Wenn die Wohnkosten explodieren wie gegenwärtig, gelten gemeinnützige Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften oft als wichtige Alternative zum ungesteuerten kapitalistischen Wohnungsmarkt. Früher waren solche Organisationsformen nicht nur im Wohnungs- und Finanzwesen (z.B. Sparkassen), sondern auch in anderen wirtschaftlichen Bereichen, etwa als Konsumgenossenschaften, weiter verbreitet als heute.
Eine große, von den Gewerkschaften gegründete gemeinnützige Wohnungsgesellschaft war die Neue Heimat (NH). Sie entstand unter anderem Namen in der Weimarer Republik, wurde in der NS-Zeit der Deutschen Arbeitsfront unterstellt und nach dem Krieg von der britischen Treuhandverwaltung den Gewerkschaften zurückgegeben. Das wichtigste Ziel war zunächst, zur Behebung der großen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg beizutragen. Von Hamburg ausgehend, breitete sie sich durch Übernahme gleichartiger Unternehmen in den 1950er Jahren auf viele Bundesländer aus. Innerhalb weniger Jahre baute sie tausende von Wohnungen wieder auf und errichtete in großem Umfang neue. In den folgenden Jahrzehnten wuchs sie zum größten nichtstaatlichen Wohnungskonzern Europas an. In den 1970er Jahren verwaltete sie über 400.000 Wohnungen. Anfang der 1980er Jahre brach sie zusammen. Wie konnte das geschehen?
Die Ausstellung „Die Neue Heimat [1950-1982]. Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten“, die von Ende Juni bis Anfang Oktober 2019 im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen war (demnächst auch in Frankfurt/M. und Berlin), hat viel Material dazu zusammengetragen – Informationstexte, Fotos, Organisationsschemata, Modelle, Filmaufnahmen und anderes. Gezeigt wird die Geschichte des Konzerns von den Anfängen bis zum Zusammenbruch. Im Mittelpunkt stehen aber die Bauten, die die NH entwarf und errichtete, vom sozialen Wohnungsbau bis hin zu Kongresszentren und ganzen Stadtvierteln. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie moderner Wohnungs- und Städtebau gestaltet werden kann und sollte.
Die NH gehörte zu einer großen Gruppe von gewerkschaftseigenen Unternehmen. Ihr Grundgedanke bestand darin, einen gemeinnützigen Sektor der Wirtschaft aufzubauen, der unabhängig vom Auf und Ab kapitalistischer Marktmechanismen funktionierte und für die arbeitende Bevölkerung günstige Wohnungen, Waren und Dienstleistungen anbot, und zwar unter gesicherten, sozial ausgewogenen Arbeitsverhältnissen für die Beschäftigten. Diese alte sozialdemokratische Utopie zerbrach mit dem Untergang des gewerkschaftseigenen Wirtschaftsbereichs in den 1980er und 1990er Jahren.
Die NH errichtete kostengünstige, einfache, aber mit modernen Bädern und Küchen ausgestattete Wohnungen. Um die Baukosten niedrig zu halten, war die äußere Gestaltung einfach und man griff immer mehr zu industriell vorgefertigten Teilen. In vielen Fällen erhielt das Unternehmen von Städten und Gemeinden, die den sozialen Wohnungsbau fördern wollten, Aufträge und Grundstücke. Der Siedlungsbau orientierte sich anfangs an Leitideen der Gartenstadtbewegung mit viel Grün und der Trennung von Autoverkehr und Fußgängerbereichen. Ab den 1960er Jahren übernahm die NH die Planung und Errichtung ganzer Stadtteile, etwa Neuperlach in München, Mümmelmannsberg und Steilshoop in Hamburg. Dazu gehörten auch Schulen und Kindergärten, Einkaufszentren, Krankenhäuser, Schwimmbäder und anderes. Aus Kostengründen baute man hohe Wohnblocks, allerdings mit Grünflächen dazwischen. Dem Zeitgeist entsprechend kamen bald auch Hochhäuser mit 15 und mehr Stockwerken hinzu.
Aus heutiger Sicht war es ein Frevel, heruntergekommene Stadtteile, etwa das Gänsbergviertel in Fürth, fast völlig abzureißen und stattdessen große Betonklötze zu errichten, aber dies entsprach der damaligen Denkweise in Architektur und Kommunalpolitik. Heute würde man wahrscheinlich anders entscheiden und die Altbauten retten. Die Errichtung ganzer Stadtteile auf neu ausgewiesenen Bauflächen in Sparbauweise wirft allerdings die Frage auf, ob die Bauherren und die Baugesellschaft sich wirklich nicht darüber klar waren, dass dort soziale Gettos entstehen könnten; denn mit einer sozialen Durchmischung war dort nicht zu rechnen. Offenbar waren hier oft bereits auch Geschäftsinteressen im Spiel, die dazu führten, warnende Stimmen zu ignorieren.
