Elektroschrott und kein Ende

Von Volker Brauch

Dass Tag für Tag Unmengen an Elektroschrott anfallen, ist allseits bekannt. Um welche Größenordnung es sich tatsächlich handelt, ist aber weitgehend unbekannt. Vom Handy bis zur Waschmaschine, vom Elektrokabel bis zum Bildschirm, in nur 12 Jahren hat sich die Gesamtmenge an Elektroschrott weltweit fast verdoppelt. Allein im Jahr 2022 wurden auf unserem Planet 62 Milliarden Kilogramm Elektroschrott erzeugt. Das entspricht einer Ladung von 1,55 Millionen LKWs mit einer Traglast von 40 Tonnen. Diese LKW-Flotte aneinandergereiht würde den Äquator fast gänzlich umrunden. Tendenz steigend. 1 Million Tonnen Elektroschrott landete allein 2020 und auch 2021 in Deutschland in den Abfallsammelstellen, ein Plus von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2019. Das entspräche einem Gesamtgewicht von 100 Eiffeltürmen.

Sind Elektrogerätschaften erst einmal unbrauchbar, gibt es verschiedene Wege, die sie durchlaufen.

Jede Kommune verfügt mittlerweile über einen Recyclinghof, auf denen Geräte kostenfrei abgegeben werden können. Mit viel Idealismus bieten Freiwillige die kostenlose Reparatur in Repair-Cafés an und bringen mit einfachen Handgriffen die Teile wieder in Schuss, statt sie wegzuwerfen; ein lobenswerter Einsatz, aber natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Appelle noch funktionierende Elektrogeräte zu verschenken, in Kleinanzeigenbörsen anzubieten, Sozialkaufhäusern zu übergeben oder auf Flohmärkten zu verkaufen, sind gutgemeint, tragen aber nur minimal zur Lösung des Problems bei.

Allerdings werden große Mengen teils aus Bequemlichkeit, teils aus Unkenntnis einfach im Hausmüll oder der gelben Tonne entsorgt, eine ungesetzliche Handlung, da Elektromüll eine Menge giftiger Substanzen enthält und Umwelt und Grundwasser kontaminieren. Laut einer Hochrechnung aus dem Jahr 2020 liegen in Deutschland circa 200 Millionen alte Handys ungenutzt in privaten Haushalten herum. Aktuell dürften es noch mehr sein. Großgeräte werden häufig nicht sachgerecht entsorgt, weil sie in dubiosen Schrotthändler-Kanälen entsorgt werden. Professionelle Schrottsammler werben immer wieder mit Postwurfsendungen um Altgeräte abzuholen. Häufig besteht hier die Gefahr, dass keine umweltgerechte Entsorgung stattfindet, sondern die Geräte im Ausland unsachgemäß entsorgt werden. Nur 32 Prozent des Elektroschrotts wird ordnungsgemäß entsorgt. Somit ist Deutschland meilenweit von der EU-weit vorgeschrieben Sammelquote von 65 Prozent entfernt, und selbst diese Vorgabe ist mehr wie nachsichtig.

Ein Grund für die riesigen Mengen an E-Schrott ist aber auch bei gedankenlosem Konsumverhalten zu suchen. Salz- und Pfeffermühlen gibt es auch ohne elektrische Funktion, Grußkarten müssen nicht singen und Kinderschuhe müssen beim Laufen nicht blinken.

Da die fachgerechte Entsorgung von Elektromüll eine komplizierte Angelegenheit darstellt, ist der Kostenaufwand entsprechend hoch und finanziell wenig ergiebig. Ein Mix von rund 1000 verschiedenen Substanzen können insgesamt im Elektroschrott enthalten sein. Beispielsweise beinhaltet ein Handy 60 verschiedene Rohstoffe, allerdings in winzigen Mengen. Maximal fünf verschiedene Metallsorten werden durch Recycling zurückgewonnen. In der Regel werden Smartphones nach 18 Monaten dem Müll übergeben. Es liegt auf der Hand, dass die Aufbereitung mit Ersatzteilen eine ökologisch deutlich sinnvollere Vorgehensweise wäre. In Milliarden Kilogramm weltweit gerechnet, fallen 31 Milliarden in Form von Metall, 17 Milliarden in Form von Plastik und 14 Milliarden anderer Materialien wie z.B. Glas oder Keramik an. Hinter diesen gigantischen Mengen wachsender Schrottberge steht ein immenser Ressourcenverbrauch und eine riesige Energie- und Materialverschwendung. Umfassende Reparaturmöglichen und eine deutliche Müllreduktion im Sinne von Nachhaltigkeit kann eigentlich nur das Ziel angesichts dieser Mengen sein.

