Gewerkschaft und ihre Mitglieder

Für Gewerkschaften gibt es nichts wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen.

Immer zum Jahreswechsel bilanzieren die Gewerkschaften die Entwicklung ihrer Mitgliederzahl. Die acht Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sind dabei sehr genau. Mal aus Eigeninitiative, mal auf Nachfrage teilen sie aufs Mitglied genau den Stand mit.

Zur Jahrtausendwende hatte der DGB noch knapp 7,8 Millionen Mitglieder. 17 Jahre später rutschte die Zahl der Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften erstmals unter die sechs Millionen Grenze.

Ende des Jahres 2024 waren im DGB insgesamt 5.578.915 Menschen organisiert, das entspricht einem deutlichen Mitglieder-Minus von 1,5 Prozent und damit wurde der negative Mitgliedertrend der Jahre vor 2023 wieder aufgenommen.

Der DGB schiebt gebetsmühlenartig den Mitgliederschwund auf die demografische Entwicklung, bei der mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als in die Gewerkschaft eintreten. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht. Die aktuellen Zahlen zeigen erneut, dass die immer wieder geäußerte allgemeine Wertschätzung der Gewerkschaften in der Bevölkerung sich nicht in einer entsprechend breiten Verankerung niederschlägt. In sehr vielen Betrieben, Einrichtungen und Behörden sind die Gewerkschaften gar nicht präsent, auch in Schulen und Universitäten kommen sie in den Lehrplänen kaum vor. Somit ist auch ihre gesellschaftspolitische Stimme nur noch selten zu hören und nicht wenige Menschen sehen in ihnen nur noch ein Anhängsel der jeweiligen Regierung.

Ende des Jahres 2024 hatten die DGB-Gewerkschaften insgesamt 5.578.915 Mitglieder. In den vergangenen 20 Jahren haben mit Ausnahme von der GdP und teilweise der GEW alle DGB-Gewerkschaften deutliche Mitgliederrückgänge zu verzeichnen.

Die beiden größten Einzelgewerkschaften IG Metall und ver.di haben unterm Strich Verluste an Mitgliedern zu verkraften, ebenso die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) ihre Mitgliederzahl sank auf 566.560. Sind es bei der IG Metall Ende 2024 noch 2.096.511 Mitglieder, ist die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Ende 2024 erstmals unter die zwei Millionen Grenze gerutscht und zwei Jahr später waren es noch 1.864.633 Millionen. Geschrumpft sind auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Ende vergangenen Jahres nur noch auf 183.807 Mitglieder kam und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die schon länger unter die Marke von 200.000 Mitgliedern gefallen ist, hier waren es Ende 2024 noch 184.972 Mitglieder. Relativ stabil geblieben ist die Mitgliederzahl der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit ihren 273.544 Mitgliedern. Zulegen konnte allein die kleinste DGB-Gewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei (GdP), sie verzeichnet 211.325 Mitglieder.

Nach Schätzungen sind ein Viertel aller Mitglieder der DGB-Gewerkschaften im Ruhestand oder erwerbslos.

Die Zahl der abhängig Beschäftigten in Deutschland ist im Jahr 2024 laut Statistischem Bundesamt auf rund 42,3 Millionen nur leicht angestiegen.

Der Anteil der Beschäftigten, die Mitglied einer DGB-Gewerkschaft sind, lag Ende 2024 bei knapp zehn Prozent.

Mögliche Gründe für das Schrumpfen der Mitgliederzahlen
a. Spezifische Gründe bei den Einzelgewerkschaften

Den größten Mitgliederrückgang verzeichnete die IG BAU mit einem Minus von 3,2 Prozent. Im Jahr 2000 hatte sie noch rund 540.000 Mitglieder und seitdem befindet sie sich in einem kontinuierlichen Abwärtstrend. Dieser Gewerkschaft macht vor allem der Strukturwandel im Baugewerbe, ihrem wichtigsten Organisationsbereich, zu schaffen. Ende 2021 lief der tarifliche Baumindestlohn aus, in der Folge blieben die zuständigen Unternehmensverbände völlig passiv, während die Gewerkschaft zu schwach war, den Baumindestlohn per Arbeitskampf durchzusetzen. Die Tarifrunde 2024 im Bauhauptgewerbe brachte auch keine Änderung, die IG BAU hatte erst gar nicht versucht, eine Dynamik zu entwickeln.

Die IG Metall hatte Ende des vergangenen Jahres etwa 40.000 Mitglieder weniger als noch im Jahr zuvor, das entsprach ein Minus von 1,9 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür war ein dramatischer Einbruch bei den erwerbslosen Mitgliedern mit Arbeitslosengeldbezug. Für diese Mitgliedergruppe war die Umsetzung des Beschlusses des Gewerkschaftstags für eine Anhebung der Beiträge auf 0,5 Prozent des Arbeitslosengeldes ausschlaggebend. Das war für viele erwerbslose Mitgliedglieder der Grund, ihre Mitgliedschaft zu beenden. Die trüben Aussichten für die Metallindustrie im Jahr 2025 mit angekündigtem Stellenabbaus werden den Mitgliederverlust noch beschleunigen.

Die zweitgrößte DGB-Gewerkschaft, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, konnte nach den Arbeitskämpfen 2023 seit vielen Jahren mit einem deutlichen Mitgliederplus abschließen, beendete das Jahr 2024 aber mit einem Mitgliederrückgang von 1,8 Prozent. Trotz eines Rückgangs von 33.000 Mitgliedern hatte ver.di Ende 2024 allerdings immer noch 7.200 Mitglieder mehr als vor dem turbulenten Jahr 2023.

ver.di ist eine sehr breit aufgesplitterte Gewerkschaft und dementsprechend ist auch die Mitgliederentwicklung in den einzelnen branchenbezogenen Fachgruppen  unterschiedlich. Während ver.di bei Busse und Bahnen, im Flugverkehr, in der Energiewirtschaft und bei der Telekommunikation zum Jahresende mit schwarzen Zahlen abschloss, gab es im Einzel- und Großhandel wie auch im Bereich der Postdienste wegen deutlicher Mitgliederrückgänge nur die roten Zahlen.

Rückgänge der Mitgliederzahlen gab es auch in den Fachgruppen der öffentlichen Krankenhäuser sowie bei den kommunalen Sozial- und Erziehungsdiensten. Auch weil die seit über 10 Jahren angestrebte Aufwertung dieser Berufe seitens der Gewerkschaft nichts Substantielles beigetragen hat. Die aktuell abgeschlossenen Tarifverhandlungen werden auch für das Jahr 2025 keine Aufwertung für die Beschäftigten in den öffentlichen Krankenhäusern sowie bei den kommunalen Sozial- und Erziehungsdiensten bringen und somit ist die Mitgliedschaft in der Dienstleistungsgewerkschaft unattraktiv.

Die IG BCE setzt ihre negative Mitgliederentwicklung fort, nicht zuletzt deshalb, weil sie seit Jahren den Vorreiter einer hündischen Sozialpartnerschaft abgibt.

