Der Abschlussbericht vermittelt, es ist alles in Ordnung. Die bisherige Rentenpolitik ist nicht zu beanstanden. Altersarmut? Gesunkenes Rentenniveau? Kommt im Bericht nicht vor. Privatvorsorge? Hat sich positiv verbreitet. Die zentrale Fragestellung der Kommission war: wie können die Kosten des Babyboomer-Bergs ab 2025 begrenzt werden? Ihre Antwort auf einen Nenner gebracht lautet: Die Rentner werden mehr, deshalb müssen die Renten sinken. Dazu ist der ab 2001 eingeschlagene Kurs konsequent fortzusetzen, mit drei zentralen Elementen.
1. Die Absenkung des Rentenniveaus soll fortgesetzt werden.
Die Zauberformel lautet hierbei „Doppelte Haltelinien“, die „vor Überforderung schützen“ sollen. Zwei Korridore werden genannt. Das Rentenniveau (Netto vor Steuern) soll zwischen 44% und 49% betragen, der Beitragssatz in einer Bandbreite von 20% bis 24%.
Angaben, ab wann welche Werte gelten sollen, fehlen. Der Gesetzgeber soll sie alle sieben Jahre neu festlegen. Perspektivisch, aber mehr orientierend und unverbindlich, für den Zeitraum von 15 Jahren.
Der Versicherungslobbyist Börsch-Supan fordert in einem Sondervotum, dass die Kommission sofort und langfristig konkrete Haltelinien formulieren soll.
Die DGB-Vertreterin Annelie Buntenbach verlangt, die unterste Haltelinie bei 48%, dem gegenwärtigen Niveau, festzulegen und in einem nächsten Schritt auf 50% anzuheben.
Die Intervention von Annelie Buntenbach scheint löblich. Ist es aber nicht, denn a.) segnet sie die Niveauabsenkungen der letzten 20 Jahre ab (Netto vor Steuern von 53% auf 48%, also um 9,5%) und b.) wird ausgeblendet, dass die jährlich ansteigende Rentenbesteuerung das tatsächliche Nettoniveau zusätzlich verringert hat und weiter verringern wird.
Privatvorsorge steigern und kräftiger fördern
Die Kommis2. ion stellt fest: „Die vor knapp 20 Jahren eingeleiteten Maßnahmen zum Ausbau der privaten und betrieblichen Altersvorsorge haben durchaus positiv auf ihre Verbreitung gewirkt.“ Nur leider, wird dann beklagt, stagnierten die Riester-Verträge seit Jahren (Zahlen werden nicht angegeben – hier die Nachhilfe) und die betriebliche Altersversorgung mit Entgeltumwandlungen sei rückläufig (auch hier keine Zahlen).
Also Anlass zu einer kritischen Überprüfung der 2. und 3. Rentensäulen? Keineswegs. Die Riesterförderungen aus Steuergeldern sollen erhöht werden, die Transparenz der Verträge und ihrer Performance verbessert werden (diese Ankündigung wird seit 2008 jedes Jahr von den Bundesregierungen wiederholt), die betriebliche Altersversorgung soll auch stärker steuerlich befördert werden und nach Möglichkeit verpflichtend für die Beschäftigten ausgestaltet werden. Zur Frage, wie ein Obligatorium verfassungskonform aussehen könnte, wurde noch im Oktober 2019 ein Rechtsgutachten geliefert.
Dass es Bemühungen gibt, private Vorsorge und betriebliche Altersversorgung europaweit einheitlich zu regeln, verschweigt der Kommissionsbericht. Siehe auch den Punkt „Eine Dienstreise nach Frankreich“ weiter unten.
Dafür bekommt dann der neu empfohlene Alterssicherungsbeirat die Aufgabe, den bisherigen Sozialbeirat der Bundesregierung zu ersetzen, indem er seine Expertise nicht nur zu der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch zur Entwicklung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge abgeben soll.
3. Höheres Renteneintrittsalter – Festlegung nur vertagt
Eine Anhebung der Regelarbeitsgrenze über 67 Jahre hinaus wurde keineswegs abgelehnt. Es wurde lediglich empfohlen, dieses nicht zum jetzigen Zeitpunkt zu entscheiden. Eine Empfehlung dazu solle der neu zu schaffende Alterssicherungsbeirat im Jahre 2026 für die Zeit nach 2031 erarbeiten.
