Für einen Wandel in der Migrations- und Asylpolitk

Von Die Linke

Die aktuellen Vorstöße verschiedener Politiker*innen zum Thema Migration und Asyl heizen einen stigmatisierenden und diskriminierenden öffentlichen Diskurs gegen Menschen mit Migrationshintergrund an. Das hat reale Folgen: Die Gewalt gegen geflüchtete Menschen hat in Deutschland 2023 stark zugenommen. Insgesamt wurden 75 Prozent mehr Straftaten gegen geflüchtete Menschen registriert. Knapp 90 Prozent dieser Straftaten wurde von Rechten ausgeübt.[1] Aus populistischen Drohungen werden reale Gefahren für den Leib und Leben von Menschen in Deutschland.

Klar ist, dass in Deutschland reale Probleme bei der Migration existieren. Die Kommunen sind massiv unterfinanziert, beim Bundeshaushalt wird bei der Migration und Integration gekürzt und noch immer gibt es keine funktionierenden Ansätze auf europäischer Ebene für eine gemeinsame Asylpolitik, die Menschenrechte achtet. Um Antworten zu finden, müssen reale Fakten und statistische Daten einbezogen werden. Populistische und oftmals stigmatisierende, diskriminierende und rassistische Äußerungen von Söder bis Wagenknecht – die keinerlei reale Grundlage haben – sind keine Lösung. Sie verdrehen die Realität und öffnen den öffentlichen Diskurs ungebremst nach rechts – ein Nährboden für die extreme Rechte.

Was sagen die Fakten?

Laut dem Statistischen Bundesamt leben aktuell rund 13,9 Millionen[2] Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, was etwa 16,7 Prozent[3] der Gesamtbevölkerung ausmacht. Von den 25,1 Millionen unter 30-Jährigen in Deutschland haben laut Mikrozensus 2022 rund 7 Millionen (29 Prozent) eine Migrationsgeschichte. Die Hälfte von ihnen ist selbst eingewandert, also nicht in Deutschland geboren.[4] Alleine in ostdeutschen Flächenstaaten tragen ausländische Beschäftigte laut IW (2024) 24,6 Milliarden Euro zur Wertschöpfung bei.[5] Auch die Sozialversicherung hängt von ihnen ab: während die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Deutschen von Ende 2012 bis Ende 2021 um gut 8 Prozent stieg, erhöhte sich die Zahl der ausländischen Beschäftigten im selben Zeitraum um mehr als 110 Prozent.[6]

Ohne ausländische Staatsangehörige würden viele Branchen mit Beschäftigungsengpässen still stehen. Ein Rückgang von Beschäftigten konnte in vielen Branchen nur durch die Einstellung ausländischer Spezialist*innen erreicht werden. In Pflegeberufen sank die Zahl der beschäftigten Deutschen im vergangenen Jahr um fast 17.000. Dieser Rückgang wurde durch 24.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland kompensiert.

In verschiedenen Branchen konnte ein Rückgang der Beschäftigungszahlen durch die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte zu einem großen Teil kompensiert werden. Der Rückgang der deutschen Berufskraftfahrer im Güterverkehr wurde beispielsweise zu etwa 70 Prozent durch ausländische Fachkräfte ausgeglichen. Auch in der Human- und Zahnmedizin oder in der Softwareentwicklung würden ohne ausländische Fachkräfte weitaus mehr Beschäftigte fehlen.[7]

Diese Zahlen stehen im direkten Gegensatz zu den häufig geäußerten Befürchtungen, dass geflüchtete Menschen die Sozialsysteme überlasten. Im Gegenteil: Menschen mit Migrationsgeschichte leisten einen essenziellen Beitrag dafür, dass die deutsche Wirtschaft überhaupt noch läuft. Das war in der Vergangenheit so, und bewahrheitet sich auch heute.

Die Doppelmoral in der politischen Debatte

In einem Interview beim ZDF sagte Bayerns Ministerpräsident Söder am 05. September, dass uns die Migration über den Kopf wachse und die Integration nicht mehr möglich sei.[8] Dabei zeigt die Realität, dass weder die Kosten für geflüchtete Menschen noch die Zahl der Asylanträge besonders hoch sind. Insgesamt gaben alle Bundesländer 2023 zusammen rund 6,3 Milliarden Euro für Asylsuchende aus. Das sind knapp 1,2 Prozent der gesamten Ausgaben der Bundesländer (Kern- und Extrahaushalte). Zum Vergleich: Im Jahr 2016 haben die Bundesländer mehr als 2,6 Prozent ihrer gesamten Ausgaben für Asylsuchende ausgegeben, also mehr als das doppelte gemessen an den gesamten Ausgaben. Die Kosten für geflüchtete Menschen sind im Vergleich zu den Gesamtausgaben nicht gestiegen. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 351.915 Asylanträge gestellt. Dies sind 393.630 weniger Anträge als im Jahr 2016, dem Höhepunkt der Fluchtbewegung der letzten zehn Jahre