Die NGG hatte 2023 noch um 1,3 Prozent zugelegt, konnte dieses Ergebnis 2024 nicht wiederholen und die Mitgliederzahl sank um 1,5 Prozent.

Die GEW konnte 2023 noch ein Plus von 1,1 Prozent erreichen, kippte aber wieder mit 0,6 Prozent in den Minusbereich.

Bei der EVG lagen die Mitgliederverluste nach 2023 mit -0,6 Prozent auch 2024 mit – 0,4 Prozent wieder im roten Bereich.

Die einzige Gewerkschaft, bei der die Mitgliederzahlen stetig wachsen, ist die GdP, die nach einem Plus von zwei Prozent in 2023 auch 2024 um 1,5 Prozent zulegte. Das ist nicht zuletzt der offiziell permanent geschürten Sicherheitshysterie und dem stetigen Ausbau des Sicherheitsapparates geschuldet, sondern auch der ständigen Präsenz der Polizei- und Ordnungskräften in den Medien. Dort nehmen regelmäßig Vertreter der Gewerkschaft der Polizei zu „Sicherheitsproblemen“ Stellung und sind mit der Umsetzung der Forderung nach mehr Personal äußerst erfolgreich. Von der inflationären Ausstrahlung von Krimiserien, die das Berufsbild Polizei aufwerten, ganz zu schweigen.

Allgemeine Gründe für das Schrumpfen der Mitgliederzahlen, wie

 b. Hohe verstetigte Arbeitslosigkeit und Abrutschen der Menschen in Hartz-IV/ Bürgergeld

Um den immens hohen Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen zu kaschieren und diejenigen unerwähnt zu lassen, denen der erste Arbeitsmarkt versperrt bleibt und die seit Jahren in Hartz-IV festsitzen, fallen fast eine Million Erwerbslose aus der Statistik heraus. Es wundert kaum, dass in den vergangenen 10 Jahren mehr als 14,5 Millionen Menschen Bekanntschaft mit den Hartz-IV-Gesetzen gemacht haben und diesem System völlig ausgeliefert waren.

Ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland – und damit rund 16,1 Millionen Menschen – war im vergangenen Jahr von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Dieser Anteil ist seit 2008 nahezu unverändert.

Alle DGB-Gewerkschaften waren an der Einführung der Hartz-IV-Gesetzgebung mitbeteiligt, deren vorrangiges Ziel die Abschreckung der Beschäftigten in das Hartz-IV-System zu fallen war. Die Arbeitskräfte sollten sich mit Einkommenseinbußen arrangieren, um den damaligen  Exportweltmeister Deutschland mit seinen Niedriglöhnen international konkurrenzfähig zu halten und die Abnehmerländer in die Schuldenfalle zu führen.

Für die betroffenen prekär Beschäftigten und Ex- oder Wiederbeschäftigten ist die Gewerkschaft selbst ein Teil des Hartz-IV-Problems, weil diese sie selbst als Gewerkschaftsmitglieder im Regen stehen ließen und sich eher auf die Stammbelegschaft konzentrierte.

c. Zunahme prekärer Beschäftigung

In den vergangenen 150 Jahren ist das Machtgefälle zwischen Kapital und Arbeit wahrscheinlich deshalb kleiner geworden, weil es der Arbeiterbewegung zu verdanken ist, dass abhängige Beschäftigung immer mehr mit der sozialen Sicherung verbunden ist. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung bis in die 1980er Jahre hinein, als man von dem „Normalarbeitsverhältnis“ sprach. Damals war es erstmals möglich, entgegen aller Konkurrenz der Beschäftigten, unter bestimmten Bedingungen zeitweise mal auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft zu verzichten und seine Existenz halbwegs mit der Arbeitslosenversicherung, Krankengeld und letztlich Rente zu sichern. Diese Situation verbesserte die Verhandlungsbedingungen für die Beschäftigten und deren Interessenvertretung immens und das sollte für Staat und Unternehmen so nicht sein.

Die jeweiligen Regierungskoalitionen schafften es dann mit ihrer Politik der Prekarisierung den Unternehmen die Möglichkeiten für befristete Beschäftigung, Minijobs, Leiharbeit, Soloselbständigkeit und Werkverträge zu bieten. Diese Entwicklung, wie auch die sich anschließende Hatz-Gesetzgebung übte ungeheuren Druck auf die Beschäftigten und erwerbslosen Menschen aus, lief im Windschatten der Gewerkschaften ab und die Gewerkschaftselite schaute einfach immer wieder zum richtigen Zeitpunkt weg. Sie nahmen es nicht wahr, dass ein hoher Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen und der massive Ausbau des Niedriglohnbereichs sowie die prekäre, ungesicherte Beschäftigung dazu geführt haben, dass ein großer Teil der Marginalisierten sich abgehängt und überflüssig fühlt.

Mittlerweile arbeiten rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter zehn Euro in der Stunde. In Ostdeutschland liegt ihr Anteil sogar bei 30 Prozent. Minijobs sind mit derzeit rund 7,5 Millionen geringfügig entlohnten Beschäftigten im Arbeitsmarkt fest verankert.

Inzwischen gibt es rund 50.000 Sklavenhändler, die rund eine Million Arbeitskräfte verleihen, so viele, wie noch nie. Migranten steht auf dem Arbeitsmarkt fast nur der Niedriglohnsektor offen. Der Niedriglohnsektor ist ein geschlossener Arbeitsmarkt, in dem die Beschäftigten kaum eine Chance haben, jemals eine Anstellung mit besseren Bedingungen zu erhalten. Viele hangeln sich von einem miesen Job zum nächsten, gelegentlich unterbrochen von Arbeitslosigkeit, bis man in der nächsten trostlosen Klitsche wieder anfängt.

Es gab noch nie so viel Arbeitnehmerüberlassung wie heute. Je mehr die DGB-Gewerkschaften die Leiharbeit fairer gestalten und regulieren wollten, desto mehr breitete sie sich aus. Für die Beschäftigten in diesen Arbeitsverhältnissen gibt es quasi keine Interessenvertretung und sie sehen die Gewerkschaften als Vertreter der ihrer Meinung nach privilegierten Stammbelegschaften an.

d. Spaltung der Belegschaften

In vielen Betrieben, auch in den großen Konzernen hat die Spaltung der Belegschaft unglaubliche Ausmaße angenommen.

Da gibt es auf der einen Seite die Stammbeschäftigten, darunter die befristet Beschäftigten, unbefristet Beschäftigten und geringfügig Beschäftigten und auf der anderen Seite arbeiten die Leiharbeiter, Dienstleistungsbeschäftigten und Werkvertragsbeschäftigten.

Die Spaltung der Beschäftigten führt zu einem massiven Verlust an Legitimität bei den Betriebsräten und der Gewerkschaft. Ein größer werdender Teil der Belegschaft ist in den Betriebsräten gar nicht mehr vertreten und die Spaltung in Stammbeschäftigte und Fremdbeschäftigte führt zur Spaltung der Tariflandschaft. So werden auch Arbeitskämpfe, aus denen die Gewerkschaftsorganisationen Honig ziehen, praktisch gar nicht mehr möglich. Dabei ist es völlig egal, ob Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden können oder nicht.

