„Fratzscher-Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland” ist der Privatisierungmotor – die Gewerkschaftsvertreter machen dabei kräftig mit

Rund 80 Prozent der Bundesbürger haben sich gegen weitere Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgesprochen. Diese hohe Anzahl von Wählern dürfte eigentlich ausreichen, damit Privatisierungen nicht mehr vonstatten gehen würden. Doch genau das Gegenteil davon ist praktische Politik bei uns geworden.

Seit etwa 4 Jahren wird ein Aufgabenkatalog für die Privatisierung permanent abgearbeitet, der kaum einem  Bundesbürger bekannt sein dürfte.

Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eingesetzte Expertenkommission zur „Stärkung der Investitionen in Deutschland“ lobt Fortschritte bei der Privatisierung, hält diese aber noch für unzureichend. Sie empfiehlt Handlungsspielräume noch weiter einzuräumen, damit privates Kapital in die öffentlichen Investitionen fließen kann.

Angesichts der hohen Zahl von Privatisierungsgegnern meiden selbst in der Kleinstkommune in Hintertupfingen die Politiker das Wort „Privatisierung“ wie der Teufel das Weihwasser.

Das mag auch daran liegen, dass das Wort „Privat“ übersetzt „Raub“ bedeutet und bei der Umschreibung dieses an sich glasklaren Begriffs scheint es keine Grenzen der Kreativität zu geben, ihn zu vermeiden. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Akteure darüber bewusst sind, was sie da tun. Früher oder später kommt bei jeder Privatisierung heraus, dass sie schädlich für die Allgemeinheit ist, am Ende die Infrastruktur völlig beschädigt ist, ein großer Teil der Beschäftigten der Arbeitsplatz geraubt wurde, die Kosten um ein mehrfaches höher sind, als geplant und Steuergelder en Gros in private Taschen versickert sind.

Hinzu kommt, dass eine gestaltende Politik die Investitionen nur über Schulden machen realisieren kann und eine solche gesetzliche Vorgabe wie die 2020 in Kraft tretenden Schuldenbremse, die dem Öffentlichen Sektor eine Nettokreditaufnahme quasi verbietet,  nach Tricks und Schattenhaushalten schreit.

Zu diesem Dilemma hat zum großen Teil auch die “Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland”, auch Fratzscher-Kommission genannt, beigetragen.

Die Kommission wurde von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im August 2014 zum Thema Investitionen in öffentliche Infrastruktur, z.B. in Verkehrswege oder kommunale Infrastruktureinrichtungen, eingesetzt. Es sollen vor allem private Investoren gewonnen werden, die z.B. im Rahmen von Public Private Partnership (PPP) privates Anlagekapital nutzen, um künftige Finanzierungsengpässe abzumildern.

Die Kommission unter der Führung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wurde beauftragt, Empfehlungen auszuarbeiten, wie die privaten und öffentlichen Investitionen im Land gestärkt werden können. Die Kommissionsmitglieder selbst hatten es sich zum Ziel gesetzt, die Umsetzung ihrer Vorschläge und die Regierungsmaßnahmen zu begleiten und zu evaluieren.

Die Mitglieder der Kommission sind: Prof. Marcel Fratzscher, Ph.D. (DIW Berlin, Vorsitzender); Helmut Dedy (Deutscher Städtetag); Frank Bsirske (Ver.di); Robert Feiger (IG Bauen, Agrar, Umwelt); Prof. Dr. Lars Feld (Eucken Institut und Albert-Ludwigs-Universität Freiburg); Jürgen Fitschen (Deutsche Bank); Prof. Dr. Veronika Grimm (Universität Erlangen-Nürnberg); Reiner Hoffmann (DGB); Dr. Helga Jung (Allianz); Dr. Markus Kerber (BDI); Wolfgang Lemb (IG Metall); Franz-Josef Lersch-Mense (Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen); Dr. Hans-Hartwig Loewenstein (Zentralverband Deutsches Baugewerbe); Dr. Thomas Mayer (Flossbach von Storch); Andrée Moschner (Ergo Group AG); Prof. Dr. Siegfried Russwurm (Siemens); Prof. Dr. Monika Schnitzer (Ludwig-Maximilians-Universität München); Dr. Ulrich Schröder (KfW); Dr. Harald Schwager (BASF); Dr. Eric Schweitzer (DIHK); Michael Vassiliadis (IG Bergbau, Chemie, Energie).

Die Beratungen für das Gutachten fanden zwischen August 2014 und April 2015 statt, im Spätsommer 2016 traf sich die Kommission zur Evaluierung der Umsetzung und sieht weiterhin Handlungsbedarf bei der Stärkung der Investitionen in Deutschland. Es seien gute Fortschritte erzielt worden. So seien etwa die öffentlichen Investitionen ausgeweitet worden, es gebe eine Beratungsagentur für Kommunen und die Wagniskapitalfinanzierung sei verbessert worden. Diese Schritte reichten aber noch nicht aus, um den Investitionsstau im Land zu lösen und nachhaltige Grundlagen für neues Wachstum zu legen, urteilten die 21 Vertreter von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaft.