Vielmehr wächst uns die soziale Ungleichheit über den Kopf, die seit Jahrzehnten ungebremst steigt. Aktuelle Studien, etwa von Oxfam, zeigen, dass einige wenige immer reicher werden, während der größte Teil der Menschen in Deutschland nichts besitzt. Inzwischen besitzt das reichste 0,1 Prozent mehr als ein Fünftel des gesamten deutschen Vermögens (20,4Prozent). Die ärmere Hälfte besitzt lediglich 1,3 Prozent (Oxfam 2023).[9] Diese alarmierende Ungleichheit wird durch ein Steuersystem begünstigt, das Steuerflucht und Steuerbetrug den Reichen ermöglicht. So gehen dem deutschen Staat je nach Schätzung jährlich rund 50 bis 100 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren.[10] Alleine durch die Aussetzung der Vermögensteuer hat der deutsche Staat seit 1997 mehr als 410 Milliarden Euro verloren.[11] Verlorene Steuereinnahmen, die die Kosten von geflüchteten Menschen bei weitem überschreiten.

Eine solidarische und menschenwürdige Antwort

Die Linke setzt sich für eine humane Asylpolitik ein, die das im Grundgesetz verankerte Individualrecht auf Asyl für politisch Verfolgte stärkt. Viele Menschen müssen ihre Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung, Hunger oder den Folgen des Klimawandels verlassen. Die Flucht über gefährliche, teils tödliche, Fluchtrouten ist für viele Menschen die letzte Option. Nur etwa 6 Prozent aller Geflüchteten stellt in einem anderen Land einen Antrag auf internationalen Schutz. Fast 60 Prozent sind hingegen sogenannte Binnenvertriebene, die innerhalb des eigenen Landes fliehen.[12]

Gerade deswegen muss aus einer Perspektive der internationalen Solidarität die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort unterstützt werden. Die Profiteur*innen und Treiber*innen von Krieg und Krisen müssen zur Verantwortung gezogen werden. Die Rüstungsexporte in Deutschlands betrugen im Jahr 2023 rund 12,2 Milliarden Euro.[13] Deutsche Konzerne wie Rheinmetall zählen dabei zu den größten Gewinnern und erzielen Milliardenumsätze mit dem Leid von Menschen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich der Aktienwert von Rheinmetall mehr als vervierfacht (+410 Prozent), in den letzten 10 Jahren hat er sich verzehnfacht. Im letzten Jahr, der Hochphase der deutschen Aufrüstung, war die Rheinmetall-Aktie die profitabelste am deutschen Börsenmarkt (+54Prozent). Um Profit mit dem Leid von Menschen zu unterbinden, müssen Waffenexporte verboten werden.

Integration ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Asylpolitik. Doch Kommunen sind massiv unterfinanziert und werden mit der Aufgabe der Integration alleine gelassen. Um passende Integrations- und Bildungsangebote für geflüchtete Menschen zu schaffen, braucht es eine Investitionsoffensive und die finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder – auch angesichts gravierender Defizite im Bildungsbereich. Insgesamt fehlen deutschlandweit rund 15.000 Lehrkräfte. Bis 2035 könnten nach aktuellen Prognosen 85.000 Lehrkräfte fehlen. Über 40 Prozent[14] der Schulen weisen bauliche Mängel auf. Das beeinträchtigt die Lernbedingungen für alle Schüler*innen und den Zugang zu Bildung und Sprache für geflüchtete Kinder.

Ein gezielter Investitionsschwerpunkt auf Schulinfrastruktur und spezifische Bildungsangebote wie Sprachkurse und Förderprogramme würde die Integration geflüchteter Menschen deutlich verbessern. Insgesamt ist eine Investitionsoffensive notwendig, um die Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen und Chancengleichheit zu gewährleisten.