Wichtiger für die Gewerkschaften ist, dass die Leiharbeitskräfte einem anderen Unternehmen angehören und anderen Tarifverträgen unterworfen sind oder gar keine Tarifverträge haben, so können sie bei einem Arbeitskampf keine aktive Rolle mehr einnehmen.

Aber dieses Problem ist hausgemacht: Die Regierung unter Gerhard Schröder begann endgültig damit, mit Hilfe der Hartz-Gesetze und Einführung der Leiharbeit die Normalarbeitsverhältnisse anzugreifen und das Sozial- und Arbeitsrecht zu zerschlagen. Dabei gab es einen hässlichen Deal. Der damalige Arbeits- und Sozialminister, Wolfgang Clement (damals noch SPD) machte für das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur ausdrücklichen Bedingung, dass der DGB per Tarifvertrag die in § 3 geregelten gleichen Beschäftigungsbedingungen wie Arbeitszeit, Arbeitsentgelt und Urlaubsanspruch unterläuft. Der damalige Bundesvorsitzende des DGB, Michael Sommer, stimmte dieser „stillen Vereinbarung” in wirklich aller Stille, auch gegenüber den Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern, zu. Darunter haben die fast eine Million Leiharbeitskräfte noch heute zu leiden, sie sind finanziell schlechter gestellt und faktisch rechtlos.

Das Unterlaufen gesetzlicher Standards durch Tarifverträge ist z.B. innerhalb der IG Metall oft anzutreffen und hat nicht nur zur Legalisierung der Zeitarbeit über die im Gesetz vorgesehenen Grenzen geführt, sondern verschärft die Politik des Sozialdumpings. Dazu gehören die Arbeitszeitregelungen mit dem Unwesen der Arbeitszeitkonten und der rigorosen Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Bei der Individualisierung kollektiver Rechte hebelt die Gewerkschaft sich selbst aus und schwächt die kollektive Gegenmacht immens. Ganz deutlich wird dies bei den individuellen Zielvereinbarungen, wobei die Gehaltsbestandsteile zur Förderung der Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten individuell festgelegt, die kollektiven Interessenvertretungen entmachtet werden und gewerkschaftliches Bewusstsein auf der Strecke bleibt.

 e. Co-Management

In vielen Betrieben und öffentlichen Institutionen kann die Mitarbeit in der Gewerkschaft oder im Betriebs- oder Personalrat als ein Sprungbrett für eine innerbetriebliche Karriere bieten.

Gerade in Unternehmen mit ausgeprägtem Co-Management sind diese Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebs-/Personalräte Teil der Personalstruktur und komplett in die unternehmerische Strategie eingebunden, immer zum Wohl des Ganzen, des Unternehmens.

Im Automobilbereich gibt es auch schon Betriebsräte, die für die Urlaubsgewährung zuständig sind und dafür auf einer „Kostenstelle“ des Unternehmens sitzen. So etwas hat natürlich Auswirkungen auf die „einfachen“ Gewerkschaftsmitglieder und vor allem abschreckende Wirkung auf die Nichtmitglieder, doch nicht nur das.

Das Co-Management der Gewerkschaften schafft neue Notwendigkeiten für den eigenen Machterhalt. Ähnlich wie in der Parteidisziplin gibt es dann eine Gewerkschaftsdisziplin der Betriebsräte. Vor der eigentlichen Betriebsratssitzung wird eine „Fraktionssitzung“ anberaumt, in der Abstimmungsanträge formuliert und das Abstimmungsverhalten bestimmt wird. In der anschließenden Sitzung haben oppositionelle Betriebsräte kaum eine Chance, die Interessen ihrer Wählerschaft ein- geschweige denn durchzubringen.

Für die Gewerkschaftsmitglieder, wie auch für die nicht organisierten Beschäftigten, ist das gegen sie agierende Verhalten des Co-Managements leicht zu durchschauen.

Besonders deutlich wurde dies bei der Abgasmanipulation in der Autoindustrie. Wo keiner den gewerkschaftlichen Vertretern der Beschäftigten abnimmt, nicht zumindest Verdachtsmomente gehabt zu haben und die Gewerkschaften in den Autokonzernen dafür gesorgt haben, dass „Whistleblowing“, um Missstände zu melden und sich zu beschweren erst gar nicht aufkommen konnte. So ein Schweigekartell kann nur mit autoritären Strukturen erklärt werden, die denen auf dem Kasernenhof ähnlich sind und von den Gewerkschaften überwacht werden. Wer aus der Reihe tanzt, wird fertiggemacht. Das ist auch eine Methode, sich als Gewerkschaft selbst zu diskreditieren.

f. Reale Tariflöhne sind inzwischen auf das Niveau von 2016 zurückgefallen

Eigentlich wären in den vergangenen vier Jahren Lohnsteigerungen oberhalb der Inflation auf jeden Fall angesagt gewesen. Vor allem brauchen die vielen Millionen Beschäftigten, die nicht tarifgebunden im Niedriglohnsektor arbeiten und die nicht bzw. für die niemand streikt, deutlich höhere Löhne. Doch schon im vierten Jahr in Folge müssen viele bundesdeutsche Beschäftigte deutliche Reallohnverluste hinnehmen, dies bestätigen auch die Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis).

Danach sind die durchschnittlichen Tarifeinkommen, inklusive Sonderzahlungen, 2023 um 3,7 Prozent im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2022 gestiegen. Die Verbraucherpreise kletterten im selben Zeitraum um 5,9 Prozent, so dass sich ein reales Minus beim Lohn von 2,2 Prozent im Durchschnitt ergibt.

Die realen Tariflöhne sind inzwischen auf das Niveau von 2016 zurückgefallen. Für viele wirken die erheblichen Kaufkraftverluste aus den Jahren 2021 und 2022 noch immer nach. Zwar gelang es den Gewerkschaften 2023, die Kaufkraft der Beschäftigten durch die Tarifauseinandersetzungen wieder zu stabilisieren – allerdings auf zu niedrigem Niveau.

Realistisch betrachtet hat der Teil der Tariflohnvereinbarungen, der „in den Tarif eingegangen“ ist, also eine dauerhafte Tariflohnerhöhung darstellt, im vergangenen Jahr tatsächlich nur 2,4 Prozent betragen. Betroffen sind davon 43 Prozent aller Beschäftigten, deren Arbeitsverträge der Tarifbindung unterliegen.

Rechnet man die Sonderzahlungen hinzu, die von den Unternehmen als Inflationsausgleich geleistet wurden, erhält man einen Anstieg der Tarifverdienste von insgesamt 3,7 Prozent. Aber nur die 2,4 Prozent ergeben das Lohnniveau, auf dem Tariflohnsteigerungen in Zukunft berechnet werden. Die Sonderzahlungen sind ebenso wie die außergewöhnlichen Preisschübe nur eine temporäre Erscheinung.

