um 3:20 Uhr auf. Acht Stunden Arbeit, mit zwei Pausen von nur 9 Minuten und einer etwas längeren Pause von knapp 30 Minuten. Die Arbeitstakte betragen 152 Sekunden, in denen immer wieder die gleichen Handgriffe in die engen Zeitvorgaben gedrückt werden. Sobald du nur eine kleine Störung verursachst, steht die gesamte Produktion. Alle wissen, du warst es.

»Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie leben sollen – und schon gar nicht von Menschen mit einem privilegierten Status, die von Bandarbeit keine Ahnung haben.«

Bei manchen Stationen handelt es sich eben auch um schwere körperliche Arbeit. Selbst bei routinierten Montagetätigkeiten muss heutzutage jedoch der Kopf eingeschaltet bleiben und es ist leider nicht so, wie Antonio Gramsci gehofft hat: »Ich handle automatisch und denke in der Zwischenzeit an die Revolution.« Die Arbeiterinnen und Arbeiter fügen sich harten ökonomischen und arbeitsorganisatorischen Zwängen in ihren alltäglichen Arbeitsweisen. Warum nehmen sie das auf sich? Einerseits gibt es ein Gehalt, was in Thüringen bei Produktionsarbeitenden sonst kaum zu finden ist. Hinzu kommen andererseits ein starker Betriebsrat und ein Tarifvertrag, was im Osten nicht selbstverständlich ist.

Um die Mikroebene des Transformationskonflikts am Beispiel des Opel-Arbeiters zu verstehen, würde dieser vielleicht etwas sagen wie: »Wenn ich das Werkstor verlasse, dann will ich frei sein, wirklich frei sein und mir nicht von Leuten, die von Bandarbeit keine Ahnung haben, vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen habe. Unter dem Vorwand der ökologischen Nachhaltigkeit drängt man mich dazu, das aufzugeben, was ich an meinem Leben gut finde und worauf ich Wert lege. Selbst wenn ich verzichte, fährt mein Manager trotzdem weiter Porsche oder einen anderen schicken Sportwagen.« Das wird als zutiefst kränkend und ungerecht empfunden und verursacht ein verstärktes Abwertungsempfinden, welches durch die monotone und kräftezehrende Arbeit ohnehin schon existiert.

So, und wenn man sich dem Arbeitstakt ständig fügt? In den Augen der Arbeiterinnen und Arbeiter kann es dann nicht sein, dass ständig Regeln gebrochen werden – oder noch neue Regeln auferlegt werden, die aus ihrer Sicht nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun haben. Das wird als reinste Zumutung empfunden. Bei manchen dieser Arbeiterinnen und Arbeiter ist das ein Punkt, der zu Aggressivität führt. Daher rührt dieser unglaubliche Hass, den es inzwischen gibt.

Es gibt Beschäftigte, die uns scherzhaft erzählen: »Die sollen sich mal vor mir auf der Straße festkleben und dann rutscht mir mal der Fuß von der Kupplung. Zack, dann ist das Problem gelöst.« Diese Gewaltfantasien sind an das direkte Abwertungsempfinden gekoppelt. Die Arbeiterschaft nimmt Zwänge des Arbeitslebens in Kauf, um nach Feierabend »wirklich frei zu sein«. Was sich hier zeigt, ist eine Abgrenzung gegenüber den externen Normierungen des eigenen Lebensentwurfs. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie leben sollen – und schon gar nicht von Menschen mit einem privilegierten Status, die von Bandarbeit keine Ahnung haben. Das ist der Grund, weshalb der eingangs zitierte Opel-Arbeiter die »grüne« Regierung und die Klimabewegungen als Hauptgegner sieht. Sie fühlen sich in den Klimadebatten nicht mitgedacht, empfinden diese als moralisierend und realitätsfern.

Diese Abgrenzungen können bis in das Management reichen und entgleiten in Distinktionskämpfe, bei denen es primär um die Verteidigung der eigenen Lebensweise geht – einer Lebensweise, die durch in der Region vergleichsweise gute Arbeitsverhältnisse mit hohem Einkommen und sozialen Absicherungen ermöglicht wird.

