Erster Mai – Der DGB feiert sich selbst

Kampfstark am Feiertag – Hand in Hand mit der Obrigkeit! Zur erstaunlichen Karriere des Arbeitervereinswesens

Von Suitbert Cechura

Jedes Jahr bringt Ende April der Deutsche Gewerkschaftsbund seinen Mai-Aufruf heraus, so auch in diesem Jahr. Die Parole lautet dieses Mal: „1. Mai 2025: Mach dich stark mit uns.“ (https://www.dgb.de/mitmachen/erster-mai#c7155 ) Wofür man sich stark machen soll, wird im zentrale Slogan nicht gesagt, gegen wen, auch nicht! Das würde auch nicht zur Feierlaune passen. Zur landesweiten Kundgebung des DGB NRW, die am „Tag der Arbeit“ 2025 in der bekannten Industriemetropole Siegburg stattfindet, wird beispielsweise mit dem Angebot eingeladen: „Für die politischen Reden sind Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW und Hendrik Wüst, MdL, Ministerpräsident NRW vor Ort“. Klar, wenn man mit dem Landesvater „vor Ort“ sein kann, sollen doch keine unschönen Töne die Feier stören!

Mit einer Sache hat der Dachverband der deutschen Gewerkschaften allerdings Recht. Nämlich mit seiner Anspielung darauf, dass der einzelne Arbeitnehmer einerseits darauf angewiesen ist, jemanden zu finden, der ihn für seine Arbeit bezahlt, und sich andererseits gegenüber dem Einkäufer von Arbeitskraft per se in einer schwachen Position befindet. Als Einzelner hat er da nichts in die Waagschale zu werfen, stark ist er nicht. Er muss sich erst mit anderen zusammenschließen, die Konkurrenz mit Seinesgleichen ausschalten und mit Arbeitsverweigerung drohen, um seinem Interesse Geltung zu verschaffen. So hat das Starkmachen seine klare Adresse.

Vom Kampftag zum Feiertag

Doch das steht am 1. Mai gar nicht an, auch wenn der DGB verkündet: „Tag der Arbeit, Maifeiertag, Kampftag der Arbeiter.“ Wie soll denn ein staatlicher Feiertag ein Kampftag sein? Ist Weihnachten ein Kampftag? Dieses Fest des Friedens wäre ja noch viel wuchtiger, sind es doch gleich mehrere Tage, an denen nicht gearbeitet wird! Eigentlich müssten einem Kenner der Gewerkschaftsbewegung ja auch gewisse Bedenken kommen angesichts des staatlich eingerichteten Feierwesens.

Schließlich waren es die Nationalsozialisten, die den ehemaligen Kampftag der Arbeiter, an dem sie ihre Arbeit für einen Tag verweigerten und mit der Forderung nach einem Acht-Stundentag auf die Straße gingen, zum nationalen Feiertag – zum Tag „der Arbeit“ – erhoben; und die somit aus dem Kampftag einen Tag machten, an dem nicht der Klassengegensatz Thema ist, sondern die Leistung der Arbeiter für die Nation gewürdigt werden soll (https://www.dw.com/de/der-1.-mai-und-die-nationalsozialisten/a-16774092 ). An diese Station im Werdegang der modernen Gewerkschaftsbewegung soll man aber nicht denken. Heutzutage wird gerade bei den DGB-Festreden der Antifaschismus der Gewerkschaften beschworen, die – ganz auf Regierungslinie – der rechtspopulistischen Parteien-Konkurrenz ihr „Nie wieder!“ entgegenschleudern.

Die Unvereinbarkeit der (deutschen) Gewerkschaftsbewegung mit faschistischer Herrschaft, so als seien die Nationalsozialisten kategorische Feinde der Arbeiterbewegung gewesen, ist ja sowieso eine verbreitete Legende. Und sie hält sich auch in linken Kreisen. So schrieb die Zeitschrift „Konkret“ (Nr. 8, 2023, S. 12) mit Blick auf das stets aktualisierte faschistische Alternativangebot zur Demokratie, die kapitalistische Produktionsweise politisch zu managen: Der Nationalsozialismus habe die damalige Weltwirtschaftskrise durch „die – auch physische – Vernichtung der Arbeiterbewegung überwinden“ wollen. Das stimmt nicht! Man hat die Gewerkschaftsbewegung, nachdem der ADGB noch 1933 zur Teilnahme an der NS-Feier aufgerufen hatte, in die Deutsche Arbeitsfront integriert, also samt ihrer Brauchtumspflege in Dienst genommen. Das Gewerkschaftsforum hat das z.B. in einem Rückblick auf den faschistischen Proletkult („Ich bin ein deutscher Arbeiter“ https://gewerkschaftsforum.de/ich-bin-ein-deutscher-arbeiter-eine-persoenliche-reminiszenz/ ) beispielhaft in Erinnerung gerufen.