Es ist ernüchternd, was die Tarifabschlüsse seit Anfang des Jahres 2022 bis Ende des Jahres 2023 hergeben. Die Ergebnisse sind Deutschlands Weg in eine Kriegsbeteiligung gegen Russland, der massiven Kriegsunterstützung für die Ukraine mit derzeit 50 Milliarden Euro Steuergeldern, den Sanktionen gegen Russland und einer Haushaltsplanung geschuldet, die für 2024 mehr als 90 Milliarden Euro für Militär und Waffen vorsahen als Aufrüstung im Rahmen eines Stellvertreterkrieges von NATO und USA.

Eine für die Beschäftigten kämpfende Interessenvertretung sieht anders aus und diese Abschlüsse tragen kaum dazu bei, Mitglieder zu gewinnen, geschweige denn aktiv mit lächerlichen Trillerpfeifen und Warnwesten ausgestattet, gewerkschaftliche Kampfkraft zu markieren.

g. Gewerkschaftliche Lohnpolitik

Dass gewerkschaftliche Lohnpolitik mehr ist als die Ankurbelung der Binnennachfrage dürfte auch den Gewerkschaftseliten klar sein.

Seitens der Gewerkschaften wird folgendes überhaupt nicht kommuniziert:

  • Löhne bzw. Entgelte sind der größte Kostenfaktor für die Unternehmen, deshalb hat die Auseinandersetzung um sie immer einen besonderen Stellenwert für die Gewerkschaftsbewegung. Lohn- und Entgelterhöhungen steigern die Konsumnachfrage, stabilisieren damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und tragen so zur Sicherung der Arbeitsplätze bei, ohne dass von der Lohnseite inflationstreibende Effekte ausgehen.
  • Wenn die Einkommen durch höhere Tarifabschlüsse steigen, schlägt sich das auch bei den Renten nieder. Entscheidend für die Rentenberechnung ist die Entwicklung der Bruttolöhne. Der Rentenwert ergibt sich aus den Bruttolöhnen des Vorjahres. Steigen diese an, wird auch dieser Wert angehoben.
  • Das Lohndumping der letzten Jahre bei uns mit seinen geringen Lohnstückkosten ist eine der wichtigsten Ursachen für die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse, für das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU), für die Handelsungleichgewichte und somit eine Hauptursache der Eurokrise.
  • Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung ist verantwortlich für das Außenhandelsgleichgewicht, d.h. für das Verhältnis von Im- und Exporten. Wenn der Handel auch noch mit Ländern im gleichen Währungsraum stattfindet, sind die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten im Vergleich zu denen der Währungspartnerländer der wichtigste verbleibende Faktor dafür, ob es Handelsüberschüsse oder -defizite gibt. Auch der europäische und weltweite Markt funktioniert so: Wächst eine Volkswirtschaft so muss eine andere naturgemäß schwächer werden. Das Vermögen der einen bildet die Schulden der anderen.
  • Das Märchen von der Lohnentwicklung, die im Vakuum der Tarifparteien stattfindet, wird immer wieder erzählt, ist aber nicht zutreffend. Lohnpolitik ist abhängig von der Wirtschaftspolitik der Regierung, was seit der HARTZ-IV-Gesetzgebung ganz einfach zu belegen ist.
  • Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung hat einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Preise, weil die Vorleistungen, die die Industrie neben dem Faktor Arbeit zusätzlich zur Produktion benötigt, aus anderen inländischen Unternehmen stammen, sofern sie nicht importiert werden. Deren Produktpreise werden von den dort anfallenden Kosten bestimmt. Diese Vorleistungen bestehen gesamtwirtschaftlich betrachtet vor allem aus Lohnkosten.
  • Die Lohnentwicklung hat maßgeblich zur Verarmung beigetragen, mit Auswirkungen bis in die sogenannten Mittelschichten hinein.
  • Die Umverteilung von unten nach oben ist als Ursache für die seit nunmehr neun Jahren anhaltende wirtschafts- und finanzpolitische Krise zu sehen. Die wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat nachweislich zur Destabilisierung des gesamten Finanzsystems beigetragen.

Den Gewerkschaften sollte das Lob der organisierten Unternehmerschaft im Ohr klingeln, das nach den Tarifabschlüssen der letzten Jahre erklang. Übersetzt lautet der Singsang, dass die Belastungen der Unternehmen deutlich unter denen der Vorjahre liegen, dass die Laufzeit deutlich länger ist und dass den Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, Teile des Abschlusses differenziert anzuwenden.

Die „Niedriglöhner, Auftstocker und Prekären“ oder wie die von Armut und Überschuldung bedrohten Menschen auch immer genannt werden, können sich von dem Lob der Unternehmer und vom Stolz der gewerkschaftlichen Verhandlungsführer nichts kaufen und die Tarifbeschäftigten von dem Plus von real ein paar Zehntel Prozent auch nicht viel.

h. Trend zur Tarifflucht hält an – weniger als die Hälfte der Beschäftigten fallen unter einen Tarifvertrag

Tarifbindung bedeutet erst einmal Sicherheit und ein Tarifvertrag garantiert Mindestbedingungen, die auf keinen Fall unterschritten werden dürfen. Ob es um die Höhe des Arbeitsentgelts geht oder um Regelungen zur Urlaubslänge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld: Beschäftigte deren Beschäftigungsverhältnisse ein Tarifvertrag zugrunde liegt, sind durchgängig bessergestellt, als ihre Branchenkollegen ohne Tarifbindung.

Jahrzehntelang war es die Norm, dass die Regelungen, die Gewerkschaft und organisierte  Unternehmerschaft aushandelten für eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten galt – meist einheitlich für ganze Branchen. Doch nimmt die sogenannte Tarifbindung seit vielen Jahren kontinuierlich ab.

Laut der jährlichen Unternehmensbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), ist die Tarifbindung der Beschäftigten zwischen 1998 und 2018 in den westlichen Bundesländern von 76 auf 46 Prozent gesunken, in den östlichen von 63 auf 35 Prozent. Für rund 46 Prozent der Beschäftigten in Deutschland war das Beschäftigungsverhältnis 2018 durch einen Tarifvertrag geregelt.

Allerdings gibt es immer noch große Unterschiede zwischen den alten und neuen Bun­des­län­dern. Für 49 Prozent der Beschäftigten in den alten Bun­des­ländern war das Beschäftigungsverhältnis 2018 durch einen Bran­chen­ta­rif­ver­trag geregelt. Für 8 Prozent der Beschäftigten galten Firmentarifverträge. In den neuen Län­dern war die Tarifvertragsbindung deutlich niedriger. Hier galten für 35 Prozent der Be­schäf­tig­ten Bran­chen­tarif­ver­träge. 11 Prozent arbeiteten in Unternehmen mit Fir­men­ta­rif­ver­trä­gen. Für 44 Prozent der Be­schäf­tig­ten im Westen und 55 Prozent im Osten gab es keinen Tarifvertrag.

Für rund 49 Prozent der Beschäftigten in Deutschland war das Beschäftigungsverhältnis auch im Jahr 2024 durch einen Tarifvertrag geregelt, mit sinkender Tendenz.

