Die Zuwanderung von Menschen in die Bundesrepublik Deutschland wurde und wird immer schon vonseiten der hiesigen Unternehmerschaft gefördert und gefordert, nicht zuletzt, um auf ein breites Arbeitskräfteangebot mit entsprechender Konkurrenz zurückgreifen zu können.
Die Gewerkschaften dagegen waren beim Thema Zuwanderung in den vergangenen 75 Jahren, wie so oft, in ihrem eigenen Schlingerkurs gefangen. Während sie und ihre deutschen Mitglieder eher am Erhalt der betrieblichen Strukturen interessiert waren und diese stützten, kämpften die zugewanderten Beschäftigten häufig für deren Änderung und gegen ihren eigenen Ausschluss. Sie kritisierten die rassistischen Zustände in den Betrieben ebenso wie auch ihre schlechte Wohnsituation und leisteten mit ihrer Selbstorganisation vielfältigen Widerstand.
Die DGB- Gewerkschaften haben bis heute nicht ihre historische Verantwortung kritisch aufgearbeitet. Sie haben die strategischen Chancen von Zuwanderung nicht in breiterem Ausmaß erkannt und für sich erschlossen.
Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er Jahren
Bereits Ende der 1960er Jahre zeichneten sich mehrere wirtschaftliche Tendenzen ab, deren Einflüsse und Auswirkungen für die Zuwanderung heute noch von Bedeutung sind:
- Mit der zunehmenden Konzentration des Kapitals ging eine Zunahme der staatlichen Tätigkeit einher. Der Staat sah eine wichtige Aufgabe darin, die Gesellschaft vor der zerstörerischen Macht des Marktes zu schützen. Im Rahmen von der sogenannten korporatischer Steuerung wurden Auseinandersetzung zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften geregelt.
- Der Außenhandel der Bundesrepublik dehnte sich bei gleichzeitiger Intensivierung der Außenhandelsbeziehungen aus.
- Der Bedarf an Arbeitskräften verlangte von den Unternehmen eine neue Personalstrategie. Neben der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte behalf man sich mit den sogenannten Schließungsprozessen. Auch in den Bereichen mit gering qualifizierter Arbeit bot man ungelernten Arbeitskräften eine langfristige Beschäftigungsperspektive an, die mit betrieblichen Qualifizierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten begleitet wurden, im Tausch gegen betriebliches Erfahrungswissen und ihrer Loyalität dem Betrieb gegenüber, sich nicht abwerben zu lassen.
- Der technische Fortschritt in der Nachkriegszeit hatte eine schnell steigende Arbeitsproduktivität und eine Massenproduktion zur Folge. Diese Massenproduktion verlangte nach größeren Absatzmöglichkeiten der Waren und nach kaufkräftiger Nachfrage in der Bundesrepublik, da der Binnenmarkt damals noch eine viel größere Rolle spielte als heutzutage.
- Auf dem Binnenmarkt war aber die kaufkräftige Nachfrage der Beschäftigten selbst ein wichtiger Faktor, der auch durch die steigende Arbeitsproduktivität ermöglicht werden konnte und die wiederum für recht große Einkommenszuwächse bei den Beschäftigten und gleichzeitig höheren Profiten für die Unternehmen sorgte.
- Das Tempo des Wirtschaftswachstums verlangsamte sich dann aber wieder mit dem Ende der Rekonstruktionsperiode der Nachkriegszeit und den Änderungen des Produktionsapparates, bedingt durch den technologischen Fortschritt. Das geschah zu einer Zeit, in der die Beschäftigung zugewanderter Arbeitskräfte zunahm.
- Um überhaupt ein Wachstum des Sozialproduktes zu gewährleisten, brauchte es immer mehr Investitionen, die neue Arbeitsplätze schafften und die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhte.
- Diese Beschäftigungseffekte erfolgten einmal direkt aus der primären Durchführung der Investitionen und zum anderen aus den multiplikatorischen Einwirkungen, die weitere Beschäftigung auslösten. Die Quelle der Akkumulation ist nach wie vor die Steigerung des Arbeitspotentials.
- Die Akkumulationsbedingungen sind wiederum günstiger, je größer das vorhandene Arbeitspotential ist und je stärker das Lohnniveau abgesenkt werden kann.
- Es ist daher kein Widerspruch, dass die rapide Steigerung der Ausländerbeschäftigung mit einer Verlangsamung des Wachstumstempos einherging.
- Die ausländischen Arbeitskräfte hatten in den 1960er Jahren bei großen Veränderungen der Rahmenbedingungen den weiteren Akkumulationsprozess erst ermöglicht.
und
auch der Preisauftrieb, der Anfang der 1970er Jahre zu beobachten war, war dadurch bedingt, dass die Unternehmen zur Steigerung der Profitrate die Lohnkosten auf die Preise abwälzten. Die damalige Phase der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte fand im Rahmen eines, wenn auch mäßigen, Preisauftriebs statt. Man kann einen Zusammenhang der inflationistischen Wirkungen mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte erkennen.
