Bei der Eintreibung von Forderungen der Kommunen greifen auch im Ruhrgebiet immer mehr Städte auf die Zusammenarbeit mit privaten Inkasso-Firmen zurück. Im Revier laufen nach Schätzungen bei Bürgern und Firmen Schulden in Höhe von rund 600 Millionen Euro auf. Allein bei der Stadt Dortmund stauten sich im Jahr 2015 rund 144 Millionen Euro Forderungen.
Die Städte erhoffen sich von den privaten Inkasso-Unternehmen, dass sie sich auch den „aussichtslosen“ Fällen, die sonst niedergeschlagen werden müssen kümmern, auch nach Feierabend der städtischen Behörden bei den Schuldnern anklingeln, schon mit ihren martialisch klingenden Firmennamen Angst verbreiten und mit muttersprachlichen Landsleuten Druck machen.
Aber viele öffentliche Forderungen, die bei den Bürgern der Stadt entstanden sind, sind hausgemacht und wären leicht vermeidbar.
Wie bei allen Statistiken, die wie hier den Schuldenstand der Bürger bei den Städten vergleichen, liegt die Tücke im Detail.
Es hat sich herausgestellt, wenn eine Stadt z.B. intensiv nach Hunden fahndet, die die Besitzer nicht angemeldet haben, dann lautet die Formel: je mehr bekannte Hunde, desto höher sind die Außenstände. Wenn man also die Fahndung nicht durchführen würde, würde dies die Außenstände weit stärker senken und wäre kostengünstiger, als der teure Einsatz privater Inkasso-Firmen. Oder wenn die Stadt ihre Blitzer auf der Autobahn ausbaut, werden nicht nur die Einnahmen steigen, auch die Außenstände vergrößern sich erheblich. Oder wenn ein einziges Großunternehmen in der Kommune die Steuern zurückhält oder später nachzahlt, bringt das die Zahlen völlig durcheinander.
Der Anstieg der Außenstände von säumigen Bürgern ist somit schlecht nachzuweisen. Was aufgezeigt werden kann ist, dass die Kommunen, wenn sie selbst Schulden eintreiben, oft ungesetzlich vorgehen, ihre Beratungspflicht verletzen, einzelne Schuldner völlig ruinieren können und eine kleine Forderung zu einem gesamt gesellschaftlichen Riesenkostenbetrag anwachsen kann.
Anhand von einigen Beispielen können die vielschichtigen Prozesse zwischen der Kommune als Gläubiger und dem Bürger als Schuldner aufgezeigt werden.
Beitragschulden für den sog. „Beitragsservice ARD, ZDF und Deutschlandradio“ (frühere GEZ)
Mit der Namensänderung wurde auch die Art der sogenannten Rundfunkgebühr geändert. Seit Januar 2013 wird jeder Haushalt – geräteunabhängig – zur Kasse gebeten.
Die Kommunen in NRW sind für die Eintreibung der Rundfunkgebühren verantwortlich. Sie arbeiten im Auftrag des WDR und erhalten dafür 23 Euro pro Fall. Der Beitragsservice kann so auf die städtischen Melderegister zugreifen, was für ihn sehr attraktiv ist.
Im Jahr 2013 gab es in Dortmund 6.082 säumige Zahler, gegen die ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet wurde. 2014 waren es schon 7.126 Personen und im Jahr 2015 stieg die Zahl auf 9.128 an.
Wer nicht zahlt, bekommt vom Beitragsservice ARD, ZDF und Deutschlandradio (frühere GEZ) zunächst eine Zahlungserinnerung und dann eine Mahnung. Als letzte Stufe droht Zahlungsverweigerern die Vollstreckung, zum Beispiel durch Pfändung. Die Vollstreckungsersuchen stellt der WDR als zuständige Landesrundfunkanstalt an die Stadt und zahlt ihr pro Fall die 23 Euro, die aber laut Stadt Dortmund die Personal- und Sachaufwendungen nicht decken.
Schon im Jahr 2012 hatte es Ärger mit der Eintreibung der GEZ-Gebühren durch die Stadt gegeben. Die Stadt ist nur halbherzig ihrer Pflicht nachgekommen und hatte oft sogenannte „Fruchtlos-Protokolle” an die GEZ geschickt, wenn die Vollziehungsbeamten die Zahlungsunwilligen nicht antrafen oder diese sich nicht meldeten. Der WDR beschwerte sich beim Innenministerium in Düsseldorf, das per Erlass festlegte, „dass die Kommunen für die Vollstreckung der rückständigen Rundfunkgebühren zuständig sind.” Die Stadt Dortmund richtete daraufhin drei Stellen für die Eintreibung ein.