Es gab anscheinend durchaus Lernprozesse. Als in Hameln in den 1960er Jahren die Altstadt saniert werden sollte, lagen zunächst auch Abriss- und Neuerrichtungspläne vor. Wegen starker Proteste in der Bevölkerung blieben dann aber viele alte Gebäude stehen. In den folgenden Jahren bemühte sich die NH, den durch die Fehlentwicklungen entstandenen Ansehensverlust durch Baukonzepte mit größerer Vielfalt und mehr Abwechslung zu verbessern. Selbstdarstellungen des Konzerns in Film und Bild aus den 1970er Jahren zeigen ein breites Spektrum von Bauweisen und Projekten, die nicht mehr nur kahle, eintönige Fassaden besaßen, sondern oft auch lebhaft, bunt und abwechslungsreich gestaltet waren. Die NH-Häuser in der Lagunenstadt Port Grimaud in Frankreich sind dafür ein gelungenes Beispiel.
Mit der Zeit wagte sich die NH immer häufiger an große Projekte, die nicht zum Wohnungsbau gehörten. Um nicht in Konflikt mit gesetzlichen Bestimmungen für den gemeinnützigen Wohnungsbau zu geraten, wurde 1969 mit Gewerkschaftsmitteln die Neue Heimat Städtebau G.m.b.H. gegründet, die nun, offen gewinnorientiert, auch Bauten zum Verkauf an Kommunen, Privatleute und Investoren errichtete. De jure separate Unternehmen, waren beide de facto personell und organisatorisch eng verwoben.
Ein gigantisches Projekt aus Wohnungen, Gewerbe- und Einkaufsflächen, durch das der zur Sanierung vorgesehene Hamburger Stadtteil St. Georg eine an New York erinnernde Skyline erhalten hätte, fand zunächst offenbar in einigen politischen Gremien Anklang, scheiterte dann aber am Widerstand lokaler Gewerbetreibender. Es hätte der Hamburger Stadtmitte ein völlig anderes Gesicht gegeben.
Ein immer größerer Teil der Tätigkeit der NHS spielte sich im Ausland ab. Schon in den 1960er Jahren hatte die NH begonnen, in Frankreich, Israel, Ghana und Brasilien Wohnungen zu bauen. In den 1970er Jahren expandierte sie in viele andere Länder der Welt. In Italien, Venezuela, Mexiko, Kanada, Saudi-Arabien und weiteren Ländern baute sie Wohnungen aller Art von genossenschaftlichen Siedlungen über Ferienwohnungen bis zu Miethochhäusern, aber auch Hotels und sogar ein Schloss. Auch die Gehälter der Vorstandsmitglieder stiegen. Der Vorstandsvorsitzende Albert Vietor begründete die Spitzengehälter für sich und seine Vorstandskollegen von jährlich 400.-500.000 DM – also mehr als das Doppelte des damaligen Gehalts des Bundeskanzlers – in einem Interview damit, dass dies bei einer Konzerngröße wie der der NH üblich sei.
Im Februar 1982 enthüllte die Wochenzeitschrift ‘Der Spiegel’, dass Vorstandsmitglieder sich auch durch illegale Geschäfte bereichert hatten, unter anderem durch private Beteiligung an Tochtergesellschaften, durch überhöhte Nebenkostenabrechnungen für Mietwohnungen (auch das gab es damals bereits!) und durch überteuerten Weiterverkauf von Immobilien. Außerdem hatte Vietor, teils über einen Strohmann, 270 Wohnungen und eine Villa im Tessin privat erworben. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die NH durch Fehlinvestitionen finanziell in Schwierigkeiten steckte. Unter anderem hatte sie in Lateinamerika für 1,7 Milliarden DM mit Krediten verlustbringend Grundstücke erworben. 1982 machte die NH fast 270 Millionen DM Verlust. Zur Sanierung begann die Gesellschaft, Wohnungen zu verkaufen. Doch dies erwies sich als schwierig, weil durch Sozialbindung und Gemeinnützigkeit viele staatliche Zuschüsse zu berücksichtigen waren, so dass man sie nicht einfach an private Interessenten veräußern konnte. Schließlich waren es überwiegend Kommunen und andere öffentliche Körperschaften, die Teile erwarben. Was wenige Jahre zuvor niemand für möglich gehalten hatte, geschah: Der Riese schwankte und fiel. Der gesamte Wohnungsbestand im In- und Ausland wurde verkauft. Schließlich hatten die Gewerkschaften noch für insgesamt mindestens eine Milliarde DM Schulden aufzukommen – bezahlt von den Beiträgen der Mitglieder. Im Bundestag und mehreren Bundesländern wurden parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt, um der Zweckentfremdung gemeinnütziger Mittel nachzugehen. Den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der Gewerkschaften gelang es nie, sich von diesem Zusammenbruch zu erholen. Später mussten auch wichtige andere Gewerkschaftsunternehmen, darunter die Bank für Gemeinwirtschaft und die Volksfürsorge, wegen finanzieller Schwierigkeiten verkauft werden.