Steuerung der Zuwanderung
Damit nichts dem Zufall überlassen wird und die Akkumulationsbedingungen immer günstig bleiben, wurden die Abläufe der Zuwanderung von den Aufnahmeländern immer schon gesteuert, denn es entstehen höhere Kosten, wenn mehr Arbeitskräfte kommen, als es einen Bedarf für sie gibt. Bis zu einem gewissen Grad ist das Überangebot an Arbeitskräften für den Druck auf die Löhne ja erwünscht.
Als Steuerung hatte sich in der Bundesrepublik die gezielte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte bis zum Anwerbestopp 1973 für die Unternehmen als erfolgreich erwiesen. Danach gab es immer wieder eine bedarfsgerechte Zufuhr an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes z.B. Krankenschwestern aus Südkorea oder viele türkische und marokkanische Frauen, die als Alleineinreisende für bestimmte Sparten angeworben wurden.
Die Anwerbung hatte für die Unternehmen noch den Vorteil, dass die Menschen schon im Herkunftsland ärztlich untersucht wurden und so Arbeitskräfte kamen, die in ein Sozialsystem passten, in dem die Sozialpolitik mit ihrem Arbeits- und Gesundheitsschutz garantierte, dass ein ausreichendes Angebot an gesunden Arbeitskräften bereitstand.
Die zugewanderten Arbeitskräfte trafen auf einen Arbeitsmarkt, auf dem Flexibilisierung und Deregulierung noch nicht so ausgeprägt waren wie heute. Im Jahr 1970 handelte es sich bei 84 Prozent der Arbeitsplätze um Normalarbeitsverhältnisse, auf den verbleibenden 16 Prozent der Arbeitsplätze arbeiten Frauen und Migranten. Rund 80 Prozent der Beschäftigten unterlagen einem Tarifvertrag.
Die direkte Konkurrenz mit den einheimischen Beschäftigten wurde in der Vergangenheit oft überbewertet, doch füllten die ausländischen Arbeitskräfte meist nur die Lücken auf dem Arbeitsmarkt, die durch die berufliche und soziale Mobilität oder durch die regionale Immobilität der deutschen Beschäftigten entstanden waren.
Als Binsenweisheit gilt heute, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte erst den sozialen Aufstieg der deutschen Beschäftigten ermöglichte und der Etablierung und Stabilität der Normalarbeitsverhältnisse diente.
Änderungen der Rahmenbedingungen
Für die Beschäftigung von zugewanderten Menschen haben sich die Rahmenbedingungen immer wieder verändert. So ist z.B. die Rotation der ausländischen Beschäftigten (nach einiger Zeit werden die Arbeitskräfte durch neue ersetzt) heute zur Steuerung kein Thema mehr, da die Rotation von Beschäftigung und Erwerbslosigkeit auf dem prekären deutschen Arbeitsmarkt selbst stattfindet bzw. durch die temporäre Arbeitsmigration aus den EU-Staaten ersetzt wurde.
Wichtige Voraussetzung für die temporäre Beschäftigung zugewanderter Menschen war die Deregulierung des Arbeitsmarktes mit den sogenannten Hartz-Reformen und die Dienstleistungsfreiheit in der EU. Die Menschen arbeiten in diesem Bereich vor allem im Dienstleistungssektor als Saisonarbeitskräfte, Scheinselbständige und grenzüberschreitende Leiharbeiter für einige Wochen oder ein paar Monate im Jahr.
Eine Änderung ist auch, dass wir uns seit einigen Jahren in einer Überproduktionskrise mit geringem Wirtschaftswachstum befinden, in der vordergründig weitere Arbeitskräfte nicht gebraucht werden, sogar eher überflüssig sind. Darüber täuscht auch nicht das Märchen von dem Fachkräftemangel hinweg, das erzählt, dass Fachkräfte im Pflege-, Hotel- und Gaststättenbereich durch die Arbeitsmigration eingestellt werden können. Dabei sind dies genau die Bereiche, in denen die schlechtesten Lohn-, Arbeits- und Arbeitszeitbedingungen vorherrschen und deshalb auch nicht mit den einheimischen Fachkräften zu besetzen sind, die von ihrer Lohnarbeit allein nicht mehr leben können.
Die Zuwanderung hat an dieser Stelle die wichtige Funktion, diese klassischen Niedriglohnsektoren zu stabilisieren und mit Arbeitskräften zu versorgen, die die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in Kauf nehmen müssen um überhaupt existieren zu können.