Es ist eine Wechselwirkung, dort wo es keine Tarifverträge gibt, ist auch das Interesse an  einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft gering. In Branchen, in denen der gewerkschaftliche Organisationsgrad hoch ist, gibt es tendenziell häufiger tarifvertragliche Regelungen. Zum Beispiel hat der öffentliche Dienst, die Automobil- und Chemie-Industrie oder der Maschinenbau noch recht gute Werte vorzuweisen. Dagegen sieht es in der Logistik, im Gastgewerbe und im Einzelhandel besonders düster aus. So hatte der Einzelhandel noch bis zur Jahrtausendwende ein nahezu flächendeckendes Tarifsystem, da dort fast alle Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt waren.

i. Immer mehr Unternehmen haben keinen Betriebsrat

Ähnlich wie die Zahl der Mitglieder sinkt, sinkt auch die Zahl der Beschäftigten, die in einem Unternehmen arbeiten, in dem es einen Betriebsrat gibt. Die Zahl der Beschäftigten mit Interessenvertretung durch einen Betriebsrat lag in Westdeutschland im Jahr 1996 noch bei 51 Prozent und 2018 waren es nur noch 42 Prozent. In Ostdeutschland sank sie im gleichen Zeitraum von 43 auf 35 Prozent. Die Vertretung durch einen Betriebsrat liegt in Deutschland somit bei nicht einmal der Hälfte der Beschäftigten.

Wenn man sich die Unternehmen anschaut, in denen es die klassische Dopplung von Branchentarifvertrag und Betriebsrat in einem Betrieb als Normalfall gibt, so sieht es aktuell so aus, dass dies in Westdeutschland nur noch für rund 25 Prozent der Beschäftigten gilt, in Ostdeutschland sind es nur 15 Prozent.

Betriebsräte in den Unternehmen sind auch deshalb wichtig, weil der einzelne Beschäftigte ständig in Konkurrenz zu anderen steht, als Einzelperson sich niemals gegen seine Vorgesetzten durchsetzen kann und ohne sich zu organisieren, bleibt er immer strukturell der, der in einer sehr viel schwächeren Verhandlungsposition ist.

Fehlen in den Betrieben die Betriebsräte, gibt es dort auch keine kollektiven Standards, die dazu beitragen können das Machtgefälle zwischen Kapital und Arbeit zumindest ein wenig auszugleichen. Hinzu kommt, dass die gewählten Vertreter der Beschäftigten einen Hauch von Demokratie in die Unternehmen hineintragen können. Fehlt auch dieser Hauch, findet wie aktuell immer häufiger zu beobachten, eine Entdemokratisierung durch neue Formen der Steuerung und Kontrolle von Arbeit durch neue Technologien statt. So werden z.B. im gleichen Betrieb unterschiedliche Standards für die Regulierung von Arbeitszeit zugelassen – einige arbeiten Schicht, andere in Gleitzeit, die einen haben Lebensarbeitszeitkonten, die anderen arbeiten auf Abruf.

In den Unternehmen ohne Betriebsrat ist es ungleich schwer, die Beschäftigten zu organisieren und damit zu den notwendigen kollektiven Standards zu kommen. Verbindlicher Feierabend und ein verlässliches Wochenende kennt man dann nur noch aus Erzählungen.

j. Traditionelle DGB-Gewerkschaften sind maskulin

Am Ende des Jahres 2024 lag der Gesamtanteil der weiblichen Mitglieder unter den DGB-Gewerkschaften gegenüber 2023 unverändert bei rund 34 Prozent. Für die Einzelgewerkschaft wird folgende Anzahl und Prozentzahl der weiblichen Mitglieder genannt:

IG Metall: 2.096.511 gesamt – 1.712.500-Männer – 384.000-Frauen – 11 Divers-Anteil = 18 Prozent

ver.di: 1.864.633 gesamt – 892.126-Männer – 972.507-Frauen –Anteil = 52 Prozent

IGBCE 566.560 gesamt – 437.663-Männer – 128.817-Frauen – Divers 80 – Anteil = 23 Prozent

GEW: 273.544 gesamt – 76.106-Männer -196.373 -Frauen – 1.065 -Divers – Anteil = 72 Prozent

GdP: 211.326 gesamt -149.712-Männer – 61.584-Frauen – Divers 30 – Anteil = 29 Prozent

IG BAU: 197.562 gesamt -141.030-Männer – 56.532–Frauen – Anteil = 29 Prozent

NGG: 184.972 gesamt – 112.696- Männer – 72.211- Frauen – Divers 65 – Anteil = 39 Prozent

EVG: 183.807- gesamt – 143.151-Männer – 40.656 -Frauen – Anteil = 22 Prozent

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DGB: 5.578.915 – gesamt – 3.664.984 – Männer – 1.912.680-Frauen – Divers 1.251- Anteil = 34 Prozent

nur vier Gewerkschaften erheben Diverszahlen

Nach wie vor sind Frauen, die rund 48 Prozent aller Beschäftigten ausmachen, immer noch mächtig unterrepräsentiert bzw. sind sie nur gering gewerkschaftlich verankert.

Besonders gering ist die gewerkschaftliche Verankerung in den großen Branchen, in denen Frauen arbeiten, wie dem Einzelhandel oder dem Sozial- und Gesundheitswesen. Im Sozial- und Gesundheitsbereich ist das so, weil hier vor allem die großen kirchlichen Träger sowie die freien Wohlfahrtsverbände die Menschen beschäftigen und mit allen Mitteln versuchen, eine gewerkschaftliche Organisierung ihrer Beschäftigten zu unterbinden.

Der Frauenanteil ist mit 72 Prozent bei der GEW am größten, gefolgt von ver.di und der NGG. Den geringsten Frauenanteil hat die IG Metall mit 18 Prozent, was auch hier mit der Beschäftigungsstruktur ihres Organisationsbereichs zu tun hat.

Die DGB-Gewerkschaften haben durchweg eine maskulin geprägte Tradition. Das Gehabe der bekannten Gewerkschaftseliten und die von ihnen etablierten Rituale, Werte und Normen sind alle männlich ausgerichtet. Die DGB-Gewerkschaften verbreiten ein Lebensgefühl, das Frauen und Jüngeren oft fremd ist. Diese Gewerkschaften haben vor allem zu Beginn des Jahrhunderts die Interessen spezieller Berufsgruppen ziemlich aus dem Blick verloren. So sind z.B. Beschäftigte im Gesundheitswesen, der Bahn und Luftfahrt  zu den Berufsgewerkschaften abgewandert, fühlen sich dort wohl und werden nicht mehr zurückkommen.

Eine rühmliche Ausnahme macht derzeit die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit den Streiks im Einzelhandel und im Erziehungsdienst. Dort haben die Frauen zwar für recht magere Ergebnisse gekämpft, aber wie der Arbeitskampf geführt wurde, war toll. Sie haben während des Streiks im Erziehungsdienst 2015 nicht nur an den eingefahrenen Strukturen gekratzt, sondern den Arbeitskampf mit den Streikvollversammlungen und Delegiertenkonferenzen entgegen dem Willen der Hauptamtlichen demokratisiert und erreicht, dass der Schlichterspruch konsequent zurückgewiesen wurde.