Die Begleitmusik des Kommissionsberichtes.
Es ist schon erstaunlich und ungewöhnlich. Die Kommission verzichtet völlig auf eine Bestandsaufnahme und damit auf eine Analyse der Probleme, die zu lösen wären. Vergangenheit interessiert sie nicht, Lehren daraus auch nicht, sie schaut gleich unbelastet nach vorne.
Im Bericht gibt es viel Blumiges, Wolkiges und beruhigend Klingendes. Der Generationenvertrag wird über den grünen Klee gelobt. Die gesetzliche Rente solle auskömmliche Renten zahlen. Die Anpassungsfähigkeit der Umlagefinanzierung und der Solidarausgleich über den Lohnbezug der Renten wird herausgestrichen und vieles mehr. Das liest sich gut. Aber die Kommissionsergebnisse bringen das Gegenteil: Die gesetzliche Rentenversicherung wird weiter zerstört und die Privatvorsorge dagegen stärker gefördert.
In mehreren Meldungen wurde behauptet, die Kommission würde empfehlen, neue Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Das ist falsch. Der Kommissionbericht ventiliert diese Frage bestenfalls. Es würde zwar das Gerechtigkeitsempfinden befördern, aber finanziell keine Vorteile bringen. Es müsste auch eine staatlich finanzierte Zusatzversorgung für Beamte aus der Taufe gehoben werden und das Ganze wäre „technisch und rechtlich keineswegs trivial“. Soso – wenn das nicht trivial ist, warum hat denn die Kommission dazu nicht auch ein Gutachten erstellen lassen, wie zur Frage, wie verpflichtende private Vorsorge verfassungskonform ausgestaltet werden kann?
In den Medien wurde der Eindruck vermittelt, der Bericht sei „erschreckend harmlos“, ein „enttäuschender Bericht“, die Kommission habe die „Akzeptanz und Zukunft der Rente verspielt“. Obwohl die Arbeit der Kommission unter absoluter Geheimhaltung stattfand, verkündete Kommissionsmitglied Dr. Börsch-Supan schon vor zwei Monaten: „Erwarten Sie nichts“. Nach Veröffentlichung des Berichts schäumte er regelrecht: Da waren „Drückeberger am Werk“, die „Vorschläge (sind) ein Verrat an den Jüngeren“. Börsch-Supan leitet das Munich Center for the Economics of Aging (MEA), das 2001 mit starker finanzieller Unterstützung des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gegründet wurde. Er saß als Lobbyist in der Kommission.
Der Bericht ist keinesfalls harmlos. Er ist aber auch nicht überraschend, denn er erfüllt ziemlich genau die vorgegebenen Auftragsziele der Bundesregierung.
Ausgeblendet und verschwiegen wurden fundamentale Dinge
Mit zentralen und wichtigen Dingen der Altersversorgung hat die Kommission sich erst gar nicht beschäftigt.
a.) Die Geschichte
Warum war es in 100 Jahren möglich, den Lebensstandard der Rentner enorm zu steigern, obwohl sie immer mehr und immer älter wurden? Warum wurde entgegen dieser historischen Erfahrung in den 1990er Jahren behauptet, die demografische Entwicklung mache das aktuelle Rentenniveau unbezahlbar? Warum stellte man 1957 die gesetzliche Rentenversicherung von Kapitalanlagen auf Umlagefinanzierung um? Warum wurden sämtliche Prognosebehauptungen zur demografischen Entwicklung und zur Beitragssatzsteigerung, die selbsternannte Rentenexperten seit 30 Jahren in die Welt setzen, gnadenlos übertrieben und durch die Wirklichkeit widerlegt?
Die Beschäftigung mit diesen Fragen hätte zu völlig anderen Reformvorschlägen geführt.
b.) Das Mackenroth-Theorem
Auch der folgende sozialpolitische und ökonomische Lehrsatz wurde völlig ignoriert:
„Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß.
Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand …
Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren sind also der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden. Volkswirtschaftlich gibt es immer nur ein Umlageverfahren.“ (Mackenroth-Theorem – 1952)
Was heißt das konkret? Wenn, so um 2035, die Rentenversicherung die höchsten Rentenausgaben zu tragen hat, wird das aus Beiträgen und Steuern zu finanzieren sein. Die als unvermeidbar dargestellten Privaten Vorsorgespargelder werden keine Rolle spielen. Es bleiben dann die Auswege, dass höhere Beiträge und/oder Steuern die Last tragen, oder die Lösung der Kommission: „Wenn mehr Menschen länger Rente beziehen, müssen auch Rentnerinnen und Rentner einen Beitrag leisten.“ Das heißt Senkung des Lebensstandards der Rentnerinnen und Rentner.
c.) Die Altersarmut
Für das Thema Altersarmut fühlte man sich nicht zuständig. Merkwürdig für eine Kommission die vorgibt, Konzepte für einen „verlässlichen Generationenvertrag“ zu liefern. „So haben wir im Übrigen auch den parallel verlaufenden Prozess zur Einführung einer Grundrente wahr-, doch diese Frage nicht in unseren Arbeitsprozess aufgenommen“ (aus dem Vorwort).
d.) Die versicherungsfremden Leistungen
Versicherungsfremde Leistungen werden nicht erwähnt, obwohl sie mittlerweile eine riesengroße Bedeutung gewonnen haben. 32 Milliarden Euro für nicht beitragsgedeckte Leistungen, die aus Versicherungsbeiträgen und nicht aus Steuermitteln finanziert werden auszublenden, ist auch eine Leistung. Dass der Sozialbeirat der Bundesregierung und die Deutsche Rentenversicherung jährlich auf den Missstand hinweisen und auf Korrekturen drängen, sollte doch zumindest zur Kenntnis genommen werden.
e.) Die Rentenbesteuerung
Die nachgelagerte Besteuerung der Renten sorgt bis 2040 für eine fortlaufende Absenkung des Versorgungsniveaus. Diese Absenkung erfolgt zusätzlich zu den im Bericht dargestellten Haltelinien (44%-49%), die ja netto vor Steuern gerechnet werden. Dass das Versorgungsniveau durch die Besteuerung bis 2040 um weitere 4 Prozentpunkte, also rund 8%, abgesenkt wird, interessierte die „Expertenrunde“ anscheinend nicht. Es findet sich kein Wort, keine Zahl zu diesem Sachverhalt.
f.) Eine Dienstfahrt nach Frankreich
Im März 2019 unternahm die Rentenkommission eine Dienstfahrt ins Ausland, um “vom französischen Nachbarn zu lernen”. Man fuhr nicht nach Österreich, von dem man rentenpolitisch das Meiste hätte lernen können. Man fuhr nach Frankreich! Was wollte die Kommission da lernen? Wie man das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöht? Oder wie Beitragssätze von 28% normal und gesellschaftlich akzeptiert sind? Sicher nicht! Auch die Einführung eines, dem deutschen Modell nachempfundenen Entgeltpunktesystems dürfte nicht der Grund gewesen sein.
Es bleibt eigentlich nur eine Gemeinsamkeit: die Einführung bzw. der Ausbau eines europäischen Pensionsfonds. Da gibt es seit Juni 2019 bereits einen Verordnungs-Entwurf des EU-Kommissars Valdis Dombrovskis mit dem schönen Namen “Paneuropäisches Privates Pensionsprodukt (PEPP)”. Der bedient wunderbar die Interessen der Finanzkonzerne wie Black Rock, Allianz & Co..
Die Kommissionsvorsitzenden lobten den offenen Austausch mit dem französischen Amtskollegen, dem Hochkommissar für die Rentenreform, Jean-Paul Delevoye und sahen durchaus einige Gemeinsankeiten. Worin die bestanden? Kein Wort in dem Bericht. Auch keine Erwähnung, wie heftig der Widerstand gegen die Rentenreformpläne in Frankreich ist und dass der besagte Hochkommissar im Dezember zurücktreten musste. Er hatte verschwiegen, dass er erhebliche Nebeneinkünfte aus der französischen Versicherungswirtschaft erhielt.
g.) Österreich ?
Ja, Österreich kommt tatsächlich vor in dem Bericht. Börsch-Supan hat eine der wenigen Schwachstellen bei der Österreichischen Rentenversicherung erkannt und will die auch auf die deutsche Rentenversicherung übertragen. In Österreich werden die Renten nicht entsprechend der Lohnentwicklung erhöht, sondern es werden lediglich die Preissteigerungen ausgeglichen. Das wollte der Professor als Empfehlung in dem Abschlussbericht sehen. Die Mehrheit der Kommission hat das allerdings abgelehnt. Immerhin.