Deutschland verspricht sich von der Zuwanderung junger mobiler Menschen einen großen wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen EU-Ländern, als Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Wirtschaftsmacht und der Arbeitskräftereserve, bei möglichst freiem Waren- und Personenverkehr. Politik und Unternehmerschaft berücksichtigen dabei, dass es in der EU keinen einheitlichen Arbeitsmarkt gibt, der auch Schutzfunktionen bieten würden, wie z.B. gleiche Arbeitsgesetze und soziale Sicherungen, starke Gewerkschaften und einheitliche Lohnstrukturen und dass auf dem EU-Arbeitsmarkt der freie Personenverkehr für die Beschäftigten nur bedingt gilt. Arbeit finden sie nur in den wirtschaftlich stärkeren Regionen in der EU, in denen zumindest die Aussicht besteht, dass auch höhere Löhne gezahlt werden können, als in den Randzonen.
Die Profiteure von dem freien Personenverkehr waren und sind, wie schon beim freien Warenverkehr, vor allem die deutschen Unternehmen.
Die bundesdeutsche Migrationspolitik sah im vergangenen Jahr noch vor, dass viele Zuwanderer in die EU hineinkommen, sie in der EU verteilt werden, um innerhalb der EU eine Auswahl der Menschen treffen zu können. Gleichzeitig sollte die EU-Außengrenze möglichst geschlossen und der Personenverkehr in der EU möglichst frei sein. Das hat aber nicht ganz so geklappt, wie gedacht, denn die große Mehrheit der EU-Staaten schottete sich gegenüber den Zuwanderern ab und schränkte den freien Personenverkehr ein.
Wie mit den Zuwanderern in der EU umgegangen wird, wird mittlerweile fast nur noch in den einzelnen Nationalstaaten entschieden und die wichtigen Entscheidungen fallen nur in den mächtigen EU-Staaten.
Unterm Strich ist Deutschland der größte Profiteur dieser Entwicklung, auch wenn dies ein großer Teil der Bevölkerung derzeit anders sieht.
Vornehme Zurückhaltung der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften merken meistens zur Zuwanderung an, dass
- Einwanderung die Konkurrenz zwischen den Beschäftigten anheizt,
- sie tendenziell die Löhne drückt,
- bei den Arbeitsbedingungen es zu einer Verschlechterung führen könnte,
- durch Einwanderungsprozesse eine Abwärtsspirale der erreichten Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen ausgelöst werden könnte, weil zugewanderte Arbeitskräfte aus arbeitsrechtlichen Kontexten mit schwächeren Rechten der Beschäftigten kommen,
- die Zugewanderten Arbeitsplätze übernehmen, die die einheimischen Beschäftigten eher meiden,
- die Einwanderung, vor allem von weniger qualifizierten Arbeitskräften, zu einem „Fahrstuhleffekt“ führt, dergestalt, dass alle Arbeitskräfte in der sozialen Rangskala nach oben geschoben werden und eine Unterschichtung durch die Zugewanderten stattfindet,
- meistens ein volkswirtschaftlicher Gewinn, der in der Zuwanderung von Arbeitskräften liegt und das Ankunftsland in der Regel der volkswirtschaftliche Gewinner ist,
- eine dauerhafte Einwanderung mit allen bürgerschaftlichen Rechten es den Gewerkschaften ermöglicht, die Zuwandernden in bestehende Arbeitskulturen zu integrieren,
- sich die Situation bei der zirkulären Migration schwieriger darstellt, wenn Beschäftigte nur für begrenzte Zeit kommen, wie bei der saisonalen Arbeit und bei der Zuwanderung für einige Jahre entsprechend des konjunkturellen Bedarfs,
- nach wie vor bei Flüchtlingen und Asylsuchenden Skepsis besteht, weil befürchtet wird, dass wenn ihre Asylgesuche abgelehnt werden, sie zu „irregulären“ Zuwanderern werden. Menschen, die sich „irregulär“ im Land aufhalten, seien fast immer ein Einfallstor für die Absenkung oder die Aufhebung bestehender Arbeitsstandards,
- sich Gewerkschaften der internationalen Solidarität verpflichtet sehen, aber ein durchaus zwiespältiges Verhältnis auch zu der Frage besteht, ob sie zugewanderte Menschen gezielt, etwa mittels spezieller Organizing-Aktivitäten ansprechen oder ob sie diese Adressatengruppe eher marginal behandeln sollen. Oft wird argumentiert, dass die gewerkschaftliche Integration von wenig qualifizierten, aus ländlichen Sozialzusammenhängen kommenden und vielleicht nur vorübergehend in einem Ankunftsland beschäftigten Menschen zu viele Organisationsressourcen benötigt,
- „ethnische Communitys“ sowie die spezifischen Selbstorganisationen von Migranten die traditionelle Einheit der Gewerkschaften gefährden könnten,
- im Falle der temporär beschäftigten, zirkulären Zuwanderer die Einzelgewerkschaften deren aufwendig zu betreibende Organisierung für eine „Fehlinvestition“ halten könnten, da mit dauerhaftem Ressourcenzufluss in Form etwa von Mitgliedsbeiträgen und Aktivitäten nicht zu rechnen ist,
- durch die Zuwanderung eine potenzielle Stärkung der eigenen Organisationsbasis erfolgt, denn nicht selten handelt es sich um durchaus aktionsbereite Gruppen
und
vor allem ist jedes Gewerkschaftsmitglied auch ein zahlendes Mitglied.