In dieser Tradition bewegt sich – leider – auch der DGB. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass dieser Verein aktuell gar kein Ziel angibt, wofür es sich zu kämpfen lohnen würde. Er wendet sich stattdessen an diejenigen, die von ihrer Arbeit leben müssen, und bietet den eigenen Zusammenschluss zur Feier und Selbstdarstellung an. Bewegte er sich in der Tradition der alten Arbeiterbewegung, die sich an Marx und Engels orientierte, wäre ein solches Ziel leicht anzugeben: Schließlich ist die neue Regierung u.a. dabei, den Acht-Stundentag in Frage zu stellen und die Arbeitszeiten zu „flexibilisieren“, also bei Bedarf zu verlängern. Doch davon findet sich nichts im Aufruf der Gewerkschaft, stattdessen gibt sie mit einer Erfolgsbilanz an, die so oder so ähnlich auch aus der neuen Regierungskoalition stammen könnte.

Ein Machtfaktor für Wirtschaftsmacht

„Wir Gewerkschaften sind und bleiben ein Machtfaktor, in den Betrieben und in der Politik. Wir haben uns im Bundestagswahlkampf eingemischt und klar gemacht, was wichtig ist: Eine starke Wirtschaft, gute Arbeit und soziale Sicherheit. Lange haben wir eine Reform der Schuldenbremse gefordert. Dass im März noch ein großes Sondervermögen für Infrastruktur beschlossen wurde, ist auch ein Verdienst der Gewerkschaftsbewegung.“ Hier zeigt sich der Stolz auf die Rolle, die man in der Nation und in „der Wirtschaft“ spielt, so als wäre Letztere ein Gemeinschaftsanliegen, während es selbst im DGB-Grundsatzprogramm noch irgendwo heißt, dass es einen Gegensatz von Kapital und Arbeit gibt.

Der Aufruf ist eigentlich eine Zumutung für Gewerkschaftsmitglieder, sollen sie doch am ersten Mai auf die Straße gehen als Statisten dafür, dass die Gewerkschaft als ein Machtfaktor in dieser Gesellschaft gilt. Dass dies keinem aufstößt, ist aber auch nicht verwunderlich. Sind die Mitglieder doch von vornherein als Wähler oder Statisten verbucht – ob bei Betriebsratswahlen oder wenn die Gewerkschaft es in den Tarifrunden für nötig befindet, darauf zu verweisen, dass sie über eine Mitgliederbasis verfügt. Dann gibt es Westen und Kappen mit dem Vereins-Logo, Trillerpfeifen und rote Fahnen, dann ist ein Auflauf angesagt, der aber auch wieder rechtzeitig aufzuhören hat, wenn die Gewerkschaftsführung ihn absagt.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die 1.-Mai-Veranstaltungen in erster Linie ein Treffpunkt für Funktionäre, Betriebsräte und Politiker sind – und für linke Gruppen, die immer noch ihre Hoffnung darauf setzen, dass die Gewerkschaften die materiellen Interessen von Arbeitern und Angestellten vertreten würden. Dabei ist der Mai-Aufruf sehr informativ, in dem er Auskunft gibt, wofür sich die Arbeiterpolitiker im Bundestagswahlkampf eingesetzt haben. Man achte auf die Reihenfolge: An erster Stelle steht die „starke Wirtschaft“. Der Erfolg des Kapitals ist diesen Vereinen das oberste Ziel. Dass in der Kalkulation derjenigen, die über die Wirtschaft als ihr Privateigentum verfügen, der Lohn oder das Gehalt als Kost und damit als eine Belastung für den angestrebten Erfolg vorkommt und deshalb gering zu halten ist, wird da geflissentlich übersehen. Genauer gesagt: Es ist für diese Ko-Manager die größte Selbstverständlichkeit, die sich etwa immer wieder in Arbeitsplatzsicherungsverträgen niederschlägt, die Massenentlassungen einschließen.

Gute Arbeit – aber sicher!