Vor allem mit der Antriebswende, in denen Produktionsabläufe neu definiert und optimiert werden müssen, fallen die Regeln und Organisationsabläufe innerhalb der Werke nicht einfach vom Himmel. Sie haben bereits angedeutet, dass der Politik der ökologischen Transformation mit viel Skepsis, teilweise auch mit Widerstand, begegnet wird. Wie genau kommen die Transformationskonflikte auf betrieblicher Ebene zum Ausdruck?

In diesen Betrieben herrscht die Situation, dass die Vorgesetzten die Unternehmensvorstellungen von ökologischer Nachhaltigkeit qua Direktionsrecht administrieren können. Die Produktionsarbeiter selbst haben keinen Einfluss darauf, was produziert wird und wie dies geschieht, selbst die starken Betriebsräte können da wenig ausrichten. Diese von oben auferlegte Kontrolle wird oft zähneknirschend hingenommen, was zu einer stillen, aber weit verbreiteten Ablehnung der Antriebswende führt.

Die ökologischen Vorgaben des Unternehmens werden von vielen Arbeiterinnen und Arbeitern am Hallenboden als Ausdruck bürokratischer Herrschaft wahrgenommen. Auch die Nachhaltigkeitspolitik, welche als notwendig erscheinen mag, wird letztendlich als von oben aufoktroyiert empfunden. Dahinter liegen wiederum die Kämpfe um soziale Chancen. Mittlere Führungskräfte und Beschäftigte profitieren im Rahmen der ökologischen Transformation von neuen Karrieremöglichkeiten.

Während diese Gruppe verstärkt in die Planungs- und Produktionsprozesse eingebunden ist und aktiv an ökologischen Projekten wie der Einführung von grünem Wasserstoff oder der Kreislaufwirtschaft arbeitet, bleiben die Arbeiterinnen und -arbeiter am Hallenboden weitgehend ausgeschlossen. Besonders diejenigen, die sich im Produktionsbereich befinden, mustern mit besonderer Aufmerksamkeit die wahrgenommene Doppelmoral derjenigen, die für ökologische Nachhaltigkeit eintreten, sich jedoch selbst ein eher luxuriöses Leben mit mehreren Autos leisten. Diese Konflikte verschärfen sich durch den Wettbewerb um soziale Chancen.

»Faktisch hat selbst die stärkste Gewerkschaft oder der stärkste Betriebsrat keinen Einfluss auf die Geschäftsmodelle.«

Weiterbildung und Spezialisierung, die Zugang zu attraktiveren Positionen innerhalb der ökologischen Transformation versprechen, bleiben der Produktionsebene vorenthalten. Andererseits sieht man als Stammbeschäftigter, dass andere die gleiche Arbeit in prekären Beschäftigungsverhältnissen, etwa als Leiharbeitskräfte leisten. Auch Stammkräfte müssen »just in time« arbeiten – sie müssen immer dann antreten, wenn sie gerade gebraucht werden. Der vergleichsweise hohe Verdienst wird als Schmerzensgeld dafür betrachtet, dass man Zeit zum Leben verliert, für Familie und Privatleben.

Die Arbeiter spüren deutlich, dass sie die Hauptlast der ökologischen Transformation tragen, während die Führungskräfte eher die Vorteile genießen. Hier wird klar deutlich, wie die ökologische Transformation in der Automobilindustrie zu einem Schauplatz für Verteilungskämpfe wird, die nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische Fragen betreffen.

Wie gelingt den Betriebsräten und Gewerkschaften nun der Spagat zwischen den ökologischen Ambitionen des Managements und der regressiven Stimmung am Hallenboden?