Die Gewerkschaften als Mitglieder- und als Einflussverbände müssten eigentlich daran interessiert sein, für die spezifischen Interessen und Problemlagen von immerhin einem Fünftel aller in Deutschland lebenden Menschen, denen eine Zuwanderungsgeschichte zugeschrieben wird, angemessene Perspektiven und Programmatiken zu entwickeln.
Die vornehme Zurückhaltung hat auch damit zu tun, dass die Gewerkschaften im Rahmen der Sozialpartnerschaft sich nicht trauen, die bisher unattraktiven Mangelberufe durch deutlich höhere Lohnsteigerungen attraktiver zu machen, anstelle dem Mangel durch Einwanderung von Arbeitskräften, die mit weniger Lohn zufrieden sein müssen, abzuhelfen. Bei der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten, wurde immer mehr Einkommen von der Masse der Beschäftigten zu den Kapitalbesitzern umverteilt. Das umzukehren wäre zwar fair, aber so etwas würde die Unternehmer und Aktionäre recht viel Geld kosten und das wollen die Gewerkschaften nicht. Sie rufen lieber nach dem Staat, der dann eine Lockerung der Einwanderungsregeln betreibt, um billige „Fachkräfte“ aus dem Ausland anzulocken.
Allen Beteiligten, die die Zuwanderungspolitik gestalten, auch den Gewerkschaften, müsste völlig klar sein, dass wie Marx und Engels schon anmerkten, die Ein- und Auswanderung aus der Entwicklung der Produktivkräfte, der Produktionsverhältnisse und der Produktionsweise zu erklären ist. Beide sahen die Theorie über den Mehrwert auch als Grundlage für das Verständnis der Migration im Kapitalismus an, die unter anderem aufdeckt, dass die Arbeitskraft in den verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Wert hat. Hinzu kommt, dass wie bei allen Waren die Wirkung von Angebot und Nachfrage Auswirkungen auf den Preis in Form von Lohn hat. Die Ausweitung des Angebots an Arbeitskräften durch Zuwanderung hat genau diese Wirkung.
Es geht vor allem darum, dass sich die bestehenden Strukturen nur durch mehr Zuwanderung aus dem Ausland erhalten lassen und auch deshalb wird immer nach dem Staat gerufen, der ein Regelwerk dafür schafft.
Selbstorganisation der zugewanderten Menschen
Bereits Ende der 1960er Jahre begannen die Zuwanderer sich in den vielen Multinationalen Zentren in Arbeiter- und Kulturvereinen in der gesamten Bundesrepublik zu organisieren. Hier wurden nicht nur die Arbeitsbedingungen in den Betrieben mit ihren ungerechten und diskriminierenden Strukturen, sondern auch die rassistischen Lebensverhältnisse in Deutschland angeprangert. Gefordert wurde das Wahlrecht, gleiche Bildungschancen für die Kinder und die Proteste richteten sich gegen Polizeigewalt und gegen die fortdauernde Hetze in den Medien.
Die selbstorganisierten Kämpfe der zugewanderten Menschen waren von Anfang an sehr breit angelegt und hatten früh schon die rechtlichen, politischen und ökonomischen Aspekte der Unterdrückung und Ausbeutung im Auge. Schnell wurde die enge Perspektive der Betriebskämpfe verlassen und auf die konkrete Lebenssituation gerichtet. Hier stand der Alltag, Sprache und Kultur im Vordergrund und vor allem die Wohnverhältnisse, die neben dem Betrieb den entscheidenden Kristallisationspunkt der Kämpfe bildeten.
Die deutschen Medien bzw. die Öffentlichkeit begann plötzlich, die streikenden und demonstrierenden Zuwanderer wahrzunehmen. Sie waren der Meinung, die Proteste stießen in die Lücke, die die Gewerkschaften hinterließen. Die Gewerkschaften hatten es nicht geschafft, die ausländischen Arbeitskräfte in das sozialpartnerschaftlich organisierte System der industriellen Beziehungen Westdeutschlands einzubinden.
Auch ein Großteil der Aktivisten aus der alten und Neuen Linken fing an, sich für die selbstorganisierten Aktivitäten der Zuwanderer zu interessieren und ihre Organisationsarbeit auf diese Menschen zu richten. Die linken Aktivisten sahen in der Situation der Zuwanderer eine neue Stufe kapitalistischer Ausbeutung und gleichzeitig den Keim zum aktiven Widerstand. Schnell konnten so Solidaritätsstrukturen mit linken Organisationen aufgebaut werden. In einzelnen Städten entstanden Gruppen zur „multinationalen Betriebsarbeit“, es gab enge Kontakte zu den betrieblichen migrantischen Strukturen und zu den Selbstorganisierungen, sogar migrantische und studentische Milieus näherten sich einander an.
