Die Krise zeigt das Dilemma der Minijobs auf – mit fatalen Folgen für die Beschäftigten

Minijobs-Ausstellung-Husum-Gewerkschaftsbund-Über sieben Millionen Menschen in Deutschland waren zu Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise geringfügig beschäftigt, sie waren als Minijobber tätig. Bereits im März 2020 wurden 224.000 von ihnen von heute auf morgen gekündigt. Obwohl eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bei Minijobs gilt, wurde sie in den meisten Fällen geflissentlich übergangen. Minijobber waren die ersten Beschäftigten, die in der neuen Krise entlassen wurden und den Kurzarbeitergeldschirm gab und gibt es für sie auch nicht. Allein zwischen Ende Juni 2019 und Ende Juni 2020 sind bundesweit rund 516.000 Minijobs weggefallen. In knapp 386.000 Fällen waren Beschäftigte betroffen, die über den Minijob hinaus kein weiteres Beschäftigungsverhältnis hatten. Zudem wurden rund 130.000 geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse im Nebenjob gestrichen.

Die Zahl der Neben-Minijobs hatte bis zum Rückgang in der Krise über Jahre hinweg  stark zugenommen. Nun hat sich die Prekarität vieler Minijobs besonders deutlich gezeigt: Weil für geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird, konnten sie auch nicht über Kurzarbeit abgesichert werden. Die Auswirkungen wurden dadurch noch verschärft, dass 450-Euro-Minijobs insbesondere in Branchen wie Gastronomie und Handel verbreitet sind, die unter den Kontaktbeschränkungen stark litten.

Problematisch sind Minijobs auch in normalen Zeiten, auch weil den Beschäftigten oftmals wichtige Rechte wie der Mindestlohn, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub nicht gewährt werden. Für viele geringfügig entlohnte Beschäftigte ist es nicht möglich, ihre Stundenzahl auszuweiten. Dadurch ergeben sich insbesondere für verheiratete Frauen Nachteile bei der Alterssicherung.

Die „Flexibilität durch Minijobs“ nutzen die Unternehmen nun in der Krise, um Personal schnell abbauen zu können. Gleichzeitig räumte die Bundesregierung für die Übergangszeit vom 1. März 2020 bis 31. Oktober 2020 den Unternehmen ein fünfmaliges Überschreiten der monatlichen Verdienstgrenze von 450 Euro ein. Das war die Steilvorlage für die organisierte Unternehmerschaft und interessierte FDP- und CDU- Kreise, lautstark die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs von 450 auf 530 Euro im Monat zu fordern. Die NRW CDU/FDP-Regierung verpackte nun die Anhebung der Verdienstgrenze als Bundesratsinitiative des Landes NRW zum „Bürokratieabbau“.

Aktuelle Entwicklung 

In Deutschland gab es zum Stichtag 30. Juni 2020:

  • Knapp 7,1 Millionen Beschäftigte, die einen 450-Euro-Minijob hatten.
  • Gegenüber 2019 sank die Zahl der Minijobs bundesweit um 6,8 Prozent. Besonders starke Rückgänge gab es beispielsweise im Schwarzwald-Baar-Kreis (-18,2 Prozent) oder in Delmenhorst sowie Frankfurt an der Oder, wo jeweils 16,4 Prozent der Minijobs verschwanden.
  • Für gut 2,8 Millionen Personen war die geringfügig entlohnte Beschäftigung ein Nebenjob.
  • Etwa 4,25 Millionen oder 11,3 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland übten zu diesem Zeitpunkt jedoch ausschließlich einen Minijob aus.
  • Von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten waren mehr als 60 Prozent Frauen.
  • Auch bei der regionalen Verteilung in Deutschland gab es große Unterschiede. Generell waren 450-Euro-Minijobs als Hauptbeschäftigung in Westdeutschland mit 12,0 Prozent aller Beschäftigten viel verbreiteter als in Ostdeutschland (8,0 Prozent). Die Differenz hängt eng mit der deutlich höheren Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten zusammen.
  • Der Geschlechterunterschied waren  bei den Nebenjobs etwas schwächer ausgeprägt als bei der ausschließlichen Minijob-Beschäftigung. Rund 55 Prozent wurden von Frauen ausgeübt, 45 Prozent von Männern. Auch hier bestehen beachtliche regionale Unterschiede: Im Westen haben 8,2 Prozent der Beschäftigten einen Nebenjob, im Osten sind es nur 4,0 Prozent.
Minijobs zur Eindämmung der illegalen Arbeit

Im Jahr 2003 wurden die Minijobs von der rot-grünen Regierung grundlegend reformiert, um vor allen Dingen die illegale Arbeit in privaten Haushalten als Reinigungs- oder Nachhilfekräfte einzudämmen und sie sollten als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt als Vollzeitkraft dienen.