Gute Arbeit ist in den Augen dieser Arbeitspolitiker nur die lohnende, also gewinnbringende Arbeit, die dem Unternehmen dauerhaften Erfolg sichert. Dass sich die Gewerkschaften als Machtfaktor in der Politik präsentieren, ist dabei nicht ohne Angeberei. Ist ihnen doch zum einen jeglicher politische Streik untersagt und hat sie ihn zum anderen auch nie für sich beansprucht. Ihre politische Macht soll in der Zahl ihrer Mitglieder als Wähler begründet sein – ganz so, als ob mit der Mitgliedschaft in dem Verein auch klar sei, was der Einzelne auf seinem Wahlzettel ankreuzt. Die letzten Wahlergebnisse haben diese Vorstellung ziemlich blamiert, nachdem noch am 1. Mai 2024 der DGB heftigst davor gewarnt hatte, bei der Europawahl den „populistischen“ Störenfrieden der Nation seine Stimme zu schenken. Praktisch gründet sich der Einfluss der Gewerkschaften auf die enge Verbindung zwischen ihren Führungspersonen und der Parteipolitik. Dies demonstriert der DGB auch jetzt am 1. Mai, an dem er neben den eigenen Rednern immer wieder Vertretern aus der Politik eine Bühne bietet, möglichst aus der SPD, aber, siehe Siegburg, auch schon mal einem christdemokratischen Spitzenpolitiker.

Den Begriff der sozialen Sicherheit haben die DGB-Vertreter – der politischen Großwetterlage folgend – auch schon auf die Kriegstüchtigkeit der Nation ausgeweitet: „Europäerinnen und Europäer können sich nicht mehr auf das Schutzbündnis mit den USA verlassen, da die Trump-Administration zwischenzeitlich die territoriale Integrität einzelner Staaten von sich aus in Frage stellt. Die Europäische Union und die europäischen NATO-Staaten ziehen daraus ihre Konsequenzen: Sie stärken ihre militärische Verteidigungsfähigkeit, um zu verhindern, zum Spielball rivalisierender Großmachtinteressen zu werden. Vor diesem Hintergrund sehen auch der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um gemeinsam verteidigungsfähiger zu werden.“ (https://www.stuttgart.igm.de/news/meldung.html )

Als die Bundesrepublik Deutschland die territoriale Integrität der DDR in Frage stellte oder später, sogar robust militärisch, die der Republik Jugoslawien, hatten die Gewerkschaften kein Verständnis dafür, dass die DDR oder Jugoslawien sich bedroht sahen und dagegen verteidigen wollten. DGB-Gewerkschafter stehen immer auf Seiten der Nation. Das gilt auch jetzt, wo mit grenzenloser Verschuldung aufgerüstet wird, was die Mitglieder dieser Vereine durch Inflation, also Entwertung ihrer Löhne und Gehälter, mitfinanzieren und mit neuen Leistungsanforderungen („Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt“ https://overton-magazin.de/top-story/jetzt-wird-wieder-in-die-haende-gespuckt-wir-steigern-das-bruttosozialprodukt/) bewältigen dürfen.

Und wer für seinen Beitrag zum Erfolg Deutschlands am Tag der Arbeit gefeiert wird, soll sich in Zukunft auch im Schützengraben bewähren dürfen. So ist es nur folgerichtig, dass der DGB die Teilnahme an seinen Feierstunden von der richtigen Gesinnung abhängig macht: „Wer etwa bei den zentralen 1.Mai-Feierlichkeiten einen Stand beim DGB in Lübeck anmelden möchte, muss sich mit einer langen Listen von ‚Werten des DGB‘ identifizieren. Darunter: die ‚uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – wir erkennen W. Putin als alleinigen Aggressor an‘, ‚Bekenntnis zu Europa und zu NATO-Mitgliedschaft‘, ‚Solidarität mit Israel und den zivilen Opfern der kriegerischen Auseinandersetzung im Gaza-Streifen‘, ‚Bekenntnis zur Richtigkeit des Sondervermögens, um in die Zukunft zu investieren‘.“ (https://www.jungewelt.de/artikel/498674.dgb-für-verteidigungsfähigkeit-ostermarscherklärung-mit-folgen.html )

Mal ehrlich, unter Kollegen und Kolleginnen gefragt: Will man sich in und mit einem solchen Verein „stark machen“ und dann an einem Staatsfeiertag mit führenden Persönlichkeiten der Nation zusammen „vor Ort“ sein? Soll man einem Verein die Treue halten, der den nationalen Schulterschluss, den damals die Faschisten mit ihrer Deutschen Arbeitsfront per Zwang erreichten, heute mit freiwilliger Gleichschaltung ganz selbstverständlich ins Werk setzt? Wäre es nicht einmal Zeit, über Alternativen unabhängig vom DGB nachzudenken? Ganz trostlos ist die Lage ja nicht, immerhin gibt es – wie in der Verdi-Opposition von „Sagt nein!“ (https://www.sagtnein.de/ ), das Gewerkschaftsforum (https://www.gewerkschaftsforum.de/heraus-zum-1-mai-wir-wollen-butter-statt-kanonen/#more-22665 ) oder Gewerkschaftliche Linke Berlin (https://www.gewerkschaftliche-linke-berlin.de) und andere mehr – Stimmen, die diesen Kurs nicht mehr mittragen wollen.

 

 

 

 

Bildbearbeitung:  L. N.