Heute gibt es rund 20.000 Verbände der Selbstorganisation von zugewanderten Menschen in Deutschland, in denen sie ihre Kämpfe selbst in die Hand nehmen und als politische Subjekte Widerstand gegen die ihnen auferlegten Arbeits- und Lebensbedingungen leisten.
Die Erfolge der Selbstorganisation der Zuwanderer werden meist übersehen und in den Schatten der Arbeitskämpfe, vor allem in denen der 1970er Jahre, gestellt.
Arbeitskämpfe
Aufgrund der ungleichen und schlechten Arbeitsbedingungen begannen bereits in den 1970er Jahren die zugewanderten Arbeitskräfte, sich in Gewerkschaften zu organisieren und sich an Arbeitskämpfen zu beteiligen.
Von den rund zwei Millionen ausländischen Beschäftigten waren zu Beginn der 1970er Jahre etwa ein Viertel gewerkschaftlich organisiert. Viele von ihnen hatten ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein, auch weil die meisten aus Herkunftsländern stammten, die zur damaligen Zeit große politische Umbrüche erlebten. In Griechenland, Spanien und Portugal bestanden bis Mitte der 1970er Jahre Diktaturen, in der Türkei gab es in den 1970er Jahren eine starke Organisierung von Beschäftigten und zahlreiche Streiks. Aus dem sozialistischen Jugoslawien waren viele Arbeitskräfte mit ausgeprägtem Klassenbewusstsein nach Deutschland gekommen. Die griechischen Zuwanderer organisierten von Deutschland aus den Widerstand gegen die Militärjunta und die aus der Türkei, dort litten die Gewerkschaften besonders unter staatlichen Repressionen, gründeten Vereine in Deutschland. Viele Menschen aus Italien, dort war die Kommunistische Partei als zweitstärkste Partei im Parlament vertreten, brachten beträchtliche Streikerfahrungen mit nach Deutschland.
Die zugewanderten Arbeitskräfte versuchten ihre Erfahrungen aus ihren Herkunftsländern über gewerkschaftliche Tätigkeit in Arbeitskämpfen zu kanalisieren. So konnten auch schnell Solidaritätsstrukturen mit linken Organisationen aufgebaut werden.
Es gelang, die Kämpfe um beschränkte Aufenthaltsgenehmigungen mit den Kämpfen um bessere Wohnverhältnisse und den betrieblichen Kämpfen und Streiks zu verbinden und ein neues antirassistisches Moment zu schaffen.
In den Betrieben selbst war dieses Miteinander gar nicht so rosig. Die zugewanderten Beschäftigten bekamen vor allem niedrig qualifizierte Tätigkeiten zugeteilt und arbeiteten oft Akkord am Fließband, in der Steinkohleförderung im Bergbau oder im Baugewerbe. Der sogenannte Fahrstuhleffekt führte dazu, dass ausländische Arbeitskräfte am unteren Ende der Beschäftigungshierarchie eingesetzt wurden und deutsche dadurch in höhere Tätigkeiten aufsteigen konnten. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigte sich auch bei den Löhnen, die häufig weit auseinanderklafften.
In vielen Betrieben wuchs der Unmut gegen die schlechten Arbeitsbedingungen immer mehr und entlud sich in verschiedenen Widerstandsformen und Protesten. Enttäuschung machte sich breit, auch hinsichtlich des zurückhaltenden Verhaltens der Gewerkschaften, denen man schließlich die Vertretung der eigenen Forderungen absprach.
Zwei Streiks im Jahr 1973 stechen besonders hervor: der Frauenstreik bei Pierburg in Neuss und der Streik bei Ford in Köln.
1. Beispiel: Streik bei Pierburg
Der Arbeitskampf bei der Autozubehörfirma Pierburg im August 1973 war wohl einer der ersten erfolgreichen Streiks in der Bundesrepublik gegen frauendiskriminierende Eingruppierung und Entlohnung. Das wesentliche Merkmal dieses Streiks und einer der Faktoren, der den Streik zum Erfolg machte, war die Solidarität der Arbeiterinnen untereinander. Schon nach wenigen Tagen solidarisierten sich die deutschen Facharbeiterinnen mit den streikenden zugewanderten Frauen und widersetzten sich gemeinsam den Einschüchterungsversuchen der Unternehmer. Mehr als 1.800 zugewanderte und 400 deutsche Arbeiterinnen traten mit der Forderung „1 Mark mehr“ in einen spontanen und unbefristeten Ausstand. Schnell versuchten Unternehmensvertreter, Medien und auch die Politik, den Streik zu kriminalisieren.
Angefangen hatte alles mit der Verteilung von Flugblättern durch griechische Arbeiterinnen, auf denen sie in verschiedenen Sprachen zum Streik aufriefen. Schnell rückte, wie bei solchen Anlässen üblich, die Polizei an, um die Aktivistinnen zu verhaften.