Heute wird seitens der Stadt Dortmund nicht lange gefackelt, wenn sie zur Eintreibung der rückständigen Gebühren aufgefordert wird. Es wird sofort das gesamte Marterpaket ausgerollt, die Lohn- und Kontopfändung wird ausgebracht und die Vermögensauskunft abgenommen, mit dem Eintrag in das Schuldnerverzeichnis und das alles auch bei Forderungen unter 100,00 Euro.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat der Schuldner ein massives Problem, egal ob er wegen geringem Einkommen, Schussellichkeit oder Protest die Gebühren nicht abgeführt hat, er kommt an sein Geld auf der Bank nicht mehr ran, riskiert seinen Arbeitsplatz durch die Lohnpfändung zu verlieren und seine Vermögenssituation kann beim Amtsgericht in Hagen im Schuldnerverzeichnis eingesehen werden.
Wie schnell eine fast 1.000,00 Euro hohe Beitragsforderung entstehen kann zeigt die folgende Aufstellung: Az: 549 771 2__: 06.14 bis 03.15 = 10 x 17,98 Euro = 179,80 Euro // 04.15 bis 11.17 = 32 x 17,50 Euro = 560,00 Euro // = 739,80 Euro + 88,00 Säumniszuschläge + 82,42 Vollstreckungskosten = insgesamt 910,22 Euro. (Stand 01.12.2017)
In diesem Fall konnte die Entlassung des Schuldners aus seinem befristeten Arbeitsverhältnis und das Abrutschen in den HARTZ IV-Bezug nur durch Gespräche Dritter mit dem Arbeitgeber verhindert werden.
Die Frage ist, warum die Stadtverwaltung mit dieser Härte vorgeht und mit Kanonen auf Spatzen schießt, wenn die Vollstreckung für sie ein Minusgeschäft und sie die Verhältnismäßigkeit nicht einhält, da die gesamtgesellschaftlichen Kosten überhaupt nicht mit der Forderungshöhe im Einklang stehen.
Kitabeitragsschulden bei alleinerziehender Auszubildenden
Die Eltern in NRW konnten für eine kurze Zeit aufatmen, denn alle größeren Parteien, ob CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke oder AfD, all diese Parteien versprachen im Wahlkampf zur Landtagswahl, dass sie die Kita-Gebühren komplett abschaffen wollten.
Bis heute hat niemand mehr davon gehört, auch nicht die alleinerziehende Frau, die sich in der Berufsausbildung befindet und bei der Stadt Dortmund Kitabeitragsschulden in Höhe von 18.472,55 Euro Stand 18.07.2016 angehäuft hat.
Die Stadtkasse als Vollstreckungsbehörde hat unter dem AZ. 113 624 6__ folgende Rechnung aufgemacht:
Kindertagesstättenbeiträge von 01/2014 bis 04/2016 incl. Kosten und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 18.472,55 Euro. Während des Erhebungszeitraums war die Frau zunächst im HARTZ -IV-Bezug und seit Sommer 2015 hatte sie eine Ausbildung begonnen mit einer Vergütung von 760,00 Euro netto.
Nun kann man sich leicht auf die „Satzung über die Erhebung von Elternbeiträgen für die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und Offener Ganztagsschule in der Stadt Dortmund vom 19.12.2011“ berufen in der steht:
„§ 3 (4) Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II -ALG II-), dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII (Sozialhilfe / Grundsicherung) oder dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind von der Zahlung eines Elternbeitrags befreit. Die Dauer des Bezugs ist durch Vorlage des Leistungsbescheides nachzuweisen“, oder sich formell auf „§ 6 Mitteilungs- und Nachweispflichten der Abgabepflichtigen“ berufen: „(2) Ohne eine entsprechende Nachweisführung zum Elterneinkommen ist der höchste Elternbeitrag zu leisten“, aber das hilft heute keinem der Beteiligten weiter.
Vielmehr sollte man die Beratungspflicht der Behörden einfordern, die in diesem Fall nicht erfüllt wurde, auch nicht durch das Jugendamt der Stadt Dortmund selbst, das die Frau in dem Erhebungszeitraum beraten und begleitet hat.
Hundesteuerforderungen
In Dortmund ist das Halten eines Hundes gegenüber anderen Städten sehr teuer. Allein für die Hundesteuer muss viel Geld aufgebracht werden. Für den ersten Hund fallen 156 Euro im Jahr an. Bei zwei Hunden sind es 204 Euro je Hund und bei drei Hunden 228 Euro. Die sogenannten Kampfhunde kosten sogar 468 Euro pro Jahr. 4,2 Millionen Euro nimmt die Stadt Dortmund jedes Jahr durch die Hundesteuer ein.
Allerdings werden die Einnahmen nicht in die Reinigung von Parks und Gehwegen oder das kostenlose Verteilen von Kotbeuteln gesteckt. Die Städte können selbst entscheiden, was sie mit diesen Steuereinnahmen machen, weil im Unterschied zu Gebühren und Beiträgen Steuern weder leistungs- noch vorteilsbezogen sind, auch ist mit ihrer Erhebung keine wie auch immer geartete Gegenleistung verbunden.
Den 26.651 Hunden in Dortmund dürfte das ziemlich egal sein, den Bürgern aber nicht.
