So lange es im Gesundheitswesen um Gewinne geht und nicht um Menschen, so lange bleiben die Arbeitsbedingungen schlecht. Immer öfter kündigen deshalb Ärzte und Pflegekräfte.
Ärzteabwanderung, Leiharbeit, Flucht in Teilzeit – die Personalnot in Deutschlands Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wächst. Doch anstatt die Probleme zu lösen und bessere Arbeitsbedingungen zu bieten, jagen sich die Kliniken gegenseitig das Personal ab. Damit verschärfen sie den Notstand und die Belastungen für diejenigen Kräfte, die bleiben. Gleichzeitig sind Patientinnen und Patienten immer schlechter versorgt, denn in den Kliniken fehlt es an Personal, immer öfter lassen sich ganze Abteilungen abwerben.
Personal auf dem Sprung
Beim kommunalen Berliner Krankenhauskonzern Vivantes ist das jüngst im Februar so geschehen. Fast 40 Fachkräfte, der Großteil von der Infektiologie, ließen sich abwerben. Sie hatten zuvor gegen schlechte Arbeitsbedingungen protestiert. Laut Medienberichten kündigte zuerst der bisherige Chefarzt und HIV-Experte des städtischen Auguste-Viktoria- Krankenhauses im Bezirk Tempelhof seinen Weggang an. Danach folgte die Massenkündigung des Teams. Mindestens 11 Ärzte und 27 Pflegekräfte wechseln nun zum katholischen St. Joseph im gleichen Bezirk und wollen dort eine neue Infektiologie aufbauen. „Die Kündigungen kamen nicht ganz überraschend. Strukturelle Unterbesetzung, mangelnde Wertschätzung und häufige Personalwechsel belasten das Personal“, sagt Janine Balder, bei ver.di Berlin-Brandenburg für Vivantes zuständig. Der Krankenhauskonzern kündigte an, die Stellen wieder zu besetzen. Doch Fachkräfte sind rar. „Es wird nicht leicht, neue Leute zu finden, wenn die Arbeitsbedingungen insgesamt nicht besser werden“, sagt Balder.
Auch beim Klinikbetreiber Asklepios ist das Personal unzufrieden. In den Häusern, in denen nicht auf dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt wird, wächst der Widerstand. Die Beschäftigten fordern mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen, festgeschrieben und gesichert in einem Tarifvertrag. Dafür streiken sie derzeit immer wieder in mehreren Häusern an verschiedenen Standorten in Niedersachsen. „Unser Ziel bleibt die Angleichung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen an den branchenüblichen Tarifvertrag. Nur so können wir dringend benötigtes Personal gewinnen“, sagt Krankenpflegerin Sandra Grundmann, die in den Schildautalkliniken in Seesen arbeitet.
Der Klinikbetreiber hat schon jetzt massiv Probleme, neue Leute zu finden. „Das Konzernmanagement gefährdet mit seinem Sparkurs die Zukunft der Schildautalkliniken“, sagt Physiotherapeut Gabor Wuttke. Die Beschäftigten befürchten, dass Personal zur Konkurrenz abwandert. Und das ist es auch schon. Das ehemalige Kreiskrankenhaus der Asklepios-Klinik in Goslar liegt nur eine Autostunde entfernt und zahlt nach dem TVöD. „Personal halten und gewinnen geht nur mit guten Arbeitsbedingungen“, sagt Martin Kupferschmidt von der ver.di-Streikleitung.
2019 ist auch schon das Personal einer Kinderklinik von Asklepios in Sankt Augustin bei Bonn abgewandert. Nachdem zwei Herzspezialisten sich beim nahe gelegenen und besser zahlenden Uniklinikum in Bonn unter Vertrag nehmen ließen, folgten weitere Pflegekräfte und Ärzte. Auch das Asklepios-Pflegeheim Weserblick in Höxter musste seine Pforten schließen, weil es dem Haus seit langem an qualifizierten Fachkräften in der Pflege mangelte. Akute Lücken waren immer wieder durch den Einsatz von teureren Leiharbeiter*innen geschlossen worden. Und auch bei der Berliner Charité gibt es Personalprobleme. Auf einer Kinderkrebsstation sollen 50 Stellen unbesetzt sein, für die Intensivstationen werden ebenfalls händeringend Pflegefachkräfte gesucht.
Laut Bundesagentur für Arbeit blieben im Jahr 2018 gemeldete Stellenangebote für examinierte Altenpflegefachkräfte und -spezialisten im Schnitt 183 Tage vakant, bei Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften 154 Tage. Und eine Verbesserung ist nicht in Sicht.
Bis zu 8.000 Euro Prämie
Um Personal zu gewinnen, zahlen Kliniken immer öfter Prämien. Laut Informationen, die ver.di vorliegen, erhalten Beschäftigte des Klinikums in Saarbrücken 1.250 Euro, wenn sie eine neue Pflegekraft anwerben. Die Summe gibt es noch einmal, wenn die neue Kraft nach der Probezeit noch da ist. Die Schön-Klinik in Düsseldorf lockt mit 4.000 Euro. Die München Klinik gGmbH zahlt Werber*innen sowie Neueingestellten nach einem Jahr sogar insgesamt 8.000 Euro. Und im Klinikum Stuttgart bekommen Alt- und Neubeschäftigte in bestimmten Bereichen monatlich mehr Geld, wenn sie bleiben. Dort verdienen Hebammen und Intensivpflegekräfte beispielsweise zwischen 300 und 400 Euro zusätzlich.