Bei einem Handgemenge bedrohte ein Polizist die Frauen mit gezogener Pistole und beleidigte sie rassistisch. Die Dimension des rassistischen und gewalttätigen Angriffs der Polizei sprach sich im Betrieb schnell herum, löste eine Solidarisierungswelle aus und die zugewanderten Frauen legten den gesamten Betrieb lahm.
In kurzer Zeit hatten die zugewanderten Arbeiterinnen erfolgreich Solidarität eingefordert und ein tragfähiges Gefüge zu anderen Frauen aufgebaut und das vor dem Hintergrund rassistischer Strukturen im Betrieb und einer repressiven Unternehmensleitung, die von Presse und Polizei unterstützt wurde.
Das zahlte sich auch aus. So wurde die diskriminierende unterste Lohngruppe 2, der die zugewanderten Arbeiterinnen zugeteilt waren, abgeschafft und es gab eine Erhöhung des Lohns um 65 Pfennig pro Stunde. Für alle Aktivistinnen war es sehr wichtig, dass es nach dem Arbeitskampf zu keinen Entlassungen kam.
Der Arbeitskampf war auch deshalb erfolgreich, weil es bei Pierburg schon vor dem Streik einen sehr aktiven linken Vertrauenskörper gab, dem viele Zuwanderinnen angehörten und der sich dem damaligen Betriebsrat entgegenstellte.
Ein Jahr vor dem Streik war es dem Vertrauenskörper nach jahrelanger Arbeit gelungen, bei den Betriebswahlen mehr Stimmen als der Betriebsrat zu erhalten. Mitglieder des Vertrauenskörpers forcierten ihre gewerkschaftliche Arbeit und verteilten regelmäßig Informationsblätter in allen Sprachen, die im Betrieb gesprochen wurden. Mehrsprachige Vertrauensleute gewährleisteten den Informationsfluss unter den Arbeiterinnen und auch die Betriebsversammlungen waren mehrsprachig.
Vor allem solche Entwicklungen und Aktivitäten trugen zum Gelingen des Streiks bei.
2. Beispiel: Ford-Streik Köln
Der wohl bekannteste Arbeitskampf des Jahrs 1973 war der ebenfalls im August geführte Streik in den Ford-Werken in Köln-Niehl. Dort waren zwischen 1961 und 1973 rund 11.000 aus der Türkei kommende Menschen beschäftigt. Sie stellten die größte türkeistämmige „Industriearbeitergesellschaft außerhalb der Türkei“ dar und wurden fast ausschließlich auf niedrigqualifizierten Arbeitsstellen eingesetzt. Dadurch entstand eine scharfe Trennung von der deutschen Belegschaft, die meist in besseren Positionen beschäftigt war. Die Beschäftigungsstruktur basierte auf einem hybriden System, in dem die zugewanderten die schlechteren Tätigkeiten ausführen mussten, schlechter entlohnt und auch schneller entlassen werden konnten, als die deutschen Arbeitskräfte.
Auslöser des Streiks war die Entlassung von 300 Beschäftigten, die verspätet aus dem Urlaub zurückgekehrt waren.
Eine Woche vor dem Streik gab es eine Betriebsversammlung, auf der sich die türkeistämmigen Beschäftigten solidarisch mit den Entlassenen zeigten, während der Großteil der deutschen Arbeitskräfte die Entlassungen und Disziplinarverfahren mit Applaus quittierte. Als dann auch noch die durch die Entlassungen entstandene Mehrarbeit auf die Verbliebenen abgewälzt werden sollte, äußerte sich der wachsende Unmut am 24. August 1973 in einem Demonstrationszug durch das gesamte Werk. Der nachfolgende Streik dauerte sieben Tage. Mehr als die Hälfte der 33.000 Beschäftigten beteiligte sich an ihm, vor allem türkeistämmige, aber auch einige deutsche und italienische Beschäftigte unterstützten den Streik. Die Forderungen der Streikenden lauteten: „Verminderung der Bandgeschwindigkeiten, Senkung des Arbeitstempos, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sechs Wochen Urlaub, eine Mark mehr für alle, Wiedereinstellung der Entlassenen, Bezahlung der Streikstunden.“
Nach einer Woche Streik entschied sich die Geschäftsleitung dafür, den Streik mit allen Mitteln zu beenden. Sie forderte während einer Gegendemonstration der deutschen Belegschaft Polizeikräfte an, die mit Gewalt gegen die Streikenden vorgingen und ihre „Rädelsführer“ verhafteten. Baha Targün, Sprecher des Streikkomitees, wurde in die Türkei ausgewiesen. Die Geschäftsleitung entließ 100 türkeistämmige Beschäftigte fristlos und machte Druck auf weitere 600, ihre „fristlose Kündigung in eine ‹freiwillige› umzuwandeln“. Typisch für diese Auseinandersetzung war, dass der Betriebsrat gegen keine dieser Entlassungen Einspruch einlegte.
In der Zerschlagung des Streiks bei Ford in Köln entlud sich die Wut der deutschen Arbeiter über die Tatsache, dass die türkischen Zugewanderten für kurze Zeit die Kontrolle über ihren Arbeitsplatz übernehmen konnten.