Faktisch hat selbst die stärkste Gewerkschaft oder der stärkste Betriebsrat keinen Einfluss auf die Geschäftsmodelle. Das VW-Werk in Baunatal ist in gewisser Weise ein Ausnahmefall, da es als Komponentenwerk keine Fahrzeuge zusammenbaut, sondern Komponenten für den Konzern liefert. In den 2010er Jahren wollte ein VW-Vorstand die Komponentenfertigung als überflüssig erklären und das Werk verkaufen oder schließen.

Der damalige, früher in der kleinen westdeutschen Kommunistischen Partei organisierte, Betriebsratsvorsitzende Stumpf und ein heimatverbundener Werksleiter hatten sich damals gefragt: »Wie retten wir das Werk?« und entwickelten den sogenannten Kasseler Weg. Dabei wurden alle wichtigen Entscheidungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung besprochen und bis auf die Belegschaften heruntergebrochen. Dort wurden auch Diskussionen am Hallenboden organisiert und sie gingen das Risiko ein, früh auf Elektromobilität umzustellen und zwar zu einem Zeitpunkt, als das noch nicht Mode war. Das hat dazu geführt, dass das Werk jetzt Leitwerk in Sachen E-Mobilität ist – sonst wäre es geschlossen worden.

Dieser indirekte Einfluss von Betriebsrat und Belegschaft auf Entscheidungen existiert nur informell und beruht auf einem Grundkonsens des Kasseler Wegs. Es geht darum, die großen Zukunftsprobleme gemeinsam anzugehen – und der Hauptgegner? Den verorten sie nicht entlang der Klassenlinie, sondern bei der Zentrale in Wolfsburg. Hier begegnen sich die Interessen von Management, Betriebsrat und Belegschaft in der Entscheidung, welche Produkte nun als nächstes beworben werden sollen und aufs Fließband kommen.

Was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, wird in den betrieblichen Aushandlungen zum Konfliktgegenstand. Es herrschte lange Zeit ein gewisses Gleichgewicht der Klassenkräfte, das auf Kooperation beruhte und ermöglichte, Konflikte so zu gestalten, dass sie transformativ wirkten. Voraussetzung dafür ist die Organisationsmacht und Konfliktfähigkeit als Schwert an der Wand, dass Belegschaft und Betriebsräte konflikt- und mobilisierungsfähig sind, sonst würde das nicht funktionieren. VW Kassel-Baunatal stellt eine Ausnahmesituation dar. Beide Seiten wissen, dass sie sich gegenseitig so viel Schaden zufügen könnten, dass es – aus einer spieltheoretischen Perspektive – klüger ist, zu kooperieren.

»Im Grunde beschwört die extreme Rechte eine Sehnsucht nach einer alten Republik herauf, die es so nie gegeben hat.«

Schaut man rüber in das Opel-Werk Eisenach war die Situation zum Zeitpunkt der Erhebung eine völlig andere. Dort entscheidet das Unternehmen strikt nach Profitabilität der Standorte im internationalen Vergleich. Immerhin gibt es mit dem Opel Grandland ein Fahrzeug, dass sowohl vollelektrisch als auch auf Hybrid- oder Verbrennerbasis gefertigt werden kann. Obwohl sie ein elektrisches Fahrzeug versprochen bekommen haben, sind die Investitionen verglichen mit anderen Betrieben gering. Es wird geschaut, wo am kostengünstigsten produziert werden kann, und dementsprechend werden die Produktionsentscheidungen ohne Debatten über ökologische Belange und Umsetzungsmöglichkeiten gefällt. Das Sicherheitsgefühl, das VW-Beschäftigte lange Zeit hatten, gibt es in Eisenach seit langem nicht mehr. Über die Mitbestimmungsmöglichkeiten, die der Kasseler Weg bei VW bietet, verfügen die Opelaner nicht. Doch mit der Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie, die bis 2029 gelten sollte, nähert sich VW nun einer Situation an, wie sie die Opelaner seit vielen Jahren kennen.

Wir haben uns jetzt vornehmlich mit Transformationskonflikten innerhalb der Werkgrenzen beschäftigt. Wie färbt das auf die politischen Ebenen ab?