Die wirtschaftlichen Risiken für Deutschland und Europa hätten sich durch die Brexit-Entscheidung, die US-Wahlen und Italiens Referendum erhöht. Zukunftsweisende Investitionen seien daher dringend notwendig. „Die Bundesregierung hat wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Aber Deutschland lebt weiterhin von der Substanz. Kapazitäten und Kompetenzen des Staates müssen deutlich gestärkt werden. Die Finanzierung wichtiger Zukunftsbereiche wie der Digitalisierung ist ebenso unzureichend, wie dringend benötigte soziale Investitionen“, fasste der Kommissionsvorsitzende Marcel Fratzscher die Sorgen der Kommissionsmitglieder zusammen. Die deutsche Politik müsse deswegen noch mehr tun und entschiedener handeln, um die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu gewährleisten.

Die Kommission schlägt nun einen Fünf-Punkte-Plan vor. In der Pressmitteilung wird der Plan erläutert:

  • In einem ersten Schritt müssten die Kapazitäts- und Kompetenzengpässe bei Bund, Ländern und Kommunen beseitigt werden. „Das Geld kommt nicht dort an, wo es gebraucht wird“, so das Fazit. Es müssten Personal und Kompetenzen bereitgestellt werden, um notwendige öffentliche Investitionsprojekte zu planen und umzusetzen. Auch die bereitgestellten Summen seien weiterhin zu niedrig, besonders für viele Kommunen.
  • Sie müssten, so der zweite Vorschlag der Experten, steigen und regional besser verteilt werden, um eine weitere Verschärfung regionaler Unterschiede zu verhindern.
  • Um die Investitionen nachhaltig abzusichern, spricht sich die Kommission als drittes für eine langfristige Investitionsstrategie des Staates aus. Sie solle festlegen, dass die Überschüsse des Staatshaushaltes primär für Investitionen genutzt werden, die öffentliche Hand zu mehr Transparenz und Rechenschaft verpflichten und sicherstellen, dass nicht unverzüglich abgerufene Gelder zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehen.
  • Der vierte Vorschlag der Experten betrifft die dringend benötigten Investitionen in wichtige Zukunftsfelder der deutschen Wirtschaft, wie etwa die Digitalisierung. Trotz der Bereitstellung zusätzlicher Fördermittel von insgesamt vier Milliarden Euro bis 2020 ist Deutschlands digitale Infrastruktur derzeit international nicht wettbewerbsfähig, was die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland gefährdet. Die Bundesregierung sollte daher einen möglichst hohen Erschließungsgrad mit neuer leistungsfähiger Technologie anstreben – auch unter stärkerer Ko-Finanzierung durch private Investoren. „Privates Kapital und Expertise stehen in ausreichendem Maße zur Verfügung. Dieses Kapital sollte für Investitionen in die Zukunft mobilisiert werden, wo immer es für die öffentliche Hand und den Investor wirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Fitschen.
  • Entscheidend für die Zukunft des Landes ist es nach Einschätzung der Experten auch, mehr Geld für soziale Investitionen bereit zu stellen. „Besonders in die Ausbildung und Integration der Menschen, die bislang außen vor geblieben sind, muss mehr investiert werden – also vor allem in Verbesserungen für Langzeitarbeitslose, Menschen in prekärer Beschäftigung, Flüchtlinge und Kinder aus sozial benachteiligten Familien“, mahnt Hoffmann. Erforderlich seien unter anderem Investitionen in Bildung und Qualifizierung, die Sprachförderung und die Anerkennung von Qualifikationen“.

Dieser Fünf-Punkte-Plan soll nun mit Hochdruck umgesetzt werden. Es besteht Zeitdruck, weil in immer mehr Kommunen die Menschen  die Folgen der Privatisierung spüren und sie erleben, dass sie schädlich für die Allgemeinheit und am Ende die Infrastruktur völlig beschädigt ist.

Falls jemand bei den Mitgliedern der Fratscher-Kommission etwas überlesen haben sollte: Die Vertreter der Gewerkschaftsmitglieder in der Kommission sind Frank Bsirske (ver.di); Robert Feiger (IG Bauen, Agrar, Umwelt); Reiner Hoffmann (DGB); Wolfgang Lemb (IG Metall) und Michael Vassiliadis (IG Bergbau, Chemie, Energie).

 

 

 

Quelle: Fratzscher-Kommission, Lunapark 21, Waz

Bild: ver.di