Bei dem Fordstreik ging es um „eine Mark mehr“, aber zugleich zeigte sich, dass der große Streik von August 1973 die ganzen Lebensverhältnisse thematisiert hat. Nicht nur die Wohnsituation, auch die gesundheitlichen Probleme, die die Arbeit verursachte, auch die Frage, wie man mit wenigen Wochen Urlaub und Wechselschicht den Kontakt zu Familien und Freunden aufrechterhalten soll.
Es bewahrheitete sich wieder einmal, dass Arbeitskämpfe immer über Arbeitskämpfe hinausgreifen – und es eigentlich um noch viel mehr ging:
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„Der Streik bei Ford in Köln Ende August 1973 ist ein entscheidender Markstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ja, der Arbeiterbewegung in Deutschland, nicht der `deutschen Arbeiterbewegung…´
Dies aufgrund von drei Aspekten:
Erstens. Der Kölner Ford-Streik markierte – zusammen mit der breiten Streikbewegung von Mai bis Oktober in diesem Jahr 1973 – definitiv das Ende einer Zeit mit relativem „Klassenfrieden“, was zusammenfiel mit einer Periode, die gemeinhin als (westdeutsches) Wirtschaftswunder verklärt wird. Dabei muss bedacht werden, dass es ein solches Wirtschaftswunder mit wenigen Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeit und Kapital nur rund eineinhalb Jahrzehnte lang gab: In der Zeit nach dem Druckergeneralstreik des Jahres 1952 und bis zu den „wilden Streik“ des Jahres 1969, die auch ein Reflex auf die erste Nachkriegsrezession (1966/67) waren.
An den überwiegend „wilden“ – nicht von den Gewerkschaften offiziell geführten – Streiks des Sommers 1973 beteiligten sich bis zu 300000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Das war nochmals deutlich mehr als bei der Streikwelle 1969. Wichtige Betriebe, in denen es solche Auseinandersetzungen gab, waren u.a. die Landmaschinenfabrik John Deere in Mannheim, die Klöckner-Hütte Bremen, die Hella-Werke Lippstadt, Pierburg in Neuss, AEG-Küppersbusch in Gelsenkirchen, Opel Bochum, Philips/Valvo in Bremen, Rheinstahl in Bielefeld und Duisburg und Buderus in Lolla/Hessen.
Zweitens. In den 1973er Streiks erwies sich erstmals das enorme kämpferische Potential der „Gastarbeiter“ – der Arbeiterinnen und Arbeiter aus den europäischen Peripherieländern. In Köln waren dies vor allem die türkischen Kolleginnen und Kollegen. In den meisten Streiks jener Wochen spielten sie eine – in Köln und anderswo: die – führende Rolle. Damit markieren diese Streiks auch das Ende eines spezifischen Akkumulationszyklus des deutschen Kapitals: Dieses konnte bis Ende der 1960er Jahre und teilweise bis in die 1970er Jahre hinein mit eher geringem Kapitaleinsatz und billigen Arbeitskräften (und damit vor allem in Form von absoluter Mehrwertproduktion und hohen Gewinnen) fungieren. Der Arbeitskräftezufluss speiste sich aus den drei Quellen: Arbeitslosenheer (bis 1953 mehr als eine Million), Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten und der DDR (bis 1961 zehn Millionen Menschen, davon mindestens 6 Millionen im arbeitsfähigen Alter) und „Gastarbeiter“ (zwischen 1960 und 1973 eine Million). Wenn es dann ab Mitte der 1970er Jahre als Resultat höherer Löhne und der Krise 1974/75 zu einem Rationalisierungsschub kam und sich nunmehr – ergänzt um eine weiter unterbewertete D-Mark – auf dieser Basis die erfolgreiche Exportoffensive des deutschen Kapitals fortsetzte, so ist dies Teil der Dialektik, die der kapitalistischen Produktion innewohnt.
Drittens. In den 1973er Streiks gab es eine deutliche Spaltung zwischen den migrantischen Arbeitskräften, die die Kämpfe meist anführten, einerseits, und den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die teilweise neutralisiert werden konnten, die sich teilweise aber auch – nicht zuletzt durch regionale IG Metall-Strukturen – rassistisch instrumentalisieren ließen, andererseits.
Diese Klassenspaltung war die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Streiks – anders als diejenigen des Jahres 1969 – überwiegend abgewürgt und teilweise brutal zerschlagen wurden. Die Ereignisse in Köln waren hier exemplarisch. Wenn es heute diese rassistische Spaltung in den Kernbelegschaften nicht mehr gibt, so ist das vor allem den migrantischen Arbeitskräften und ihrem kämpferischen Einsatz zu verdanken“.
Aus: Karl Heinz Roth, Die „andere“ Arbeiterbewegung, München 1974, S. 11 u. 12.