Viele der betrieblichen Konflikte sind bis zu einem gewissen Grad stillgestellt. Auf gesellschaftlicher Ebene der Transformationskonflikte brechen sie dann wieder auf. Statt sich gegen das Management aufzulehnen, richtet sich die Kritik von einem Teil der Arbeiterschaft, aber auch vonseiten vieler Führungskräfte gegen die herrschende Politik. Die Politik der »grünen« Regierung sei, so die Wahrnehmung vieler Beschäftigter, von den Problemen der Otto Normalverbraucher losgelöst und wirklichkeitsfremd.

Diese Vorbehalte zusammen mit dem Wunsch, die ökologische Transformation zu verlangsamen, bieten der radikalen Rechten ein Einfallstor: Sie verspricht den Arbeiterinnen und Arbeitern, dass es völlig in Ordnung sei, an der bewährten Technologie festzuhalten und Veränderungen abzulehnen. Dabei bedient sie sich eines Narrativs, das den Klimawandel als Herrschaftsprojekt einer »globalen Elite« denunziert, die den Menschen mit dem Verbrenner das gute Leben wegnehmen wolle, während die AfD im Grund ein Weiter-so verspricht

Wenn neben den explodierenden Heizkosten das Heizungsgesetz unter Inflationsbedingungen eingeführt wird und die Kosten für Nahrungsmittel, Strom, Miete und so weiter in die Höhe schießen, sorgt das dafür, dass selbst relativ gut verdienenden Beschäftigten immer weniger Geld für das gute Leben übrigbleibt. In deren Wahrnehmung werden Maßnahmen zum Klimaschutz von der »grünen« Regierung diktiert, ohne dass die Belange der Arbeiterschaft berücksichtigt würden. Das setzt eine unheimliche Wut frei, die nicht nur von rechts außen, wie etwa der AfD, sondern auch von Medien wie der Bild-Zeitung angeheizt wird und gezielt Hass gegen die Grünen sät. Zwar betrifft das nicht die gesamte Belegschaft, aber einen erheblichen Teil, für den die Grünen als Hauptgegner gelten.

Gerade die »Klimakleber« und »Klimachaoten« werden in den Medien und der öffentlichen Debatte als Spalter inszeniert, die gezielt polarisieren wollen. Diese Zuschreibungen hat die AfD geschickt in ihre Rhetorik integriert, um eine klar definierte Gegenposition zur Klimabewegung einzunehmen. Welche Rolle spielt die AfD nun in den Transformationskonflikten?

Die AfD trat in unserer Studie in der Tat als stiller Vetospieler auf. Vetospieler ist ursprünglich ein aus der Politikwissenschaft entliehener Begriff. Wir wenden diesen ein bisschen zurechtgestutzt auf unsere Forschung an, im Sinne von »indirekt Einfluss nehmend«. Das tritt in Eisenach völlig offensichtlich zutage. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Betriebsräte schätzen, dass bis zu einem Drittel der Belegschaft die AfD wählt, die Werkleitung spricht gar von 40 Prozent. Das bedeutet natürlich konsequenterweise, dass dieser Einfluss auf die Haltung und die Denkweise der Belegschaften einwirkt. Die Strategie der AfD ist offensichtlich, sich mit der Transformation ein neues Feld zu erschließen, das zum Thema Nummer eins, Migration und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, hinzukommt.

Damit kommen sie in den Werken auch nur bedingt gut an?

Das stimmt, in Kassel mit vierzig Migrationshintergründen in der Belegschaft, wird die AfD-Politik vom größten Teil der Belegschaft abgelehnt. Allerdings erschließen sich die Rechtsextremen eben ein weiteres Feld, das der ökologischen Transformation. Sie suggerieren im Grunde, die in Berlin, in Brüssel und Straßburg redeten uns ein, dass wir uns verändern müssen. Das sind die »globalen Eliten«, die auf unsere Kosten Transformation machen und dagegen müssen wir uns wehren. Das ist die Botschaft.