Was war der Grund des Sturzes der NH? Die Ausstellung lässt die Besucher mit dieser Frage weitgehend allein. Als wichtigster Grund wird oft die Korruption im Vorstand genannt. Doch im Vergleich zum Konzernvermögen waren die Summen, um die es dabei ging, relativ gering; sie lagen im zweistelligen Millionenbereich, also deutlich unter einem Prozent des Vermögens.
Der Grund für die finanzielle Schieflage waren anscheinend vor allem Fehler im Auslandsgeschäft, unter anderem die missratenen Grundstücksspekulationen in Lateinamerika. Man hatte dort immer wieder Aufträge übernommen, ohne sich genügend auszukennen. So wurde z.B. das Risiko von Währungsverlusten anscheinend nicht ausreichend berücksichtigt. Einmal auf die schiefe Ebene geraten, gab es kein Halten mehr. Offenbar galt die NH vielen Banken nun nicht mehr als kreditwürdig, so dass die Schwierigkeiten kumulierten, während die Kosten weiterliefen.
Gegner gemeinwirtschaftlicher Unternehmen führen den Niedergang der NH gern als Beleg dafür an, dass derartige Konstruktionen letztlich ineffektiv seien und zu Misswirtschaft führen. In der Tat waren es falsche wirtschaftliche Entscheidungen, die die beiden Konzerne zu Fall brachten. Durch das fortgesetzte Wachstum von den 1950er bis in die 1970er Jahre wurde ihr Führungspersonal wahrscheinlich zunehmend vor Aufgaben gestellt, mit denen sie keine Erfahrung besaßen, so dass sich fatale Fehler häuften. Aber Fehlentwicklungen gibt es in Konzernen der Privatwirtschaft auch. Dort hätte allerdings in solch einem Fall vermutlich der Aufsichtsrat eingegriffen und den Vorstand ausgetauscht. Dergleichen geschah beim DGB nicht bzw. viel zu spät – erst, nachdem die Presse über die Missstände berichtet hatte.
Eine nüchterne Bilanz der 40-jährigen Geschichte der NH zeigt, dass der schlechte Ruf, der ihr anhängt, nicht generell berechtigt ist. Das negative Bild in der Öffentlichkeit steht in Zusammenhang mit der baulichen Monotonie von Stadtvierteln wie Steilshoop, vor allem aber damit, dass in solchen Quartieren nach der Errichtung oft eine sozial problematische Zusammensetzung der Bevölkerung mit relativ hoher Armut vorherrschte. An beidem trug nicht die Gemeinnützigkeit der Baugesellschaft die Schuld; solche Neubauviertel wurden damals auch von privaten Baugesellschaften im Auftrag von Kommunen errichtet. Lange Jahre hindurch hat die NH mit sparsamen Mitteln in großem Umfang moderne Wohnungen mit sozial erschwinglichen Mieten errichtet. Die meisten existieren bis heute. Manche stehen sogar unter Denkmalschutz. Es wäre oft besser gewesen, nicht so geballt zu bauen und die Gebäude abwechslungsreicher zu gestalten. Aber solche ästhetischen Fragen unterliegen starkem zeitlichen Wandel und werden auch je nach sozialem Milieu verschieden beantwortet. Dass sie auch anders bauen konnte, hat die NH in den 1970er Jahren bewiesen. Ihr grundlegender Fehler war ihr Expansionsdrang: durch immer größere und immer weiter entfernte Projekte in fremden Ländern übernahm sich der Konzern. Und der DGB versagte dabei, die Fehlentwicklungen durch schärfere Beaufsichtigung zu verhindern. Die NH wäre besser dabei geblieben, in Deutschland Sozialwohnungen zu bauen.
Es gibt noch einige weitere Argumente für diese Unternehmensform: Die NH und ihre Tochtergesellschaften hatten ihre Beschäftigten, auch die auf den Baustellen, ordentlich entlohnt. Und die Vertreter des Konzerns wiesen immer wieder stolz darauf hin, dass sie in der Regel trotz engen Zeitplans den Kostenrahmen eingehalten hatten. Auch das ist heute keine Selbstverständlichkeit.
Es ist schade, dass das Ansehen der gemeinnützigen Wirtschaftsunternehmen durch den Niedergang der Gewerkschaftsunternehmen so gelitten hat. In Krisenzeiten der Wirtschaft zeigt sich: Wir könnten wieder mehr davon brauchen.
Der Artikel erschien zuerst in der hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg. https://www.gew-hamburg.de/veroeffentlichungen/hlz-mitgliederzeitung Bild: ngg.de