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Für die Politik der DGB-Gewerkschaften hatte Zuwanderung keine besondere Priorität
Während die Zuwanderung von Menschen in die Bundesrepublik immer schon vonseiten der Unternehmerschaft gefördert und gefordert wurde, nicht zuletzt, um auf ein breites Arbeitskräfteangebot mit entsprechender Konkurrenz zurückgreifen zu können, legten die Gewerkschaften immer eine gewisse Zurückhaltung an den Tag.
Die Gewerkschaften nahmen die angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte zunächst vor allem als neue Konkurrenz wahr. Dies erklärt ihre Zurückhaltung, wenn es um Fragen des Einsatzes für und der Repräsentation von zugewanderten Beschäftigten ging. Da sich viele der ausländischen Arbeitskräfte nicht durch die Gewerkschaften vertreten sahen, organisierten sie unabhängig von ihnen zwischen 1950 und 1970 eigenständig zahlreiche sogenannte wilde Streiks. Diese Streiks hatten einerseits Spaltungen zwischen deutschen und zugewanderten Beschäftigten zur Folge, andererseits auch die erfolgreiche Solidarisierung der Beschäftigten untereinander.
In der Regel begegnete die deutsche Bevölkerung den „Fremdarbeitern“ mit Misstrauen und Skepsis.
Viele der vorwiegend deutschen Betriebsräte und hiesigen Gewerkschaften verwehrten den neuen Arbeitskämpfen ihre Unterstützung, ihre Besserstellung in den Betrieben basierte ja auch darauf, dass zugewanderte Arbeitskräfte die unteren Hierarchieebenen ausfüllten. Während die deutschen Beschäftigten und die Gewerkschaften eher am Erhalt der betrieblichen Strukturen interessiert waren und diese stützten, kämpften die zugewanderten häufig für deren Änderung und gegen ihren eigenen Ausschluss. Sie kritisierten die rassistischen Zustände in den Betrieben ebenso wie auch ihre schlechte Wohnsituation und leisteten mit ihrer Selbstorganisation vielfältigen Widerstand.
Bei den DGB-Gewerkschaften selbst hat die gewerkschaftliche Politik der letzten 75 Jahre, im Hinblick auf die Zuwanderung, nie eine besondere Priorität genossen. Die Gewerkschaften haben bis heute nicht die historische Verantwortung kritisch aufgearbeitet. Sie haben die strategischen Chancen von Zuwanderung nicht in breiterem Ausmaß erkannt und erschlossen.
Was bleibt
Es steht der eklatante Widerspruch im Raum, dass seit der „Gastarbeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 30 Millionen Menschen in der Bundesrepublik zu- und abgewandert sind und sich gleichzeitig die Lebenslüge „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ bis zur Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes durch die Rot-Grüne-Koalition im Jahr 1999 hielt.
Dieser gesellschaftliche Skandal, dass sich Deutschland bis zur Jahrtausendwende kontrafaktisch als Nichteinwanderungsland bezeichnete, ist noch kaum wissenschaftlich analysiert, geschweige denn politisch aufgearbeitet.
So bleibt der Zweck der Zuwanderung von Menschen lediglich, um den Niedriglohnsektor mit Arbeitskräften zu versorgen, die die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in Kauf nehmen müssen, um überhaupt existieren zu können.
Deutschland verspricht sich, wie bereits erwähnt, von der Zuwanderung junger mobiler Menschen einen großen wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen EU-Ländern, als Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Wirtschaftsmacht und der Arbeitskräftereserve, bei möglichst freiem Waren- und Personenverkehr. Politik und Unternehmerschaft berücksichtigen dabei, dass es in der EU keinen einheitlichen Arbeitsmarkt gibt, der auch Schutzfunktionen bieten würden, wie z.B. gleiche Arbeitsgesetze und soziale Sicherungen, starke Gewerkschaften und einheitliche Lohnstrukturen und dass auf dem EU-Arbeitsmarkt der freie Personenverkehr für die Beschäftigten nur bedingt gilt. Arbeit finden sie nur in den wirtschaftlich stärkeren Regionen in der EU, in denen zumindest die Aussicht besteht, dass auch höhere Löhne gezahlt werden können, als in den Randzonen.
Die Profiteure des freien Personenverkehrs sind, wie schon beim freien Warenverkehr, vor allem die deutschen Unternehmen.
Die hiesigen Gewerkschaften dagegen waren beim Thema Zuwanderung in den vergangenen 75 Jahren, wie so oft, in ihrem eigenen Schlingerkurs gefangen und verharren weiter in Passivität.
Quellen: WAZ, Statistisches Bundesamt, DGB, Stadt Dortmund, IG BAU, rosalux.de/publikation/id/42811, Efsun Kızılay,HBS, K.H. Roth, Norbert Haering, WEF Migration Business Case Report 2013 (weforum.org), Marios Nikolinakos,(ro ro ro aktuell,1973), ÖGB, Hans Böckler Stiftung, multipolar, destatis, BA Bild