Die Minijobber werden heute aber weniger im Privathaushalt eingesetzt, sondern vor allem in der Gastronomie, in Werkstätten und im Gesundheitswesen.

Auch das Ziel der Verringerung der illegalen Arbeit wurde nicht erreicht, trotz Ausweitung der Minijobs. Anfang 2020 waren über sieben Millionen Menschen in Deutschland als Minijobber tätig und obwohl das Märchen vom Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt immer wieder erzählt wird, wird es deshalb nicht wahrer. Die ihnen zugedachte Brückenfunktion zur Vollzeitstelle ist nicht eingetreten, der Klebeeffekt ist deutlich ausgeprägter, weshalb es sich mehr um eine beschäftigungspolitische Sackgasse handelt.

Minijobber ersetzen Vollzeitstellen, umgehen Steuerzahlungen und Rentenbeiträge und tragen kaum etwas zur Altersvorsorge bei

Etliche Unternehmen haben das Konstrukt Minijob genutzt, um flexibler zu sein und haben ihre Vollzeitstellen durch mehrere Minijobber ersetzt. Für die fest angestellte Kassiererin arbeiten dann drei Minijobber oder in der Gastronomie ersetzen drei studierende junge Leute den langjährig vollzeitbeschäftigten Kellner.

Minijobber haben für die Unternehmen auch noch den Vorteil, dass sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne fordern, sie wagen es nicht zu streiken oder gar einen Betriebsrat zu gründen.

Knapp 4,4 Millionen Beschäftigte sind auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen, weil sie keine andere Arbeit als ihn haben, darunter sind viele studierende, alleinerziehende und alte Menschen mit geringen Renten.

Weil die Minijobber keine Abgaben zahlen, haben sie auch kein Recht auf Leistungen wie Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Wenn sie, wie jetzt, ihre Beschäftigung verlieren, rutschen sofort einige hunderttausend Menschen in HARTZ-IV bzw. Sozialgesetzbuch II / Grundsicherung ab.

Bei den Minijobs sind Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Ansprüche noch immer an der Tagesordnung. So erthält etwa ein Drittel der Beschäftigten keinen bezahlten Urlaub und beinahe genauso viele müssen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten.

Seit Jahren wird bei jeder Lohnerhöhung oder Erhöhung des Mindestlohns von der organisierten Unternehmerschaft die Erhöhung der 450 Euro-Grenze gefordert, denn wenn in einem Minijob mehr als 450 Euro verdient wird, müssen die Beschäftigten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Das soll aber auf jeden Fall verhindert werden, denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht macht diese Beschäftigungsform für die Unternehmen erst so attraktiv. Deshalb wird auch flächendeckend getrickst, z.B. indem man den Mindestlohn unterläuft, die Arbeitszeit reduziert, Arbeitsmittel in Rechnung stellt und Trinkgelder anrechnet, um die 450 Euro-Grenze nicht zu überschreiten.

Mehr als 80 Prozent der geringfügig entlohnten Minijobber lassen sich von der Rentenversicherungspflicht befreien und verzichten damit auf deren Schutz. Im Alter sind diese Menschen dann auf die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII angewiesen.