Die Frauen im Einzelhandel oder im traditionell gewerkschaftsfernen Dienstleistungs- und Gesundheitsbereich haben eindrucksvolle Arbeitskämpfe geführt, die die männlichen Gewerkschaftsfunktionäre aus den klassischen Blaumannbereichen kalt erwischt haben.

Diese Arbeitskämpfe, mit ihrer Eigendynamik, großer Motivation und Engagement der streikenden Frauen, mit ihrer Frauenpower, ihrer Dramaturgie und mit neuen Erkenntnissen für die Gewerkschaftsführungen, war doch etwas anderes, als das, was bis dahin alle gewohnt waren.

Die Frauen haben gezeigt, dass Arbeitskämpfe etwas ganz Besonderes für die Beschäftigten sind und Solidarität wieder gelebt werden kann.

k. Keine Umverteilung von Arbeit

Im Jahr 2024 machten die Beschäftigten in Deutschland rund 552 Millionen bezahlte und ca. 638 Millionen unbezahlte Überstunden. Mehr als zwei Drittel der Überstunden leisteten Männer mit 69,2 Prozent, die Frauen waren mit 30,8 Prozent beteiligt.

Das Arbeitsvolumen ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren – mit Ausnahme der Coronaphase – aufgrund der Zunahme an Erwerbstätigen stetig gestiegen. Von 2005 bis 2023 nahm das Arbeitsvolumen von 58,6 Milliarden Stunden bis auf 61,7 Milliarden zu.

Stark gestiegen ist in den letzten Jahren die Teilzeitarbeit, lag sie im Jahr 2000 noch bei 6,5 Milliarden Stunden, stieg sie im vergangenen Jahr auf fast 12 Milliarden. Über sieben Millionen Menschen in Deutschland waren zu Beginn des Jahres 2024 geringfügig als Minijobber beschäftig.

Nach den neuen Ergebnissen lag die Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigen bei rund 1.335 Stunden. Bei teilzeitbeschäftigt Erwerbstätigen betrug die durchschnittliche Arbeitszeit rund 714 Stunden im Jahr. Beide Werte lagen somit leicht unter den Vorjahren.

Diese Zahlen würden den Gewerkschaften in allen Verhandlungen und Arbeitskämpfen genügend Rückenwind geben, zu vernehmen ist bei ihnen nur ein laues Lüftchen.

Eine faire Arbeitszeitpolitik könnte das verfügbare Erwerbsarbeitspotential und das entsprechende Arbeitsvolumen so umverteilen, dass die erwerbslosen Menschen eine Arbeit bekämen, aber auch die Teilzeitbeschäftigten ihre Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen erhöhen könnten.

Hier geht es um Umverteilung, vor der die Gewerkschaften regelrecht Angst haben.

Würde man die Arbeitszeit der Vollbeschäftigten über fünf Jahre jährlich um fünf Prozent reduzieren, so kämen die 23,5 Millionen Vollzeitbeschäftigten auf eine 30-Stunden-Woche. Dies würde nach und nach 4,7 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte oder ein zusätzliches Arbeitsvolumen von 6,6 Milliarden Stunden bedeuten. Zusätzlich müsste es zu einem Ausbau der Beschäftigung im öffentlichen Sektor kommen.

Allein die vollständige Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit würde etwa 80 Milliarden Euro freisetzen, die der Staat jährlich für die Arbeitslosigkeit aufbringt. Eine solidarische Steuerpolitik könnte mit zur Gegenfinanzierung genutzt werden.

Bei den letzten Tarifverhandlungen spielte die kollektive Arbeitszeitverkürzung gar keine Rolle. Doch werden mit der favorisierten „Kurzen Vollzeit für Alle“ der Lohnverfall und die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigt. Im Gegenteil, sie wird noch unter den auf uns zukommenden wirtschaftlichen Änderungsprozessen weiter zunehmen.

Wie dramatisch die Situation schon heute ist, zeigt die Tatsache, dass eine 30-Stunden-Woche für Alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wenn sie heute eingeführt würde, nicht mehr ausreicht, um eine Vollbeschäftigung zu erreichen.

Auf betriebswirtschaftlicher Ebene, auf der in der Regel viele Gewerkschaften nur noch agieren, kann dieses gesamtwirtschaftliche Problem kaum noch gelöst werden.

Auch stellt sich mittlerweile die Frage, ob die Gewerkschaften auf tariflicher Ebene unter den oben beschriebenen neoliberalen ökonomischen Veränderungsprozessen noch die notwendige Durchsetzungsmacht für eine radikale kollektive Arbeitszeitverkürzung haben und ob ohne eine politische staatliche Intervention überhaupt so etwas gelingen kann.

Die Umverteilung der Arbeit könnte enorme Mobilisierungsmöglichkeiten entwickeln und endlich die Klammer bilden, bei der Beschäftigte und erwerbslose Menschen eine bisher ungeahnte Power entwickeln könnten und das derzeitige Wirtschaftssystem grundsätzlich in Frage gestellt würde.

l. Neuer Burgfrieden

Große Koalition, um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten

Um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten und den Arbeitsmarkt „zu sichern“, hatte sich nach dem Regierungswechsel 2021 eine große Koalition aus den Regierungsparteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und der Bundesagentur für Arbeit (BA) als die „Partner der Transformation im Arbeitsmarkt“ gebildet. Diese Partnerschaft hat sich vorgenommen u.a. mit dem Zuzug von billigen Arbeitskräften und den Möglichkeiten des neuen Bürgergeldes den größten europäischen Niedriglohnsektor in Deutschland weiter auszubauen.

Für die Regierung war es wichtig, die DGB-Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. Auch deshalb hatte bei einer immens angestiegenen offiziellen Inflationsrate von 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner zu einer Konzertierten Aktion“ eingeladen, bei der man auf die hohen Preise reagieren wollte und um gleichzeitig die Gewerkschaften davon abzuhalten, dass sie ihre Forderung in Höhe der Inflationsrate stellen. Dabei haben sie das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ aus der Mottenkiste geholt und sich untereinander erzählt. Als das Märchen zu Ende erzählt war, hatte man dann auch die Sonderzahlung als Wunderwaffe in Tarifkonflikten auf dem Tisch. Mit den nicht tabellenwirksamen Sonderzahlungen war auch gleichzeitig eine permanente Lohnabsenkung vereinbart. Dieses Vorgehen ist von langer Hand vorbereitet und geschickt verpackt worden. Die Sonderzahlungen werden in Zukunft zu Regeleinmalzahlungen weiter ausgebaut und immer mehr mit Bedingungen, wie z.B. sie an einer Gewinnentwicklung des Unternehmens auszurichten, verbunden. Beschäftigte in Betrieben mit großem Profit erhalten dann höhere Einmalzahlungen als die, die sich in kleineren Betrieben der Branche verdingen müssen.