Sie sind fassungslos, stinkesauer und leicht aufbrausend, wenn sie zur Steuerzahlung herangezogen werden, obwohl ihnen der Hund in der Wohnung gar nicht gehört. Gemäß § 1 Abs. 2 Hundesteuersatzung sind alle im Haushalt lebenden volljährigen Personen Gesamtschuldner. Das bedeutet, dass jeder Gesamtschuldner für den gesamten Steueranspruch als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann. (Satzung zur zweiten Änderung der Hundesteuersatzung der Stadt Dortmund vom 08.10.2014).
So erging es auch einem Mann, der im Erhebungszeitraum von 2004 bis 2006 mit seiner Partnerin und Hundehalterin zusammenlebte. Unter dem Kassenzeichen 0411962__ will Stadtkasse und Steueramt für die Jahre 2004-2006 insgesamt 3.035,25 Euro (Stand Juni 2011- Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 28.06.2011) an Hundesteuer, Säumniszuschlägen und Kosten haben.
Der Mann ist heute mit einer anderen Frau verheiratet, das Ehepaar hat 3 gemeinsame Kinder.
Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, hat die Stadt Dortmund wieder einmal alle Register gezogen und den Mann ständig und auch aktuell mit Lohn- und Kontopfändungen überzogen.
Der Hund, für den er vor über 10 Jahren satzungsgemäß hätte Hundesteuern zahlen müssen, ist mittlerweile verstorben, über den Aufenthalt seiner damaligen Partnerin ist ihm nichts bekannt. Bekannt aber ist durch die Vermögensauskünfte, die in der Schufa eingetragen sind, dass der Mann Schulden hat, keinen Kredit bekommt und nur eingeschränkt am wirtschaftlichen Leben teilnehmen kann.
Es ist schon verwunderlich, dass die Hundehaltung gegenüber anderen Städten besonders teuer ist, obwohl Dortmund bei der Anzahl der erwerbslosen, überschuldeten und armen Menschen immer an erster Stelle steht. Für diese Menschen ist der Hund ein ganz wichtiger und meist der einzige Lebensbegleiter, dessen Haltung sie sich vom Mund absparen müssen.
Erschleichen von Beförderungsleistungen
Die Haftanstalten sind in den vergangenen Monaten an die Öffentlichkeit getreten und kritisieren, dass immer mehr Menschen dort einsitzen, die eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Weil sie vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und die sie entweder nicht zahlen können oder manchmal auch nicht zahlen wollen.
Das Delikt, das auch von der Stadttochter DSW 21 heftig geahndet wird, nennt man im Juristendeutsch „Erschleichen von Beförderungsleistungen“
Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. Schnell wird mal 1.500 Euro fällig, egal über was für ein Einkommen verfügt wird, auch HARTZ IV-Bezieher müssen zahlen. Zahlen diese Menschen nicht, müssen sie je nach Höhe der Geldstrafe die Schuld tageweise „absitzen“.
Wie leicht man auch in Dortmund in diesen Teufelskreis hineingeraten kann, zeigt der Fall eines jungen Mannes, der von der DWS 21 erwischt wurde und mit drakonischen Strafen zu rechnen hat.
Bei dem Mann hatte das Jobcenter keine Leistungen mehr gezahlt, weil für den Weiterbewilligungsantrag „Unterlagen nicht beigebracht“ wurden. Nachweislich war dies nicht der Fall, sondern alle Unterlagen waren vollständig abgegeben worden.
Der Mann war mittellos und wollte das alles noch einmal mit dem Jobcenter persönlich besprechen und wurde bei der U-Bahnfahrt mit nur 30 Cent in der Tasche kurz vor der Station Leopoldstraße von DSW 21 Mitarbeitern bei der „Erschleichen von Beförderungsleistungen“ auf frischer Tat ertappt.
Übrigens war dies sein erstes Vergehen, dennoch bekam er Post von der Staatsanwaltschaft Dortmund. Unter dem AZ: 737 Ds-266 Js 2044/17-7__/17. wird er „in der Strafsache wegen Betruges auf Anordnung des Gerichts zu Hauptverhandlung in den Sitzungssaal 1.157 geladen“.
Das lässt nichts Gutes für den Mann erahnen, er läuft in die Gefahr, sein ganzen Leben lang als „Betrüger“ kriminalisiert zu werden.
Bevor die Stadt Dortmund ihre Überlegungen zur Zusammenarbeit mit Privatinkassofirmen konkretisiert, sollte sie lieber die derzeitige restriktive Vollstreckungspraxis überdenken. Die oft unverhältnismäßig und unangemessen ist bzw. die Beitreibung selbst erst einen viel größeren volkswirtschaftlichen Schaden auslöst.
Auch sollte die Stadt Dortmund auf den Landesverband der Kommunalkassenverwalter hören. Dieser warnt davor, dass die Städte Privatfirmen beauftragen, denn die dürften auch nur anschreiben und die Schuldner auffordern zu zahlen – nicht mehr und nicht weniger.
Quellen: WAZ, Stadt Dortmund,