Selbst bei der Rentenversicherungspflicht wirkt sich der Minijob nur geringfügig auf die Rente aus (alle folgende Bruttowerte auf  Basis des Jahres 2017): Ein Jahr Minijob bei einem monatlichen Verdienst von durchgehend 450 Euro entspricht bei alleiniger Pauschalbeitragszahlung des Arbeitgebers im gewerblichen Bereich einem zukünftigen Rentenzuwachs von etwa 3,62 Euro pro Monat. Die Situation bei Minijobs in Privathaushalten ist noch trostloser, hier erwerben Beschäftigte bei einem Jahr Minijobarbeit mit einem monatlichen Verdienst von durchgehend 450 Euro bei alleiniger Pauschalbeitragszahlung des Haushalts nur 1,21 Euro Rentenzuwachs pro Monat. Bei voller Beitragszahlung erwerben die geringfügig beschäftigten Menschen bei einem monatlichen Verdienst von 450 Euro pro Jahr einen Rentenzuwachs von 4,51 Euro pro Monat.

Aktuelle Krise macht erstmals das Überschreiten der monatlichen Verdienstgrenze möglich

Die Unternehmen beschäftigen aufgrund der Corona-Maßnahmen ihre 450-Euro-Minijobber teilweise in größerem Umfang als ursprünglich vereinbart. Das kann schnell zum Überschreiten der monatlichen Verdienstgrenze von 450 Euro führen. Für eine Übergangszeit vom 1. März 2020 bis 31.Oktober 2021 ist nun sogar ein fünfmaliges Überschreiten jährlich möglich und die Zeitgrenzen für die kurzfristige Beschäftigung wurden von 3 Monaten oder 70 Arbeitstagen auf 4 Monate oder 102 Arbeitstage angehoben.

Weil das so einfach vonstatten ging, kommen nun all diejenigen aus der Deckung, die das „System Minijob“ weiter ausbauen wollen. Sie fordern die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs von 450 auf 530 Euro im Monat. Dabei suggerieren sie, dass der Lohn bei den Minijobs genauso wie die Löhne insgesamt regelmäßig steigen sollte und die letzte „Steigerung“ im Jahr 2013 erfolgt sei. Doch das ist reine Augenwischerei, wie man seit der Einführung des Mindestlohns und die jährliche Steigerung sehen konnte, denn es müssen dann weniger Arbeitsstunden abgeliefert werden, um die Verdienstgrenze nicht zu überschreiten.

Die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs auf 530 Euro würde dazu führen, dass der Versicherungsschutz für viele Tausend Beschäftigte verloren geht, sie erhielten dann weder Arbeitslosen- noch Kurzarbeitergeld.

Staatliche Subventionierung der geringfügigen Beschäftigung

Mit der rechtlichen Möglichkeit der Pauschalbesteuerung sind die Verdienste der Minijobber steuerfrei gestellt, das kommt einer staatlichen Subventionierung der geringfügigen Beschäftigung gleich. Auch deshalb haben sich geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, wie die Minijobs, lange schon als „alternative“ Beschäftigungsform am Arbeitsmarkt etabliert. Doch die damit intendierten Effekte werden nicht erreicht. Auch kommen die Subventionen Beschäftigtengruppen zugute, denen sie nicht zugedacht waren.

Zusätzlich springt der Staat ein, wenn die Minijobs zum Leben nicht ausreichen oder wenn erwerbslose Menschen diese Form der Beschäftigung wählen müssen. Durch die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) muss dann der Verdienst „aufgestockt“ werden, auch weil bei Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt wird.

Ausnutzung der Wirtschaftskrise zum weiteren Abbau von Arbeitsrechten

Die organisierte Unternehmerschaft begrüßt die jüngsten Vorstöße zum Abbau von Rechten der Beschäftigten und bekräftigt, dass „alles, was in diesen schwierigen Zeiten Einstellungen erleichtert und Beschäftigung sichert, können wir nur unterstützen. Überdies zeigt die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs, dass die Politik auch jenseits hoher finanzieller Ausgaben eine ganze Menge tun kann, um Unternehmen zu entlasten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken“.

Minijobs verhindern Lohnerhöhungen, verdrängen reguläre Arbeitsplätze, fördern die Altersarmut und bilden in der Krise einen Großteil der Reservearmee an Arbeitskräften.

Es ist höchste Zeit, dieses Arbeitsmodell endlich aufzugeben. Eine grundlegende Revision der Minijobregelungen ist  überfällig.

 

 

 

 

 

Quellen: Zeit Online, Minijob-Zentrale, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dgb.de, BA, labournet, Zentralverband des Deutschen Handwerks 

Bild: Minijobs-Ausstellung-Husum-Gewerkschaftsbund