„Dass die Leute mehr Geld bekommen, konnten wir als Personalrat nicht ablehnen“, sagt Krankenpfleger und Personalrat Volker Mörbe. Aber man sehe das durchaus kritisch. Denn auch die Kolleginnen in anderen Bereichen seien überlastet, doch sie gehen leer aus. Zudem sei es Aufgabe der Gewerkschaft, die Bezahlung auszuhandeln, so Mörbe, der auch Sprecher der ver.di-Vertrauensleute am Klinikum Stuttgart ist. „Die Beschäftigten brauchen Verlässlichkeit – die gibt es nur mit Tarifvertrag.“
Wenn Prämien und Sonderzahlungen nicht mehr ausreichen, um Personal zu binden, dann greifen Arbeitgeber immer öfter auf Leiharbeitskräfte zurück. Deren Zahl hat sich in der Krankenhauspflege auf rund 22.000 nahezu verdoppelt. In der Altenpflege stieg sie laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit um ein Drittel auf etwa 12.000.
Das ist auch kein Wunder, denn der Wechsel zu einer Leiharbeitsfirma ist für viele Beschäftigte eine Möglichkeit, bessere Arbeitsbedingungen zu bekommen, vor allem überdurchschnittliche Löhne oder einen verlässlichen Dienstplan, bei dem sie mitentscheiden können. Leasingkräfte können sich ihre Arbeitszeiten meist aussuchen, während Stammbeschäftigte die schlechteren Dienste akzeptieren müssen. Am Uniklinikum Düsseldorf hat der Personalrat deshalb Rahmenbedingungen vereinbart, die verhindern sollen, dass Stammkräfte gegenüber Leihbeschäftigten benachteiligt werden.
Dennoch: Viele Belegschaften teilt inzwischen ein Keil. Stammkräfte sind im Nachteil und fühlen sich ausgenutzt. Leiharbeitskräfte fühlen sich unverstanden. „Natürlich verstehe ich den Unmut des Stammpersonals – ich selbst kenne beide Perspektiven“, sagt die Leasing-Pflegekraft Maria Krüger. „Und ich glaube, wir sind uns alle einig: Es muss etwas passieren in der Pflege. Die Situation auf den Stationen, im speziellen auf den Intensivstationen, ist teilweise katastrophal. Das Stammpersonal ist teilweise stark ausgebrannt, überarbeitet, frustriert. Dauerhaft sind viele Stationen personell unterbesetzt. Ich kann verstehen, dass dann das Thema Leasing zusätzlich frustriert.“ Es mache sie „unfassbar traurig“, dass die Pflegekräfte nicht zusammenhalten. „Ich würde mir wünschen, dass die Pflegekräfte sich nicht mehr untereinander bekämpfen, sondern dass wir alle gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, für bessere Bezahlung, für bessere Zustände in der ambulanten und stationären Pflege.“
Nichts wie raus
Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit betrug das mittlere Bruttogehalt im Jahr 2017 für vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in der Krankenpflege 3.314 Euro und in der Altenpflege 2.746 Euro. Ein*e Pflegehelfer*in erhielt dagegen in der Altenpflege nur 1.944 Euro und in der Krankenpflege nur 2.494 Euro. Während Ärzte im Vergleich wesentlich mehr verdienen und bei einem Wechsel auch eher bessere Bedingungen aushandeln können, bleibt den Pflegekräften oft nur die Flucht in Teilzeitarbeit, wenn die Arbeitsbedingungen unerträglich werden. Dann aber bleibt nur ein Hungerlohn übrig und später nicht genug für die Rente.
Trotzdem greifen viele zu dem Ausweg Teilzeit, um die eigene Gesundheit zu schützen. Manche geben den Beruf ganz auf. Jede zweite Pflegekraft wechselt in Teilzeit oder geringfügige Beschäftigung (57 Prozent). Da aber mehr Frauen als Männer in der Alten- und Krankenpflege arbeiten, laut Bundesagentur für Arbeit vier von fünf Erwerbstätigen, sind Frauen auch häufiger in Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung anzutreffen (62 Prozent Frauen, 36 Prozent Männer).
Ungünstige Arbeitszeiten, hohe Verantwortung, viel Druck und wenig Lohn, das sind keine Bedingungen, um Menschen für den Beruf zu begeistern. Die Pflegebranche wirbt deshalb zur Abmilderung des Fachkräftemangels zunehmend Pflegekräfte aus dem außereuropäischen Ausland an. Doch werden die Personallöcher nur notdürftig gestopft, anstatt endlich bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu bieten.
Für wirklich gute Arbeitsplätze findet sich immer Personal. Wer dagegen billig aus dem Ausland anwirbt, zeigt sein wahres Gesicht: Es geht allein um Profit. Und so lange es im Gesundheitswesen um Gewinne geht und nicht um Menschen, so lange bleiben die Arbeitsbedingungen schlecht und wird die Flucht aus den Kliniken und aus den Pflegeheimen nicht enden.
Quelle: Der Artikel erschien in der Mitgliederzeitung ver.di publik - https://publik.verdi.de/ausgabe-202002/flucht-aus-der-klinik/ Bild: K 03_kinderklinik_muenchen_SZ_0.2e16d0ba.fill-1024x683-c75