Im Grunde beschwört die extreme Rechte eine Sehnsucht nach einer alten Republik herauf, die es so nie gegeben hat. Das ist das, was die AfD verkörpert. Weniger radikal und nicht ganz so schlimm findet sich die Sehnsucht nach der alten Republik, die es nie gegeben hat, auch bei Sahra Wagenknecht und ihrem BSW. Denn die suggerieren ebenfalls, man könne zum alten Sozialkapitalismus zurück. Das stimmt so aber nicht, denn wir haben es heutzutage mit völlig anderen Eigentumsverhältnissen zu tun. Dieses Ideologem des Vorwärts in die Vergangenheit funktioniert, denn damit positioniert man sich gegen Andersdenkende, die den sozial-ökologischen Umbau vorantreiben wollen. Die Rechtsextremen schaffen es damit tatsächlich, die soziale Frage umzudefinieren: Aus einem »Unten gegen Oben« wird ein Innen-Außen-Konflikt, der sich gegen die vermeintlich »leistungsunwilligen Ausländer, Migranten, Muslime, Menschen aus kulturellen Verkehrskreisen, die sich nicht integrieren lassen«, richtet und der in Deportationsphantasien gipfelt.

In Eisenach findet das bis in den Kreis der organisierten Gewerkschafter Anklang, während es in Baunatal nicht ganz so ausgeprägt ist. Diese völkische Ideologie kann sich dort widerspruchsfrei entfalten, wo es keine couragierten Leute gibt, die dagegenhalten. Aber rechtslastige Beschäftigte machen den Mund auch nicht so ohne Weiteres auf, wenn ihnen widersprochen wird. Deshalb wäre es falsch, eine anklägerische Haltung gegenüber Gewerkschaften und Betriebsräten einzunehmen, denn die Gewerkschaften und Betriebsräte sind jene Akteure, die immerhin in direktem und aktivem Kontakt zu Arbeitergruppen stehen. Als zivilgesellschaftliche Akteure in der Arbeitswelt sind sie unersetzlich. Das Problem ist aber, das Betriebsräte und Gewerkschaften nicht alles ausgleichen können, was in der Gesellschaft falsch läuft.

Wenn beispielsweise Bernd Lösche, Betriebsratsvorsitzender bei Opel Eisenach, in einer Versammlung auftritt und über den Klimawandel spricht, kann er hinterher in den sozialen Netzwerken eine Kommunikation sehen, die in Frage stellt, dass es diesen menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt. Klimaskeptizismus speist sich nicht nur aus den AfD-Kanälen, sie haben in Gera das Europäische Institut für Klima und Energie sitzen, das den menschengemachten Klimawandel leugnet, mindestens aber relativiert. Das gibt es auch in den sogenannten Qualitätsmedien, beispielsweise in der Welt oder anderen Tageszeitungen, wo sich Journalistinnen und Journalisten darüber auslassen, wie das Potsdamer Klimainstitut seine »Kipppunkt-Ideologie« in die Wissenschaft schmuggele. Die Zweifel werden überall gesät, auch seitens der FDP, aber schwerpunktmäßig von der AfD.

»Das Wegfallen der Umweltprämie, die den Absatz von E-Autos gefördert hat, wirkt industriepolitisch fatal. Das sollen nun die Belegschaften ausbaden.«

Dabei darf man die fachliche Kompetenz der AfD nicht überschätzen. Die bringen es tatsächlich fertig, sich vor das Werkstor in Eisenach zu stellen und Flugblätter für den Erhalt des Verbrenners zu verteilen. Dann könnte man das Werk sofort zu machen, wenn man dieser Devise folgen würde. Ohne den Grandland, der als vollelektrisches Fahrzeug herzustellen ist, wäre das Werk bereits tot. Trotzdem machen die AfDler das. Die finden trotz ihrer fachlichen Dummheit tatsächlich Gehör, weil sie vielen Beschäftigten aus der Seele sprechen, die mit Transformation vor allem die Deindustrialisierung der Nach-Wendezeit verbinden.