Die Sozialpartnerschaft hat ganz konkret zur Folge, dass immer mehr Menschen in die prekäre Beschäftigung abrutschen und sich dabei von ihrer Gewerkschaft verraten und verkauft fühlen.

Der neue Burgfrieden und seine Auswirkungen im Arbeitskampf

Das Vorhaben der Ampelkoalition, Anfang des Jahres 2022 die gigantische Aufrüstung sogar im Grundgesetz zu verankern, ist mit dem neuen Burgfrieden ohne Probleme realisiert worden. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Änderung des Grundgesetzes galt schon in der Sondersitzung des Bundestages im Februar 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ankündigte, als sicher. Unter stehendem Applaus erschreckend vieler Mitglieder des Bundestages wurde parteiübergreifend das gigantische Aufrüstungsvorhaben und die angekündigte neue weltpolitische Rolle Deutschlands gefeiert.

Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass

  • eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang gehoben hat. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
  • alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart.
  • bei einer offiziellen Inflationsrate von über 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner“ zu einer „Konzertierten Aktion“ eingeladen hatte, bei der man die Gewerkschaften eingehegt hat und davon abhielt, ihre zukünftigen Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate zu stellten

und

es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren ging und geht.

Die Bevölkerung, vielfach mit coronagestähltem autoritären Charakter versehen, soll möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmachen und immer mehr bereit sein „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.

Der DGB als Dachverband der Gewerkschaften in Deutschland war über Jahrzehnte hinaus ein einflussreicher Akteur und eine wichtige Stimme in der bundesdeutschen Friedensbewegung. Heute steht der DGB bei vielen Mitgliedern in der Kritik, weil er für die Aufrüstung trompetet, sich eher als Partner der Konzerne und Unternehmen versteht, es unterlässt, den bürgerlichen Staat grundlegend zu kritisieren und nicht mehr als Kampforganisation der Beschäftigten angesehen wird.

Eine solche Entwicklung der Gewerkschaften wurde erst ermöglicht, als sie im Rahmen der Sozialpartnerschaft über jedes Stöckchen sprangen, egal wie hoch es hingehalten wurde. Vor allem auch dann, wenn die Gewerkschaften als „Partner der Transformation im Arbeitsmarkt“ bereitstehen.

m. Neue Entwicklungen bei den Tarifauseinandersetzungen

Längere Tariflaufzeiten

Viele Kommentatoren der Tarifergebnisse von 2022, 2023 und 2024 die vor der Lohn-Preis-Spirale warnten, gehen von der Automatik der jährlich angepassten Tarifabschlüsse aus. Sie werden von der Vorstellung geleitet, dass man für ein Jahr verhandelt und dann im darauffolgenden Jahr eine neue Verhandlung stattfindet. Doch schon seit den 1990er Jahren ist man von den jährlichen Tarifverhandlungen abgegangen und hat die Laufzeiten der Tarifverträge sukzessive erheblich ausgeweitet, Standard sind mittlerweile mindestens zweijährige Laufzeiten.

Gerne werden die verlängerten Laufzeiten unter der Decke gehalten, denn so kann man sich die Tarifergebnisse schön rechnen, in dem ein bestimmtes Volumen auf ein Jahr bezogen wird, obwohl es für die gesamte Laufzeit des Vertrages gilt. Dann wird seitens der Unternehmen und auch vermehrt von den Gewerkschaften kommuniziert, dass für die Beschäftigten ein Lohnzuwachs von teilweise über 10 Prozent erzielt wurde. Geflissentlich verschweigt man aber, dass die Anhebung des Lohns beispielsweise in zwei einzelnen Schritten innerhalb einer eben nicht 12-monatigen Laufzeit, sondern in einem Zeitraum von 24 oder mehr Monaten stattfinden soll. Damit schrumpfen die 10 Prozent auf eine viel geringere Prozentzahl.

Das Beispiel Tarifeinigung im Öffentlichen Dienst im vorvergangenen Jahr zeigt dies klar auf: Die Dienstleistungsgewerkschaft forderte im Januar 2023 noch 10,5 Prozent mehr Geld für alle, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Auszubildende sollten 200 Euro mehr bekommen und ­unbefristet übernommen werden. Der Tarifvertrag sollte eine Laufzeit von zwölf Monaten haben. Das Ergebnis lautete aber: 14 Nullmonate / ab März 2024: plus 200 Euro, plus 5,5 Prozent, insgesamt mindestens 340 Euro / Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro (im Juni 2023 einmalig 1.240 Euro und ab Juli 2023 bis Februar 2024 jeweils 220 Euro monatlich) / Laufzeit: 24 Monate.

Konkret bedeutet dieser Tarifabschluss einen weiteren Verlust an Kaufkraft und Wohlstand für die Beschäftigten, weil nach einer Inflationsrate von acht Prozent 2022, sechs Prozent 2023 und geschätzt drei Prozent 2024 die Löhne im Öffentlichen Dienst am Ende der Laufzeit rund sechs Prozent weniger Kaufkraft haben werden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass es mindestens noch weitere fünf Jahre dauern wird, bis die Löhne im Öffentlichen Dienst diesen Kaufkraftverlust wieder aufgeholt haben.

n. Gewerkschaften sind die größten Rentnerklubs

Immer wenn die Mitgliederentwicklung zur Sprache kommt, ist der DGB schnell dabei, die demografische Karte zu ziehen.

Vollkommen klar ist, dass die Überalterung ihrer Mitglieder Deutschlands Gewerkschaften gefährlich schrumpfen lässt. Die IG Metall ist zwar stolz darauf, die Zahl der noch im Arbeitsleben stehenden Mitglieder auf den höchsten Wert seit mehr als zehn Jahren gesteigert zu haben. Trotzdem stehen fast 30 Prozent Ruheständler in der Kartei. Bei der besonders vom Strukturwandel betroffenen Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) liegt der Rentneranteil sogar bei rund 40 Prozent.

Nicht redlich ist, dass dieser demografische Faktor als Begründung des Mitgliederschwunds sofort genannt und die anderen Gründe der wachsenden Unattraktivität der Gewerkschaften geflissentlich unterschlagen werden.

Dabei ist die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt angestiegen, doch handelt es sich hierbei überwiegend um Menschen die ungesicherte, befristete und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse eingehen müssen, um am oder unter dem Existenzminimum leben zu können.

Diese Menschen scheinen die DGB-Gewerkschaften nur wenig zu interessieren.

Die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte, erwerblose und arme Menschen werden auf Verzicht eingeschworen

Mit ihrer derzeitigen Politik verweigern sich der DGB und die Einzelgewerkschaften mehr und mehr einer offensiven Lohnpolitik gegen die inflationären Entwicklungen. Gleichzeitig wächst der Druck von unten, dort reichen die Löhne schon lange nicht mehr aus und Millionen Menschen werden in die Armut getrieben.

Wie schon 1914, unterstützt die Gewerkschaftselite mit ihren unklaren Stellungnahmen die Aggression der deutschen Weltmachtfantasien. Ohne große Not stellt sie sich hinter den Wirtschaftskrieg gegen Russland und schwört die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte und Menschen in prekären und verarmten Verhältnissen auf Verzicht ein.