Die europäische Perspektive

Ein Asylsystem kann und wird nicht im nationalen Alleingang funktionieren, besonders nicht in der EU. Die Verantwortung für Asylsuchende sollte gerecht auf alle EU-Mitgliedstaaten verteilt werden, um die Belastungen an den Außengrenzen zu mindern. Alleine zwischen 2014 und 2022 sind 25.758 Menschen im Mittelmeer ertrunken.[15] Ein Armutszeugnis für die „wertegeleitete“ Politik der EU. Mit ein Grund: Die illegalen Pushbacks, bei denen geflüchtete Menschen unter Missachtung der internationalen Menschenrechte brutal in Drittstaaten abgeschoben werden. Allein 2023 wurden knapp 30.000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen dokumentiert.[16]

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wird die Zahl der Menschenrechtsbrüche weiter verstärken. Menschen werden in gefängnisähnlichen „Ankunftszentren“ untergebracht, ohne die Möglichkeit, während des Asylverfahrens den Ort zu verlassen. In Zukunft sollen sogar Kinder in Abschiebegefängnissen festgehalten werden. Das gefährdet das Kindeswohl und kann verheerende psychosoziale Folgen für die betroffenen Kinder haben. Es ist inakzeptabel, dass Menschen keine sicheren Fluchtwege gewährt werden und sie deswegen im Mittelmeer ertrinken oder an den EU-Außengrenzen unter gefängnisähnlichen Bedingungen festgehalten werden, nur weil sie vor Verfolgung und Gewalt fliehen. Die GEAS-Reform bietet für die existierenden Probleme keine Lösungen, sie muss grundlegend überarbeitet werden.

Das Versagen der Politik

Die Menschenrechtsverletzungen, die täglich im Namen der deutschen Asylpolitik begangen werden, sind nicht Fehler von geflüchteten Menschen, sondern Zeichen einer dysfunktionalen deutschen Migrations- und Asylpolitik. Die Zahlen der Asylanträge sind im Vergleich zu den vergangenen Jahren stagniert oder gesunken. Auch die Kosten für Geflüchtete, anteilig an den gesamten Ausgaben der Bundesländer, sind gesunken. Politiker*innen machen es sich einfach, alle Probleme des Landes auf Menschen zu schieben, die sich am wenigsten selbst verteidigen können. Dabei tragen geflüchtete Menschen weder die Schuld am Mangel an bezahlbaren Wohnungen, fehlenden Lehrkräften, übervollen Klassen noch dem Zerfall des Gesundheitssystems.

Im Gegenteil: Die deutsche Wirtschaft würde ohne ausländische Beschäftigte zusammenbrechen. Viele Branchen, wie der Pflege- und Gesundheitssektor, wären ohne ausländische Beschäftigte massiv unterbesetzt. Trotzdem versuchen CDU, BSW und AfD immer wieder, die Probleme auf die Geflüchteten zu schieben. Es wird Zeit, die Bundesregierung für ihre Fehler in die Verantwortung zu ziehen.

Damit die Kommunen mit der Integration von geflüchteten Menschen nicht alleine stehen, braucht es einen Wandel in der Investitionspolitik. Das Geld dafür liegt konzentriert in den Taschen der Milliardär*innen in Deutschland. Die wollen wir endlich stärker am Gemeinwesen beteiligen und damit nicht nur die Integration von geflüchteten Menschen finanzieren, sondern auch die anderen Herausforderungen im Land angehen. Für gute Bildung, ein funktionierendes Gesundheitssystem, ausreichend sozialen Wohnraum und eine pünktliche und bezahlbare Bahn. All das hält die deutsche Wirtschaft heute und in Zukunft am Laufen.

Anmerkungen:

[1] https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2024/Presse2024/240521_ PM_Fallzahlen_PMK2023.html

[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/auslaendische-bevoelkerung-geburtsort.html

[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/_inhalt.html

[4] https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2024/pdf-dateien-2024/bildungsbericht-2024-kompakt.pdf

[5] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2024/IW-Kurzbericht_2024-AuslProzentC3ProzentA4ndische-BeschProzentC3ProzentA4ftigte.pdf

[6] https://www.iwd.de/artikel/auslaendische-beschaeftigte-viele-haben-gut-bezahlte-mint-jobs-577372/

[7] https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Migration/Generische-Publikationen/AMkompakt-Auslaendische-Arbeitskraefte-am-deutschen-Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[8]  https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/soeder-csu-muenchen-asylpolitik-kanzlerkanditatur-100.html

[9] https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_factsheet_davos-2023_umsteuern.pdf

[10] https://www.boeckler.de/de/magazin-mitbestimmung-2744-steuerhinterziehung-kostet-100-milliarden-5391.htm

[11] https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/vermoegenssteuer-keine-angst-steuerflucht

[12] https://www.unhcr.org/global-trends

[13] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesregierung-ruestungsexporte-100.html

[14] https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2022/pdf-dateien-2022/bildungsbericht-2022.pdf

[15] https://de.statista.com/infografik/5244/todesfaelle-von-fluechtlingen-im-mittelmeer/

[16] https://pro.drc.ngo/resources/news/pushbacks-on-the-european-borders-unravelling-the-perils-along-migration-journeys-in-europe/

 

 

 

 

 

Quelle: https://www.links-bewegt.de/

Bild: nord-dgb.de