Was passiert mit dem Elektroschrott?

Da jeder Mensch in Deutschland statistisch pro Jahr durchschnittlich 12,5 Kilogramm Elektroabfall produziert (Stand 2020), müsste eigentlich ein vergleichbares Entsorgungssystem wie bei Papier-, Glas- oder der Biotonne vorhanden sein. Dem ist aber nicht so, eine Hausentsorgung gibt es nicht. Große Mengen von verwertbaren Metallen würden nicht in undurchsichtigen Kanälen verschwinden, sondern ließen sich recyclen. Platinen z.B. enthalten Gold, Kupfer, Zinn, Blei und seltene Erden. In Handys und Smartphones kommt das wertvolle Rohmaterial Palladium vor. Zum einen besteht E-Schrott-Material aus wertvollen Materialien, die als Rohstoffe zurückgewonnen werden können, zum anderen aber auch aus hochgradig giftigen Substanzen wie Arsen, Cadmium, Quecksilber, polybromierte Biphenyle und krebserregenden Dioxinen. Bromierte Flammschutzmittel finden sich in Kunststoffgehäusen von Computern und Fernsehern, giftige Stoffe, die keinesfalls in Böden oder Grundwasser gelangen dürfen.

Was passiert aber mit diesem Restmüll, wenn die wertvollen Metalle entnommen worden sind? Darüber ist nur wenig bekannt. Teilweise werden sie in Sondermülldeponien transportiert, der Sondermüllverbrennung zugeführt oder in Hochöfen, beispielsweise bei der Herstellung von Zement, einfach verfeuert. Kunstsoff-Verfeuerung als Ersatzbrennstoff findet aber auch in Stahlwerken, Eisen- und Kupferhütten statt. In Deutschland gibt es circa 350 zertifizierte Erstbehandlungsbetriebe, die alte Elektrogeräte mechanisch zerkleinern und schadstoffhaltige Bauteile an andere Verwerter weitergeben. Immer wieder tauchen aber auch illegale Mülldeponien in Afrika und anderen Staaten auf, in denen E-Schrott einfach in der Natur entsorgt wurde. Einige westliche Industrienationen wie die USA, europäische Länder und Australien verschiffen ihren Elektroschrott häufig in Schwellen- und Entwicklungsländer. Geschätzt wird, dass 50 – 80 Prozent des gesamten Elektroschrotts der Industrieländer vor allem nach Asien und Afrika exportiert wird. Dort wird dieser Schrott oft mit primitivsten Mitteln zertrümmert, verbrannt oder mit Säure behandelt, und das mit erheblichen gesundheitlichen Schädigungen.

Ein funktionierendes Elektroschrott-Recycling-System müsste den Hersteller verpflichten ihre Produkte wieder zurückzunehmen, sie zu sammeln, fachgerecht zu entsorgen, und die Wiederverwendung der Geräte zu garantieren.

Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz

Angesichts der Kurzlebigkeit von Elektrogeräten und der stetig wachsenden Schrotthalde sah sich der Gesetzgeber gezwungen mit dem Elektronikgerätegesetz (ElektroG) gegenzusteuern. Mit diesem Gesetz wurde die europäische WEEE-Richtlinie von 2003 in nationales Recht überführt. Erklärtes Ziel war die Vermeidung von Abfällen. Ein Eingriff in die Herstellung elektronischer Gerätschaften blieb aber unangetastet.

Alle elektronischen Geräte in Deutschland werden in zehn Gerätekategorien eingeteilt, die sich in fünf Sammelkategorien unterteilen lassen. Zur Gruppe 1 zählen die Haushaltsgroßgeräte, zur zweiten Gruppe Kühlgeräte, zur Gruppe 3 Geräte der Kommunikations- und Informationstechnik.

Mit der Neufassung des ElektroG ist der Händler verpflichtet zur kostenlosen Mitnahme und einer fachgerechten Entsorgung des Elektroschrotts. Seit dem ersten Juli 2022 können auch in Lebensmittelgeschäften und Discounter alte Geräte abgegeben werden, wenn diese Elektroartikel verkaufen. Bei Großgeräten wie z.B. bei Waschmaschinen allerdings nur im Gegenzug, wenn der Kunde ein gleichwertiges Produkt kauft. Per Kaufvertrag ist der Händler verpflichtet das Altgerät kostenfrei abzuholen. Die Rücknahmepflicht gilt für den stationären Handel, aber auch für Versand- und Onlinehandel. Es ist unerheblich wo das Gerät ursprünglich gekauft wurde. Auch einen Kassenbon oder Kaufbeleg ist hierbei nicht nötig, die Rücknahme ist verpflichtend. Hierzu gehören kleinere Elektrogeräte wie z.B. Smartphones, Kopfhörer, Fernbedienungen, Rasierapparate, Föhne mit einer maximalen Kantenlänge von 25 cm.