Auch seitens der Politik wird Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, ihre bisherigen Positionen aufzugeben und der Druck zeigt schon Erfolg. So sprechen die Dienstleistungsgewerkschaft und auch der DGB bereits von der Neubewertung der Situation und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen.

Anstelle die Kontakte und Zusammenarbeit der Beschäftigten in den östlichen Ländern zu fördern, internationale Solidarität zu praktizieren und Demonstrationen gegen Weltkriegsgefahr und Verarmung zu organisieren, unterstützt eine Mehrheit in den Führungsgremien der Gewerkschaften Demonstrationen mit Forderungen nach einer „gerechten Verteilung der Lasten“ verbunden mit der Bitte, die „Armen im Lande nicht zu vergessen“. Auch der DGB-Bundesvorstand möchte gerne handzahm „Echt gerecht – solidarisch durch die Krise.“

Die viel beschworene Sozialpartnerschaft zahlt sich in Krisenzeiten eben doch aus, besonders für die Unternehmensführungen und Gewerkschaftsbürokratie. Die hauptamtlichen Gewerkschaftsleute fühlen sich schnell von Politik und organisierter Unternehmerschaft gebauchpinselt, mit ihren autoritären Charakteren meinen sie, dass sie zur hiesigen Elite gehören und können es gar nicht abwarten, am Großen und Ganzen der Politik des neuen Burgfriedens mitzuwirken. Die Gewerkschaftsspitzen wissen also genau was sie tun, kennen ihre Funktion und ihre Grenzen in diesem System. Dieser Kreislauf kann nur durch Druck der Mitgliedschaft durchbrochen werden und ohne konkrete Gegenmacht wird alles auch so bleiben.

Die Zeche zahlen die Krisenverlierer, vor allem jede einzelne Person, die zu den rund 21 Prozent aller abhängig beschäftigten Menschen im Niedriglohnsektor gehört und maßgeblich den Reichtum der Krisengewinner schafft. Zur Kasse werden aber auch die vielen erwerbslosen und armen Menschen gebeten, die schon lange nicht mehr über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen.

Damit das nicht so bleibt, ist vor allem der politische Streikt wieder in den Vordergrund der gewerkschaftlichen Diskussion zu stellen. Der politische Streik muss das Mittel der Wahl für den Aufbau gewerkschaftlicher Gegenmacht sein.

Den politischen Streik wieder in den Vordergrund stellen

Einen politischen Streik hat es auch schon in der Bundesrepublik gegeben. Als der DGB im Sommer 1951 sich konfliktbereit zeigte und der Bundesregierung drohte, seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufzurufen. Hintergrund war die unnachgiebige Haltung der Adenauerregierung gegenüber den Neuordnungsforderungen der Gewerkschaften für die Mitarbeit in den wirtschaftspolitischen Gremien der BRD. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft, was vehement von den damaligen Unternehmerverbänden und den Regierungsparteien, der CDU/CSU und der extrem kapitalorientierten FDP verweigert wurde.

Nach der Demonstration gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft und -fähigkeit in den Auseinandersetzungen um die Montanmitbestimmung war es für die Gewerkschaften klar, dass es nur durch harte und offene Konflikte zwischen der Arbeiterbewegung und den reaktionären, teils offen faschistischen Kräften, eine Restauration der Machtverhältnisse zu verhindern war.

Als sich dann im Frühjahr 1952 eine schnelle Verabschiedung des Gesetzesvorhabens zum Nachteil der Gewerkschaften abzeichnete, teilte der DGB-Vorsitzende dem Bundeskanzler mit, dass der DGB seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufrufen wird.

Der Aktionsaufruf mobilisierte rund 350.000 Beschäftigte in allen Teilen der BRD, es fanden Protestkundgebungen, Demonstrationen und Warnstreiks statt. Ein wichtiger Höhepunkt war die Arbeitsniederlegung in allen Zeitungsbetrieben Ende Mai 1952, organisiert von der IG Druck und Papier.

Der politische Streik war damals der Startschuss für die einseitige Interpretation des Bundesarbeitsgerichts, das in der damaligen Zeit noch überwiegend besetzt war mit „Rechtsgelehrten“, die sich ihre „Verdienste“ schon im deutschen Faschismus erworben hatten.

Während in anderen europäischen Ländern das Streikrecht ohne Unterschiede besteht, gilt seitdem in Deutschland ein Streik, der nicht durch Tarifforderungen begründet wird, als unzulässig. Nicht aufgrund eines im Gesetzeswerk zusammengefassten Rechts, sondern aufgrund der Ansicht des damaligen Bundesarbeitsgerichtes unter Vorsitz von Carl Nipperdey, dem früheren Nazi-Rechtsideologen.

Völlig unzeitgemäß ist auch, dass die Gewerkschaften bei uns nur rein wirtschaftliche Forderungen stellen, während Streiks in anderen europäischen Staaten schon längst politisch ausgerichtet sind. Dort wird immer öfter, wenn sie z.B. Forderungen nach Inflationsausgleich stellen, dies ausdrücklich damit begründen, dass die Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine die Ursache für diese Inflation sind und alle Staaten in der EU betreffen.

Nur 5,56 Prozent aller Mitglieder des DGB waren bei den Maidemonstrationen 2025 dabei – das sind 0,678 Prozent aller Beschäftigten des Landes

Der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen acht Einzelgewerkschaften hatte Ende 2024 noch 5.578.915 Mitglieder. 1990 zählte der DGB noch 11,8 Millionen Mitglieder.  Allein die Gewerkschaft ver.di hat seit ihrer Gründung im Jahr 2001 etwa eine Million Mitglieder verloren und bis heute konnte dieser kontinuierliche Abwärtstrend nicht gestoppt werden.

Ebenso wenig wie der Abwärtstrend bei der Mobilisierung: Nach den selbstherrlichen Angaben des DGB waren an den diesjährigen Maidemonstrationen 310.000 Menschen auf der Straße. Die 310.000 Menschen entsprechen nur 5,56 Prozent aller Mitglieder des DGB. Von den aktuell 45,7 Millionen erwerbstätigen Menschen in Deutschland entsprechen 310.000 mal gerade 0,678 Prozent aller Beschäftigten des Landes.

Der DGB wurde im Oktober 1949 gegründet, um für alle Branchen und alle Beschäftigten zu sprechen!

 

 

 

 

 

Quellen: WSI-Tarifarchiv, HBS,,IG BCE, IAB, Tagessspiegel, Junge Welt, BA, Statis.de, Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, arbeitsschutz-portal.de, dgb, verdi, ngg, Politika, B 92, wildcat, PM Arbeitsministerium, Franziska Wiethold, SGB, F. Deppe/G. Fülberth/J. Harrer/Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, statista.de, Böckler, WSI, Rolf Geffken, IAB, Heinz-J. Bontrup, Gegenblende, Heiner Dribbusch,

Bild: dgb.de