Es ist nun angeklungen, wie Mitbestimmungsrechte der Arbeiterschaft auf die Austragung der Transformationskonflikte einwirken. Können Sie das weiter präzisieren?

Bestimmte Betriebe, etwa in den Kohlerevieren der Lausitz, stellen Fälle dar, in denen Mitbestimmung eine entscheidende Rolle spielt. Wenn Mitbestimmung aber dazu führt, dass Unternehmensleitung und Betriebsräte gemeinsam mit der Gewerkschaft eine große Partei für Industrie und Arbeit bilden, die die Transformation mindestens herauszögern und entsprechende Industriepolitik betreiben will, dann wirkt das konservierend im Sinne von Erhalt bestehender Strukturen, die nicht zu halten sind. Das führt aber dazu, dass dann der Bruch umso härter kommt. Transformativ wäre der Konflikt, beispielsweise im ÖPNV, wo es immerhin gelingt, Bündnisse zwischen Verdi und der Klimabewegung zu formieren, wie sich etwa am 24-Stunden-Verkehrsstreik zeigt, den wir im letzten Jahr zusammen mit der EVG hatten.

In der Auto- und Zulieferindustrie handelt es sich um hybride Konflikte. Es ist noch offen, wie die Transformationskonflikte in Kassel verlaufen werden. Zum Zeitpunkt der Erhebung war eine leicht transformative Tendenz zu erkennen, weil die Betriebsräte entsprechend kooperativ positioniert sind. Das dürfte sich mit der Kampfansage der Konzernleitung verändern. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Als wir untersucht haben, fürchtete im Kassler VW-Werk niemand, arbeitslos zu werden. Das ist jetzt völlig anders. Die Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie seitens der Konzernspitze erzeugt nicht nur in Baunatal eine Schockwirkung. Dergleichen hat es in der Unternehmensgeschichte seit langem nicht gegeben. Dabei ist die ökonomische Situation wahrscheinlich weniger dramatisch als zu jener Zeit, während der die 28,8-Stunden-Woche eingeführt wurde. Die VW-Krise ist auch politisch induziert. Das Wegfallen der Umweltprämie, die den Absatz von E-Autos gefördert hat, wirkt industriepolitisch fatal. Das sollen nun die Belegschaften ausbaden.

In Eisenach war zunächst eher mit einer leicht konservierenden Tendenz zu rechnen, weil der stille Vetospieler AfD durch den politischen Einfluss auf die Belegschaft mit am Tisch sitzt. Bei Opel Eisenach, gibt es Betriebsräte und Vertrauensleute, die klar sagen, dass es zur AfD keine Alternative mehr gibt, weil diese Partei die Stimme des Volkes repräsentiere.

Die Beschäftigten und Betriebsräte wissen, dass die Tage des Verbrennungsmotors gezählt sind, weil in den Leitmärkten – China und den USA – längst Entscheidungen in Richtung E-Antriebe gefallen sind. Aber trotzdem halten viele am Verbrenner fest. Warum? Weil der Verbrenner für sie nicht nur ein Produkt ist, sondern für Sicherheit und Kontinuität steht. Deshalb können in der Autoindustrie sowohl konservierende als auch transformative Konfliktformationen auftreten. Bezogen auf die Mitbestimmung hängt es entscheidend davon ab, wie sich die Betriebsräte und Gewerkschafter positionieren. Nehmen sie selbst eine transformierende Haltung ein oder ist das nicht der Fall? Das ist der springende Punkt.

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Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mit-Herausgeber des kürzlich erschienen Sammelbandes »Die Zukunft des Automobils. Innovation, Industriepolitik und Qualifizierung für das 21. Jahrhundert« sowie Ko-Autor des kürzlich erschienen Beitrags »Klasse gegen Klima? Transformationskonflikte in der Autoindustrie«.

 

 

 

 

Der Beitrag erschien auf https://jacobin.de/und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt.

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