Produktion, Entsorgung und das System

Der Kern der Problematik liegt weniger in der Optimierung des Entsorgungssystems, sondern in der Menge der produzierten Elektrowaren. Wurde in den 1990er Jahren ein Computer noch sieben Jahre lang genutzt, sind es aktuell im Durchschnitt lediglich nur noch zwei Jahre vor der Ausmusterung. Bei einer immer schneller werdenden Herstellungsdynamik ist eine möglichst langlebige Verwendung nicht das Ziel. Die Menge des Produzierten legt aber die Größenordnung des Schrottproblems fest. Der notwendige klimagerechte Umbau der Wirtschaft entsteht allerdings erst, wenn ein Großteil des Elektroschrotts erst gar nicht produziert wird. Die Macht privater Akteure und der kapitalistische Wachstumszwang widersprechen allerdings ressourcenschonender Produktion und messbarer Klimaneutralität. Ohne die Umstellung und Transformation der industriellen Produktion wird die Müllproblematik die Quadratur des Kreises bleiben. Die Verfügungs- und Entscheidungsgewalt privater Kapitalbesitzer muss in die gesellschaftliche Hand überführt werden, einer Vergesellschaftung, die die direkte Einflussnahme und eine nachhaltige Regulierung erst ermöglicht.

War in den vergangenen Jahrzehnten der Verkauf elektronischer Gerätschaften noch mit einer akzeptablen Profitrate verbunden, wird nun bei Verengung des Absatzmarktes und stockenden Verkaufszahlen nach Möglichkeiten gesucht, die Profitrate durch die Vermeidung von Unkosten und einem künstlich erzwungenem Kaufverhalten auf hohem Niveau zu halten. Von der Flaute in den Flow.

War früher die Hauptursache für Verschrottung ein technischer Defekt des Geräts die Ursache, sind heute maßgeblich andere Gründe für die Verschrottung verantwortlich. Die Unbrauchbarkeit von Geräten ist oft bewusst implantiert und beabsichtigt. Vorzeitiges Altern oder der Ausfall von Geräten durch konstruierte Maßnahmen der Hersteller führen dazu, dass eine Instandsetzung nicht mehr wirtschaftlich ist. Zum Beispiel werden an wärmeintensiven Bauteilen plastik-gefasste Kabel vorbeigeführt, was nach Ablauf kürzester Zeit zwangsläufig zum Defekt führen muss. Eine Metallschutzummantelung der Kabel wäre technisch überhaupt kein Problem, wird aber bewusst unterlassen. Diese Art des Vorgehens hat einen Namen: geplante Obsoleszenz. Nicht umsonst werden viele technische Geräte nach Ablauf der Garantie defekt.

Verschleißteile, die regelmäßig ausgetauscht werden müssen (Toner, Akkus), sind nach gewisser Zeit nicht mehr verfügbar, sodass funktionierende Geräte verschrottet werden müssen.

Preise für Ersatzteile werden deutlich überhöht angeboten, und stehen in keinem Verhältnis zum Neu- oder Gebrauchswert des Elektrogeräts, um den Kunden zum Neukauf zu verleiten.

Reparaturkosten defekter Geräte werden zu übermäßig teuren Preisen festgelegt.

Ältere Hardware von Mobiltelefonen beispielsweise ist mit neueren Betriebssystemversionen nicht mehr kompatibel. Durch diese neueren Konstruktionen entstehen Sicherheitsprobleme, die nicht beseitigt werden können.

Neuere Betriebssysteme bei Computern und Laptops benötigen eine intensivere Leistung, die von der Hardware des genutzten Geräts nicht mehr erbracht werden kann.

Technische Neuerungen und Produkte werden mittels massiver Werbung als unabdingbares Lifestyle-Produkt angeboten und auf den Markt geworfen mit dem Ziel, dass der verführte Kunde kauft und sein <<veraltetes>> Gerät entsorgt.

Das System der permanenten Geldvermehrung braucht die Zerstörung materieller Güter um wachsen zu können. Immer weiter, immer schneller, immer mehr. Das Karussell von Kauf und Verschrottung dreht sich immer rasanter, die Maxime eines Wirtschaftssystems, das keine Grenzen und keine gesellschaftlichen Werte akzeptiert, sondern nur Preise.

 

 

 

 

 

Bild: wiki commons cco