Die unrühmliche Rolle des DGB
Der DGB hält sich und Annelie Buntenbach zu Gute, dass sie schlimmeres verhindert hätten. Das mag an einigen Stellen zutreffend sein, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Der DGB trägt den von der Kommission empfohlenen Weg mit. Das Rentenniveau wird weiter gesenkt (nach DGB-Position nur nicht so stark), die private Zusatzvorsorge wird weiter ausgebaut und staatlich gefördert. Lediglich bei der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters konnten Börsch-Supan und Co. ausgebremst werden.
Der DGB hat vor 4 Jahren in einem Grundsatzpapier zu Rentenreformen festgehalten, er müsse darauf achten, “anschlussfähig” zu den Konzepten der großen Parteien zu bleiben. Das war ein Offenbarungseid, denn Anschlussfähigkeit zur Regierungskoalition heißt, den neoliberalen Kurs bei der Rente mitzutragen.
Das kann und darf aber nicht die Rolle der Gewerkschaften sein. Der Hinweis, dass die Sozialpolitik so als Einfallstor für die rechten Menschenfänger geöffnet wird, soll nur die Dringlichkeit zu einem Kurswechsel unterstreichen.
„Verrat an den Jüngeren“?
Ja, das stimmt! Nur völlig anders als die Marktschreier behaupten. Die “Jüngeren” werden gleich dreifach verraten, belogen und betrogen:
a.) Sie werden die Lasten der starken Rentenjahrgänge zu tragen haben (so zwischen 2025 und 2045) – oder sie weigern sich und schauen zu, wie die “Älteren” zunehmend von Altersarmut und Verzicht betroffen sind (siehe Mackenroth).
b.) Neben dem Tragen dieser Belastung werden sie in zunehmendem Maße aufgefordert, oder sogar gesetzlich gezwungen, Privatvorsorge zu betreiben. Die gesparten Gelder sind in der Phase der “Babyboomrentner” zu nichts nutze (ausser für die Finanzkonzerne). Sie befinden sich festgebunden auf den Fondskonten und können keinen Beitrag zur Altersversorgung leisten. Sie kosten ausgerechnet in der Phase der höchsten Rentenbelastung noch zusätzlich.
c.) Es wird versprochen, dass mit der Privatvorsorge die Rentenlücke, die mit dem Absenken des Rentenniveaus gerissen wird, geschlossen werden kann. Das Versprechen ist hohl, denn Krisen, Finanzblasen, Konkurse und viele andere Unwägbarkeiten kann niemand vorhersagen und schon gar nicht ausschliessen (zwei Weltkriege, eine Hyperinflation, eine Währungsreform, etliche Finanzblasen und Crashs in den letzen paar Jahren, Klima- und Coronakrisen …). Wer anderes behauptet ist ein Scharlatan.
… und weiteres Brimborium
Die Rentenkommission empfielt neben den beiden Haltelinien zwei weitere sozialstaatliche Bezugsgrößen einzuführen. Einmal die Darstellung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags der BeitragszahlerInnen und als Zweites den Abstand der Standardrente zur Grundsicherung. Beides löst nichts aus, soll lediglich Transparenz schaffen. Diese “Bezugsgrößen” können aber bereits heute aus den vorhandenen Zahlen leicht ermittelt werden.
Es wird eine längere Betrachtung auf die zentrale Bedeutung des Arbeitsmarktes angestellt. Gute und gut bezahlte Arbeit, ein höherer Frauenanteil an der Erwerbsarbeit, Lösung des Crowd-Working – Problems usw.. Alles bekannt und richtig angesprochen, aber kein Satz, welche Maßnahmen hier zu ergreifen wären – also nutzlos als Politikempfehlung
Am Ende und fast unvermeidlich wird die Einführung eines “Gender-Check”s empfohlen. “Gender-Aspekte sollen stets mitgedacht werden”, dazu wäre der Gender Check als “Prüf- und Sensiblisierungsaspekt” sinnvoll. Auch hier keinerlei konkreten Handlungsfelder. Im Gegenteil. In einem Fachvortrag vor der Kommission hatte Dr. Dina Frommert noch ausgeführt, dass eine Schwächung der 1. Säule Gender- und andere soziale Ungerechtigkeiten verstärken würde. Die Worte haben die Kommissionsmitglieder offensichtlich nicht erreicht.
Quelle: http://www.seniorenaufstand.de/ Bild: BMAS